Ausgabe 1 - 2014
Auf der Suche nach der zündenden Idee
Die anhaltend prekäre Lage im IT-Arbeitsmarkt trifft viele Firmen tief ins Mark. Weil Spezialisten fehlen, müssen Aufträge abgelehnt und Kunden enttäuscht werden. So weit muss es nicht kommen.
Klasse Firma, tolles Office – und das mitten in München. Ihr Unternehmen mit einem ungeschliffenen Diamanten zu vergleichen, geht Recruiterin Jennifer Jeck leicht über die Lippen: „Bei uns stehen alle Türen offen. Man begegnet sich per Du, und jedes Jahr feiern wir zusammen das Oktoberfest.“ Wie es scheint, handelt es sich bei der Pentland Firth Software GmbH, die nur einen Steinwurf vom Marienplatz entfernt residiert und rund 40 Mitarbeiter an der Isar sowie in Singapur beschäftigt, um eine wirklich gute Adresse. Doch das ist nicht die ganze Wahrheit: Für die Rekrutierung von neuen Mitarbeitern muss die junge Company tief in die Tasche greifen, wie Jeck erläutert: „Anzeigen bringen nichts mehr im War for Talent. Die Investitionen rechnen sich nicht.“ IT-Fachkräfte sucht inzwischen der Personalberater. Das sei zwar finanziell schmerzhaft, aber „ohne Alternative“ bei dringendem Personalbedarf. „Sonst könnten Projekte scheitern.“
IT-Spezialisten verzweifelt gesucht
Der Arbeitsmarkt für IT-Spezialisten ist und bleibt angespannt. Laut Branchenverband Bitkom sind aktuell 43 000 Stellen unbesetzt. Besonders gefragt sind Softwareentwickler und Spezialisten für IT-Services. Wie das Stellenportal Monster ermittelte, rechnet jedes zweite IT-Unternehmen in diesem Jahr damit, offene Positionen nur mit größter Mühe besetzen zu können. Für gut zehn Prozent der Vakanzen soll sich sogar niemand mehr finden.
Nicht nur bei dem erst vor wenigen Jahren gegründeten IT-Dienstleister Pentland Firth ist die Personallage unendlich vertrackt. Viele Unternehmen fühlen sich überfordert, mit der perspektivisch sich noch weiter zuspitzenden Entwicklung angemessen umzugehen. Doch anders als bei Pentland Firth, wo man verständlicherweise noch nicht auf gewachsene Strukturen aufbauen kann, sind die allermeisten Firmen der als selbstverliebt geltenden Branche sehenden Auges in die Misere hineingeschlittert.
Junge Informatiker, um die sich die ganze Wirtschaft reißt, wollen laut Umfragen des Trendence Instituts zu Google, SAP oder BMW und nicht zu verschnarchten Konzernen oder unbekannten Mittelständlern. Ihren Marktwert taxieren sie mit einem durchschnittlichen Jahresgehalt von 56 500 Euro ziemlich hoch. Klar ist auch, dass nicht jeder hochfliegende Traum in Erfüllung geht. Also landen viele Young Professionals am Ende doch bei zuerst nicht avisierten Arbeitgebern. Im Vorteil ist, wer sie nicht bloß geschickt ködert, sondern auch hält, was ihnen versprochen wurde.
Es wird oft gejammert
Wir haben uns umgeschaut und dabei entdeckt, dass oft gejammert wird. Zum Beispiel über Bewerber, die kritisch nachhaken, wie es denn um die Sicherheit von Arbeitsplätzen bestellt sei, wenn der Vorstand in den USA mal wieder an den Personalkosten schraubt. Was bilden die Arbeitnehmer sich bloß ein! Statt zu lamentieren, sollten einige Firmen lieber ihre Selbstdarstellung kritisch unter die Lupe nehmen. Denn viele Karrierewebsites gleichen Textfriedhöfen. Attraktiv verpackte Hinweise, wie es im Büro aussieht und was die künftigen Kollegen den lieben langen Tag tun – Fehlanzeige. Das schreckt jeden vernünftigen Bewerber ab.
Anscheinend ist vielen Unternehmen der Branche ihr über Jahre anhaltender Erfolg zu Kopf gestiegen. So laufen sie Gefahr, nicht rechtzeitig gewappnet zu sein für einen Arbeitsmarkt, in dem sich die „happy few“, zahlenmäßig seltener werdende Kandidaten mit fachlichem Rüstzeug und persönlicher Eignung, die Rosinen herauspicken können. Besser gerüstet sind daher jene Firmen, die frühzeitig und langfristig die sich spreizende Schere zwischen Angebot und Nachfrage in ihrer Wirkung versuchen einzudämmen.
„Auch bei uns laufen Bewerber nicht die Türen ein. Auch wir hadern mit dem Mangel“, räumt Uwe Kloos unverblümt offen ein. Im Recruiting, sagt der Personalleiter der NTT Data GmbH, die an vier deutschen Standorten rund 1300 Mitarbeiter beschäftigt, bewege ihn stets die Frage, wie man die künftigen IT-Berater ans Unternehmen heranführen könne. Früher, als man noch aus dem Vollen schöpfen konnte, lud man schon mal ein zur großen Sause mit Starkoch und Tamtam.
Heute, nach japanischer Übernahme der einstigen BMW-Tochter Cirquent, setzt Kloos auf „Recrutrainment“, wie er sagt. In Workshops führt die Firma Interessenten an Six Sigma heran oder ans „Consultative Selling“. Schließlich haben Berater kein Produkt zum Anfassen. Kloos: „Wie präsentiere ich das, wie kann ich Kunden gewinnen? Das finden viele spannend.“
Diskussionsprozess über die Arbeitskultur
Und das bleibt hängen. Gewährt man Kloos zufolge jungen Leuten neben der Lernerfahrung auch Einblick, was eine IT-Beratung eigentlich leistet, eröffnet man ihnen auch die Chance, sich selbst besser einzuschätzen: „Eigne ich mich überhaupt für dieses Tätigkeitsfeld, kann ich mich hier entfalten und weiterkommen?“
Bei der Datev in Nürnberg ging man einen anderen Weg und stellte vor fünf Jahren gleich die Gretchenfrage: „Wofür steht die Firma eigentlich?“ Das müsse man glaubhaft vermitteln können, um überhaupt nachhaltig rekrutieren zu können, erklärt Personalchef Jochen Kurz. Um reinen Tisch zu machen, setzte Datev einen Diskussionsprozess über die Arbeitskultur in Gang. Parallel befragt die Firma ihre Mitarbeiter und nimmt seit Jahren regelmäßig am Wettbewerb „Great Places to Work“ teil. Als Substanz daraus entwickelte man den neuen Markenkern, den Kurz so beschreibt: „Mitarbeiter sollen gestalten können. Führungskräfte müssen sie dazu ermutigen und ihnen Raum geben.“ Datev setzt auf Botschafter aus den eigenen Reihen, um die neu entwickelte Arbeitgebermarke nach außen zu tragen. Mitarbeiter sind die Hauptfiguren in Bild und Ton und auch auf Messen persönlich präsent. Kurz: „Mancher Bewerber wundert sich, wenn er seine Gesprächspartner wiedererkennt.“ Die Ergebnisse sprechen für sich: In nur einem Jahr nahm die Zahl der Bewerbungen um ein Drittel zu. Mit der Kampagne, so Kurz, erziele Datev eine „nachweislich höhere Glaubwürdigkeit“. 80 Prozent der IT-Mitarbeiter sind Absolventen.
In der zweiten Reihe tut sich was
Firmen wie Datev, zu deren Kundschaft die meisten Steuerberater zählen, für die inzwischen eine stattliche Zahl von 1500 IT-Fachkräften eigens Software entwickelt, steigern ihre Bekanntheit und legen an Attraktivität zu. Ein Unternehmen, das ebenfalls nicht unbedingt zu den von Informatikern avisierten Top-Adressen zählt, ist die 1&1 Internet AG in Karlsruhe. Auch sie setzt strategisch geschickt auf Mitarbeiter als Botschafter.
Laut Rüdiger Becker, Leiter Personalmarketing, ist der persönliche Kontakt zur Zielgruppe am erfolgversprechendsten im Recruiting. „Wir müssen die Aufmerksamkeit auf uns ziehen und die Attraktivität als Arbeitgeber glaubhaft vermitteln.“ Mitarbeiter tauschten sich demnach zu vielen Anlässen mit Interessenten aus. „Aus dem Kreis unserer IT-Kollegen“, erläutert Becker, „gewinnen wir auch neue Ideen, wie wir den Kontakt mit unserer Zielgruppe intensivieren können.“
Mit einer solchen Idee hat 1&1 gemeinsam mit den Tochtermarken Gmx.de und Web.de nachweislich Boden gut gemacht im Wettbewerb um umworbene Absolventen sowie berufserfahrene IT-Spezialisten aus Software-Entwicklung, Systemadministration oder Produktmanagement. Bei einer Anfang September in München gestarteten und inzwischen abgeschlossenen neuerlichen virtuellen Schnitzeljagd mussten die Teilnehmer QR-Codes aufspüren und dort verborgene Fragen nach Java, Android oder Systemadministration richtig beantworten. Dazu luden sie sich eine Code-Caching-App für Android oder iOS auf ihr Smartphone herunter.
Wer die Fragen richtig beantwortete, steigerte seine Chance, an der CodeCaching-Nacht am 14. November in München teilzunehmen und bei einer Tombola zusätzliche Sachpreise zu gewinnen. Beim Feiern konnte man Mitarbeiter des Unternehmens kennen lernen und laut Becker erfahren, „wie der berufliche Alltag aussieht und an welchen technisch spannenden Projekten wir arbeiten“. Die Erwartungen sind hoch: Nach der letzten Schnitzeljagd in Karlsruhe habe die Zahl der Bewerbungen „sprunghaft“ zugenommen.
Virtuelle Schnitzeljagd in München
In München, wo ein weit größerer Wettbewerb um IT-Kräfte herrscht als in Karlsruhe, will 1&1 laut Becker vor allem die Bekanntheit als IT-Arbeitgeber erhöhen. „Was viele nicht wissen: An der Isar beschäftigen wir bereits 320 Mitarbeiter, darunter sind sehr viele IT-Fachkräfte.“ Doch anders als man vielleicht annehmen könnte, geht es 1&1 beim Code-Caching nicht darum, um jeden Preis Arbeitsverträge abzuschließen. Wichtiger sei, 1&1 als IT-Firma zu positionieren. „Wir bauen unsere Produkte in einem erheblichen Maß selbst. Mail Services zum Beispiel werden immerhin von 30 Millionen Kunden genutzt“, so Becker. Solche Fakten können beeindrucken.
Freilich muss man selbst bei 1&1 schon eine gewisse Bekanntheit unterstellen. Die Firma schaltet sogar Spots im Fernsehen. Davon ist der große Rest der mittelständischen IT-Dienstleister noch weit entfernt. Doch auch für sie gilt: Eingeschränkte Ressourcen sind keine Entschuldigung fürs Nichtstun. Niemand muss sich willenlos in sein Schicksal ergeben. Das zeigt auch das Beispiel von Noventum in Münster. Uwe Rotermund, Geschäftsführer des 95 Mitarbeiter zählenden Rechenzentrums- und SAP-Spezialisten, befasste sich schon mit Zukunftsfragen, als noch niemand daran dachte, dass der Branche irgendwann die Puste ausgehen könnte.
Auf Augenhöhe mit den Branchengrößen
Vor zehn Jahren begab sich Rotermund mit Noventum auf eine lange Reise. „Ich wollte so attraktive Arbeitsplätze schaffen, dass sich unsere Mitarbeiter dreimal überlegen, ob sie das Unternehmen tatsächlich wechseln sollten.“ Was zeichnet die Jobs denn aus? Spannende Projekte, internationaler Zuschnitt, schnelle Entscheidungen, rascher Aufstieg. Rotermund setzte alles daran, auf Augenhöhe mit Branchengrößen wie Accenture zu sein. Dabei werde niemand verheizt. „Dafür legen wir viel Wert auf den persönlichen Umgang miteinander und eröffnen Mitarbeitern vielfältige Angebote, sich gezielt weiterzuentwickeln und Stärken auszubauen.“
Flankiert wird diese Strategie durch den Aufbau einer Arbeitgebermarke, wobei Rotermund nach eigenen Angaben persönlich die Vernetzung mit Wirtschaft und Verbänden vorantreibt. Intensive Hochschulkontakte mit der Fachhochschule vor Ort sorgen dafür, dass junge Leute sich für Noventum erwärmen und die Firma gut in Erinnerung behalten. Zwar steigen sie nach Studienabschluss nicht unbedingt dort ein. „Sie klopfen aber zu einem späteren Zeitpunkt erneut bei uns an“, so Rotermund. „So sichern wir uns qualifizierte Fachkräfte über den Bedarf hinaus.“
Die Aufbauarbeit hat sich anscheinend gelohnt: Mit einer Fluktuationsquote von fünf Prozent liege Noventum weit unter dem Branchenschnitt, auch der Krankenstand sei gering ausgeprägt, heißt es. Jährliche Umfragen unter den Mitarbeitern zeigten hohe Zufriedenheitswerte. Rotermund weiß, daraus kann hohe Kundenzufriedenheit und entsprechende Kaufbereitschaft resultieren.
Doch Rotermund gibt sich nicht zufrieden, Noventum soll für IT-Fachkräfte noch attraktiver werden. Inzwischen ist die Firma auch in der Türkei, in Luxemburg und sogar in Südafrika vertreten. Freilich ist Expansion kein Selbstzweck: Um die Kultur des persönlichen Umgangs nicht aufs Spiel zu setzen, hat der Manager eine Wachstumsbremse eingebaut. Mehr als 150 Mitarbeiter wären zu viel des Guten.
Expansion ist kein Selbstzweck
Wie die Beispiele zeigen, brauchen Unternehmen der zweiten und dritten Garde im Recruiting nicht zwangsläufig mit leeren Händen dastehen. Vorbilder ermuntern auch nachrückenden Unternehmen, neue Wege zu beschreiten und positive Erfahrungen zu sammeln. Pentland Firth etwa hat entdeckt, wie gut Mitarbeiter neue Kollegen anwerben können. „Erfreulich ist auch der Umschlag aus Praktikanten und Werkstudenten“, zieht Recruiterin Jeck Bilanz. „Immer wieder gewinnen wir jemanden, der nach Studienabschluss einen Arbeitsvertrag unterschreibt.“
Zusehends, sagt Jeck, zögen Kandidaten kleinere überschaubare Firmen Markenanbietern vor. Statt bloß ein Rädchen im Getriebe zu sein, wollten sie schnell lernen und vorankommen. „Erfahrungsgemäß geht das in Unternehmen mit flachen Hierarchien ziemlich schnell.“ Die Hoffnung stirbt zuletzt.
Autor
Winfried Gertz, freier Journalist, München
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