Ausgabe 1 - 2014
Die Generation Y ist schuld
Mobiles Lernen ist ein Megathema. Das bemerken auch die Besucher der Branchenmesse Learntec.
Dort treffen Personaler bereits am Eingang des Messegeländes auf den Trend. So veröffentlichen Besucher seit vergangenem Jahr auf einem großen Hashtag-Board ihre Tweets. Im Minutentakt rauschen die News herein. Fast alle stammen von Smartphones oder Tablets und stimmen darauf ein, welche Rolle mobiles Kommunizieren und damit auch Lernen in Zukunft einnimmt.
„Schuld“ am Trend ist die Generation Y. Diese unter 30-Jährigen stellen nicht nur Personalchefs unangenehme Fragen, etwa zur Work-Life-Balance oder Elternzeit. Mit Onlineangeboten aufgewachsen, sind es diese sogenannten Digital Natives aus Schule und Studium gewohnt, Wissen immer und überall abzugreifen. Sie nutzen Online-Bibliotheken, erstellen Firmen-Wikis oder recherchieren nach Plagiaten. Vor allem aber tun sie das alles von unterwegs aus.
Treiber des mobilen Trends
Die Generation Y gilt als Treiber des mobilen Lernens. Das belegt eine aktuelle Studie des Essener Instituts für Medien- und Kompetenzforschung (MMB), das auf der Learntec 2014 ebenfalls zu sehen sein wird. E-Learning lernt demnach laufen: 74 befragte E-Learning-Experten sagen voraus, „dass sich Mobile Learning in den kommenden drei Jahren zur Umsatzlokomotive entwickelt“. App-Store und Android Market würden zu den wichtigsten Plattformen für den Vertrieb. Dennoch sei nur eine Minderheit der Befragten der Meinung, dass Endkunden zehn Euro für eine App zu zahlen bereit seien.
Auch interessant: Mobile Lerner würden solche Angebote bevorzugen, die speziell für Smartphones oder Tablets erstellt wurden, die also keine mobile Adaption bestehender Angebote darstellten. Zudem spiele das sogenannte Mikro-Lernen künftig die zentrale Rolle, sei es am Arbeitsplatz oder unterwegs. Europachef Stefan Janssen vom E-Learninganbieter und Learntec-Aussteller Skillsoft kann das bestätigen: „Wir beobachten eine steigende Nachfrage bei Kursen, die im zweibis fünfminütigen Bereich liegen.“
Immer mehr greifen Menschen, egal ob Aushilfe oder Führungskraft, vor allem dann zu mobilen Lernangeboten, wenn sie aktuelle Probleme lösen wollen, erklärt Janssen und gibt ein Beispiel: „Für einen kniffligen Programmieraufrag forschen IT-Experten nach Lösungen über mobil durchsuchbare Online-Bibliotheken.“ Oder Führungskräfte überbrücken Wartezeiten in Flughäfen- oder Bahnhofs-Lounges mit dem Anschauen und Lesen von Kurzvideos oder Arbeitspapieren. In diesen analysieren Top-Manager als Experten ein Thema, das der Rezipient am kommenden Tag vielleicht für ein Meeting brauchen kann.
Zugriff auf die persönliche Lernlandschaft
Möglich sei das Unterwegslernen zwar schon lange, bestätigt auch Janssen, einen spürbaren Schub habe Skillsoft jedoch die Umstellung auf SaaS (Software as a Service) gebracht. Über personalisierte Web-Accounts können Mitarbeiter von Firmen auf ihre persönliche Lernlandschaft zugreifen. Die Software wird nicht mehr gekauft, sondern gemietet und ständig den Bedürfnissen der Nutzer angepasst. „Cloud Computing bestimmt künftig die Rahmenbedingungen des betrieblichen Lernens“, sagt der Manager. Das bilanzieren auch die Autoren der MMB-Studie.
Beim Stuttgarter Technologieriesen Bosch zeichnen sich ähnliche Trends ab: Vor allem für Vertriebsmitarbeiter hat der Konzern über Apps mobile Lernangebote erstellt, die nur wenige Minuten dauern. „Die Außendienstler beschäftigen sich damit abends im Hotel. Das orientiert sich aber sehr speziell noch am Bedarf und Lernbedürfnissen einzelner Mitarbeitergruppen“, sagt Boschs E-Learning-Expertin Bettina Kötteritz.
Allerdings: Da Führungskräfte bei Bosch in größere Programme eingebunden seien, gäbe es für diese bisher noch keine mobilen Lerneinheiten. Genauso wenig für andere Mitarbeiter, die nur an ihrem festen Arbeitsplatz sitzen. Die Gründe: Per E-Learning lernen viele Boschler etwa IT-Programme, EDV-Details oder andere Themen, die direkt mit ihrer Arbeit am PC zu tun haben. Da mache es kaum Sinn, diese Inhalte unterwegs zu studieren, sondern direkt bei der Arbeit, wenn eine Frage aufkommt. „Unsere E-Learning-Angebote sind seit vielen Jahren sehr etabliert und zentraler Bestandteil unserer Weiterbildung. Wir müssen niemanden besonders animieren, das wird gut genutzt“, weiß die Fachreferentin. Vom Quiz über Videos und animierte Szenarien bis zu klassischen Kapiteln können alle 300 000 Mitarbeiter weltweit unterschiedlichste Formate online oder im Intranet durchlaufen.
„Unsere E-Learning-Angebote sind seit vielen Jahren sehr etabliert und zentraler Bestandteil unserer Weiterbildung. Wir müssen niemanden besonders animieren, das wird gut genutzt.“
Bettina Kötteritz, Fachreferentin, Robert Bosch GmbH
Mobile Learning lässt sich schwer im Budgetplan abbilden
Darunter gibt es seit 2013 ein virtuelles Spiel: „Das kam bei unseren Mitarbeitern durch alle Altersstufen hindurch sehr gut an“, sagt Kötteritz. Bereits in den ersten Wochen griffen Tausende Beschäftigte darauf zu. Zweck erfüllt, denn das anderthalbstündige Spiel beinhaltet mit dem Bosch Value Concept trockene Finanzmaterie, die sich ansonsten wohl wenige Mitarbeiter zu Gemüte geführt hätten. Vorteile wie hohe Motivation und starke Nutzung der neuen Lernformen wie Gamebased oder Mobile Learning ließen sich schwer in einem Budgetplan abbilden, meint Kötteritz.
Doch die Erfahrung zeige ihr, dass Unternehmen trotz manchmal höheren Anfangsinvestitionen für neue Lernformen langfristig erfolgreicher sein können. Die Bedingung der Expertin: „Mit einem konkreten Ziel lohnt es sich, in diese neuen Projekte zu investieren.“ Deswegen prüfen Kötteritz und ihr Team genau, in welchen Abteilungen es Sinn macht, mobile Lernanwendungen anzubieten. Für Boschs Vertriebler gibt es unter anderem Verkaufstrainings, aber auch Lerneinheiten für einzelne Produkte und rechtliche Infos.
Weiterbildung unterwegs ist auch für Michaela Klein nützlich. Sie lernt täglich im Zug, wenn sie von ihrer Stuttgarter Wohnung nach Ulm zur Arbeit pendelt. Derzeit sind ihre neuesten Karteikarten dran. Aber nicht aus Papier, sondern 751 Stück liest sie handlich auf ihrem Mobiltelefon durch. Klein lernt gerne mit ihnen: „Die sind gut zur Motivation. Ich weiß sofort, wie weit ich mit meinem Wissensstand bin.“
Sprung vom Papier auf die Handys
Die 25-Jährige hat eine nebenberufliche Weiterbildung zur Fachwirtin im Gesundheits- und Sozialwesen als Jahrgangsbeste abgeschlossen. Jetzt bereitet sich die junge Frau in nur 25 Tagen auf den IHK-Betriebswirt vor. Den Sprung vom Papier auf die Handys seiner Lehrgangsteilnehmer wie Klein hat Jochen Stargardt vor zwei Jahren in Angriff genommen. Seine Weiterbildungsakademie carriere & more mit Sitz in Korb bei Stuttgart arbeitet seit 2005 mit Lern-CDs. Was mit reinen Audio-Files begann, hat die Privatakademie mit bundesweit zehn Standorten inzwischen bis zu Youtube-Erklärvideos und einstündigen Talkrundenvideos auf MP4-Dateien erweitert. Dort diskutieren Wirtschaftsdozenten über verschiedene Rechtsformen oder Personalstrategien. „Alles zum Herunterladen, Mitnehmen und damit zum mobilen Konsum geeignet“, sagt Stargardt. Der Gesellschafter von carriere & more fährt gut mit der Investition ins mobile Lernen. Bei seinen Teilnehmern steige die Akzeptanz vor allem durch die bedienungsfreundliche Technik. „Die rasante Entwicklung der Smartphones hat das mobile Lernen wahrlich beflügelt“, meint der Betriebswirt. Zwar hätten schon früher Kursteilnehmer Kästen mit Karteikarten mit nach Hause genommen, um dort zu lernen. „Wir wissen aber aus den Rückmeldungen unserer mehr als 10 000 Seminarbesucher, dass inzwischen immer mehr tatsächlich unterwegs lernen“, verdeutlicht Stargardt.
In allen möglichen Branchen findet sich mittlerweile mobiles Lernen. So gibt es seit 2010 sechs verschiedene Meister-Apps, die der Buchverlag von Holzmann Medien aus Bad Wörishofen eingeführt hat. Zwischen 25 bis 100 Fragen pro App klopfen betriebswirtschaftliche und rechtliche Kenntnisse sowie berufs- und arbeitspädagogisches Wissen ab. Von drei vorgeschlagenen Antworten ist nur eine richtig und der Lerner erhält am Schluss eine Übersicht. Das Ganze geht auch im Zwei-Spieler-Modus. „Da steckt als Gedanke hinter, dass Kollegen in einen spielerischen Wettbewerb treten können“, verdeutlicht Achim Sacher, stellvertretender Buchverlagsleiter. So bereiten sich Handwerker heute gewerkübergreifend auf Teil III und IV der Meisterprüfung vor. Den potenziellen Markt schätzt das Medienhaus auf jährlich 22 000 Meisterschüler unterschiedlichster Gewerke ausgehend von den jährlich abgelegten Meisterprüfungen.
Dass der Lernform allerdings Grenzen gesetzt sind, hat Andreas Nau erfahren. Zwar hält der Chef von Easysoft, einer Softwareschmiede für Bildungsmanagementsysteme in St. Johann, Apps zum Unterwegslernen als Wiederholungs- oder Assistenz-Werkzeug für sehr gut. „Allerdings kann mobiles Lernen nie komplett Präsenzseminare ablösen“, so Nau. Etwa Workflowanalysen seien nicht via mobiles Lernen machbar. Doch genau diese Dinge sind Hauptbestandteil seiner Schulungen und stark nachgefragt. „Da geht es zu 75 Prozent um Prozessoptimierung“, sagt der Unternehmer, und nur zu einem Viertel um die technischen Funktionen der Software.
Kein Abschied von bewährten Lern-Arrangements
Auch die Studienergebnisse des MMB-Instituts schränken den Trend ein: „Die Dominanz des Top-Themas „Mobile Learning“ bedeutet aber nicht den Abschied von bewährten Lern-Arrangements.“ Unternehmen würden auch zukünftig auf Blended Learning, also der Mischung von traditionellen Lernformen mit virtuellen Elementen setzen. Zusammen mit mobilem Lernen würden sich künftig virtuelle Klassenräume und Webinare weiterentwickeln, so die Autoren der Studie. Und auch das reine E-Learning etabliere sich weiter: Das Gros der befragten Experten sieht im Web Based Training nach wie vor eine bedeutsame Form des betrieblichen Lernens.
Autor
Michael Sudahl, freier Journalist, Stuttgart
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