Ausgabe 10 - 2017
„Es muss dem Business dienen“
Die HR-Abteilung von DB Vertrieb hat sich agil aufgestellt und testet neue Handlungsspielräume. Die HR Business Partnerin für den Bereich Regionalvertrieb Signe Wüstefeld und die gewählte Führungskraft Christoph von Ungern-Sternberg berichten aus ihrem HR Business Circle.
Personalwirtschaft: Wie kam es zur agilen HR-Organisation?
Signe Wüstefeld: Der Markt gibt uns ein Tempo, eine Anforderung vor. Auch die HR-Arbeit wandelt sich, sodass wir uns als HRler viel stärker auf diese Marktentwicklung und damit auf Themen wie Transformationsbegleitung und Organisationsentwicklung konzentrieren müssen. Es wäre in unserer alten Struktur schwierig gewesen, die Manpower auf die Themen zu kriegen, auf denen sie gerade gefordert ist.
HR Business Circle

Neue Agilität statt alter Hierarchie: HR beim DB Vertrieb ist nun als Kreis organisiert.
Wann sind Sie gestartet?
Wüstefeld: Wir haben vor etwa zwei Jahren angefangen. Bevor wir die Organisationsstruktur endgültig angepasst haben, haben wir erst viele Fragen geklärt und ausprobiert: Wie arbeiten wir zusammen? Wie führen wir? Wie gestalten wir Abstimmungs- und Entscheidungsprozesse? Das Ganze ist ja auch ein großer Transformationsprozess für uns, und gleichzeitig mussten wir sicherstellen, dass die Qualität unserer täglichen Personalarbeit darunter nicht leidet und die Schnittstellen zu den Fachbereichen sauber abgedeckt sind.
Wie haben Sie die Schnittstellenproblematik gelöst?
Wüstefeld: Uns war wichtig, dass der Fachbereich sich mit seinem Anliegen nicht durch die ganze Personalorganisation fragen muss, sondern klare Ansprechpartner hat: Für strategische Themen sind das die HR Business Partner, für operative die HR-Partner.
Die Zusammenarbeit läuft also gut?
Wüstefeld: Hier und da erntet man ein Schmunzeln, wenn die alte Welt sich an der neuen Welt reibt. Aber auch die Fachbereiche haben viele Impulse aufgenommen und handeln, wenn sich die Gelegenheit bietet, schon anders. Und warum machen wir das? Am Ende doch, um einen Mehrwert für das Geschäft zu generieren. Mit dieser Haltung und der Kommunikation sind alle offener, weil sie nicht das Gefühl haben, die Personaler beschäftigen sich mit sich selbst und vermarkten sich, sondern über allem steht: Es muss dem Business dienen.
Sind Sie als HR jetzt auch strategisch besser aufgestellt?
Christoph von Ungern-Sternberg: Ja, denn in der Rolle der HR Business Partner sind viele Aufgaben der früheren Personalleiter abgebildet – die klassische Rolle als Führungskraft oder Leiter fällt aber weg. Dadurch wird Ressource frei und die Business Partner können sich darauf konzentrieren, deutlich frühzeitiger und intensiver als früher die strategische Ausrichtung der Fachbereiche mitzugestalten.
Wie konnten Sie Vorstand, Geschäftsführung und Betriebsrat für diesen Piloten gewinnen?
von Ungern-Sternberg: Bei Ulrich Weber, dem Personalvorstand der DB, und bei der Geschäftsführung des Vertriebs stießen wir auf Interesse und Entgegenkommen, denn aufgrund anderer Projekte im Konzern und insbesondere durch die Marktsituation gibt es eine grundsätzliche Offenheit für diese Themen. Und der Betriebsrat ist bei uns im Vertrieb ein Gremium, das sich selbst schon seit einiger Zeit intensiv mit den Marktveränderungen beschäftigt. Wir haben mit der Interessenvertretung vereinbart, regelmäßige Reviews zu unserem Piloten zu machen.
![]() © Foto: privat |
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Wie ging Ihre Wahl zur Führungskraft vonstatten?
von Ungern-Sternberg: Dieses Modell und die Frage, ob wir uns auf dieses Experiment einlassen wollen, haben wir auf dem HR-Thementag, auf dem alle 60 Mitarbeiter aus dem Personalbereich hier im Vertrieb teilnehmen können, zur Wahl gestellt. Danach haben wir die agile Führungskraft gewählt. Es gab zwei Kandidaten, einer davon war ich. Beide Kandidaten stellten sich vor und dann wurde in geheimer Wahl von den Kollegen abgestimmt Dieses Gefühl ist schon ungewöhnlich: Man steht vor den Kollegen und möchte für diese Aufgabe gewählt werden. Dadurch erhält man in seiner Rolle eine besondere Legitimation.
Fühlt man sich verantwortlicher?
von Ungern-Sternberg: Natürlich weiß man, dass man eine besondere Verantwortung trägt. Die eine agile Führungskraft muss jetzt bei uns etwa 60 Menschen kennen, ihre Kompetenzen fördern, die Menschen entwickeln, im Zweifel auch die disziplinarische Führungskraft für sie sein.
Was ist dabei wichtig?
von Ungern-Sternberg: Das ganze Modell muss einhergehen mit klaren Strukturen und Regeln für die Zusammenarbeit. Dabei bedienen wir uns aus dem Werkzeugkasten agiler Tools und Formate, wie Kanban-Boards oder Stand-up-Meetings. Außerdem haben wir einzelne Führungsaufgaben aufgeteilt, etwa auf Product Owner oder Agile Coaches.
Was hat sich für Sie im Alltäglichen verändert?
Wüstefeld: Als ehemalige Führungskraft ist das schon eine ordentliche Veränderung. Früher das eigene Team, etablierte Strukturen, eben klassische Zusammenarbeit. Jetzt arbeiten wir viel vernetzter und in wechselnden Konstellationen.
von Ungern-Sternberg: Das interdisziplinäre, standortübergreifende Zusammenarbeiten hat zugenommen.
Wir haben keine klassischen Leiterrunden mehr, sondern ein Prio-Board, in dem wir die Themen gegeneinander priorisieren. Da sitzen eben nicht nur ehemalige Führungskräfte, sondern alle Business Partner, gewählte Vertreter der HR-Partner und der HR-Experten, ein Agile Coach, die Geschäftsführerin Personal und die Agile Führungskraft.
Was empfehlen Sie HR-Abteilungen, die sich agil aufstellen wollen?
von Ungern-Sternberg: Klärt zuerst die Motivation für die Veränderung. Agilität darf kein Selbstzweck sein, sondern muss einen Mehrwert fürs Geschäft bringen. Und: Stellt nicht als Erstes eure Organisation um. Fangt damit an, zu überlegen, wie ihr eure Zusammenarbeit organisieren wollt. Wir haben über die letzten Jahre Selbststeuerung und Selbstverantwortung in den Teams gefördert, Erfahrungen mit agilen Tools gesammelt – und trotzdem ist es ein großer Schritt.
Und was steht als Nächstes an?
von Ungern-Sternberg: Was jetzt ansteht, ist zu zeigen, dass dieses Organisationsmodell funktioniert, und es dabei iterativ weiterzuentwickeln. Gleichzeitig müssen wir das, was an Strukturen alte Führung ersetzt oder übernommen hat, in eine Selbstverständlichkeit bringen. Wenn wir da sind, haben wir eine ganze Ecke geschafft.
Das Projekt im Überblick
Das Unternehmen: Die DB Vertrieb GmbH verantwortet den Vertrieb des Personenverkehrs der Deutschen Bahn und weiterer Verkehrsunternehmen im öffentlichen Personennahverkehr sowie das Produktmanagement von Mobilitätsleistungen. Im Vertrieb und seinen Töchtern sind bundesweit rund 5800 Mitarbeiter beschäftigt, davon etwa 2500 in den Reisezentren. Das Projekt: Die HR-Abteilung arbeitet agil in crossfunktionalen, fluiden Teams. Die Ziele des zweijährigen Pilotprojektes: flexibler Einsatz von Ressourcen und Kompetenzen, höherer Einfluss aufs Geschäft, mehr Geschwindigkeit, mehr Qualität und höhere Kundenzufriedenheit. Die Umsetzung: Zum 1. Juni 2017 wurde die alte Organisationsstruktur gekippt. Die HR-Abteilung sprach sich zu 77 Prozent für die agile Arbeitsweise aus. Agile Führungskraft ist Dr. Christoph von Ungern-Sternberg, der vom Team für drei Jahre gewählt wurde. |
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