Ausgabe 1 - 2015
„Pioniere zu uns“

Die Wittenstein AG in Igersheim gilt als Paradebeispiel für den innovativen Mittelstand. Ein starkes Personalmanagement gibt dabei wichtige Anstöße. Ein Gespräch mit Oliver Kössel, dem Personalleiter des Unternehmens.
Personalwirtschaft: Herr Kössel, der deutsche Maschinen- und Anlagenbau wird als „innovatives Rückgrat der deutschen Industrie“ bewundert. Zu Recht?
Oliver Kössel: Ich denke, schon. Was die Branche besonders auszeichnet, ist ihr effektiver und effizienter Einsatz technischer Möglichkeiten sowie die hohe Qualifikation ihrer Mitarbeiter. Als innovativ gilt sie aber auch, weil sie sich intensiv mit dem Kunden austauscht: Was wird ihm helfen, ohne dass er weiß, wie sein Problem tatsächlich aussieht? Diese besondere Beziehungsintelligenz gehört dazu.
Woran erkennt man denn die Innovationsfähigkeit? Doch nicht nur an der F+E-Quote?
Kennzeichen einer Innovationskultur ist auf jeden Fall Offenheit und die Wertschätzung, mit neuen Ideen umzugehen. Auch der Mut, andere Wege einzuschlagen, gehört dazu. Das soll die Kultur bei Wittenstein ermöglichen. Unsere Arbeitgebermarke spricht konkret solche Menschen an: „Pioniere zu uns!“
Wie gelingt der Sprung von der Erfindung zur anwendbaren Innovation?
Man muss die Probleme der Anwender verstehen und überzeugt sein von Dingen, die man für richtig hält. Beispiel iPhone: Steve Jobs wusste schon in den Achtzigerjahren, dass technische Instrumente einfach zu bedienen sein müssen. Kritik und Rückschläge haben ihn nie von dieser Maxime abbringen lassen.
Ihr Unternehmen gilt als Wegbereiter der „Industrie 4.0“. Wie viel Brisanz steckt in der Verknüpfung von Internet- und Produktionstechnologie?
Man spricht hierbei sogar von der vierten industriellen Revolution. Wie die Industrie verändert werden kann, erkennen wir daran, wie das Internet unser Leben verändert hat. Es entstehen neue Ideen in der Produktion, etwa bei intelligenten Sensoren. Kommt dank Datenübertragung in Echtzeit beispielsweise eine Unwucht in einer Maschine zum Vorschein, startet das System automatisch einen Wartungsauftrag – und der Monteur ist schon unterwegs.
Warum sind Innovationsnetzwerke so wichtig?
Wir fördern das Einbringen von Ideen. Im Gegenzug erwarten wir, dass sich unsere Mitarbeiter über Abteilungsgrenzen hinweg austauschen. Dazu sind im neuen Fabrikgebäude, der Wittenstein Innovationsfabrik, Projektflächen angelegt. Statt abgeschottet in seiner Abteilung arbeitet hier der Arbeitsvorbereiter mit dem Entwickler Tisch an Tisch zusammen. So wollen wir den Austausch fördern und die Effizienz in der Kommunikation stärken. Auch extern: Sowohl in der Führungs- wie in der Expertenlaufbahn gibt es die Anforderung, sich in Fachgremien und Netzwerken zu engagieren und dort zum Beispiel in Projekten zusammenzuarbeiten oder Vorträge zu halten.
Was bedeutet das für den einzelnen Arbeitsplatz: Ziehen sich Tüftler nicht mehr in ihre Labors zurück?
Über die Projektflächen hinaus haben wir versucht, Gebäude und Prozesse anzupassen. So befinden sich Produktion und Verwaltung in einem Gebäude, verbunden durch einen „Marktplatz“ zur Kommunikation. Die Architektur erteilt quasi den Auftrag: Ihr sollt Euch austauschen. Der Produktentstehungsweg kreuzt sich mit dem Produktionsweg. In den Projektflächen stehen Schreibtische auf Rollen, die sich schnell zusammenschieben lassen. Es herrscht eine Clean Desk Policy: Abends wird der Schreibtisch leergeräumt, und am nächsten Tag kann man die Arbeit dort fortsetzen, wo enge Zusammenarbeit aktuell erforderlich ist.
Welche Skills und Eigenschaften sollten Mitarbeiter entwickeln, um Innovationsprozesse zu fördern oder gar selbst zu Innovationen beitragen zu können?
Pionier sein, vernetzt denken und handeln, Zusammenhänge und Abhängigkeiten erkennen, kommunizieren, sich wertschätzend verhalten, unternehmerisch denken und handeln. Wir sprechen auch von lernender Veränderungsbereitschaft, reflektiert mit eigenen Stärken und seinem Entwicklungsbedarf umgehen zu können.
Wittenstein schickt Einsteiger als Pioniere auf die Walz. Welche Ziele verknüpfen Sie mit diesem Ansatz?
Das aus der Globalisierungsstrategie geborene Projekt haben wir 2011 ins Leben gerufen. Um noch erfolgreicher zu werden, wollen wir auch die Andersartigkeit in den Ländern verstehen, ein interkulturelles Verständnis entwickeln. Inzwischen schicken wir Berufseinsteiger für drei Monate ins Ausland, um sie wichtige Erfahrungen sammeln zu lassen und sie zu Global Playern zu entwickeln.
Wer kann sich bewerben?
Absolventen der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) sowie nach der Ausbildung übernommene Mitarbeiter bewerben sich mit einem Motivationsschreiben dazu, welche Aufgabe sie in einem Land ihrer Wahl angehen wollen. Aktuell sind zehn Mitarbeiter in Kanada, Australien, Neuseeland, China und Vietnam unterwegs. Eine Mitarbeiterin setzt sich etwa mit der Arbeitskultur vor Ort auseinander, ein Kollege geht den Produktionsbedingungen auf den Grund.
Sind nicht Wissen und Fähigkeiten der Mitarbeiter die eigentliche Basis für Innovationsfähigkeit?
Es handelt sich um eine notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung. Was fehlt, ist die Grundhaltung in der Organisation: Feedback, Wertschätzung und es Mitarbeitern ermöglichen, auch mal etwas anderes zu tun. Sie sollen selbst Verantwortung übernehmen und eingetretene Pfade verlassen.
Welche Rolle spielt die Teamarbeit für Innovationen? Was bedeutet Diversität?
Teams und Projektgruppen sind für uns von großer Bedeutung. Ich bin mir sicher, dass sie weiter zunehmen wird. Dank unterschiedlicher Erfahrungen und Neigungen der Mitarbeiter können Wissen, Fähigkeiten und Ideen entstehen, Grundlagen für neue Produkte.
Kompetenzorientierte Personalentwicklung dürfte auch wichtig sein: Was ist überhaupt Innovationskompetenz?
Dabei handelt es sich eher um eine organisatorische Kompetenz, die kulturell prägend ist und Freiräume eröffnet, damit Mitarbeiter querdenken und Neues ausprobieren können. Sie ermöglicht, Bestehendes zu hinterfragen.
Experten betonen den interkulturellen Anteil an Innovationsentwicklung. Doch deutsche Ingenieurstudenten gehen nicht so gern ins Ausland. Wie kriegt man das hin?
Ich glaube, viele haben Berührungsängste mit dem Ausland. Tatsächlich zeichnet sich der deutsche Arbeitsmarkt noch dadurch aus, dass nicht jeder Mitarbeiter interkulturell bewandert sein muss. Wir zumindest wählen Studenten auch danach aus, ob sie Interesse am Ausland zeigen. Global wollen wir schließlich künftig noch erfolgreicher sein.
Welchen Anteil kann HR zur Entwicklung einer Innovationskultur beisteuern, welchen Einfluss haben Führungskräfte?
HR kann Räume eröffnen, in denen sich Mitarbeiter entfalten können. Um sie dabei zu entlasten, sollten administrative Prozesse schlank sein. Führungskräften geben wir eine Balanced Scorecard an die Hand, die auch qualitative Ziele enthält. Durch konsequentes Personalmarketing und gezielte Kampagnen sprechen wir exakt die Menschen an, die wir als Veränderer und Innovationstreiber brauchen.
Ist HR und Innovation nicht für viele Entscheidungsträger fast ein Widerspruch? Bisher hat sich HR nicht unbedingt als vor Ideen sprudelnder Fachbereich ausgezeichnet.
Weil HR ein interner Dienstleister ist, wird sein Beitrag zu Innovation oft nicht erkannt. Umgekehrt müssen Personaler Inhalte mutiger voranbringen, statt den Anschein zu erwecken, es gehe nur um Lohn und Gehalt oder Arbeitsrecht. Wir haben dafür das Konzept des HR Business Partners umgesetzt: Genauso wie bei Unternehmenskunden wollen wir den internen Kunden und seine Probleme verstehen und ihn strategisch unterstützen.
Verlieren deutsche Unternehmen vor lauter Vorgaben nicht ihre Kreativität? Mehr als andere stellen sie Regeln und Vorschriften auf.
Genau das hat die deutsche Wirtschaft erfolgreich gemacht, und darauf sollte man guten Gewissens stolz sein. Aber wir müssen uns auch den Spiegel vorhalten: Was hindert uns daran, mit anderen Kulturen noch besser umzugehen? Hier steht uns noch viel Arbeit ins Haus.
Autor
Das Interview führte Winfried Gertz.
- Mut für eine Innovationskultur
- Beherzt ins neue Jahr
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- Viel Lärm um Azubis
- Impulse für Neues setzen
- „Freiräume schaffen“
- „Pioniere zu uns“
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