Ausgabe 10, Special Arbeitsrecht - 2013
Aus Genuss keine Sucht werden lassen
Statistisch ist davon auszugehen, dass etwa jeder zehnte Arbeitnehmer in einem Unternehmen alkoholabhängig ist. Daraus resultiert trotz verschiedener Aufklärungskampagnen ein erheblicher volkswirtschaftlicher Schaden sowie Gefahren für Leib und Leben. Aus arbeitsrechtlicher Sicht wird das Thema Alkohol nicht erst dann virulent, wenn betriebliche Auswirkungen offenbar werden.
Nach den Regelungen des Arbeitsschutzgesetzes (ArbSchG) und den Unfallverhütungsvorschriften der Berufsgenossenschaften hat der Arbeitgeber die Pflicht, diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, um Unfälle und Gefährdungen für Leben und Gesundheit möglichst gering zu halten. Das bedeutet hingegen nicht, dass Alkohol im Betrieb generell verboten wäre. Solange der Arbeitgeber keine ausdrückliche Regelung getroffen hat, ist der Konsum von Alkohol am Arbeitsplatz daher grundsätzlich erlaubt, soweit nicht gesetzliche Einschränkungen wie bei Kraftfahrern bestehen oder die Erfüllung der Arbeitspflicht beeinträchtigt oder der Betriebsablauf gestört wird.
Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, den Genuss von alkoholischen Getränken in seinem Betrieb zu untersagen. Soweit ein Betriebsrat besteht, hat dieser jedoch ein Mitbestimmungsrecht. Musterbetriebsvereinbarungen regeln nicht nur die Zulässigkeit des Konsums von Alkohol, sondern darüber hinaus auch den Umgang mit (potenziell) suchtkranken Mitarbeitern.
Verhaltens- und personenbedingte Kündigung
Ein außerbetrieblicher Alkoholkonsum wird erst dann kündigungsrelevant, wenn hierdurch die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt wird. Verstößt der Mitarbeiter gegen ein betriebliches Alkoholverbot (betrieblicher Alkoholkonsum), kommt eine verhaltensbedingte Kündigung nach einer einschlägigen Abmahnung grundsätzlich in Betracht, ohne dass darüber hinaus Störungen im Arbeitsablauf erforderlich wären. Dies gilt jedoch dann nicht, wenn dieses Verbot nur auf dem Papier besteht. Gegebenenfalls ist vor dem Ausspruch einer Kündigung zu prüfen, ob diese durch eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz vermieden werden kann, soweit der Alkoholmissbrauch eine arbeitsplatz- oder aufgabenbezogene Ursache hat.
Eine verhaltensbedingte Kündigung wegen pflichtwidriger Alkoholisierung am Arbeitsplatz scheidet in der Regel aus, wenn der Mitarbeiter alkoholabhängig ist. Die verhaltensbedingte Kündigung setzt ein schuldhaftes Verhalten voraus. Das Verschulden ist jedoch nicht nur bei einer Blutalkoholkonzentration ab etwa drei Promille, sondern nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auch bei einer Alkoholabhängigkeit auszuschließen. Daher kommt in diesem Fall nur eine personenbedingte Kündigung in Betracht, an die die Rechtsprechung hohe Anforderungen stellt. Insoweit kommt der Abgrenzung zwischen Alkoholisierung und Alkoholabhängigkeit eine entscheidende Bedeutung zu.
Verantwortung der Vorgesetzten
Allerdings ist eine Suchterkrankung für den Arbeitgeber oft nur schwer zu erkennen. Abgesehen von ganz offensichtlichen Fällen wie einem schwankenden Gang, einer Alkoholfahne oder Artikulationsschwierigkeiten lassen viele vermeintliche Symptome auch einen gegenteiligen Schluss zu: Die geröteten Augen kommen vom Heuschnupfen, kurzfristige Leistungsschwankungen und körperliche Veränderungen wie Zittern oder Schweißausbrüche von einer angespannten Arbeitssituation mit einem (neuen) Vorgesetzten und ähnliches. Eine mögliche Alkoholerkrankung bleibt zudem möglicherweise auch dann unbemerkt, wenn der Vorgesetzte selbst unerkannt alkoholkrank ist. Der Arbeitgeber trägt in einem Prozess die Beweislast für den Kündigungsgrund. Deshalb ist es wichtig, Auffälligkeiten zu dokumentieren, den Mitarbeiter auf diese anzusprechen und dessen Reaktion hierauf zu testen. Dies darf jedoch nicht so weit gehen, dass der Vorgesetzte den Mitarbeiter vor dem Kopierraum mit einem Alkoholmessgerät abfängt. Der Mitarbeiter ist nicht verpflichtet, an Maßnahmen zur Alkoholmessung mitzuwirken. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht auf körperliche Unversehrtheit durch eine Blutprobe ist staatlichen Stellen vorbehalten. Eine dahingehende Betriebsvereinbarung und/oder eine Regelung im Arbeitsvertrag sind unwirksam. Jedoch kann die Verweigerung eines Alkoholtests im Einzelfall Indizwirkung haben. Allerdings muss dem Mitarbeitenden die Möglichkeit eröffnet werden, sich durch einen objektiven Test zu entlasten.
Wesentlich für den Nachweis des Kündigungsgrundes sind damit die Beweisanzeichen und der Nachweis der gewissenhaften Überprüfung, da der Arbeitgeber ohne letzte Sicherheit durch einen medizinischen Alkoholtest auskommen muss.
Therapiebereitschaft und -fähigkeit
Wird eine personenbedingte Kündigung ausgesprochen, die sich auf die Alkoholabhängigkeit des Mitarbeiters stützt, folgt die Prüfung der Sozialwidrigkeit den für die krankheitsbedingte Kündigung entwickelten Grundsätzen. Danach müssen erhebliche betriebliche Auswirkungen eingetreten sein und eine negative Gesundheitsprognose bestehen. Auch hier gilt, dass Alkoholabhängigkeit an sich kein Kündigungsgrund ist. Die (negative) Prognose wird davon bestimmt, in welchem Stadium der Sucht sich der Mitarbeiter befindet. Verweigerte sich der Mitarbeiter einer Therapie, wurden bereits in der Vergangenheit verschiedene Therapien erfolglos abgebrochen oder besteht aus medizinischer Sicht keine Erfolgsaussicht, ist eine negative Gesundheitsprognose regelmäßig gegeben. Hinsichtlich der betrieblichen Interessen ist nicht nur die Nicht- oder Schlechtleistung des Betroffenen beachtlich, sondern auch die Selbst- und Fremdgefährdung aufgrund alkoholbedingter verminderter Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit. Nachteilig kann sich für den Mitarbeiter ein sensibles Berufsfeld auswirken; dies hat die Rechtsprechung jüngst für den Fall eines Ergotherapeuten bejaht, der im Bereich der Suchtentwöhnung beschäftigt war.
Da die negative Prognose im Zeitpunkt der Kündigung vorliegen muss, kommt ein Angebot des Mitarbeiters im Kündigungsschutzprozess, sich einer Therapie zu unterziehen, regelmäßig zu spät. Denkbar ist in diesem Fall allenfalls ein Wiedereinstellungsanspruch.
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall
Befindet sich ein Mitarbeiter bereits im Stadium der Alkoholsucht, hat er entsprechend der gesetzlichen oder tariflichen Bestimmungen Anspruch auf Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Bis zu diesem Stadium kann das Gehalt für unentschuldigtes Fehlen einbehalten werden. Grundsätzlich ist es dem Arbeitgeber gestattet, bereits vom ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit an ein ärztliches Attest zu fordern. Mitarbeiter, die alkoholbedingt nicht zur Arbeit erscheinen, werden jedoch regelmäßig den Gang zum Arzt scheuen. Wird in diesem Fall das Gehalt einbehalten, kann der Mitarbeiter aufgrund der finanziellen Einbußen gezwungen sein, sich mit seinem Konsum kritisch auseinanderzusetzen. Davon abgesehen setzt er sich nach einer einschlägigen Abmahnung dem Risiko einer Kündigung aufgrund der Nichtvorlage eines ärztlichen Attestes aus. Die konsequente Vorgehensweise des Arbeitgebers dient letztlich dem wohlverstandenen Interesse der Mitarbeiter.
Ausblick
Es ist Arbeitgebern zu empfehlen, ein geeignetes Vorsorgemanagement zu installieren, um mögliche Gründe für Störungen im Arbeitsverhältnis zu erforschen, bereits vorab geeignete Maßnahmen und Verfahrensabläufe zu schaffen und entsprechend Mitarbeiter zu qualifizieren und zu schulen. Hieran sollte – unabhängig von Fürsorgepflichten oder Prozessrisiken – ein Eigeninteresse bestehen. Klare und verbindliche betriebliche Regelungen, Vorgesetzte als Vorbilder sowie das Angebot zur Hilfe im Einzelfall und die Möglichkeit der Wiedereingliederung sind dabei unverzichtbar.
Autoren
Ernst Tandler, Partner, Tandler & Partner/Rechtsanwälte, München,
ernst.tandler@ra-tandler.de
Fabian Schustek, Rechtsanwalt, Tandler & Partner/Rechtsanwälte, München,
fabian.schustek@ra-tandler.de
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