Ausgabe 1 - 2015
Aus der Bahn geworfen

Wenn Mitarbeiter sterben oder Angehörige verlieren, stellt das für Führungskräfte eine besondere Herausforderung dar. Ein angemessener Umgang mit Trauer kann Mitarbeiter während der Zeit des Abschiednehmens unterstützen und das Unternehmen nachhaltig stärken.
Als der Mitarbeiter eines Hamburger Handwerksbetriebes seinen Vater verlor, war es für den Inhaber selbstverständlich, diesen nach bestem Wissen zu unterstützen. Im Rahmen seiner Fürsorgepflicht als Arbeitgeber hatte er den Anspruch, auch in Krisenzeiten immer für seine Angestellten da zu sein. Darum akzeptierte er zunächst, dass der trauernde Mitarbeiter immer häufiger fehlte, bei der Arbeit gedanklich abwesend war und keine Auskunft darüber geben konnte, wann er wieder voll einsatzbereit wäre. „Meine Angebote, unbezahlten Urlaub zu nehmen oder eine Zeit lang reduziert zu arbeiten, konnte der Mitarbeiter nicht annehmen“, erinnert sich der Inhaber. Hinzu kam, dass der Mitarbeiter innerhalb des Betriebes in einer Schlüsselfunktion tätig war. Die temporäre Abwesenheit des Kollegen belastete das Team immer stärker, während der Inhaber zunehmend in einen Konflikt zwischen persönlicher Anteilnahme und betrieblichen Anforderungen geriet. „Irgendwann merkte ich, dass es besser wäre, mir Unterstützung von außen zu holen, und ich erinnerte mich an die Beratungsstelle Charon“, sagt der Handwerksmeister.
In Gesprächen mit der Beraterin wurde ihm klarer, dass er trotz des Wunsches, den Bedürfnissen des Mitarbeiters gerecht werden zu wollen, nicht riskieren konnte, dass der gesamte Betrieb darunter leidet. Durch die externe Unterstützung konnten Lösungsansätze entwickelt werden, die für alle Beteiligten hilfreich waren. „Die Erfahrung, wie schnell jemand durch Trauer aus der Bahn geworfen werden kann, hat dazu geführt, dass wir Vorsorge getroffen haben. Wir haben eine Datenbank über Sozialleistungen und Beratungsangebote angelegt und auch einen Stellvertreter für mich bestimmt“, sagt der Betriebsinhaber.
Trauerarbeit als Teil des BGM
Welche Auswirkungen unterdrückte Trauer am Arbeitsplatz haben kann, wissen die Beraterinnen von Charon. Daher richtet sich das Angebot der 1989 gegründeten Beratungsstelle in Trägerschaft der Hamburger Gesundheitshilfe gGmbH seit 2013 direkt an Unternehmen und Betriebe. Sie sollen im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements und der Prävention dazu ermutigt werden, die Themen Sterben, Tod und Trauer offen anzusprechen, damit angemessen umzugehen und diesen Umgang als Teil der Unternehmenskultur zu etablieren. Denn häufig herrschen in Unternehmen Sprachlosigkeit und Unsicherheit darüber, welche Unterstützung ein Mitarbeiter, der einen engen Angehörigen verloren hat, braucht.
Ebenfalls schwierig ist die Situation, wenn Kollegen aus den eigenen Reihen sterben. Denn nicht nur für Privatpersonen ist ein Todesfall ein einschneidendes Ereignis – auch Unternehmen mit ihren Führungskräften und Mitarbeitern sind von diesen Verlusten betroffen. „Wir beraten unter anderem Führungskräfte darin, wie sie und ihr Team mit dem Verlust eines Mitarbeiters umgehen können, wie Sprachlosigkeit überwunden und mit Mitarbeitern über die Themen Tod und Trauer gesprochen werden kann“, sagt Charon-Beraterin und Sozialpädagogin Annika Schlichting. Sie und drei weitere Beraterinnen informieren über die Bedürfnisse von Trauernden und darüber, welche Möglichkeiten Vorgesetzte haben, um betroffene Mitarbeiter zu unterstützen. Sie zeigen auf, wie Führungskräfte die Balance zwischen persönlicher Fürsorge und aktuellen Arbeitsanforderungen halten und die Themen Sterben, Tod und Trauer in das betriebliche Gesundheitsmanagement integrieren können.
Patentrezepte gibt es nicht
In akuten Krisen bietet Charon kostenlose Unterstützung an. „Wir kooperieren mit den Kriseninterventionsteams des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), wenn sich ein Suizid oder ein Unfall in einem Unternehmen ereignet hat“, sagt Schlichting. Für Führungskräfte sei es wichtig, schnell auf das Geschehene zu reagieren. Nach einem Erstgespräch mit einer Führungskraft, die berichtet, was genau passiert ist, wird gemeinsam beraten, was den Mitarbeitern helfen könnte, das schockierende Ereignis zu verarbeiten. Dies kann der Austausch in der Gruppe sein, zu dem Kollegen eingeladen werden und welcher durch die Charon-Mitarbeiterin begleitet wird. „Ein fertiges Konzept gibt es für solche Fälle genauso wenig wie ein Patentrezept. In erster Linie geht es darum, wahrzunehmen, zuzuhören und aufzunehmen, was die Mitarbeiter bewegt“, sagt Schlichting, die ausgebildete Trauerbegleiterin ist. „Charon gibt dem Unfassbaren Raum und den Kollegen des Verstorbenen die Möglichkeit, ihren aktuellen Gefühlen, Gedanken und Fragen nachzugehen, über gemeinsame Erlebnisse zu sprechen und Berührungspunkte zu beschreiben. Manchmal helfen wir auch im Umgang mit Schuldgefühlen, die Mitarbeiter belasten, besonders, wenn es sich um einen Suizid handelt. Meine Aufgabe sehe ich zunächst in der Moderation des Gespräches. Was die Kollegen brauchen, entwickelt sich, ich gebe allenfalls Anregungen.“
Im Mittelpunkt steht oft das Bedürfnis nach einem geeigneten Trauerritual. Das kann das Anzünden einer Kerze, das Auslegen eines Kondolenzbuches oder das Innehalten in einer Schweigeminute sein. Aber auch nach der Gesprächsrunde im Unternehmen haben Führungskräfte und Mitarbeiter die Möglichkeit, die Beratungsstelle aufzusuchen. „Nach ungefähr zwei Wochen fragen wir noch einmal nach, welcher zusätzliche Beratungsbedarf besteht. Denn nach dem ersten Schock können weitere Emotionen, Gedanken und Fragestellungen auftreten. Viele Führungskräfte wollen aber möglichst schnell in den Arbeitsalltag zurückkehren und verlieren die Trauerarbeit dann aus den Augen“, sagt Schlichting.
Abwehr als Reaktion hilft keinem
Der Umgang mit Trauer am Arbeitsplatz ist jedoch nicht nur das Gebot einer wertschätzenden Unternehmenskultur, sondern hat auch materielle Aspekte. Mitarbeiter, die sich mit ihrer Trauer nicht ernst genommen fühlen, können unkonzentriert sein, unter emotionalen Schwankungen leiden, häufiger krank oder gar depressiv werden. Das kann sich negativ auf Teams auswirken und birgt hohes Fehlerpotenzial. Ganz abgesehen von Kosten, die dem Unternehmen beispielsweise aufgrund von falscher Bedienung von Maschinen entstehen können. Eine Kultur im Umgang mit Trauer zu entwickeln, sei in vielerlei Hinsicht sinnvoll, lautet die Überzeugung von Antonia Anderland. Die Inhaberin von Anderland Consulting & Coaching in Allensbach hat sich auf Trauer und Verlust in Unternehmen spezialisiert und bietet dazu Coachings an. „Erfolgreiches Trauermanagement führt nach innen zu Mitarbeiterbindung und Motivation, zu Effizienzerhalt und Senkung des Krankenstandes. Nach außen zahlt es sich durch den Erhalt oder die Verbesserung des öffentlichen Images, eine gestärkte Kundenbeziehung, ein positives Employer Branding und Führungskontinuität in Krisenzeiten aus“, sagt Anderland, die beruflich vor allem im Bereich Konfliktmanagement tätig ist.
Sprachlosigkeit, Verdrängung oder Ignoranz hingegen führten langfristig zu einem Mitarbeiterbindungsverlust. Trotzdem gebe es immer noch viele Führungskräfte, die sich weniger um einen angemessenen Umgang mit Trauer Gedanken machten, als vielmehr um die Formulierungen auf der Kondolenzkarte. „Leider wird auf Trauer und Tod häufig mit Abwehr reagiert. Die Ursachen dafür sind Unwissen, Selbstschutz und Tabuisierung in der Gesellschaft“, sagt Anderland.
Dabei sei Trauer keineswegs ein Sonderfall. Jedes Jahr sterben in Deutschland durchschnittlich 850 000 Menschen, 140 000 von ihnen sind noch berufstätig. Laut aktueller Trauerforschung sind von einem Todesfall bis zu zehn Personen stark betroffen. Allen Beteiligten helfe Wissen über den nicht standardisierten Verlauf der Trauer, den Sonderstatus der Trauerzeit und die möglichen Auswirkungen auf das Organisationsumfeld.
Beispiel Swisscom
Als beispielhaft für einen offensiven Umgang mit einem Todesfall nennt Anderland die Videobotschaft des Schweizer Telekommunikationsunternehmens Swisscom anlässlich des Suizids des Geschäftsführers Carsten Schloter. Der Verwaltungsratspräsident Loosli hatte in seinem Nachruf die Mitarbeiter mit ins Boot geholt. Er sprach von der „starken Führungscrew, die auch für euch da sein wird“ und gestand ihnen eine Trauerzeit zu, eine Zeit, „die wir uns auch geben wollen“. Weiterhin betonte er, wie sehr dem verstorbenen Geschäftsführer die Mitarbeiter am Herzen lagen. Auf der Internetseite des Unternehmens wurde zudem eine Traueranzeige für Carsten Schloter geschaltet und im Intranet richtete der Konzern ein Kondolenzbuch ein, in dem sich mehr als 1000 Würdigungen und Kommentare von Mitarbeitern ansammelten. Die Trauerfeier wurde im Intranet übertragen, da der Platz in der Kathedrale für die rund 20 000 Mitarbeiter nicht ausreichte.
Doch auch hier endete die Fürsorgepflicht der Swisscom nicht. Im Folgenden sensibilisierte sie die Mitarbeiter für die wichtige Trennung von Arbeit und Freizeit und rief zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der ständigen Erreichbarkeit im mobilen Zeitalter auf. Nur so konnte die Konzernleitung womöglich verhindern, dass das Unternehmen durch den Freitod des beliebten Geschäftsführers in eine Schockstarre verfiel.
Präventive Maßnahmen
Auch andere Unternehmen sind sich ihrer Verantwortung gegenüber trauernden Mitarbeitern bewusst und haben präventive Maßnahmen ergriffen. „Mitarbeiter, die trauern, können sich an verschiedene interne Anlaufstellen in unserem Unternehmen wenden. Hierfür haben wir bestimmte Personengruppen speziell geschult. Zusätzlich haben wir im Intranet Adressen von externen Beratungsstellen und Selbsthilfegruppen hinterlegt“, sagt Stefanie Christiansen, Sozialberaterin bei Airbus in Deutschland, „im akuten Fall können wir auf unser internes und externes Netzwerk zugreifen, sodass wir schnell reagieren können.“ Einer dieser Fälle trat ein, als ein Mitarbeiter am Telefon vom Unfalltod seiner Frau erfuhr. Er wurde sofort vom internen Family-Care-Team betreut und das Krisenteam des DRK wurde eingeschaltet. Auch der Vorgesetzte und die Teammitglieder, die unmittelbar im Umfeld arbeiteten, wurden beraten, wie sie mit der Situation umgehen und sich dem Mitarbeiter gegenüber verhalten können.
Für die rund 5600 Beschäftigten der Otto GmbH & Co. KG steht in Belastungssituationen die Sozialberatung zur Verfügung. „Für uns ist wichtig, dass das Thema im Unternehmenskontext kein Tabu ist. Mitarbeiter und Führungskräfte müssen wissen, wo sie Unterstützung bekommen können, sei es intern oder aber auch extern. Unsere Erfahrung hat gezeigt, dass es viele Unsicherheiten über den Umgang mit Tod und Trauer gibt. Fast immer standen Fragen nach der passenden Ansprache und einem korrekten Verhalten im Raum. Und diese Unsicherheit wollen wir gerne verringern. Darum bieten wir hierzu seit längerer Zeit regelmäßig Vorträge an“, sagt Julia Meyer, Sozialreferentin bei Otto.
Persönlich beeindruckt war sie vor einigen Jahren auf der Weihnachtsfeier des Personalbereichs, wo der damalige Personaldirektor für eine im Urlaub tödlich verunglückte Kollegin eine Schweigeminute einlegte. Dies diente gerade nicht dem Zweck, das Geschehene möglichst schnell zu vergessen, sondern das Ritual erleichterte eine bewusste Auseinandersetzung mit dem Verlust und demonstrierte Wertschätzung gegenüber der verstorbenen Mitarbeiterin.
Aspekte für ein Trauermanagement
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Wertschätzender Umgang mit trauernden Mitarbeitern
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Schulung der Führungskräfte in Bezug auf einen angemessenen Umgang mit Trauer, Tod und Verlust
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Einschalten der internen Sozialberatung oder einer externen Beratungsstelle, die sich auf Trauer am Arbeitsplatz spezialisiert hat
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Unterstützung von Hinterbliebenen
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Interne und externe Krisenkommunikation
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Unterstützung des Trauernden bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz
Autorin
Petra Schreiber, freie Journalistin, Hamburg
- Mut für eine Innovationskultur
- Beherzt ins neue Jahr
- Content passt sich dem Lerner an
- Viel Lärm um Azubis
- Impulse für Neues setzen
- „Freiräume schaffen“
- „Pioniere zu uns“
- Der Innovationskompetenz auf der Spur
- Horizonte für Frauen im Management
- Aus der Bahn geworfen
- Die Bildungsberater
- „Wer nicht investiert, scheidet aus“
- Nah am Bedarf der Teilnehmer
- Plädoyer für mehr Selbstverantwortung
- Leasing als attraktive Zusatzleistung
- Blind Dates für die Personalabteilung?
- Individualisten führen und motivieren
- Wer onboarded, sollte auch offboarden
- Neuerungen im Diskriminierungsschutz