Ausgabe 1 - 2016
Standortbestimmung ohne Karriereversprechen

Kompetenzen messen, Stärken sehen, Potenziale aufdecken – mit Hilfe eines unternehmensweiten Kompetenzmodells und dem Relaunch des bestehenden Orientierungscenters fokussiert die Fujitsu TDS GmbH auf das Potenzial ihrer Mitarbeiter.
Klarheit, eine Standortbestimmung und die Konzentration auf vorhandene Kompetenzen stehen im Mittelpunkt des vor zwei Jahren neu aufgelegten Orientierungscenters (OC) des IT-Dienstleisters Fujitsu TDS GmbH aus Neckarsulm (FTDS). In die Weiterentwicklung des früheren Orientierungscenters waren Beteiligte vom Senior Manager und Senior Director bis hin zum Betriebsrat eingebunden. Eine umfassende Stakeholder-Analyse erfasste die Bedürfnisse von Betriebsrat, Human Resources sowie potenziellen OC-Teilnehmern rund um den relaunchten Prozess. In mehreren Projektgruppensitzungen wurden wesentliche Grundzüge des neuen OC aktiv erarbeitet. Das Analyse-Instrument adressiert als Zielgruppe die Fachkräfte des Unternehmens und will klären, ob jemand eher das passende Gepäck für eine Fach- oder eine Führungskarriere mitbringt. Fast ein Drittel der knapp 900 FTDS-Beschäftigten haben das PE-Instrument und seinen Vorläufer bisher durchlaufen. In der Regel sind die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zwischen 26 und 40 Jahre alt. Aktuell laufen pro Jahr durchschnittlich zwei OC mit jeweils zehn Teilnehmern.
Abbildung 1
Das Orientierungscenter im Überblick

Das Analyse-Instrument adressiert als Zielgruppe die Fachkräfte des Unternehmens und will klären, ob jemand eher das passende Gepäck für eine Fach- oder eine Führungskarriere mitbringt.
Heute bietet das Verfahren inhaltliche Tiefe und einen gemeinsamen Raum, um sich im Unternehmen über Kompetenzen, Rollen und daraus abgeleitete Erwartungen seitens Mitarbeitern und Arbeitgeber gezielt auszutauschen. „Ich kenne meine Mitarbeiter in der Regel schon länger und habe sicher blinde Flecken oder teilweise unpassende Erwartungen, die vielleicht zu hoch, vielleicht zu niedrig sind“, sagt Dirk Holzbauer, Senior Manager Service Integration. Er verbindet mit jedem OC eines Mitarbeiters die Hoffnung, dass sein Bild und jenes des Mitarbeiters mit dem Fremdbild der Beobachter weitestgehend im Einklang stehen und zugleich doch neue interessante Erkenntnisse gewonnen werden.
Fünf Kernkompetenzen
Neben den fünf Kernkompetenzen Kundenorientierung, Entscheidungskompetenz, kommunikative Fähigkeiten, wirtschaftliches Denken und Handeln sowie Integrationsfähigkeit erfasst das Analyse-Tool das potenzielle Vermögen eines Mitarbeiters, andere zu führen. Fachkompetenzen bleiben bewusst aßen vor, der Schwerpunkt liegt auf der Sichtbarkeit überfachlicher Kompetenzen, da diese ungleich schwieriger zu entwickeln sind.
Abbildung 2
Gefragte Kompetenzen bei Fujitsu FTDS

Sechs Kernkompetenzen werden bei TDS klar definiert.
Teilnehmer und Führungskräfte profitieren im gleichen Maße vom Abgleich von Selbst- und Fremdeinschätzung, der im Prozess stattfindet. André Weller, Senior Consultant und Manager, untermauert diesen Eindruck: „Das Orientierungscenter hat mich in meiner persönlichen Entwicklung sehr unterstützt – es hat mir die Möglichkeit gegeben, mein Verhalten und meine Leistungen intensiv zu reflektieren und so meine Stärken, Potenziale und Verbesserungsmöglichkeiten bewusst zu machen bzw. diese durch erfahrene Führungskräfte gespiegelt zu bekommen“. Auch die Architektur des OC hat Weller überzeugt: „Es war gut, meine Kompetenzen in den Übungen unter Beweis zu stellen und diese anschließend mit Peers oder Paten zu reflektieren.“
Geliefert wird die Rückmeldung von geschulten Beobachtern aus dem Fujitsu TDS-Management und dem Personalbereich des Unternehmens sowie als Peer-Feedback von anderen Teilnehmern des Verfahrens. Mitarbeiter, die in der früheren Version des Orientierungscenters bereits als Beobachter involviert waren, wurden in halbtägigen Schulungen auf die Anforderungen der Neuauflage vorbereitet. Heute unterstützen gut strukturierte Unterlagen die Beobachter gezielt bei der Erfassung und Dokumentation ihrer Eindrücke. Ein weiterer Punkt hat sich gewandelt: Waren die Beobachter im Vorgänger selbst an Rollenspielen beteiligt, können sie sich jetzt voll auf die Wahrnehmung „ihrer“ Teilnehmer konzentrieren.
Wunsch nach mehr Systematik und Transparenz
Ein zentraler Treiber für die Neuauflage des OC war der Wunsch nach mehr Systematik und Transparenz bei der Personalentwicklung. In der Neuauflage ging es daher nicht zuletzt um eine weitere Professionalisierung des Instrumentes. Im Vergleich zur früheren Auflage haben sich Logik, Ablauf, Kriterien und Übungen grundlegend geändert.
Aktuell umfasst das Verfahren fünf beobachtete Übungen, die mit einem Test sowie mehreren Reflexionsphasen und unbeobachteten Übungen kombiniert werden. Für reichlich Abwechslung ist gesorgt: Neben Einzelübungen finden Gruppenübungen statt, eine Selbstpräsentation ist ebenso enthalten wie eine Gruppendiskussion und Rollenspiele, in denen Gesprächssituationen unter vier Augen simuliert werden. Ergänzend gibt es Raum für vielfältige Reflexionsphasen, eine Team- sowie eine Entspannungsübung.
In der Organisation erfüllt das OC eine zentrale Portalfunktion für die Weiterentwicklung von Mitarbeitern. Um dieser Rolle gerecht zu werden, ist das Tool in den Fujitsu TDS Talent-Management-Prozess eingebunden und damit Teil eines entwicklungsorientierten Instrumentariums. FTDS verfolgt eine systematische, transparente Personalentwicklung und ein entsprechendes Ressourcenmanagement auf Basis eines Gesamtmodells mit knapp 200 Anforderungsprofilen. Innerhalb der bestehenden Mannschaft bietet der Ergebnisbericht des OC-Verfahrens eine ideale Basis für qualitativ hochwertige Rückmeldegespräche. Schließlich wollen die Mitarbeiter regelmäßig klar wissen, wie konkrete Anforderungen an sie aussehen und wo gegebenenfalls mögliche Entwicklungsperspektiven liegen.
Statt eines harten Assessments geht es beim OC um Visibilität und darum, was einen Mitarbeiter auszeichnet, wohin er sich entwickeln kann und welches Potenzial in ihm steckt. Das OC trifft keine Auswahlentscheidung, sondern es betrachtet den individuellen Entwicklungsbereich. Die FTDS-Mitarbeiter verstehen die Nominierung für das OC als persönliche Wertschätzung, denn dort werden genau jene Fragen bewegt, die im Alltag in der Regel untergehen. Mit diesem Effekt wird das Analysetool zum wertvollen Baustein der Mitarbeiterbindung.
Klarer Weg zur Nominierung
Die Nominierung für das OC folgt einem klaren Weg: Zeigt sich im jährlichen Mitarbeitergespräch, dass jemand über Potenzial für eine Weiterentwicklung verfügt oder dass eine Standortbestimmung zur weiteren Orientierung sinnvoll ist, schlägt der zuständige Senior Manager den Betreffenden für die Teilnahme vor. Verstärkt wird die hohe Akzeptanz des OC innerhalb der Organisation durch die konsequente Beteiligung des Top Managements. Jeder Teilnehmer bekommt einen Paten, der ihn durch das OC begleitet, den Kandidaten besonders aufmerksam beobachtet und das Abschlussgespräch mit ihm, seinem Manager und seinem HR Business Partner führt. Gemeinsam mit O&P Consult hat Fujitsu TDS das neue Orientierungscenter 2014 nach einem sehr sportlichen Zeitplan in drei Monaten von der Konzeption bis zur Durchführung umgesetzt. André Weller bestätigt die gelungene Konzeption des Instruments: Er habe es als besondere Wertschätzung empfunden, dass sich Kollegen aus dem Top Management Zeit genommen haben, als Beobachter aktiv zu sein und die Teilnehmer in ihrer Entwicklung zu unterstützen und zu beraten.
Im Fokus des OC-Verfahrens stehen nicht zuletzt so genannte „Hingucker“: An dieser Stelle geht es um Dinge, die eines Feedbacks würdig sind – egal, ob positive oder negative Aspekte. So schafft das Unternehmen in einem hochwertigen Feedbackprozess eine angemessene Balance zwischen Stärkenorientierung und konkreten Anregungen zur Verhaltensoptimierung.
Die Nachbearbeitung des OC folgt einem pragmatischen Muster. „Bei der abschließenden Besprechung der Erkenntnisse und Ergebnisse zwischen Mitarbeiter, Pate und Führungskraft erfolgt die Abstimmung und Definition der möglicherweise notwendigen Maßnahmen“, berichtet Klaus Schemmer, Senior Manager Application Consulting Services-ERP, der den OC-Relaunch in der Projektgruppe mit vorangetrieben hat und bereits als Beobachter involviert war. Die vereinbarten Maßnahmen werden im laufenden Austausch sowie im Performance- und Entwicklungsgespräch überprüft und ggf. nachjustiert. Auf diese Weise stimmen die Beteiligten weitere Entwicklungs- und Karriereschritte ab und nutzen das OC als soliden Ausgangspunkt.
Selbst- und Fremdbild passen nicht immer zusammen
Überraschungen gehören dabei zum Konzept, denn Selbst- und Fremdbild passen nicht immer deckungsgleich zusammen. Erfahrungsgemäß ist etwa einer von zehn Absolventen mit seinem Ergebnis nicht glücklich. Ist ein Teilnehmer über seine Rückmeldungen enttäuscht, lässt der Prozess ihn nicht alleine, sondern regelt den Dialog mit dem Vorgesetzten. „Wenn jemand die Flügel hängen lässt, gehen wir in die intensive Aufarbeitung der Ergebnisse und Gefühle und die Suche nach Erklärungen“, berichtet Senior Manager Holzbauer. Die Paten werden für solch diskrepante Situationen eigens geschult, die zuständigen Führungskräfte informiert. Grundsätzlich werden die Nachgespräche binnen vier Wochen nach Absolvieren des OC geführt, in kritischen Situationen findet der Austausch früher statt. Man will von Anfang an ein Gefühl von Versagen vermeiden.
Der aus der Nachbereitung resultierende Weg kann zu einer Führungsposition führen oder alternativ – bei FTDS einer Managerrolle ebenbürtig – in eine Expertenrolle münden. Letztlich geht es darum, im und durch das OC Wertschätzung für den Mitarbeiter zu transportieren, gemeinsam den geeignetsten Weg für dessen weitere Entwicklung zu finden und erste Schritte einzuleiten.
„Der Assessment Center-Charakter ist eine gewisse Herausforderung“
Das gute Gefühl von ehrlichem Feedback wiegt den Stress einer Prüfungssituation im Orientierungscenter auf, findet Moritz Kollmann, Manager Service Integration bei Fujitsu TDS und Teilnehmer eines OC.
Mit welchem Gefühl sind Sie in das OC gegangen?
Moritz Kollmann: Ich habe versucht möglichst offen an das OC heranzugehen. Zwar wird klar kommuniziert, dass es primär um eine Einschätzung und keine Richtungsentscheidung geht, dennoch lässt sich ein gewisser Assessment Center- bzw. Prüfungscharakter nicht komplett verneinen. Das Risiko war und ist aus meiner Sicht, dass die Teilnehmer zu sehr versuchen, sich selbst gut darzustellen und gegebenenfalls in Teamszenarien zu offensiv auftreten. Diese Befürchtung hat sich bei mir nicht erfüllt. Das Team hat im OC sehr gut zusammen funktioniert und auch in Teamszenarien gab es eine gute Balance zwischen aktiver Mitarbeit und zurückhaltenden Momenten.
Wie nützlich finden Sie ein solches OC für Ihre persönliche Entwicklung?
Ich finde es gut, wenn ein Unternehmen klar zeigt, dass eine Entwicklung der Karriere nicht immer über eine Personalverantwortung gehen muss. Der Assessment Center-Charakter ist für eine Veranstaltung natürlich eine gewisse Herausforderung, die sich nie ganz abschalten lässt und die Teilnehmer stets unter Druck setzen wird. Allerdings ist der positive Effekt, der durch das Feedback erzielt wird, meiner Meinung nach überwiegend. Mein persönliches Feedback war relativ breit mit wenigen Spitzen oder Tiefen in Kompetenzbereichen. Trotzdem hat es für mich einen sehr großen Wert – es kommt von Außenstehenden und kann eine bereits getroffene „Vorentscheidung“ bestätigen. Wäre es anders ausgefallen, hätte ich sicherlich den Weg überdacht.
Was hat Ihnen an dem OC besonders gefallen?
Das persönliche Feedback. Ich denke, dass dies der persönlichen Entwicklung sehr dienlich ist. Entspricht das Feedback nicht dem, was man erwartet, sollte man auch das konstruktiv aufnehmen – selbst wenn man die jeweilige Schwäche nicht immer teilen muss, ist es doch interessant, dass eine solche Wahrnehmung von außen erfolgt. Mein Pate hat einen exzellenten Job gemacht, sehr detailliert beobachtet und sehr interessante Rückmeldungen gegeben. Dies war für mich sehr wertvoll.
Autorinnen
Cathrin Frey, Teamleitung Personalentwicklung Human Resources, Fujitsu TDS, Neckarsulm,
cathrin.frey@tds.fujitsu.com
Sandra Unterwieser, Senior Beraterin, O&P Consult, Heidelberg,
sandra.unterwieser@op-consult.de
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