Ausgabe 10 - 2015
Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

Wenn es um Talentauswahl und -förderung geht, schwingt die HR-Kommunikation gern die große Rede: Was wir tun, wie wir fördern, wie wir Karrieren machen. Aber kaum ein Wort über Geringqualifizierte und in einfachen Jobs tätige Mitarbeiter in Lagern, Großküchen und Callcentern. Warum eigentlich nicht? Mehrere Experten für HR-PR versuchen sich an einer Erklärung.
Es waren zwei einfache Fragen. „Wie rekrutieren Sie Mitarbeiter für Aufgaben mit geringen Qualifikationsanforderungen? Und mit welchen Maßnahmen binden Sie diese Zielgruppe an sich?“ Die Antwort der HR-Pressesprecher in DAX-Unternehmen und Mittelstandsbetrieben war immer dieselbe: zuerst Schweigen. Dann die Zusage, sich schlauzumachen und zurückzurufen. Und schließlich das in wortreiche Entschuldigungen verpackte Eingeständnis, dass man hierüber leider nichts sagen könne. „Wollen Sie stattdessen nicht lieber über unsere attraktiven Karrieremöglichkeiten für die Trainees berichten?“
Keine Lobby für Basisarbeiter?
Wenn alle nur über ein Thema sprechen wollen, muss man hinhören. Wenn niemand über ein Thema sprechen will, muss man erst recht hinhören. Also: Warum brüsten sich die Unternehmen nicht ebenso stolz mit ihren Erfolgen bei Gewinnung und Bindung ihrer geringqualifizierten oder in anspruchsarmen Jobs tätigen Beschäftigten, wie sie es bei ihren High Potentials tun? Warum möchten Öffentlichkeitsarbeiter nicht über die Personalarbeit in Bezug auf Straßenbauhelfer oder Zimmerfrauen sprechen, aber sehr gerne über die Methoden, mit denen verheißungsvolle Auszubildende, Nachwuchscontroller oder Assistenten der Geschäftsleitung an- und aufgezogen werden? Können die Arbeitgeber nicht über Niedrigverdiener reden, wollen sie es nicht oder haftet dieser Gruppe irgendein Makel an?
„Gute Frage“, sagt der Kölner HR-PR-Berater Manfred Böcker. Das Thema sei ein Kommunikations-No-Go. Klar, bei allgemeinen Erkundigungen über Recruitment und Retention werde flugs der ganze Werbetext wie vom Prompter abgelesen: Was wir wollen, was wir machen, wie toll wir das machen und wie großartig unsere Mitarbeiter das finden, was wir machen. Wenn es allerdings um Beschäftigte an der betrieblichen Basis gehe, zum Beispiel Tätige in einfachen Jobs, in den unteren Lohngruppen oder solche mit geringer oder gar keiner beruflichen Qualifikation, dann fehlten häufig die Worte, hat Böcker erlebt. Der Grund dafür sei, glaubt er, dass diese Mitarbeiter nicht die Kernzielgruppen von Employer Branding und Personalmarketing seien. Darum werde ungern über das gesprochen, was die Personalabteilung für diese Kollegen tut. So es denn über Lohnabrechnung und Urlaubsplanung hinausgeht. Aber genau das ist ja die Frage. „Die Art, wie wir über Recruiting und Employer Branding denken, fußt auf akademisch qualifizierten Kräften“, sagt Böcker. „Deshalb geraten Arbeitgeber auf Nachfrage ins Stocken. Da sind sie nicht in der Übung.“
Tabuthema: Un- und Geringqualifizierte
Auch andere HR-PR-Profis bestätigen, dass sich Arbeitgeber scheuten, ihre Mitarbeiter an der Basis zum Thema zu machen. Andreas Scheuermann, Associate Director für Arbeitgeberkommunikation bei der Wiesbadener PR-Agentur Fink & Fuchs, führt das auf Berührungsängste zurück. „Viele ungelernte Arbeitskräfte sind in schwierige Situationen eingebettet. Sie wollen Geld und keine Karriereoptionen, sie machen Jobs auf Zeit, viele kommen aus dem prekären Milieu. Das ist von Haus aus problembelastet.“ Für Arbeitgeber sei das ein unangenehmes Thema, weiß der gelernte Verwaltungswissenschaftler. „Man redet nicht gern darüber.“
Aber nur ganz wenige Unternehmen beschäftigen ausschließlich Hochschulabsolventen und beruflich ambitionierte Mitarbeiter. Fast alle Firmen haben Männer und Frauen auf der Gehaltsliste, die nur deshalb arbeiten, weil sie ihr Erwerbseinkommen zum Leben brauchen – in Produktion und Distribution, im Service und im Sekretariat, in der Poststelle, am Empfang und in der Kantine.
Recruiting anpassen
Seit der Einführung des Mindestlohns ist es schwieriger geworden, Ungelernte und Geringqualifizierte zu rekrutieren, klagen Arbeitgeber. Manche rechnen sich vor dem Anruf im Personalbüro erst mal durch, ob es sich für sie überhaupt lohnt, arbeiten zu gehen. Und wer schon im Job ist und von dem erhöhten Mindestlohn nichts hat, weil der Staat umgehend die Zuschüsse zum Lebensunterhalt kürzt, bittet schlau um Reduzierung der Arbeitszeit. Lieber weniger arbeiten als das gleiche verdienen, ist die verbreitete Denkart vieler Aufstocker. Die Folge: Verlässliche Zeitungszusteller sind ebenso knapp wie pflichtbewusste Reinigungskräfte, Kassiererinnen und Helfer am Bau. Andere fühlen sich als gesellschaftlicher Bodensatz und sind entsprechend demotiviert am Arbeitsplatz. Dennoch muss die Arbeit an der Basis getan werden.
Umso wichtiger, sollte man meinen, sind genau auf diese Mitarbeiter-Zielgruppe zugeschnittene Rekrutierungs- und Bindungsmaßnahmen „Unternehmen, die auf Qualität Wert legen, müssen auch die Mitarbeiter an der Basis hegen und pflegen“, sagt Manfred Böcker, fürchtet aber: „Diese Form von Arbeit wird oft nicht so wertgeschätzt, wie es nötig wäre.“ Was vielleicht auch an einem noch ausreichenden Arbeitsangebot liegt. „Dass sich Recruiting und Retention kaum bis nicht mit den minderqualifizierten Zielgruppen beschäftigen, liegt auch daran, dass diese Leute bisher nahezu unbegrenzt zu bekommen waren“, sagt Böcker. „Die Notwendigkeit der Mitarbeiterbindung bemisst sich nach der Verfügbarkeit von Arbeitskräften.“
Was den Recruiting-Schwerpunkt auf Hochschulabsolventen und Experienced oder Industrial Hires zwar rechtfertigt, aber keinen Grund liefert, den Rest der Truppe links liegen zu lassen. Auch wenn man hier anders vorgehen muss. „Genau wie bei Auszubildenden und gewerblichen Mitarbeitern muss man auch bei dieser Zielgruppe umdenken“, sagt Böcker, „sie anders ansprechen, ihnen etwas anderes anbieten als dem Führungsnachwuchs. Man kann nicht das akademische Muster eins zu eins übertragen.“ Das macht die Sache schwierig. Was zieht in der Arbeitgeberkommunikation, wenn Karriere kein Thema ist?
Den Lockruf mit Unternehmenswerten jedenfalls, so versichert HR-Kommunikationsberater Bernhard Schelenz, könne man bei Hilfs- und Aushilfskräften vergessen. „Das ist denen nicht wichtig“, sagt er, „hier kommt es auf den Verdienst an.“ Erfolgreich rekrutieren könne man über Zusatzangebote neben dem Entgelt: Betriebskindergarten, Pflegeunterstützung, Umzugsbeihilfen, Parkplätze. Attraktiv sind auch flexible Arbeitszeiten. Von handfesten, geldwerten Vorteilen haben Ungelernte viel mehr als von Job Enrichment und Aufstiegsoptionen.
Die einfachen Jobs ins Licht rücken
Anerkennung und Bindungsmaßnahme zugleich sei auch, die Belegschaft an den unsichtbaren Rädchen im Betrieb für alle anderen sichtbar zu machen. „In Sounding Teams und Fokusgruppen gehören nicht nur Führungskräfte und Erwartungsträger, sondern auch die Schaffer“, sagt Schelenz. „Warum sollten geringqualifizierte Mitarbeiter und solche mit simplen Jobs nicht dazu gehören? In einer Employer Branding-Broschüre kann man auch mal eine Küchenhelferin porträtieren.“
Hochglänzend kommen einfache Mitarbeiter oder unattraktive Jobs selten daher. „Es ist ein bisschen ein Schamthema“, vermutet Schelenz. In Ansehen und Einkommen stünden Personaler und Kommunikationsleute höher als diejenigen, über die sie reden sollen. Nur selten gibt es den privaten Dialog – wie soll dann der öffentliche gehen? „Manche Unternehmen lassen nicht nur die Führungskräfte, sondern sämtliche Mitarbeiter an ihrem wirtschaftlichen Erfolg teilhaben“, regt Schelenz an, „auch die, die im Hintergrund stehen.“
An eine Sprachbarriere zwischen Kommunikationsabteilung und Kommunikationssubjekten glaubt auch der Berater Stefan Riefler aus München. „Die PR-Leute können nichts über die einfachen Mitarbeiter sagen, weil sie viel zu wenig über ihre Kollegen wissen, deren Berufswelt aus Staub, Schweiß, Handarbeit und manchmal Knochenarbeit besteht, und das ist eine ganz andere als die der Büroangestellten.“ Früher habe der Unternehmer in der Pause mit seinen Leuten geredet, ihnen ohne Umschweife die Leviten gelesen oder anerkennend auf die Schulter geklopft. „Dafür haben die HR-PR-Manager heute keine Zeit mehr. Und vielleicht auch keine Lust.“
Riefler rät: „Die Kommunikationsleute sollten sich mit ihren Kollegen aus dem Lager, der Verpackung oder Büroreinigung an den Tisch setzen und zu Recruiting und Mitarbeiterbindung befragen. Warum würdet ihr einem Freund empfehlen, zu uns zu kommen? Warum nicht? Das wäre der Einstieg in einen Dialog und brächte beiden Seiten großen Nutzen. Die Kommunikationsleute wären überrascht, wie offen ihre Kollegen im Blaumann sind. Oft wird denen nämlich unterstellt, sie könnten nicht kommunizieren. Das können sie sehr wohl. Nur eben anders.“
Online mitdiskutieren
Dieser Beitrag basiert auf den Erfahrungswerten von Profis für HR-Kommunikation. Teilen Sie deren Aussagen und Ansichten? Welche Erfahrung haben Sie in Ihrem Unternehmen gemacht, wenn es um die Außendarstellung von einfachen, scheinbar unattraktiven Jobs oder von geringqualifizierten Mitarbeitern geht?
Teilen Sie uns Ihre Meinung mit auf www.pwgo.de/debatte.
Das Thema Recruiting und Bindung von Mitarbeitern mit geringer Qualifikation sowie Besetzung von einfachen, unattraktiven Jobs setzen wir auf personalwirtschaft.de fort. Lesen Sie weitere Beiträge auf www.pwgo.de/unsexy-jobs
Autorin
Christine Demmer, freie Journalistin, Värnamo
- Aufgepasst, da tut sich was
- Partizipation statt Kontrolle
- H.R. Confidential
- Da geht noch was
- Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen
- „Alles kann Führung nicht lösen“
- Global denken und handeln
- Der Brückenschlag vom Business zum Personal
- Unternehmensidentifikation als Schlüssel zum Erfolg
- Geld ist nicht alles
- Digital und mobil zu begehrten Kandidaten
- Kritischer Trend Generationenmanagement
- Wissen, was morgen zählt
- Bewerbungsprozesse beschleunigen
- Wenn Leistung auf Kompetenz trifft
- Kunst inspiriert Unternehmen
- Wie lässt sich der Erfolg messen?
- Vom Start-up zum Grown-up
- Innere Antreiber erkennen