Ausgabe 1 - 2016
Assessment Center für Executives

Je höher der Karriere-Level, desto weniger wird die Kompetenz der Manager extern noch validiert. Stimmt das? Und wenn ja, woran liegt das? Eine aktuelle Untersuchung gibt Antworten.
In Auswahlverfahren für Trainees oder in Development Centern für High Potentials werden oft Gruppen-Assessment-Center organisiert. Diese Verfahren sind in der Literatur zahlreich dokumentiert. Doch wenn richtungsweisende Personalentscheidungen im oberen Management bis hin zur Geschäftsführungs- und Vorstandsebene anstehen, sieht es erstaunlicherweise ganz anders aus: Executive Assessments (auch als Management Audit oder Management Appraisal bezeichnet) sind zwar in der Praxis recht häufig anzutreffen, bislang aber eher selten beschrieben worden. Vor wenigen Jahren hatten Klaus Stulle und Stephan Weinert eine erste Studie zu diesem Thema aus Anbietersicht veröffentlicht (Stulle/Weinert, 2012), gefolgt von einem aktuellen, deutlich umfangreicheren Herausgeberband (Stulle/Weinert, 2015).
Darin ist auch schon eine kleine, qualitative Untersuchung zur Beschreibung des Executive Assessments aus Auftraggeber-Perspektive enthalten. Um diese Sichtweise auf ein deutlich erweitertes Fundament zu stellen, wurde nun an der Hochschule Fresenius eine empirische, quantitative Untersuchung durchgeführt. Dazu wurde eine Reihe in Deutschland ansässiger, oft international operierender Firmen mittels Online-Fragebogen kontaktiert, der in der Regel von der Leitung Personal, der Leitung Personalentwicklung oder in Ausnahmefällen, bei eher kleineren Organisationen, von der Geschäftsführung ausgefüllt wurde. Ausgewertet wurden letztlich 79 Datensätze. Die Feldphase lief von Anfang Juni bis Mitte Juli 2015.
Als erstes Ergebnis wurde deutlich, dass (Einzel-)Executive Assessments zumeist anlassbezogen und damit eher selten durchgeführt werden. Ziel ist in den meisten Fällen die Potenzialeinschätzung des Kandidaten für weiterführende Managementaufgaben, auch im Rahmen einer strukturierten Nachfolgeplanung (76 Prozent). Strategische Neuausrichtung (23 Prozent), Fusionen (sechs Prozent) oder Sanierungen (fünf Prozent) führen hingegen nur selten zu Executive Assessments.
Widerstände nach oben
Die primäre Zielgruppe von Executive Assessments ist das mittlere und obere Management. Vorstands- beziehungsweise Geschäftsführungspositionen oder gar Aufsichtsratspositionen werden nur selten durch Executive Assessments extern validiert, wie in Abbildung 1 zu sehen ist. Dieser Befund macht deutlich, dass hier offenkundig ein Nachholbedarf besteht: Gerade Personalentscheidungen auf der Topmanagement-Ebene können sich besonders folgenreich auswirken. Dennoch werden diese in der Praxis weiterhin weniger aufwendig diagnostisch abgesichert als Entscheidungen auf unteren Hierarchiestufen.
Abbildung 1
Zielgruppen von Executive Assessments

Die primäre Zielgruppe von Executive Assessments ist das mittlere und obere Management. Vorstands- und Geschäftsführungspositionen werden nur selten durch Executive Assessments extern validiert.
Ebenso besteht Verbesserungspotenzial bezüglich der vermuteten Akzeptanz solcher Verfahren: Auch wenn die Zustimmung von Seiten der Personalabteilung mit fast 50 Prozent als hoch angenommen wird, liegt sie bei den Führungskräften (22 Prozent), Teilnehmern (acht Prozent) und insbesondere der Mitarbeitervertretung (sechs Prozent) deutlich niedriger. Gerade letztgenannte Einschätzung ist unbefriedigend, da insbesondere Betriebsräte ein besonderes Interesse an fundierten und weniger politisch motivierten Personalentscheidungen auf der Topebene haben sollten.
Für die Akzeptanz von Executive Assessments spielt insbesondere die Qualität des Verfahrens sowie die Transparenz des Prozesses eine zentrale Rolle, weniger die klar wertschätzende Haltung der Auditoren (diese wird vermutlich aber oftmals implizit vorausgesetzt).
Qualität der Anbieter entscheidet
Als zentrale Entscheidungskriterien für die Wahl eines externen Partners für Executive Assessments werden insbesondere die Qualität des Verfahrens als solches sowie die Seniorität/Seriosität der Beurteiler betrachtet; formale Qualitätsindikatoren wie der Preis oder die Unternehmensgröße stehen vergleichsweise im Hintergrund, wie in Abbildung 2 zu sehen ist.
Abbildung 2
Wahl externer Assessment-Anbieter

Die Qualität des Verfahrens entscheidet bei der Auswahl des geeigneten Anbieters von Executive Assessments.
Auf die Frage, wie externe Partner für die Durchführung von Executive Assessments ausgewählt werden, antworteten 62 Prozent: „Durch Referenzen/Mundzu-Mund-Propaganda“. In deutlich weniger als der Hälfte der Fälle war die Einkaufsabteilung involviert oder eine formelle Ausschreibung erfolgt. Dies wiederum bedeutet für die Anbieterseite, dass der „gute Ruf“ des Beratungshauses besonders wichtig ist, um den berühmten „Fuß in die Tür“ zu bekommen.
Unter „Welche Elemente enthält ein Executive Assessment üblicherweise?“ zeigt sich, dass die sogenannte „Multi-Modalität“ schon weit fortgeschritten ist: Neben dem üblichen kompetenz- und biografiebasierten Interview sind in 77 Prozent der Projekte auch Rollenspiele und Simulationsübungen enthalten, gefolgt von 73 Prozent Fallstudien, oft im Rahmen virtueller Unternehmensszenarien, dazu (fast) ebenso oft Vorträge. Allerdings werden nur in der Hälfte der Verfahren Persönlichkeitsfragebögen eingesetzt. Noch deutlich seltener sind Intelligenztests, verbale Referenzchecks oder 360-Grad-Instrumente (22/16/13 Prozent). Die eigentliche Bewertung erfolgt dann zumeist (77 Prozent) entlang eines unternehmenseigenen Kompetenzmodells, nur in weniger als einem Drittel der Fälle wird für das Projekt ein eigenes Beurteilungsraster erstellt oder auf die Anbieterdimensionen zurückgegriffen.
Interessant sind auch die Aussagen zum Follow-up nach dem eigentlichen Assessment. Demnach werden nach dem Executive Assessment in der Regel die Erkenntnisse mit dem Teilnehmer besprochen und meist auch in Übersichtsportfolios oder Ähnlichem aggregiert. Gleichwohl werden zuweilen die Ergebnisse auch durch das Tagesgeschäft „überrannt“ und nicht gebührend durch Personal- und Organisationsentwicklung aufgegriffen. Personalberater („Headhunter“) werden nur in Ausnahmefällen beauftragt.
Wandel in Sicht
Zusammengefasst bestätigen die hier dokumentierten Daten eindrucksvoll die Sichtweise der Anbieter, dargestellt bei Stulle/Weinert (2015): Als künftiger Trend wird am deutlichsten (58 Prozent) erkennbar, dass sich der Charakter des Executive Assessments von einer „binären Prüfungssituation mit Durchfallmöglichkeit“ weg entwickelt in Richtung „Erkennung von Stärken und Lernfeldern mit Entwicklungsschwerpunkten“ (Abbildung 3). In immerhin fast der Hälfte (44 Prozent) der Fälle wird der Trend erkannt, das Assessment als „verpflichtende Führerscheinprüfung“ zu positionieren, bevor bestimmte Führungsverantwortlichkeiten übertragen werden. Auch die Entwicklung zu mehr Multi-Modalität allgemein (54 Prozent) und psychometrischen Verfahren insbesondere (41 Prozent) wird die künftige Anwendung des Verfahrens kennzeichnen, ebenso die interkulturelle Dimension im Zuge der Forderung nach mehr „Diversity“ im Unternehmen (35 Prozent).
Abbildung 3
Zukunft der Executive Assessments

Die Assessments werden sich weiterentwickeln und auch an Bedeutung gewinnen. Davon sind die Befragten überzeugt.
Relevant ist zudem die Frage nach der künftigen Produktentwicklung: Dabei scheint festzustehen, dass Executive Assessments nicht „vom Aussterben“ bedroht sind (nur zwei Prozent Zustimmung). Ein Drittel der Befragten erwartet eine in etwa gleichbleibende Anwendungshäufigkeit und 39 Prozent gehen sogar von einer Zunahme aus. Damit wird neben den „handelsüblichen Gruppen-ACs“ der Markt für „Executive Einzel-ACs“ aller Voraussicht nach attraktiver, aber auch stärker umkämpft werden. Die Anbieter werden mehr denn je Wert legen (müssen) auf die Qualität ihrer Verfahren, die maßgeblich von der Expertise der eingesetzten Berater bestimmt wird. Aber auch Vielfalt und Güte der verschiedenen Beurteilunsinstrumente wird über den Gesamteindruck bestimmen. Und diese subjektive Marktwahrnehmung wird mehr denn je von Bedeutung sein, da Executive Assessments sich oft ein Stück weit außerhalb der üblichen Personalprozesse bewegen und Einkaufsrichtlinien oft ein Stück weit außer Kraft gesetzt werden. Allemal wird es sich lohnen, die künftige Entwicklung dieses Tätigkeitsfeldes auch in Zukunft im Auge zu behalten.
Stulle, Klaus/Weinert, Stephan: Manager auf dem Prüfstand. Personalwirtschaft 10/2012, S. 36-39.
Weinert, Stephan/Stulle, Klaus (Hrsg.): Executive Assessment: Instrumente – Trends – Herausforderungen. Berlin 2016.
Die vollständige Dokumentation der hier beschriebenen Studie „Status quo beim Executive Assessment – eine empirische Studie aus Auftraggeber-Sicht“ kann bei den Autoren angefordert werden:
Autoren
Prof. Dr. Klaus P. Stulle, Hochschule Fresenius, in Zusammenarbeit mit Anja Röttgerkamp, Saskia Fischer Jacqueline Prauß und Nina Schackmann,
stulle@hs-fresenius.de
Prof. Dr. Stephan Weinert, Fachbereich Betriebswirtschaftslehre, insb. Personalmanagement, Hochschule Düsseldorf,
stephan.weinert@fh-duesseldorf.de
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