Ausgabe 10 - 2015
Da geht noch was

Was können mittelständische Betriebe im Betrieblichen Gesundheitsmanagement leisten?
Dieser Frage geht eine soeben veröffentlichte Studie nach, die die Zeitschrift Personalwirtschaft zusammen mit dem Fürstenberg Institut, der ias-Gruppe und der Techniker Krankenkasse durchgeführt hat.
Betriebliches Gesundheitsmanagement, kurz BGM, genießt in der personalpolitischen Diskussion seit einigen Jahren einen hohen Stellenwert. Große Unternehmen versuchen mit eigenen Abteilungen und gezielten Programmen ein nachhaltiges Gesundheitsmanagement zu etablieren. Vorbildliches BGM wird demnach vor allem in den Konzernen praktiziert, so der Eindruck. Kann der Mittelstand hier überhaupt mithalten? Durchaus, wie die Studie „BGM im Mittelstand“ zeigt. Für die Befragung konnten Antworten von 401 mittelständischen Unternehmen ausgewertet werden, zwei Drittel davon beschäftigen weniger als 500 Mitarbeiter. Diese Basis gibt einen aufschlussreichen Einblick in die BGM-Praxis und zeigt, dass ein hoher BGM-Reifegrad an einige Bedingungen geknüpft ist.
Ressourcen für BGM
Fast die Hälfte der teilnehmenden Unternehmen (44,4 Prozent) stellt keine personellen Ressourcen für das Thema BGM ab. Bei diesen Unternehmen werden die BGM-Aufgaben neben den jeweiligen Tätigkeiten der Primärfunktion bearbeitet. Dabei muss berücksichtigt werden, dass in der Studie viele kleinere Unternehmen mit bis zu 100 Mitarbeitern repräsentiert sind (32,7 Prozent). Insgesamt 27,2 Prozent der Unternehmen reservieren 0,5 Vollzeitstellen für das Thema BGM, eine Vollzeitstelle ist es bei neun Prozent der Studienteilnehmer. Bei den Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern ist die Bereitschaft, für den BGM-Bereich Stellen zur Verfügung zu stellen, deutlich höher. Hier verzichtet lediglich ein Viertel der befragten Unternehmen auf zusätzliche personelle Ressourcen.
Bei der Analyse der finanziellen Ressourcen, die die Unternehmen für BGM zur Verfügung stellen (ohne Personalkosten), wurden die Budgets in Größenklassen abgefragt. Insgesamt 18,7 Prozent der Unternehmen stellen keine finanziellen Ressourcen bereit. Bis zu 5000 Euro geben 22,2 Prozent der analysierten Unternehmen für BGM aus. Die Gruppe der Unternehmen, die mehr als 25 000 Euro für BGM einsetzt, das sind 49 Unternehmen beziehungsweise 12,2 Prozent der Befragten, wurde bei der Analyse als wichtige Vergleichsgruppe herangezogen.
Hoher Stellenwert
Das Thema Gesundheit ist auch im Mittelstand angekommen. Das Thema besitzt bei nur 15,7 Prozent der befragten Unternehmen einen geringen Stellenwert. Eine positive Grundeinschätzung für den Einsatz von BGM-Maßnahmen und deren Erfolg hat maßgeblichen Einfluss darauf, wie stark das BGM in den Unternehmen verankert ist. Die Unternehmen, die den Stellenwert der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter mit „sehr hoch“ oder „hoch“ bewerten, haben bereits deutlich mehr BGM-Maßnahmen umgesetzt, fühlen sich besser informiert und sind mit den Ergebnissen der Maßnahmen auch deutlich stärker zufrieden.
Grundlagen
Bei den Analysen, die die Unternehmen zum Gesundheitszustand durchführen, stehen „AU-Datenanalysen/Fehlzeitenberichte“ mit einer Quote von 64,1 Prozent an erster Stelle vor „Interviews/Mitarbeitergespräche“ (53,3 Prozent) und „Mitarbeiterbefragungen“ (53,0 Prozent). Die „Fluktuationsquote“ wird in 43,0 Prozent der Unternehmen analysiert. Immerhin 35,2 Prozent der befragten Unternehmen führen bereits eine psychische Gefährdungsbeurteilung durch.
Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass die Unternehmen ihr Betriebliches Gesundheitsmanagement nur teilweise auf Basis gezielter Analysen steuern. Es verwundert daher nicht, dass viele Unternehmen übergreifende Ziele oder eine BGM-Strategie noch nicht entwickelt haben.
Viele Maßnahmen
Wie schon bei den Analysen, die die Studienteilnehmer in ihrem Unternehmen zum Gesundheitszustand durchführen, zeigt sich auch bei den durchgeführten Maßnahmen, dass die Unternehmen, die der Gesundheit und Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter schon heute einen hohen oder sehr hohen Stellenwert beimessen, deutlich mehr umsetzen. Die Vergleichsgruppe mit der höchsten Umsetzungsquote von Maßnahmen zur Gesundheitsförderung sind erwartungsgemäß die Unternehmen, die bereits heute ein Budget von 25 000 Euro oder mehr zusätzlich zu den personellen Ressourcen für BGM einsetzen. Hier liegen die Quoten bei den Maßnahmen mit Abstand höher als über alle Studienteilnehmer hinweg.
Ein Beispiel, wo die Unterschiede besonders deutlich auffallen, sind „evaluierte/zertifizierte Gesundheitsprogramme“, die im Durchschnitt aller Unternehmen lediglich zu 16,2 Prozent durchgeführt werden. Weitere 27,2 Prozent der Befragten planen zukünftig deren Einführung. Die Unternehmen mit mehr als 25 000 Euro finanziellem BGM-Budget haben dagegen entsprechende Programme bereits in 40,8 Prozent der Fälle. Weitere 40 Prozent planen den Einsatz.
Interessant zu beobachten ist, dass bei den Unternehmen, die mehr als 25 000 Euro BGM-Budget einsetzen, die Reihenfolge der durchgeführten Maßnahmen teilweise deutlich abweicht vom Gesamtdurchschnitt der analysierten Unternehmen. So steht bei der Vergleichsgruppe das „Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM)“ mit einer Nutzungsquote von 85,7 Prozent an zweiter Stelle, gefolgt von „Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ (83,7 Prozent) noch vor „flexiblen Arbeitszeitmodellen“ (79,6 Prozent), die im Gesamtvergleich am zweithäufigsten vorhanden sind.
Abbildung 1
Einsatz gesundheitsfördernder Maßnahmen

Auch der Mittelstand setzt eine Vielzahl gesundheitsfördernder Maßnahmen ein. Es besteht allerdings noch großer Nachholbedarf. Je höher das Budget, desto zahlreicher sind diese Maßnahmen und desto eher ist BGM auch strategisch verankert.
Strukturelle Rahmenbedingungen
Neben der Analyse der durchgeführten Maßnahmen zeigen die vorhandenen strukturellen Rahmenbedingungen für BGM, wie stark beziehungsweise schwach das Thema in der Organisationen und der Kultur des Unternehmens verankert ist. So nutzen beispielsweise 47,9 Prozent der analysierten Unternehmen „Kommunikation/Marketing zum Thema Gesundheit“, bei 41,4 Prozent der Unternehmen ist „Gesundheit Teil der Personalentwicklung“, bei 40,1 Prozent gibt es „Arbeitsgremien zum Thema Gesundheit“. Immerhin bei 36,7 Prozent der Studien-teilnehmer ist „Gesundheit als Wert in der Unternehmenskultur verankert“. Jedoch gibt es lediglich bei 29,4 Prozent der Unternehmen einen „Prozess für die Planung und Umsetzung von BGM“.
Vergleicht man diesen Aspekt der Befragung wiederum mit den Ergebnissen der Unternehmen, die mehr als 25 000 Euro für BGM ausgeben, so zeigen sich erneut die großen Unterschiede. Bei diesen Unternehmen sind die Rahmenbedingungen für BGM deutlich besser.
Fehlende Strategie
Die Gründe für die Einführung von gesundheitsfördernden Maßnahmen, also die Motivationsfaktoren für BGM, sind vielfältig. An erster Stelle steht für die Unternehmen der Wunsch, die „Arbeitszufriedenheit“ zu steigern (77,8 Prozent), gefolgt von der „Verbesserung des psychischen Befindens der Mitarbeiter“ (77,3 Prozent) sowie der „Verbesserung des physischen Befindens der Mitarbeiter“ (73,6 Prozent). An vierter Stelle folgt die „Senkung der Fehlzeiten“, die für 66,1 Prozent der Unternehmen eine wichtige Motivation darstellt, um gesundheitsfördernde Maßnahmen einzuführen. So verwundert es nicht, wenn 69,3 Prozent der befragten Unternehmen davon überzeugt sind, dass sich ein Betriebliches Gesundheitsmanagement positiv auf den durchschnittlichen Krankenstand auswirkt.
Was fehlt, ist allerdings eine strategische Perspektive für BGM. Das offenbarte sich bereits bei den strukturellen Rahmenbedingungen und zeigt sich noch deutlicher bei den Zielen. Insgesamt haben bisher lediglich 42,9 Prozent der Unternehmen konkrete Ziele zu den Themen Gesundheit oder Gesundheitsmanagement definiert. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass die anderen 57,1 Prozent der Unternehmen keine BGM-Strategie haben können.
Ganz anders gehen jedoch die Unternehmen mit Zielen für BGM um, die heute bereits ein Budget von mehr als 25 000 Euro bereitstellen: Bei dieser Vergleichsgruppe liegt der Anteil der Unternehmen, die konkrete Ziele für die Themen Gesundheit oder Gesundheitsmanagement vereinbart haben, bei 65,3 Prozent. Bei der Frage, woran der langfristige Erfolg der BGM-Maßnahmen festgemacht wird, zeigt sich eine grundlegende Problematik des Betrieblichen Gesundheitsmanagements: Die Einflussfaktoren sind vielfältig und eine eindeutige Ursache-Wirkung-Beziehung selten sichtbar.
Dementsprechend ist die „persönliche Rückmeldung der Mitarbeiter“ mit 64,6 Prozent die häufigste Methode, an der der Erfolg der Maßnahmen festgemacht wird. An zweiter Stelle folgt die „Teilnahmequote an Maßnahmen“ mit 56,6 Prozent. Eine „geringere Krankenquote“ (54,9 Prozent) ist das dritthäufigste Messkriterium.
Hürden aus dem Weg räumen
Schaut man sich die Hürden bei der Einführung von BGM an, sind es vor allem die fehlenden Ressourcen und Widerstände bei den Führungskräften. Trotz der hohen Budgets und der überproportional hohen Zufriedenheit berichten die Unternehmen, die heute bereits mehr als 25 000 Euro für BGM einsetzen, fast identisch von den gleichen Hürden, wie sie auch bei den anderen Unternehmen auftauchen (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2
Hürden bei der Umsetzung von BGM

Fehlende personelle und finanzielle Ressourcen sowie die fehlende Unterstützung seitens der Führungskräfte sind die größten Hürden bei der Umsetzung von BGM.
Während die Vergleichsgruppe aufgrund der freigegebenen Budgets seltener ein „fehlendes Commitment der Unternehmensleitung“ beklagt, sind es hier die „Widerstände bei den Führungskräften“ sowie „fehlende Erfolgsnachweise“, die die Umsetzung von BGM erschweren. Im Gesamtdurchschnitt der Studienteilnehmer steht das „fehlende Commitment der Unternehmensleitung“ dagegen an dritter Stelle. So verwundert es nicht, wenn in einer weiteren Abfrage 94,2 Prozent der Studienteilnehmer der Aussage zustimmen, dass die Führungskräfte eine entscheidende Rolle bei der Umsetzung eines Betrieblichen Gesundheitsmanagements spielen.
Die Ergebnisse der vorliegenden Befragung zeigen deutlich, dass das Thema Betriebliches Gesundheitsmanagement bei den mittelständischen Unternehmen aus der Maßnahmenperspektive gestartet wurde. Erste gesundheitsförderliche Maßnahmen können so vielleicht schneller umgesetzt werden. Damit leidet das Thema aber daran, dass ein strategischer Überbau fehlt und die Maßnahmen nicht in einem Gesamtkontext im Unternehmen verankert sind. Das Potenzial von BGM kann so nicht ausgespielt werden. Das Commitment der Geschäftsführung lässt sich vielleicht auch dadurch erreichen, dass das BGM-Thema von der engen Sicht der Krankheitsvermeidung gelöst wird. Die Krankenquote ist nur ein Indiz für erfolgreiches Gesundheitsmanagement. Viel wichtiger erscheint der Blick auf die generellen Erfolgsfaktoren eines Unternehmens. Betriebliches Gesundheitsmanagement kommt den Mitarbeitern zugute und kann stark auf die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter einwirken. Das wiederum schlägt sich in Zufriedenheitswerten von Mitarbeiterbefragungen (und Wettbewerben) und damit auf die Arbeitgeberattraktivität nieder. Betriebliches Gesundheitsmanagement ist für den Mittelstand also auch ein wichtiges Vehikel, um dem Fachkräftemangel begegnen zu können: um damit die alternde Belegschaft leistungsfähig zu halten und gleichzeitig für die jüngere Zielgruppe attraktiv zu sein.
Dass sich BGM nur die großen Unternehmen leisten können, ist ein Irrtum und davon sind auch nur wenige der befragten Unternehmen überzeugt (15 Prozent). Ein hoher BGM-Reifegrad setzt allerdings auch im Mittelstand voraus, das Thema strategisch anzugehen und durchaus ein wenig Zeit und Geld zu investieren.
Die kostenlose Studie „BGM im Mittelstand 2015“ kann in der Redaktion angefordert werden. Mail an: personalwirtschaft@wolterskluwer.de
Autor
Erwin Stickling
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