Ausgabe 10 - 2015
Der Brückenschlag vom Business zum Personal

Absatzmärkte verändern sich rascher, Produktzyklen werden kürzer. Entsprechend wandeln sich die Anforderungen an die Belegschaft. Eine strategische Personalplanung ist gefragt, damit HR und Management rechtzeitig die Weichen für den künftigen Geschäftserfolg stellen.
Die Produktion eines mittelständischen Anlagenbauers soll auf ein neues Baugruppenkonzept umgestellt werden, um kostengünstiger zu fertigen und mit höheren Stückzahlen die anvisierten Umsatzziele zu erreichen. So weit, so gut. Für den Personalbereich des Unternehmens bedeutet dies jedoch einen erheblichen Mehraufwand und jede Menge Stress: In der Entwicklung und Konstruktion braucht es neues Know-how, um fertigungsgerecht konstruieren zu können, der Einkauf muss sich umstellen, in der Montage werden mehr Facharbeiter gebraucht, ebenso ein neuer Außendienstmitarbeiter. Die Liste der Anforderungen ließe sich fortsetzen. Operative Hektik und Unzufriedenheit sind an der Tagesordnung, denn allmählich wird klar: Hätte man den qualitativen und quantitativen Personalbedarf, der aus der geschäftlichen Entscheidung resultiert, früher im Blick gehabt, hätte das Management sich viel Geld, Zeit und Frust ersparen können. In der jetzigen Situation jedoch wird Personal zum limitierenden Faktor für den geplanten Geschäftserfolg. Ähnlich geht es einem mittelgroßen Logistikdienstleister: Dieser erkennt zu spät die Bereinigungseffekte auf seinem Markt und seine daraus resultierenden Wachstumschancen und Anforderungen. Für die eingehenden Aufträge findet das Unternehmen kurzfristig nicht genügend Fahrer, die teilweise besondere Zusatzqualifikationen benötigen. Der Arbeitsmarkt ist leer gefegt. Um den Herausforderungen des Marktes angemessen begegnen zu können, hätte der Personalbereich Vorlauf gebraucht. Dann wäre genügend Zeit gewesen, die zusätzlich benötigten Fahrer zu rekrutieren, gegebenenfalls europaweit, oder selbst aufzubauen. Nun muss das Unternehmen Aufträge ablehnen und verschenkt somit wichtige Marktanteile.
Der Zeitfaktor spielt eine immer größere Rolle
Die zwei Beispiele schildern problematische Situationen, die vielen Personalverantwortlichen und Führungskräften bekannt vorkommen dürften, denn hier wird ein Dilemma sichtbar, mit dem immer mehr Unternehmen umgehen müssen: Auf den sich rasant verändernden Absatzmärkten werden die Planungszyklen immer kürzer und gleichzeitig benötigen Betriebe immer mehr Zeit, um die dafür notwendigen Kompetenzen aufzubauen (siehe Abbildung). Erschwerend kommt hinzu: Auf der Angebotsseite des Arbeitsmarktes steht den Unternehmen keine große Auswahl (mehr) zur Verfügung. Anders formuliert: Wer es schafft, zur richtigen Zeit am richtigen Ort das passende Personal einsetzen zu können, hat einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil.
Abbildung
Personalarbeit im Zeitdilemma

Die Darstellung verdeutlicht, wie sich die strategischen Anforderungen verändert haben: In der Vergangenheit konnten Unternehmen die Entwicklung und den Verkauf ihrer Produkte langfristig planen und zugleich ihren Personalbedarf recht kurzfristig decken. Heute und in Zukunft ist hingegen eine vorausschauende und langwierige Personalplanung und -entwicklung gefragt – bei immer kürzeren Produktzyklen.
Es braucht den strategischen Blick
In den oben geschilderten Situationen hilft die übliche jährliche Personalbedarfsabfrage nicht weiter. Sie ist immer schneller Makulatur und nicht selten Schauplatz von Ressortkämpfen. Was Unternehmen und ihre Personalverantwortlichen jedoch brauchen, um sinnvoll mit dem Zeitdilemma umzugehen, ist der strategische Blick auf den Erfolgsfaktor Personal. Indem sie die Personalarbeit an den Unternehmenszielen ausrichten, haben sie die Chance, rechtzeitig die personalwirtschaftlichen Maßnahmen anzustoßen, die notwendig sind, um auch in Zukunft noch im Geschäft zu sein. Der Erfolg von morgen wird vorgesteuert, wichtige Zeit zum Aufbau der personalseitigen Erfolgspotenziale gewonnen. Was es dazu braucht, ist ein Planungsprozess, der die Brücke von der Unternehmensstrategie zum Personal schlägt: eine strategische Personalplanung. Ob die zahlreichen Anbieter auf dem Markt diesem Anspruch gerecht werden, ist mindestens fraglich. Zwar gilt für eine strategische Personalplanung, was für jede Planung gilt: Sie kann sich im Nachhinein als falsch erweisen. Die Zukunft ist schließlich ungewiss. Was eine strategische Personalplanung aber leisten kann, ist eine Minimierung der personalwirtschaftlichen Risiken für den künftigen Geschäftserfolg.
Häufig fehlen Methodik und Expertise
Die Bedeutung strategischer Personalplanung in diesem Sinne wächst. Zugleich stößt man bei Unternehmen und Personalverantwortlichen auf große Vorbehalte: Laut der „HR-Trendstudie 2014“ von Kienbaum Communications sehen Personalverantwortliche die größten Schwierigkeiten in der fehlenden Methodik und unzureichender Expertise. Gleich danach rangieren mangelnde Ressourcen und Datenqualität sowie fehlende Unterstützung aus den Business-Units.
Das RKW Kompetenzzentrum hat diese Aspekte aufgegriffen und hat ausgehend von den spezifischen Anwendungsbedingungen im Mittelstand eine Methode für strategische Personalplanung entwickelt, die Unternehmen schlank, ohne großen Aufwand und ohne schwierige Softwareanwendungen selbstständig anwenden können. Es handelt sich um ein Workshop-Konzept, bei dem an einem Tag Management und Personalverantwortliche gemeinsam an einem Tisch Personalfragen aus strategischer Perspektive diskutieren und im Ergebnis ein Portfolio aus strategisch begründeten personalwirtschaftlichen Maßnahmen erstellen. Am Ende des Tages ist also klar, welche Dinge in Bezug auf das Personal zu tun sind, um den künftigen Geschäftserfolg zu sichern, und welche nicht.
Strategische Personalplanung Schritt für Schritt
Der Ablauf der strategischen Personalplanung lässt sich in sechs Schritten beschreiben:
1. Jobfamilien bilden: Sie fassen Jobs mit gleichen oder sehr ähnlichen Anforderungsprofilen zu sogenannten Jobfamilien zusammen. Das sind in mittelständischen Unternehmen erfahrungsgemäß nicht mehr als zwölf, eher weniger. Beim eingangs beschriebenen Anlagenbauer sind es beispielsweise: Konstrukteure/Entwickler, Einkäufer, Monteure, Facharbeiter Fertigung, Arbeitsplaner, Außendienstmitarbeiter, Vertrieb Innendienst, Servicetechniker und Verwaltungskräfte.
2. Jobfamilien priorisieren: Sie beginnen nun mit der eigentlichen Personalplanung, indem Sie Ihre Jobfamilien nach deren Bedeutung für die Wettbewerbsposition Ihres Unternehmens priorisieren. Das sind in mittelständischen Unternehmen erfahrungsgemäß nicht mehr als sechs. Beim Beispiel des Anlagenbauers gehören zu den strategisch prioritären Jobfamilien Konstrukteure/Entwickler, Monteure, Außendienstmitarbeiter sowie Servicetechniker. Ohne sie kann das Unternehmen im Wettbewerb auch kurzfristig nicht überleben. Das heißt nicht, dass es die Einkäufer oder die Verwaltungskräfte nicht braucht. Doch das Unternehmen könnte ohne sie überleben, sie wären leichter ersetzbar. Der meist langfristige Aufbau der Jobfamilie „Konstrukteure/Entwickler“ oder „Fahrer“ lässt sich hingegen operativ nicht bewältigen.
Hier findet die erste Verknüpfung zur Unternehmensstrategie statt: Das Personal wird aus strategischer Sicht betrachtet. Das heißt, die strategische Personalplanung fokussiert ausschließlich auf die strategisch prioritären Jobfamilien und überlässt das weitere Personal dem operativen Personalmanagement. Sie kümmert sich ausschließlich um die Wettbewerbsposition des Unternehmens.
3. Strategische Treiber identifizieren: Als Nächstes leiten Sie aus den Markt-, Innovations- und Produktivitätszielen Ihres Unternehmens die Treiber für Ihren zukünftigen Personalbedarf ab, zum Beispiel Wachstumsziele, die Eroberung neuer Märkte oder geplante technische Entwicklungen. Beim Anlagenbauer sind es die Umsatzziele in Verbindung mit den Kostenzielen (Produktivitätszielen), ohne die das beabsichtigte Umsatzwachstum gar nicht erreichbar wäre. Existiert keine strategische Personalplanung, steht in vielen mittelständischen Unternehmen beides unverbunden nebeneinander: die strategischen Ziele einerseits und das operative Personalmanagement andererseits. Was sich daraus ergeben kann, wurde eingangs beschrieben.
4. Strategische Betroffenheit der prioritären Jobfamilien analysieren: Sie bestimmen die Auswirkungen der strategischen Personalbedarfstreiber auf Ihre prioritären Jobfamilien. Dieser Schritt ist das Herzstück der strategischen Personalplanung, denn er verbindet die Unternehmensstrategie mit der Personalplanung. Der Anlagenbauer aus dem oberen Beispiel stellt an dieser Stelle im Prozess etwa fest, dass das geplante Umsatzwachstum mit der bestehenden Jobfamilie „Entwickler/Konstrukteure“ nicht realisierbar ist, weder quantitativ noch qualitativ. Quantitativ nicht, weil allein das Mengenwachstum und die erforderlichen Neukonstruktionen mit dem aktuellen Personalbestand nicht machbar sind. Qualitativ nicht, weil die vorhandenen Konstrukteure über keinerlei Erfahrungen im fertigungsgerechten Konstruieren verfügen und diese Kompetenz zur Realisierung eines kostengünstigen, auch Fertigungskosten einsparenden Baugruppenkonzeptes erst im Rahmen der Personalentwicklung aufgebaut werden müsste.
5. Risikoprofile der prioritären Jobfamilien erstellen: Sie prüfen die Betroffenheit der prioritären Jobfamilien von den zentralen personalwirtschaftlichen Risiken. Dazu zählen Alters-, Kapazitäts-, Kompetenz- und Beschaffungsrisiken. Im Falle des Logistikdienstleisters hätte eine im Rahmen der strategischen Personalplanung durchgeführte Risikoanalyse der Jobfamilie „Fahrer“ ein hohes Kapazitätsrisiko ergeben, vielleicht auch ein Kompetenzrisiko. Falls dann noch ein Altersrisiko dazukäme, wäre aufgrund dieser Gesamtschau aus der strategischen Perspektive die höchste Alarmstufe erreicht, zumal auch die Beschaffung von Fahrern auf den relevanten Arbeitsmärkten alles andere als trivial ist.
6. Strategisch relevante Maßnahmen planen: Sie können nun genau bestimmen, welche kurz-, mittel- und langfristigen personalwirtschaftlichen Maßnahmen strategisch notwendig sind (und welche nicht) und diese planen. Dabei geht es zum Beispiel um folgende Fragen: Wie viele Konstrukteure braucht das Unternehmen in den nächsten drei Jahren? Wie rekrutiert das Unternehmen diese extern oder intern? Oder auch: Wie viele Fahrer braucht die Firma bei einem Umsatzwachstum von acht Prozent? Welche zusätzlichen Qualifikationen und Kompetenzen benötigen unsere Servicetechniker, wenn das neue Baugruppenkonzept realisiert wird?
HR und Management müssen an einem Strang ziehen
Einer der wesentlichen Erfolgsfaktoren dieser strategischen Personalplanung ist, dass Management und Personalverantwortliche gemeinsam an einem Tisch sitzen und auf der Grundlage einer Systematik, welche die Aufmerksamkeit ohne Umschweife auf die wesentlichen Punkte richtet, die wirklich unumgänglichen personalwirtschaftlichen Maßnahmen planen. Nach der Planung müssen die abgeleiteten Schritte umgesetzt und gesteuert werden. Das liegt in der Verantwortung des Personalbereichs. Aber auch das Management muss sich darum kümmern, die Ergebnisse der strategischen Personalplanung in die Jahresplanung des Unternehmens einfließen zu lassen. Wenn dies nicht erfolgt, ist die Umsetzung der strategischen Personalplanung gefährdet.
Hilfreich ist dabei außerdem, wenn das Personalmanagement als stufenweiser Prozess miteinander vernetzter Funktionen organisiert ist, vom Personalmarketing über die Personalbeschaffung, die Einarbeitung und Integration, die Mitarbeiterbindung, die Personalentwicklung bis hin zur Beendigung von Arbeitsverhältnissen. So sind Synergien und Kohärenz möglich und der Bezug zur Unternehmensstrategie wird unterstützt.
Strategisch denken statt verwalten
Wenn der eingangs beschriebene Logistikdienstleister während der strategischen Personalplanung nun festgestellt hätte, dass er LKW-Fahrer nur noch im Ausland findet, hätte er möglicherweise entschieden, mit der Personalbeschaffung auf diesen ungewohnten Arbeitsmarkt auszuweichen und rechtzeitig die erforderlichen Zusatzqualifikationen geplant. Für das Personalmanagement wäre dann auch offensichtlich, dass es das Personalmarketing und die Einarbeitung neuer Mitarbeiter auf diese neue Anforderung ausrichten muss. Damit wäre der Übergang von bloßer Personalverwaltung zu einem modernen, professionellen, strategisch orientierten Personalmanagement markiert.
Eine ausführliche Anleitung zum Ablauf der strategischen Personalplanung ist im Leitfaden „Strategische Personalplanung für kleine und mittlere Unternehmen“ und in der gleichnamigen Web-App auf www.strategische-personalarbeit.de nachlesbar.
Das Online-Kompendium www.perso-net.de greift die Systematik des strategischen Personalmanagements auf und stellt zu jedem Handlungsfeld eine Reihe von Maßnahmen dar.
Autorin
Kathrin Großheim, Referentin Unternehmensentwicklung und Fachkräftesicherung, RKW Kompetenzzentrum, Eschborn,
k.grossheim@rkw.de
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