Ausgabe 10 - 2017
Jeden Tag ein bisschen besser

Nach Jahren der Expansion war es für die Schweizer Privatbank Julius Baer an der Zeit, die Organisation weiterzuentwickeln. Mit einem Purpose-basierten Kulturprogramm hat der COO-Bereich die richtige Antwort auf die internen und externen Herausforderungen gefunden.
Die vergangenen Jahre bei Julius Baer waren von starkem und dynamischem Wachstum geprägt. Weltweit ist die Privatbank – nicht zuletzt durch die Übernahme der internationalen Wealth-Management-Sparte von Merrill Lynch – mittlerweile an über 50 Standorten in mehr als 25 Ländern aktiv, mit über 6000 Mitarbeitern. In der Schweiz beschäftigt Julius Baer rund 3200 Menschen. Dort mussten Führungskräfte und Mitarbeiter kurz hintereinander mehrere Integrationen stemmen. Das führte zum einen zu einer erheblichen und andauernden Belastung der Beschäftigten. Zum anderen transformierte sich die Julius Baer zu einer global agierenden Privatbank, die jeden Tag in der Lage sein muss, sowohl auf individuelle Kundenbedürfnisse als auch auf lokale, regionale und weltweite Entwicklungen flexibel zu reagieren.
Zusätzlich zu diesem internen Spannungsfeld gestaltete sich auch der externe Kontext äußerst herausfordernd. Genannt seien hier die Zunahme der Wettbewerbsintensität, eine stärkere Regulierung, das Negativzinsumfeld in Europa und die Aufwertung des Schweizer Franken. Und in jüngster Zeit kamen weitere Faktoren hinzu, namentlich die Digitalisierung und die veränderten Kundenerwartungen sowie die immer stärkere Konkurrenz durch sogenannte Fintechs – Start-ups, die intelligente Technologien wie Robo-Advisors oder Crowd-Investing für Finanzdienstleistungen einsetzen. Insgesamt hat der Veränderungsdruck spürbar zugenommen, nicht zuletzt aufgrund des größeren globalen Fußabdrucks des Unternehmens und der damit einhergehenden intensiveren Exposition gegenüber dem externen Kontext. „Swissness“ allein reicht nicht mehr, um den Kunden auch künftig einen exzellenten Service bieten zu können.
Raum für Rückbesinnung und Orientierung
Der Veränderungsdruck war insbesondere im COO-Bereich der Bank spürbar, der die Operations, die IT, die globalen Unternehmensdienstleistungen wie Sicherheitsdienst, Rezeption oder Kasse und die Business Transformation umfasst. Hier werden zum einen alle größeren Veränderungsvorhaben und Integrationen der Bank geplant und umgesetzt. Zum anderen wird hier der gewöhnliche Geschäftsbetrieb der Bank abgewickelt. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass das rasche Wachstum der Bank seine Spuren vor allem hier hinterlassen hat.
Das COO-Management reagierte und stieß in seinem Bereich, zu dem insgesamt über 1200 Mitarbeiter zählen, ein Projekt zum Kulturwandel an. Es sollte den Mitarbeitern Raum zur Rückbesinnung auf die Werte des Traditionsunternehmens geben und es sollte Orientierung in dem veränderten Kontext schaffen. Zugleich sollte es den Mitarbeitern neue Instrumente und Arbeitsweisen vermitteln, um sie für den bevorstehenden Wandel zu rüsten. Unterstützt wurde das Projekt von der Unternehmensberatung EY.
Eines der zentralen Anliegen des Projekts war es, einen Purpose zu entwickeln, also ein gemeinsames Ziel, einen Leitspruch, eine gemeinsame Bestimmung. Für eine solche Vorgehensweise bei einem Kulturwandel lassen sich erfolgreiche Beispiele in Traditionsunternehmen wie der Hotelkette Ritz-Carlton oder auch in innovativen Techfirmen wie dem Elektroautohersteller Tesla finden.
Workshop mit Aha-Erlebnis
Wichtig ist, einen solchen Purpose nicht von oben zu diktieren, sondern ihn gemeinsam zu finden und zu formulieren. Deshalb wurden zunächst sogenannte Discovery-Workshops veranstaltet, an denen die Führungsmannschaft und einige ausgewählte Mitarbeiter teilnahmen. In diesen Workshops beschäftigten sich die Teilnehmer mit den neuen Marktanforderungen, aber auch mit den bereits formulierten Werten der über 125 Jahre alten Traditionsbank: Care, Passion and Excellence (die Unternehmenssprache von Julius Baer ist Englisch). Diese Werte betonen unter anderem eine starke Kundenorientierung, also einen Faktor, der auch aktuell geeignet ist, um sich gegen ein immer stärker automatisiertes Bankgeschäft zu positionieren – mit individueller Beratung, persönlichen Kundenbeziehungen, Vertrauen und Transparenz. Als weiteren wichtigen Punkt machten die Discovery-Workshops die Geschwindigkeit aus: Das Tempo hat sich in der digitalisierten Businesswelt dramatisch erhöht. Der Kunde, der früher das Geschäftsmodell der Bank als gegeben hingenommen hat, ist immer weniger bereit, auf bürokratische Abläufe zu warten.
Als beim anschließenden Brainstorming ein Workshop-Teilnehmer den Leitsatz „Making the bank a little bit better every day“ formuliert hat, war dies ein Aha-Erlebnis, das alle ergriffen hat. Sofort war klar, dass dies nicht nur ein gut klingendes Motto ist, sondern dass sich dieser Purpose für die Mitarbeiter authentisch und stimmig anfühlt. Alle können sich hinter diesem Leitsatz versammeln und jedem Einzelnen gibt er Orientierung und Kraft. Er signalisiert deutlich, dass es vorangeht, und zwar überall und für jeden. Die Bank jeden Tag ein bisschen besser zu machen, kann sich jeder Mitarbeiter vornehmen, egal ob Rezeptionist, IT-Spezialist oder Führungskraft.
In Sprints zu neuen Arbeitsweisen
Um den Purpose in das Unternehmen hineinzutragen, wurde ein siebenwöchiges Programm konzipiert, das nach und nach alle Mitarbeiter durchlaufen sollten. Vermitteln sollte es ihnen in erster Linie Instrumente, um den Purpose in konkreten Verhaltensweisen im Unternehmensalltag umsetzen zu können und die angestoßene kontinuierliche Verbesserung selbstverantwortlich voranzutreiben. Auch hier lautete ein wichtiger Grundgedanke: Die Kultur kann nur von innen heraus verändert werden. Deshalb sollte das Programm, das agile Ansätze, Elemente von Lean Six Sigma und NLP vereint, keine direktiven Vorgaben machen, sondern die Mitarbeiter mit auf eine Reise nehmen. Kern war, dass Mitarbeiter die Veränderung selbst erleben können.
Das Grundgerüst des Programms sah wie folgt aus: Teams, die auch im Arbeitsalltag zusammenarbeiten, lernen pro Woche neue Techniken zur besseren und effektiveren Zusammenarbeit. Durch individuelles Anpassen an die Tätigkeit und konsequentes Einüben sollen diese Techniken zur Routine werden. Auch Kernprozesse, welche die Teams täglich ausführen, werden unter die Lupe genommen (siehe Foto). Das Ziel dabei ist, Verbesserungs- und Innovationspotenziale strukturiert zu entdecken. In der Folge wird eine Problemstellung definiert und die zugrundeliegenden Ursachen werden eruiert. Auf dieser Basis werden nachhaltige Lösungen erarbeitet und umgesetzt. In der letzten Sprintwoche liegt der Fokus auf der Mitarbeiterebene. Dabei wird das Bewusstsein für die eigenen Stärken und die der Teamkollegen geschärft und das Thema Feedbackkultur behandelt.

Zur Verbesserung der Zusammenarbeit wurden Prozesse aufgezeichnet, um deren Schwachstellen und Probleme zu analysieren.
Die ersten Sprints verliefen sehr erfolgreich. Die Teams haben schnell gemerkt, dass ihnen die neuen Techniken helfen. Sie waren besser informiert und fokussiert. Die Arbeitslast wurde gleichmäßiger verteilt, das gegenseitige Vertrauen stieg. Zudem erlebten die Mitarbeiter, dass sie eigenverantwortlich Veränderungen bewirken können. Insgesamt empfanden sie es als Befreiungsschlag, dass die vormals eher starren Hierarchien aufgebrochen und die Teams ebenso wie die einzelnen Mitarbeiter befähigt wurden, mehr Verantwortung zu übernehmen.
Erfolgsgeschichten mit Schneeballeffekt
Diese positiven Erfahrungen waren die Grundlage für den weiteren Erfolg des Projekts. Denn wie bei allen Change-Projekten hatte es im Unternehmen zunächst auch skeptische Stimmen gegeben, die beispielsweise sagten: „Das ist nur eines von vielen Programmen und wird garantiert nichts ändern.“ Auch die Führungsriege wollte zunächst nicht zu viele Hoffnungen schüren. Um mit der Umsetzung zu starten, wurden zunächst Teams ausgewählt, die mit großer Wahrscheinlichkeit am meisten von den neuen Arbeitsweisen profitieren würden. Teil der Strategie war es, dass sich so die ersten Erfolgsgeschichten im Unternehmen verbreiten, auf dem Flur, aber auch bei Führungskräfte- und Mitarbeiterveranstaltungen. Der Kipp-Punkt war schließlich erreicht, als ungefähr 20 Prozent der Teams das Programm durchlaufen hatten. Ab da entstand ein Schneeballeffekt, und Teams aus dem gesamten COO-Bereich fragten die Projektinitiatoren, ob sie nicht auch an dem Programm teilnehmen könnten. Dann erhielten auch sie Unterstützung von einem Coach.
Dieses Momentum, ein gewaltiger Schwung, hob das Projekt schließlich auch über eine besonders kritische Schwelle. Denn ohne die Schlagkraft, die es bis hierhin entwickelt hatte, wäre es womöglich nur im COO-Bereich verblieben. Jedoch ist „Better every day“, wie das Projekt bei Julius Baer umgangssprachlich genannt wird, mittlerweile in aller Munde, sodass nun auch Teams aus anderen Bereichen an dem Programm teilnehmen wollen.
Ebenfalls wichtig für den Erfolg des Programms ist das Ziel, den Mitarbeitern die entsprechenden Werkzeuge an die Hand zu geben, damit sie die neuen, gestiegenen Herausforderungen besser meistern können. Dies wiederum soll sich letzten Endes in einer höheren Zufriedenheit der Kunden wie der Mitarbeiter niederschlagen. Es handelt sich nicht um eine verdeckte Sparmaßnahme. Dennoch bringt – und das war auch so geplant und kommuniziert – das neue Programm mehr Effizienz.
Messbarer Mehrwert
Das Projektengagement von EY war im März 2017 abgeschlossen. Seitdem führt der COO-Bereich das Programm in Eigenregie weiter und entwickelt es fort. Das war von Anfang an eine Bedingung der Bank und wurde von den Beratern aus Überzeugung unterstützt.
Um dies zu erreichen, bildeten sie Bankmitarbeiter, die durch ihre besondere Initiative im Projekt aufgefallen waren, zu internen Coaches, Trainern und Projektkoordinatoren aus. Diese signifikante Investition verdeutlicht, welchen Wert der COO-Bereich dem Programm beimisst.
Und tatsächlich ist dieser Wert messbar: Bislang hat das Programm zu einer signifikant höheren Mitarbeiterzufriedenheit geführt. Daraus resultieren auch bereits spürbare Verbesserungen des Services der Kundenberater und es wirkt sich ebenfalls bei den Mitarbeitern im Risikobereich der Bank positiv aus. Ziel des Projekts ist es, die Zufriedenheit der gecoachten Teams zukünftig um durchschnittlich zehn Prozent zu steigern. Ferner ist geplant, das Programm noch stärker in die anderen Bereiche der Bank und in andere Länder zu tragen.
Nächste Etappe: Leadership
Insgesamt sind die Programmverantwortlichen überzeugt: Ohne „Better every day“ wird sich die Bank schwerer tun, den neuen Herausforderungen der digitalen Transformation zu begegnen. Denn dies wird nur mit Mitarbeitern gelingen, die dazu auch befähigt und motiviert sind. Aber die Verantwortlichen wissen auch: Trotz aller Erfolge muss das Programm stets kritisch begleitet und nachjustiert werden, nicht zuletzt um den ganz normalen Ermüdungseffekten entgegenzuwirken, mit denen sich auch eine solch breit akzeptierte Maßnahme konfrontiert sieht.
Deshalb wollen die Projektleiter jetzt an einem Punkt ansetzen, der aufgrund des konsequenten Empowerments der Teams zunächst zurückgestellt worden war: das gezielte Training der Führungskräfte und die Beschäftigung damit, wie Leadership innerhalb der neuen Kultur noch wirkungsvoller ausgestaltet werden kann. Dazu gehört auch die volle Ausrichtung der Führungskräfte auf das Programm und eine noch stärkere Einbindung des Topmanagements. Der begonnene Kulturwandel muss vom Projekt in die Linie gebracht werden. Ebenso stellte sich heraus, dass man mehr auf die Nachhaltigkeit der Veränderung achten muss, um zu einem echten Wandel im täglichen Verhalten zu kommen. Aus den Sprints muss ein Marathon werden. Ein erfolgreicher Kulturwandel erfordert Ausdauer und Disziplin.
Autoren
Dr. Ludwig Ressner, COO-Stabschef, Julius Bär Gruppe AG, Zürich,
ludwig.ressner@juliusbaer.com
Tobias Sattler, Executive Director, EY (Ernst & Young), Genf,
tobias.sattler@ch.ey.com
Jörg Thews, Partner, EY (Ernst & Young), Zürich,
joerg.thews@ch.ey.com
CASE STUDY
Julius Baer Julius Baer ist die führende Private-Banking-Gruppe der Schweiz. Wichtigste operative Gesellschaft der Julius Baer Gruppe ist die Privatbank Bank Julius Baer & Co. AG, spezialisiert auf die Betreuung und Beratung anspruchsvoller Privatkunden. Das Unternehmen beschäftigt mehr als 6000 Mitarbeiter und ist in über 25 Ländern und an mehr als 50 Standorten präsent. Hauptsitz ist Zürich. ![]() © Foto: Julius Baer |
STOLPERSTEINE
Wo hat es im Projekt gehakt?
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UNTERM STRICH
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