Neue Augenhöhe

Nach der Fusion mit Kabel BW brauchte Unitymedia ein neues Performance Management.
HR setzte den Prozess komplett neu auf, verzahnte ihn mit Führung und Weiterbildung und machte ihn zum Hebel der Wertschöpfung.Im Jahr 2012 haben sich Unitymedia und Kabel BW zusammengeschlossen – zwei Unternehmen mit jeweils gewachsenen Strukturen und Kulturen. Die neue Unternehmenskultur sollte das Zusammenwachsen der Belegschaft und die unternehmensweite Zusammenarbeit ins Zentrum rücken. Das Projekt „Kulturwandel“ war geboren. Auf der Basis von Vertrauen und Selbstverantwortung sollen vier Säulen die Unternehmenskultur tragen: Feedback- und Coaching-Kultur, Kundenzentrierung, Kooperation sowie Ergebnisfokussierung.
Von Beginn an wurden Beschäftigte auf allen Ebenen in das Projekt eingebunden, regelmäßige Zufriedenheitsbefragungen und übergreifende Workshops unterstützten den Veränderungsprozess. Doch durch die gemeinsame Arbeit an den fundamentalen Werten wurde sehr schnell deutlich, dass zentrale HR-Prozesse der gewünschten Kulturentwicklung entgegenstanden oder sie zumindest nicht unterstützten. Insbesondere die etablierten Performance-Management-Systeme (PMS) und -Prozesse von Unitymedia und Kabel BW wiesen größere Mängel auf und behinderten die Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Sie wurden den künftigen Ansprüchen nicht gerecht.
Schwächen des etablierten Prozesses
Der „Bonus“ war tatsächlich gar kein Bonus, sondern ein von den Mitarbeitern durch jahrelange Praxiserfahrung erwarteter Teil der Kompensation. Aus Interviews und Befragungen ging zudem klar hervor, dass das System aus Sicht der Führungskräfte keineswegs Anreize schaffte, sondern im Gegenteil einem offenen und konstruktiven Performance-Dialog mit den Mitarbeitern eher im Weg stand. Die Beteiligten konzentrierten sich scheuklappenblind auf die Umsetzung einer „policy“, ohne zu prüfen, welche Wertschöpfung damit verbunden war. Die Mitarbeiter machten sich aufgrund der künstlichen und teilweise willkürlichen Zielsetzung mehr Gedanken über den Bonus als über die tatsächlichen Ziele. Das Vertrauen zwischen Mitarbeiter und Führungskraft litt darunter.
Der Einfluss des Prozesses auf das generelle Mitarbeiterengagement war negativ. Dies führte Unitymedia primär zurück auf die geringe Ausprägung von entwicklungsbezogenem Feedback zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Feedback zu geben, war kein Bestandteil der Führungskultur; es gab nicht einmal eine konkrete Vorstellung davon, welchen positiven Einfluss Feedback in der Praxis haben kann. Der offensichtliche Konflikt zwischen der Bewertung der Leistung durch Führungskräfte und der Ableitung von Entwicklungsschritten war einfach zu groß. Darunter litten naturgemäß die Eigeninitiative in Bezug auf die persönliche Entwicklung sowie die Qualität von Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten. Viele Mitarbeiter erwarteten, dass Entwicklung etwas ist, „was mit mir durch HR oder die Führungskraft gemacht wird“.
Kurz: Der Sinn des Prozesses war verloren gegangen und belastete das Verhältnis zwischen Führungskraft und Mitarbeiter. Als Antwort auf diese Herausforderungen entschied sich Unitymedia, ein neues PMS zu entwickeln. Es sollte für den grundlegenden Wandel im Unternehmen stehen und in den Werten „Vertrauen und Selbstverantwortung“, „Kooperation“ sowie „Feedback- und Coaching-Kultur“ verankert sein.
Feedback zu geben, war kein Bestandteil der Führungskultur; es gab nicht einmal eine konkrete Vorstellung davon, welchen positiven Einfluss Feedback in der Praxis haben kann.
Ziele des neuen Konzepts
Der HR-Bereich wollte ein funktionierendes PMS etablieren, das für Engagement, Fokus und Wertschöpfung sorgt. Es sollte einfach und ohne großen administrativen Aufwand nutzbar sein. Ein weiterer zentraler Aspekt: Wertschätzung. Menschen wollen am Arbeitsplatz nicht in Schubladen gesteckt, sondern als Individuen anerkannt werden.
Dazu brauchte es einen kontinuierlichen, zukunftsorientierten Dialog zwischen Mitarbeiter und Führungskraft. Das entscheidende und differenzierende Paradigma für die Neuausrichtung war die Überzeugung: Grundsätzlich möchte jeder in dem, was er macht, gut und erfolgreich sein – und dazu den nötigen Gestaltungsspielraum bekommen. Unitymedia glaubt an intrinsische Motivation und daran, dass Mitarbeiter mittel- und langfristig nicht durch Bezahlung motiviert werden können.
Abbildung
Begleitende Weiterbildungsmaßnahmen im 70-20-10-Modell

Wer verändern will, muss informieren: Mitarbeiter und Führungskräfte wurden auf den neuen Performance-Prozess vorbereitet und in nötigen Fähigkeiten geschult.
Mit dieser fundamentalen Rückbesinnung sind Zielvereinbarung und Mitarbeiterentwicklung keine Gegensätze mehr. Letztlich ist es ein zentrales Anliegen, dass es einen Wirkzusammenhang zwischen dem PMS und der Produktivität bei Unitymedia gibt. Die einfache Logik lautet „Höhere Zufriedenheit führt zu höherem Engagement, führt zu höherer Leistung und diese führt zu höherer Produktivität und größerem Unternehmenserfolg“.
Das neue Performance Management
Das neue PMS setzt auf intensive Zusammenarbeit zwischen Mitarbeiter und Führungskraft. Beide priorisieren gemeinsam Aufgaben und leiten entsprechende Ziele sowie KPIs ab. Es folgt der kontinuierliche Dialog zur Zielverfolgung und gegebenenfalls zur Anpassung der Ziele. Das macht die Zielsetzung deutlich flexibler und agiler. Die Führungskraft ermutigt zur Offenheit und gibt Feedback. Gemeinsam werden Möglichkeiten gesucht, aus Fehlern zu lernen und Handlungen anzupassen. Diese Aspekte sind an sich alle nicht revolutionär. Um sie jedoch tatsächlich umzusetzen und unsere Werte glaubwürdig zu implementieren, waren drei radikale Einschnitte notwendig:
1. Weg von den Boni: Unitymedia zahlt keine individuellen Boni (mit Ausnahme der Vertriebsmitarbeiter) mehr, sondern ermöglicht faire und transparente Teilhabe für alle durch einheitliche Unternehmensziele. Vom Kundenberater bis zum Vorstandsvorsitzenden gelten die gleichen Ziele – nur in unterschiedlicher Höhe.
2. Weg von den Ratings: Beim Performance Management verwendet Unitymedia keine Rating-Skalen mehr. Dahinter steht die Annahme, dass alle Mitarbeiter ihre bestmögliche Performance erbringen („Everybody A“). Dadurch wird eine Kategorisierung verhindert.
3. Weg von der Führungskraft als „Bewerter“: Die Rolle der Führungskraft wandelt sich fundamental. Die Aufgaben verschieben sich vom „Bewerter“ hin zum Coach auf Augenhöhe, der hilft, Barrieren aus dem Weg zu räumen. „Feedback“ wird zunehmend zum „Feedforward“: Statt über Vergangenes zu urteilen, schaut man gemeinsam, was es braucht, um künftig noch besser zu werden.
Die Rolle der Führungskraft wandelt sich fundamental. Die Aufgaben verschieben sich vom „Bewerter“ hin zum Coach auf Augenhöhe.
Verzahnung mit der Weiterbildung
Wenn die Qualität des Dialogs zunimmt, werden auch die Ansprüche an Weiterbildungsangebote deutlich höher. Daher wurden neue Lösungen auf Basis des „70-20-10-Weiterbildungsmodells“ etabliert. Dahinter steht die Idee, dass man 70 Prozent der beruflichen Fähigkeiten und Fertigkeiten on the Job erlernt, 20 Prozent in der Zusammenarbeit mit Kollegen und nur zehn Prozent in formalen Trainings.
Besonders die Führungskräfte mussten auf die neuen Anforderungen vorbereitet werden. Die Dialogkompetenz ist im neuen System ein zentraler Faktor, Gespräche auf Augenhöhe wurden zum Kern der Weiterbildungsangebote. Dazu gehört auch der Ausbau der Konfliktfähigkeit in schwierigen Gesprächssituationen. Keineswegs wird dieses Thema automatisch durch die Umstellung des Systems gelöst. Bei der Auswahl der Methoden wurde verstärkt auf individuelles Coaching, gemeinsames Lernen in Teams, kollegiale Beratung und Lernen am Runden Tisch gesetzt. Trainings „von der Stange“ haben dabei keine Rolle gespielt.
Die Mitarbeiter greifen im Selfservice auf Weiterbildungsangebote zu. Die Katalogseiten sind im Akademie-Portal transparent und für alle buchbar aufgelistet. Ein Workflow ermöglicht die Freigabe durch die Führungskraft und die gleichzeitige Information des Betriebsrats. Wir legen Wert darauf, dass die Lernziele von der Führungskraft bestätigt und abschließend auch validiert werden.
Bei der Implementierung wurde großer Wert auf Beteiligung und offene Kommunikation gelegt. Klassische Roadshows, von HR organisiert und gemeinsam mit Sozialpartnern und Führungskräften durchgeführt, bildeten dabei das Herzstück. Letztlich war aber die spezifische Betreuung der einzelnen Bereiche durch die jeweiligen HR Business Partner ein entscheidender Baustein. Nur durch die Übersetzung eines Standardprozesses in die Lebenswirklichkeit der Mitarbeiter entsteht ein echtes Verständnis über den Sinn und Zweck der Lösung.
Positive Auswirkungen
Nach nun drei Jahren in der Praxis bei kontinuierlicher Verbesserung des Prozesses sind signifikante positive Auswirkungen auf das Engagement der Mitarbeiter belegbar. Dabei wurde sich nicht nur auf interne Befragungen verlassen, sondern eine unabhängige externe Evaluation des PMS in Auftrag gegeben. Gemeinsam mit der Hochschule Düsseldorf haben wir unter großer Beteiligung der Belegschaft einen holistischen Blick auf die Effekte geworfen (siehe „Unterm Strich“).
Führungskräfte bestätigen, dass der Fokus auf Arbeits- und Entwicklungsziele den Dialog mit ihren Mitarbeitern vereinfacht hat und dass das neue PMS die persönlichen Gespräche mit den Mitarbeitern stärkt. Außerdem erleben die Führungskräfte mehr Eigeninitiative bei ihren Mitarbeitern. Durch den Verzicht auf individuelle Boni hat sich die Qualität des Entwicklungsdialoges verbessert, da es eine größere Offenheit für das Besprechen echter, unverstellter Entwicklungspotenziale gibt.
Höhere Mitarbeiterzufriedenheit hat zu höherem Engagement geführt, welches wiederum in höherer Produktivität mündete. Diese trug zu einem Unternehmenswachstum von sechs Prozent (2014/2015) bei. Bei aller Offenheit und Flexibilität bieten wir einen stabilen und verlässlichen Rahmen durch die Unternehmenswerte. Des Weiteren haben wir mit unserem neuen Ansatz den Schlüssel für Motivation und Fairness (wieder)gefunden. Wir sind sehr zufrieden mit den Ergebnissen, haben einige unerwartete Barrieren kennengelernt (siehe „Sackgassen“) und wissen gleichzeitig, dass die Reise damit nicht abgeschlossen ist. Wir haben die Tür zu einem modernen Managementverständnis aufgestoßen: Dialog auf Augenhöhe – aber ohne Verantwortungsdiffusion. Ein einzelner Prozess verändert nicht die Kultur eines Unternehmens, er kann aber durchaus einen positiven Beitrag leisten.
Autoren
Karl-Heinz Reitz, VP HR Business Partner & Organisationsentwicklung, Unitymedia NRW GmbH, Köln,
karl-heinz.reitz@unitymedia.de
Felix Schumann, Organizational Development, Human Resources, Unitymedia NRW GmbH, Köln,
felix.schumann@unitymedia.de
Prof. Dr. Stephan Weinert, Professor für BWL, insb. Personalmanagement, Hochschule Düsseldorf,
stephan.weinert@hs-duesseldorf.de
CASE STUDY - Unitymedia
Unitymedia ist der führende Kabelnetzbetreiber in Deutschland mit Hauptsitz in Köln. Als Tochter des weltweit größten Kabelkonzerns Liberty Global hat Unitymedia mehr als sieben Millionen Kunden in Deutschland. An Standorten in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Baden-Württemberg sind etwa 2700 Mitarbeiter für das Unternehmen tätig. |
SACKGASSEN - Wo hat es im Projektverlauf gehakt, was hätte besser laufen können?
Performance Management als Businessprozess verankern: Zu schnell gerät das PMS in die Ecke der„HR-Prozesse“. Dabei ist es ein Treiber für den Unternehmenserfolg. Dies wurde über Informationsveranstaltungen, Seminare, kollegiale Beratungen et cetera nachgeschärft. Im Nachhinein hätte man noch schneller dafür sorgen können, das PMS als einen Businessprozess zu verankern. Angst vor Trittbrettfahrern unbegründet: „Trittbrettfahrer“, also Mitarbeiter, die auf Kosten von Kollegen das System missbrauchen, erodieren auf Dauer das Vertrauen. Das war eine der Ängste bei der Einführung. Die Praxis jedoch zeigt, dass es kaum solche Fälle gibt. Das hätten wir mit den Führungskräften aktiver ansprechen können. Das Gehalt bleibt ein zentraler Anreiz – aber nur bis zu einem definierten Grad: Falls beim Mitarbeiter der (begründete) Verdacht besteht, absolut oder relativ zu wenig zu verdienen, hilft auch kein noch so gelungener Performance-Management-Prozess. Marktgerechte Entlohnung und das Verhältnis der Gehälter (Grading) müssen stimmen. Das Kompensationsgefüge gesamthaft denken:
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UNTERM STRICH - Welche konkreten, messbaren Ergebnisse hat das Projekt gebracht?
Engagement und Sinnhaftigkeit des Prozesses:
Steigerung der Zufriedenheit mit dem Weiterbildungsangebot:
Einfluss auf Unternehmenswerte, insbesondere Entwicklung einer neuen Feedback- und Coaching-Kultur:
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- Zeitgemäß und unverzichtbar
- „You’re fired!“
- ZAHLEN, BITTE
- Der Kulturentwickler
- Neue Augenhöhe
- Führungskräfte auf den digitalen Wandel vorbereiten
- Überläuferin zu HR
- Neues Hobby: Datenarbeit
- Ein weites Feld
- Mit Daten Mehrwert schaffen
- Ein Fall für drei: HR Analytics für die Kleinen
- Die perfekte Mischung
- Big Dadaismus
- Nicht den Anschluss verlieren
- „Wir brauchen smarte Prozesse“
- Wie bringen Unternehmen ihre Mitarbeiter digital voran?
- Nach der Reform ist vor der Reform
- Wilde Fahrt in die Arbeitslosigkeit
- Von der Digitalisierung überholt
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