Ausgabe 1 - 2016
Unerlässliche Grundlagenarbeit

Die Anforderungen der Arbeitswelt steigen, auch für an- und ungelernte Mitarbeiter. Ein erfolgversprechender Ansatz, um die Kompetenzen und die Beschäftigungsfähigkeit von Geringqualifizierten zu stärken, ist die arbeitsplatzorientierte Grundbildung.
In der aktuellen Diskussion um die Sicherung des Fachkräftenachwuchses lenken Unternehmen den Blick zunehmend auf die qualifikatorischen Potenziale an- und ungelernter Mitarbeiter. Die Forschung ist sich weitgehend einig, dass einfache Tätigkeiten eher nicht an Relevanz verlieren, sondern sich vielmehr ihre Qualität verändert. Das führt zu erweiterten Kompetenzanforderungen an Geringqualifizierte.
Diesen Beschäftigten mangelt es jedoch an einer Berufsausbildung und häufig auch an schulischer Grundbildung, vor allem in den Bereichen Lesen, Schreiben und Rechnen. Daher steht die betriebliche Weiterbildung an- und ungelernter Mitarbeiter vor einer besonderen Herausforderung. Mehrere Hemmnisse erschweren es, sie in das betriebliche Weiterbildungsgeschehen einzubinden:
1. Hemmnis: Basale Kompetenzen
Nach der PIAAC-Studie (Programme for the International Assessment of Adult Competencies) der OECD erreicht in Deutschland fast die Hälfte der Beschäftigten ohne Berufsausbildung lediglich die erste Kompetenzstufe im Lesen und Rechnen. Somit bereiten sowohl die kognitiven (Lern-)Voraussetzungen als auch das vorhandene Bildungsniveau und die bisherigen Lernerfahrungen grundsätzliche Probleme bei der Weiterbildung von Geringqualifizierten.
2. Hemmnis: Motivation und Teilnahmebereitschaft
Wer nicht über hinreichende Grundkenntnisse verfügt, wird berufliche Qualifikationen nachträglich nur mit größerem Aufwand erwerben. Personen mit geringer Grundbildung können Vorbehalte entwickeln, sich überhaupt einer Weiterbildung zu stellen. Deshalb ist es besonders wichtig, bei den durchgeführten Maßnahmen die Motivation zu fördern und die Relevanz sprachlich-kommunikativer Kompetenzen für die berufliche Handlungsfähigkeit zu vermitteln.
3. Hemmnis: Know-how und Ressourcen
Passgenaue Maßnahmen zur arbeitsplatzorientierten Grundbildung setzen einerseits häufig größere Zeiträume voraus, um spürbare Effekte zu erzielen. Andererseits erfordern sie das Wissen, wie solche Maßnahmen zu gestalten sind. Die betriebliche Weiterbildung für Geringqualifizierte kann daher recht kostenintensiv sein.
Mit Blick auf diese Hemmnisse ist davon auszugehen, dass der potenziell höhere Aufwand die Entscheidung über Weiterbildungsmaßnahmen beeinflusst. Unternehmen setzen vorrangig solche Maßnahmen um, die bedarfsorientiert der fachlichen Anpassung an veränderte Arbeitsabläufe dienen und die Beschäftigungsfähigkeit, Flexibilität, Selbstständigkeit und Motivation fördern. Auf der anderen Seite bedarf die Potenzialentwicklung von Geringqualifizierten einer Komponente, die umfassend die literalen Grundfähigkeiten dieser Personengruppe stärkt. Denn ohne ausreichende Lese- und Schreibfähigkeiten sind Schwierigkeiten beim Aufbau weiteren Wissens vorgezeichnet.
Sehen Unternehmen Bedarf, die im Betrieb vorhandenen Mitarbeiterpotenziale zu fördern und An- und Ungelernte weiterzubilden, sind daher besondere Zugänge und passgenaue Angebote erforderlich. Arbeitsplatzorientierte Grundbildungsangebote bieten hier eine Möglichkeit, die fehlenden Basiskenntnisse nachzuholen.
Weiterbildung von Geringqualifizierten
In einer repräsentativen Unternehmensbefragung hat das Institut der deutschen Wirtschaft (IW Köln) im Rahmen des Alpha-Grund-Projektes zum Jahresende 2014 bei 1257 Unternehmen untersucht, welchen Stellenwert die Förderung arbeitsplatzorientierter Grundbildung für Geringqualifizierte in der betrieblichen Weiterbildung einnimmt.
Insgesamt haben rund 80 Prozent der Unternehmen, die in den zurückliegenden fünf Jahren geringqualifizierte Mitarbeiter beschäftigt haben, mindestens eine Weiterbildungsmaßnahme für diese Zielgruppe durchgeführt. Bei knapp einem Drittel der Unternehmen (29,1 Prozent) handelte es sich um eine Maßnahme zur Förderung der arbeitsplatzorientierten Grundbildung. Dabei hängt das Weiterbildungsangebot für Geringqualifizierte – wie tendenziell für andere Zielgruppen auch – von der Betriebsgröße ab.
Abbildung 1 zeigt, dass die Unternehmen tätigkeitsbezogene Weiterbildungen wie Sicherheitsschulungen und Brandschutzschulungen, fachbezogene Schulungen, Teil- oder Nachqualifizierungen und den Erwerb von Führerscheinen, beispielsweise den Gabelstaplerführerschein, am häufigsten anbieten.
Abbildung 1
Angebotene Weiterbildungs- und Grundbildungsmaßnahmen für Geringqualifizierte

Tätigkeitsbezogene Weiterbildungen stehen bei der Personalentwicklung von Geringqualifizierten eindeutig im Vordergrund.
Nicht direkt tätigkeitsorientierte Kurse haben erwartungsgemäß einen geringeren Stellenwert. So fördert zum Beispiel nur jedes siebte Unternehmen geringqualifizierte Mitarbeiter durch die Vermittlung von grundlegenden PC-Kenntnissen sowie im Bereich der Sozial- und Personalkompetenzen. Einen vergleichsweise geringen Stellenwert haben Kurse zur Förderung der Lese- und Schreibfähigkeiten für Mitarbeiter mit oder ohne deutschsprachigen Hintergrund sowie Schulungen zur Förderung der Rechenfähigkeit.
Unternehmen, die betriebliche Weiter- und Grundbildungstrainings durchführen, verfolgen zumeist das Ziel, die Arbeitsleistungen der Beschäftigten an veränderte Arbeitsprozesse anzupassen und die Mitarbeiter flexibler einsetzen zu können (siehe Abbildung 2). Da Qualifizierungsangebote für Geringqualifizierte überwiegend tätigkeitsbezogen sind, stellt die arbeitsplatzorientierte Grundbildung eher eine Vorstufe für weitergehende Maßnahmen dar. Liegt kein Weiterbildungsbedarf vor, ist dies bei zwei Dritteln der Unternehmen (67,4 Prozent) auch der entscheidende Grund, auf eine arbeitsplatzorientierte Grundbildung zu verzichten.
Abbildung 2
Gründe für die Durchführung arbeitsplatzorientierter Grundbildung

Bei der Grundbildung von Geringqualifizierten spielen meist mehrere Motive eine Rolle.
Darüber hinaus betrachten viele Unternehmen die Grundbildung als Vorstufe für weitergehende Qualifizierungsmaßnahmen.
Leistung und Motivation steigern
Auch die Erhöhung der Mitarbeitermotivation und -bindung, die Vermeidung von Fehlern und die Einhaltung von Qualitätsstandards im Rahmen von Zertifizierungen und Audits sprechen für die Durchführung von arbeitsplatzorientierten Grundbildungsmaßnahmen. Die meisten der genannten Gründe werden durch die häufig in angelsächsischen Förderprogrammen zur Workplace-Basic-Education angeführten Argumente bestätigt. Rund die Hälfte der Unternehmen wollte explizit Sprach- und Kommunikationsprobleme verringern oder hat das Angebot auf Eigeninitiative und Wunsch des Mitarbeiters umgesetzt. Bei einem Viertel der Unternehmen erfolgte das Grundbildungstraining aufgrund von betrieblichen oder tariflichen Qualifizierungsvereinbarungen.
Gut die Hälfte der Unternehmen (50,8 Prozent) verzichtete auf arbeitsplatzorientierte Grundbildungsangebote wegen fehlender interner Kapazitäten für die Organisation und Planung der Weiterbildung. Auch das mangelnde Interesse der Mitarbeiter an der Teilnahme war für knapp jeden zweiten befragten Personalverantwortlichen (45,9 Prozent) ein Grund, keine arbeitsplatzbezogene Grundbildungsmaßnahme durchzuführen. Die Freistellung der Mitarbeiter von der Arbeit erwies sich für 44,8 Prozent der Befragten als problematisch, die Umsetzung der Angebote in der Praxis für 40,3 Prozent der Personalverantwortlichen. Weniger als ein Drittel der Unternehmen sah die Kosten als entscheidendes Hemmnis an. Etwa jedes fünfte Unternehmen fand vor Ort kein passendes Angebot auf dem Weiterbildungsmarkt.
Freiwillige Teilnahme sinnvoll
Um Erfolgskriterien für effektive Weiterbildungsmaßnahmen zur arbeitsplatzbezogenen Grundbildung zu ermitteln, wurden die Unternehmen nach ihren Erfahrungen bei der Umsetzung gefragt. Vier von fünf Personalexperten (81,4 Prozent) bewerten die Anrechnung der Lern- oder Kurszeiten auf die Arbeitszeiten der Teilnehmer als hohen Motivationsfaktor. Mitarbeiter akzeptieren Maßnahmen, die innerhalb der Arbeitszeit stattfinden, eher, wohingegen ausschließlich außerhalb der Arbeitszeit durchgeführte Angebote auf eine relativ geringe Akzeptanz stoßen. In fast zwei Dritteln der Unternehmen ist die Teilnahme an den Grundbildungsmaßnahmen dementsprechend freiwillig, was weiterhin dazu beiträgt, das Interesse der Mitarbeiter an dem Grundbildungstraining zu gewährleisten.
Unter den genannten Rahmenbedingungen erscheint es folgerichtig, dass Unternehmen bei der Teilnahme von Geringqualifizierten an Grundbildungsmaßnahmen meist eine hohe Motivation feststellen. Gut die Hälfte der Unternehmen (54,6 Prozent) weist allerdings auf organisatorische Schwierigkeiten bei der Umsetzung entsprechender Maßnahmen hin, zum Beispiel verursacht durch die unterschiedlichen Schichtzeiten der Mitarbeiter.
Externe Lösungen gefragt
Nicht zuletzt wegen der eingangs beschriebenen Hemmnisse stellt die arbeitsplatzorientierte Grundbildung für Geringqualifizierte Personalentwickler vor Probleme, für die sie noch keine systematischen Lösungen entwickelt haben. Insofern sind die beiden folgenden Aussagen der Befragten komplementär aufeinander zu beziehen: Einerseits gaben 73,2 Prozent der Personalexperten an, eigene Grundbildungskurse für Geringqualifizierte durchgeführt zu haben. Andererseits bekunden 77 Prozent der Befragten, dass sie bei der Durchführung von Grundbildungskursen auch Leistungen externer Anbieter in Anspruch genommen haben. Sie weisen damit auf einen hohen Bedarf an Beratung und an qualifizierten Angeboten externer Bildungsträger hin. Hier zeigen insbesondere Unternehmen mit einem bis 49 Mitarbeitern, dass sie im Vergleich mit großen Betrieben seltener eigene Weiterbildungsmaßnahmen organisieren können und arbeitsplatzorientierte Grundbildungsangebote eher bei externen Bildungsträgern realisieren.
Mehr als ein Drittel der Unternehmen prognostiziert einen steigenden Bedarf an arbeitsplatzbezogener Grundbildung für Geringqualifizierte. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die Betriebe der Qualifizierungsproblematik von an- und ungelernten Mitarbeitern mehr Beachtung schenken werden. Für die Umsetzung wird eine stärkere Nachfrage nach dem Know-how externer Bildungsträger entstehen. Hier setzt das AlphaGrund-Projekt an, in dem das IW Köln gemeinsam mit Bildungswerken der Wirtschaft in acht Bundesländern adressatengenaue Grundbildungsmaßnahmen für und mit Unternehmen entwickelt und durchführt (siehe Info).
Rahmenbedingungen müssen stimmen
Der Rückgriff der Unternehmen auf staatliche Förderprogramme für Geringqualifizierte ist als ambivalent zu bezeichnen. Denn knapp die Hälfte der Personalexperten (48 Prozent) ist der Auffassung, dass diese Programme nicht ausreichen, während die andere Hälfte gegenteiliger Ansicht ist. Dies lässt sich zum Teil damit erklären, dass auf Bundesebene die Förderpraxis in den einzelnen Regionaldirektionen der Bundesagentur für Arbeit sehr unterschiedlich ist, etwa im Umgang mit dem Programm „Weiterbildung Geringqualifizierter und beschäftigter Älterer in Unternehmen (WeGebAU)“. Das kann eine Inanspruchnahme der finanziellen Unterstützung erschweren. Hinzu kommt die regional zum Teil recht unterschiedliche Angebotsstruktur von Weiterbildungsträgern und -maßnahmen.
Um zu einer nennenswerten Bildungssteigerung bei Geringqualifizierten zu kommen, wie sie beispielsweise vor einigen Jahren in Schweden mithilfe eines staatlichen Sonderprogramms gelang, bedarf es nicht zuletzt der Flankierung durch grundbildungsfreundliche Rahmenbedingungen in der arbeitsmarktpolitischen Förderpraxis.
Info: Das AlphaGrund-Projekt
Das Projekt AlphaGrund (Arbeitsplatzorientierte Alphabetisierung und Grundbildung Erwachsener) wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert. Es entwickelt kostenlose passgenaue Qualifizierungsangebote für die nachholende Grundbildung. Das Projekt richtet sich an Personalexperten, die sich über das Thema informieren und Angebote zur arbeitsplatzbezogenen Grundbildung umsetzen möchten, sowie an geringqualifizierte Erwerbstätige.
Autoren
Helmut E. Klein, Senior Researcher, Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.,
klein@iwkoeln.de
Dr. Sigrid Schöpper-Grabe, Senior Researcher, Institut der deutschen Wirtschaft Köln e.V.,
schoepper-grabe@iwkoeln.de
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