Versetzung mit Hindernissen
Immer wieder taucht in der betrieblichen Praxis die Frage auf, ob und inwieweit Arbeitnehmer an einen anderen Ort versetzt werden können oder ob stattdessen risikobehaftete Änderungskündigungen auszusprechen sind. Auch das BAG hat sich in jüngster Vergangenheit wiederholt mit dieser Frage auseinandergesetzt.
Grundsätzlich darf der Arbeitgeber den Ort der Arbeitsleistung gemäß § 106 S. 1 GewO nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit dieser nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrages oder durch gesetzliche Vorschriften festgelegt ist.
Haben die Vertragsparteien im Arbeitsvertrag einen bestimmen Ort als Arbeitsort festgelegt, ist diese Festlegung somit auch für den Arbeitgeber verbindlich. Eine einseitige Verlagerung des Arbeitsortes durch den Arbeitgeber kommt dann grundsätzlich nicht mehr in Betracht. Vielmehr bedarf es hierfür einer sozial gerechtfertigten Kündigung oder einer einvernehmlichen Änderung des Vertragsinhalts durch die Parteien.
Eine Beschränkung des Arbeitsortes auf den im Arbeitsvertrag festgelegten Ort kann jedoch durch Verwendung eines sogenannten Versetzungsvorbehaltes verhindert werden. Denn es macht keinen Unterschied, ob im Arbeitsvertrag auf die Festlegung eines Arbeitsortes verzichtet und dem Arbeitgeber die Festlegung im Rahmen der gesetzlichen Grenzen vorbehalten bleibt, oder ob ein Arbeitsort mit der Möglichkeit einer arbeitgeberseitigen Abänderung vereinbart wird.
Versetzungsbefugnis des Arbeitgebers
In beiden Fällen geht der Parteiwille dahin, dem Arbeitgeber eine Versetzungsbefugnis des Arbeitgebers im Sinne des § 106 S. 1 GewO einzuräumen. Durch eine entsprechende Formulierung des Vertrages kann damit sichergestellt werden, dass dem Arbeitgeber trotz des festgelegten Arbeitsortes die Möglichkeit einer unternehmensweiten Versetzung grundsätzlich erhalten bleibt. Dabei wird die Versetzungsklausel bezogen auf den Arbeitsort auch keiner Angemessenheitskontrolle, sondern allein einer Transparenzkontrolle gemäß § 307 BGB unterzogen. Dies hat zur Folge, dass die durch die Klausel eingeräumte örtliche Versetzungsmöglichkeit nach § 106 S. 1 GewO in der Regel nicht wieder deshalb entfällt, weil sich die Klausel – wie bezüglich der Art oder den Inhalt einer Tätigkeit denkbar – aufgrund einer unangemessenen Benachteiligung als unwirksam herausstellt.
Fehlt jede Regelung zur Festlegung des Ortes der Leistungspflicht im Arbeitsvertrag, verbleibt es schließlich bei der gesetzlichen Regelung des § 106 S. 1 GewO. Dies bedeutet: Je allgemeiner die vom Arbeitnehmer zu leistenden Dienste oder der Ort der Arbeitsleistung im Arbeitsvertrag festgelegt sind, desto weiter reicht die Befugnis des Arbeitgebers, dem Arbeitnehmer unterschiedliche Aufgaben oder einen anderen Ort im Wege des Direktionsrechts zuzuweisen. Auf die Zulässigkeit eines darüber hinaus vereinbarten Versetzungsvorbehalts kommt es dann nicht an.
Konkretisierung des Arbeitsortes durch jahrelange Handhabung?
Bei Fehlen einer arbeitsvertraglichen Festlegung bewirkt allein eine langjährige Tätigkeit an ein und demselben Arbeitsort noch keine Einschränkung des auf den Arbeitsort bezogenen Direktionsrechts des Arbeitgebers. Zwar ist nicht ausgeschlossen, dass sich Arbeitspflichten aufgrund langjähriger Übung konkretisieren. Allein die Nichtausübung des Direktionsrechts durch den Arbeitgeber über einen langen Zeitraum hat jedoch keinen Erklärungswert und schafft kein Vertrauen des Arbeitnehmers dahin, dass der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht auch in Zukunft keinen Gebrauch machen will.
Dass der Arbeitnehmer sein persönliches Umfeld im Laufe der Zeit am Ort seiner Arbeitsleistung ausrichtet, ist nach der Rechtsprechung nur eine Folge der langjährigen Tätigkeit. So hat das BAG entschieden, dass die Tätigkeit an einem Ort über einen Zeitraum von 15 Jahren noch nicht ausreicht, um zu einer vertraglichen Konkretisierung des Arbeitsortes zu gelangen. Nur beim Hinzutreten weiterer besonderer Umstände, die den Arbeitnehmer darauf vertrauen lassen, künftig nicht woanders eingesetzt zu werden, kann es zu einer vertraglichen Beschränkung des Direktionsrechts kommen. Hierbei ist etwa zu denken an entsprechende Verlautbarungen oder Verhaltensweisen des Arbeitgebers in der Vergangenheit, wie etwa bei Sozialauswahlbetrachtungen.
Ausübung des Direktionsrechts nach billigem Ermessen
Ist der Arbeitsort vertraglich nicht festgelegt oder konkretisiert, unterliegt die Zuweisung eines anderen Arbeitsortes durch den Arbeitgeber keiner Inhaltskontrolle gemäß § 307 BGB, sondern allein einer Ausübungskontrolle nach §§ 106 S. 1 GewO, 315 Abs. 3 BGB. Die Leistungsbestimmung des Arbeitgebers ist für den Arbeitnehmer somit nur verbindlich, wenn sie billigem Ermessen entspricht. Dies setzt voraus, dass der Arbeitgeber im Vorfeld eine Abwägung der wechselseitigen Interessen vorgenommen hat.
Abstrakte Gesichtspunkte, bei deren Vorliegen stets billiges Ermessen gewahrt wäre (zum Beispiel feste Kilometergrenzen oder Fahrtzeiten), gibt es dabei nicht. Vielmehr sind in die Abwägung der wechselseitigen Interessen alle Umstände des Einzelfalls einzubeziehen, wie insbesondere die Vor- und Nachteile der konkreten Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, die außervertraglichen Vor- und Nachteile, die Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie die sozialen Lebensverhältnisse, wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen. Eine soziale Auswahl wie bei betriebsbedingten Kündigungen nach § 1 Abs. 3 KSchG findet dagegen nicht statt.
Ebenso wenig kann aus sozialrechtlichen Regelungen über die Zumutbarkeit einer Beschäftigung ein belastbarer Maßstab für die Beurteilung des Ermessensgebrauchs bei einer Versetzung abgeleitet werden. So haben Instanzgerichte teilweise auf die Regelung des § 121 Abs. 4 S. 1 SGB III abgestellt, wonach einem Arbeitslosen eine Beschäftigung nicht zumutbar ist, wenn die täglichen Pendelzeiten zwischen seiner Wohnung und der Arbeitsstätte im Vergleich zur Arbeitszeit unverhältnismäßig lang sind. Zwar ist das berechtigte Interesse des Arbeitnehmers an kurzen Pendelzeiten und einem geringen finanziellen Aufwand auch im Rahmen der Abwägung nach §§ 106 S. 1 GewO, 315 Abs. 3 BGB zu berücksichtigen. Bei wichtigen dienstlichen Gründen können jedoch auch längere Pendelzeiten zumutbar sein.
Werden Arbeitsaufgaben komplett verlagert, besteht nach der Rechtsprechung regelmäßig ein berechtigtes Interesse des Arbeitgebers, diese Aufgaben auch an dem neuen Arbeitsort von dem bisherigen Personal wahrnehmen zu lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn qualifizierte Tätigkeiten verlagert werden und anderenfalls der Ausspruch einer betriebsbedingten Beendigungskündigung droht. Unter diesen Umständen kann sogar eine arbeitgeberseitige Versetzung von Flensburg nach Garmisch-Partenkirchen rechtlich zulässig sein. Den Arbeitgeber trifft jedoch regelmäßig die Obliegenheit, das Bestehen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten zu prüfen, die für den Arbeitnehmer eine geringere Belastung darstellen.
Der Konfliktfall
War der Arbeitgeber zu einer erklärten Versetzung nicht berechtigt, kann der Arbeitnehmer die Unwirksamkeit durch das Arbeitsgericht feststellen lassen. Darüber hinaus kann der Arbeitnehmer seinen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung durch Erhebung einer Klage auf künftige Leistung gemäß § 259 ZPO durchsetzen.
Bis die Unverbindlichkeit der Weisung durch ein rechtskräftiges Urteil feststeht, ist der Arbeitnehmer jedoch an die vom Arbeitgeber vorgenommene Konkretisierung des Inhalts seiner Arbeitsleistung gebunden. Erst dann, wenn sich die Versetzung rechtskräftig als unwirksam erweist, hat der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Beschäftigung in seiner bisherigen Tätigkeit am bisherigen Ort. Geschieht dies, muss der Arbeitgeber – wenn möglich – erneut von seinem Weisungsrecht Gebrauch machen oder aber eine betriebsbedingte Änderungskündigung aussprechen.
Autoren
Thomas Niklas, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Küttner Rechtsanwälte, Köln,
niklas@kuettner-rechtsanwaelte.de
Dr. Benjamin Ittmann, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht, Küttner Rechtsanwälte, Köln,
ittmann@kuettner-rechtsanwaelte.de
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