Ausgabe 10 - 2015
Unternehmensidentifikation als Schlüssel zum Erfolg

Die guten Leute halten – das wollen viele Unternehmen. Aber nur wenige setzen sich mit den psychologischen Mechanismen auseinander, um Mitarbeiter langfristig zu binden und für das eigene Unternehmen zu begeistern.
Die in vielen Industrieländern durch den demografischen Wandel angespannte Arbeitsmarktsituation führt für viele Unternehmen zur Notwendigkeit, sich gezielter mit dem Thema der Mitarbeiterbindung auseinanderzusetzen. Hierbei relevant ist das Konzept der Unternehmensidentifikation, welches auf einer bedeutenden, selbstdefinierenden, kognitiven und emotionalen Bindung eines Individuums mit seinem Unternehmen beruht (Edwards und Peccei, 2007). Die hierzu aus einschlägigen Studien resultierenden Handlungsempfehlungen für HR-Experten und Organisationsentwickler fanden bisher jedoch nur geringe Beachtung in der deutschsprachigen HR-Landschaft. Diese Lücke soll durch den vorliegenden Artikel geschlossen werden, in dem Unternehmensidentifikation nicht nur erläutert und relevante psychologische Zusammenhänge aufgezeigt, sondern darüber hinaus auch konkrete Empfehlungen gegeben werden, wie die Identifikation von Mitarbeitern mit ihrem Unternehmen in der Praxis gesteigert werden kann.
Emotionale Bindung
Die Identifikation eines Mitarbeiters mit seinem Unternehmen hat signifikante Auswirkungen auf eine Vielfalt von Faktoren, die für den Unternehmenserfolg bedeutend sind. Während einige davon, wie ein besseres Verhältnis zu Kollegen, als reine „Wohlfühlfaktoren“ gesehen werden können, sprechen gerade ökonomische Aspekte für die Bemühungen, die Unternehmensidentifikation der Mitarbeiter zu erhöhen. Laut dem aktuellen Gallup Engagement Index (vgl. Kestel, 2015) besteht zum Beispiel ein direkter Zusammenhang zwischen der emotionalen Bindung eines Mitarbeiters zum Arbeitgeber und den jährlichen Krankheitstagen. Ist die emotionale Bindung hoch, fehlen Mitarbeiter im Schnitt fünf Tage weniger als wenn diese niedrig ausfällt. Des Weiteren gibt es eine Vielzahl von belastbaren Daten, die einen Zusammenhang zwischen Unternehmensidentifikation von Mitarbeitern und Arbeitszufriedenheit und Leistung sowie Kündigungsintention (Riketta, 2005) aufzeigen. Initiativen, um die Unternehmensidentifikation der Belegschaft zu erhöhen, sollten daher auf der Agenda eines jeden Unternehmens stehen.
Die Konditionen der Identifikation
Da Unternehmensidentifikation sowohl in Wissenschaft als auch Praxis mit vielen positiven Aspekten verbunden wird, stellt sich die Frage, wann es für Unternehmen besonders wichtig ist, diese zu fördern. Basierend auf unseren langjährigen Beratungserfahrungen sowie diversen wissenschaftlichen Untersuchungen, sehen wir drei wesentliche Konditionen, unter denen eine nachhaltige Unternehmensidentifikation der Mitarbeiter eine besonders wichtige Stellung bei der Organisationsentwicklung und der strategischen HR-Arbeit einnimmt:
1. Arbeitsmärkte mit Fachkräftemangel
Unternehmensidentifikation ist besonders für Unternehmen von Bedeutung, die auf hoch qualifizierte Mitarbeiter und Fachkräfte, wie im Rahmen des „War for Talent“-Arguments bereits Anfang des 21. Jahrhunderts aufgegriffen, angewiesen sind. Gleiches gilt, wenn Wechselmöglichkeiten der Mitarbeiter zu anderen Unternehmen ohne persönliche oder berufliche Einbußen möglich sind.
2. Mitarbeiter = Markenbotschafter
Unternehmensidentifikation ist ebenfalls wichtig bei Mitarbeitern, die im Rahmen ihrer Tätigkeiten als Markenbotschafter agieren und im direkten Kundenkontakt stehen. In solch einem Umfeld bedingt die Unternehmensidentifikation, dass Mitarbeiter sich psychologisch eng mit den Wertvorstellungen, Überzeugungen und Aspirationen ihres Unternehmens verbunden fühlen und somit bei der Übermittlung der Unternehmenswerte den Kunden zugleich einen Teil ihrer eigenen Wertvorstellungen präsentieren.
3. Anpassungsdruck durch Veränderung
Die dritte Kondition bezieht sich auf tiefgreifenden organisatorischen Wandel und eine hohe Anzahl von Veränderungen. Hierbei kann eine feste Bindung des Mitarbeiters an das Unternehmen vor allem dazu führen, dass die angestrebten Veränderungen effektiver und effizienter umgesetzt werden. Fuchs und Edwards (2012) liefern hierzu den empirischen Beleg, dass Mitarbeiter, die sich mit ihrem Unternehmen identifizieren, auch dessen Interessen und strategische Zielsetzungen teilen und umsetzen.
Generell kann davon ausgegangen werden, dass eine höhere Unternehmensidentifikation mit vorteilhafteren Verhaltensweisen der Mitarbeiter einhergeht, die insbesondere bei den drei oben genannten Konditionen für Unternehmen von Nutzen sind. Dies wirft die Frage auf, wie sich Unternehmensidentifikation entwickelt und wie man sie fördern und ausbauen kann.
Psychologische Mechanismen
Nach unseren Erkenntnissen gibt es drei wesentliche psychologische Mechanismen, die erklären, warum sich Mitarbeiter mit einem Unternehmen identifizieren und somit längerfristig an das Unternehmen binden. Der erste basiert auf Tajfel und Turners (1979) Theorie der sozialen Kategorisierung. Diese besagt, dass jedes Individuum sowohl eine persönliche als auch eine soziale Identität besitzt. Während sich die persönliche Identität vor allem auf individuelle Eigenschaften und Charakteristiken, Fähigkeiten und Interessen bezieht (Ashforth, Harrison und Corley, 2008), ist die soziale Identität durch Mitgliedschaften in Gruppen oder Gemeinschaften geprägt. Im Falle der Unternehmensidentifikation ist die hier relevante Gruppe die Unternehmung selbst (Ashforth und Mael, 1989), wobei sie sich auch auf einzelne Abteilungen oder Divisionen beziehen kann. Essenziell ist die Annahme, dass Individuen ein starkes Bestreben nach einem subjektiv positiven und vorteilhaften Selbstbild haben und dass die Mitgliedschaft in Gruppen die sowohl wahrnehmbar, also salient, als auch mit den Wertvorstellungen der jeweiligen Person in Einklang steht, helfen kann, ein positives Selbstbild zu erlangen und zu festigen. Die meisten Menschen sehen sich selbst gerne in einem positiven Licht und instrumentalisieren ihre Gruppenzugehörigkeit, um dieses zu erreichen. Demnach kann die Mitgliedschaft in einem Unternehmen, welches wahrnehmbar deckungsgleiche Werte ausweist, eine bedeutsame, selbstdefinierende, kognitive und emotionale Bindung beim Mitarbeiter hervorrufen.
Der zweite wichtige psychologische Mechanismus, der die Identifikation eines Mitarbeiters mit einem Unternehmen erklären kann, bezieht sich auf die Theorie des sozialen Austausches (Blau, 1964) und der intrapersonalen Beziehung. Im Rahmen dieser erhält ein Mitarbeiter nicht nur die materielle Vergütung für die von ihm erbrachte Arbeitsleistung und eingesetzten Fähigkeiten und Fertigkeiten (Coyle-Shapiro, Taylor, Shore und Tetrick, 2004), sondern auch sozio-emotionale Elemente wie Status, Selbstbewusstsein oder Respekt (Shore, Tetrick, Lynch und Barksdale, 2006). Der Mitarbeiter wird sich hierfür mit Gegenleistungen erkenntlich zeigen, wenn diese Elemente für ihn aus seinem Arbeitsverhältnis resultieren (Gouldner, 1960). Eine wesentliche Gegenleistung ist eine verstärkte psychologische Investition in die Beziehung mit dem Unternehmen und der damit verbundene Aufbau einer starken und gefestigten Bindung an das Unternehmen (Eisenberger, Armeli, Rexwinkel, Lynch und Rhoades, 2001).
Der dritte und erst in den letzten Jahren stärker empirisch untersuchte psychologische Mechanismus, der die Unternehmensidentifikation erklärt, bezieht sich auf die Theorie der organisationalen Gerechtigkeit. Organisationale Gerechtigkeit wird häufig in distributive, prozedurale und interaktionale Gerechtigkeit unterteilt (siehe Fuchs, Kluckow und Münch, 2015). Die Gerechtigkeitsempfindungen von Mitarbeitern basieren auf einem Vergleich von erbrachtem Input und erhaltenem Output im Vergleich zu einer Person in einer ähnlichen Arbeitssituation (distributiv), festgelegten, einheitlichen prozessualen Kriterien (prozedural) sowie der Behandlung der Mitarbeiter und der Weitergabe von Informationen an diese (interaktional). Die Einhaltung dieser Gerechtigkeitsprinzipien signalisiert Wertschätzung, Anerkennung und auch Respekt dem Mitarbeiter gegenüber. Dieser bewegt sich somit in einem Umfeld, welches es ihm ermöglicht, seinem Bedürfnis nach einem positiven Selbstbild nachzukommen (Tyler und Blader, 2003).
Abbildung
Überblick Unternehmensidentifikation

Ist man sich der psychologischen Mechanismen der Mitarbeiterbindung bewusst, lassen sich konkrete Handlungsempfehlungen ableiten.
Handlungsempfehlungen
Unsere eigenen empirischen Untersuchungen (Fuchs, 2012) hierzu belegen, dass alle drei dieser in sich wichtigen psychologischen Mechanismen relevant sind, um Unternehmensidentifikation erstens erklären und zweitens in der Praxis generieren und ausbauen zu können. Daher bietet es sich für HR-Experten und verantwortliche Führungskräfte an, folgende Handlungsempfehlungen beim Verlangen nach einer stärkeren Bindung der Mitarbeiter an das Unternehmen, zu berücksichtigen.
Identitätsbasierte Handlungsempfehlungen
Das Unternehmen kann sich intern gegenüber seinen Mitarbeitern präsentieren, indem es aktives Employer Branding betreibt. Dabei ist besonders der gezielte und regelmäßige Einsatz von Maßnahmen entscheidend und es sollte hierbei ausreichend investiert werden. Dies kann zum Beispiel durch die Schaltung einer Imagekampagne, durch die Bereitstellung einer Mitarbeiterzeitung und andere Kommunikationswege wie Social-Media-Kanäle, interne Fotowettbewerbe und Giveaways erreicht werden. Zum anderen können Produkte oder Dienstleistungen zu vergünstigten Konditionen angeboten werden, die der Mitarbeiter auch im privaten Kontext verwenden kann. Dadurch werden Anreize gesetzt, eigene Produkte und Dienstleistungen privat zu nutzen und gleichzeitig als Markenbotschafter zu fungieren.
Intrapersonalbasierte Handlungsempfehlungen
Auf intrapersonaler Ebene sollten sich Führungskräfte des Mechanismus der Unternehmensidentifikation zum einen bewusst sein und zum anderen die Mitarbeiteridentifikation in ihrer täglichen Arbeit aktiv fördern. Im Rahmen von Führungskräfteschulungen, in denen gezeigt wird, wie wichtig es ist, Mitarbeitern auch kleine Gegenleistungen und Entgegenkommen für ihre Arbeit zu erwidern, kann dieses Bewusstsein geschaffen und vermittelt werden. Dazu gehören ebenfalls Umsetzungsempfehlungen wie das Herausstellen von guten Mitarbeiter- und Teamleistungen im Intranet oder die Unterstützung der Führungskräfte durch Coaching.
Gerechtigkeitsbasierte Handlungsempfehlungen
Um das Gefühl distributiver Gerechtigkeit zu erzeugen, ist ein transparentes Vergütungssystem inklusive Zusatzleistungen, vor allem bei gleichwertigen Stellen, essenziell. Transparenz ist auch bei HR-relevanten Prozessen gefragt, die dokumentiert und über alle Mitarbeitergruppen hinweg kommuniziert werden sollten. Solche Prozesse sollten für alle Mitarbeitergruppen repräsentativ und ethisch vertretbar sein. Ebenso wichtig sind unvoreingenommene und objektiv getroffene Entscheidungen, wenn diese die Mitarbeiter direkt oder persönlich betreffen. Es sollte dabei die Möglichkeit geben, auf falschen Annahmen getroffene Entscheidungen zu korrigieren. In diesem Zusammenhang kann auch die Einrichtung einer Ethik-Hotline zur Möglichkeit anonymer Anfragen und Hinweise sinnvoll sein. Nicht minder wichtig ist das Bewusstsein der Führungskräfte, dass bei anstehenden oder gefällten Entscheidungen ein stetiger Informationsfluss vonnöten ist. Darin und auch in respektvollem und wertschätzendem Umgang mit den Mitarbeitern sollten Führungskräfte regelmäßig geschult werden.
Wie zu Anfang erwähnt, war das Ziel dieser Betrachtung, neben einer Erläuterung der Konditionen, unter denen Unternehmensidentifikation besonders wichtig ist, auch konkrete Handlungsempfehlungen zu geben, wie diese gesteigert werden kann. Die drei herausgestellten praxistauglichen Vorschläge aktives Employer Branding, Schulung und Unterstützung von Führungskräften bezüglich Wertschätzung der Mitarbeiter, sowie das Schaffen transparenter und fairer HR-Prozesse, tragen alle zu einer gesteigerten Mitarbeiteridentifikation mit dem eigenen Unternehmen bei, und sollten daher im Rahmen einer zukunftsorientierten HR-Arbeit berücksichtigt werden.
Edwards, M. R. (2005). Organizational identification: a conceptual and operational review. The International Journal of Management Reviews, 7, 207–230.
Kreiner, G. E., and Ashforth, B. E. (2004). Evidence toward an expanded model of organizational identification. Journal of Organizational Behavior, 25, 1–27.
van Dick, R. (2004). Commitment und Identifikation mit Organisationen. Göttingen: Hogrefe-Verlag GmbH and Co. KG.
Autoren
Dr. Sebastian Fuchs, Manager im Bereich People & Organizational Change, EY,
sebastian.fuchs@de.ey.com
Ruth Lorenz, Senior Consultant im Bereich People & Organizational Change, EY,
ruth.lorenz@de.ey.com
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