Ausgabe 10, Special Arbeitsrecht - 2013
„Konfliktgespräche lassen sich lernen“
„Jetzt seien Sie doch mal vernünftig!“ Es ist nicht nur dieser häufig zu hörende Satz vor Gericht, der Wolfram Henkel dazu bewegt hat, sich insbesondere mit der Kommunikation in Konfliktgesprächen zu beschäftigen.
Personalwirtschaft: Herr Henkel, Sie erleben Kläger und Beklagte vor dem Landesarbeitsgericht und in Güterichterverfahren. Wie erleben Sie die Kommunikation?
Wolfram Henkel: Viele Parteien sind sich selbst nicht darüber im Klaren, was genau sie von dem Rechtsstreit erwarten können und wollen. Auf der einen Seite steht der verständliche Wunsch nach „Gerechtigkeit“, auf der anderen mehr pragmatische Vorstellungen, wie es jetzt weitergehen soll, nachdem das Kind in den Brunnen gefallen ist. Das macht die Kommunikation oft unklar und widersprüchlich. Prozessvertreter meinen dann oft, einerseits für ihre Mandantschaft den harten Hund geben zu müssen und andererseits mit der Gegenseite eine schnelle und kostengünstige konsensuale Lösung finden zu können. Das führt zu Irritationen. Niemand führt gern Vergleichsgespräche, wenn er vorher hören musste, dass seine tatsächlichen und rechtlichen Ausführungen frei erfunden oder gar bösartig verfälscht sind.
Wie sehen klassische Fehler in der Kommunikation aus?
Meines Erachtens wäre viel gewonnen, wenn die Parteien sich sowohl vor dem Prozess wie auch während der Verhandlung im Prozess wirklich zuhören würden. Damit meine ich das Zuhören mit der Bereitschaft, wirklich verstehen zu wollen, warum die Gegenseite die fragliche Position einnimmt. Wer die Ansicht der Gegenseite von vornherein für unsinnig oder unverschämt hält, wird schon von seiner inneren Haltung her kaum in der Lage sein, ein konstruktives Gespräch zu führen, bei dem die Gegenseite das Gefühl hat, mit ihrem Anliegen ernst genommen zu werden. Darauf kommt es aber an, selbst wenn das Gespräch nicht wunschgemäß endet. Wer aus einem solchen Gespräch herausgeht mit dem Gefühl, nicht nur in der Sache nichts erreicht zu haben, sondern dafür auch noch herabgewürdigt worden zu sein, bleibt auf Dauer verletzt. Das rächt sich langfristig.
Sie sagen, die Erkenntnisse der Kommunikationspsychologie sind an der deutschen Rechtspflege nahezu ohne jede Wirkung vorübergezogen. Kaum jemand wisse zum Beispiel, nach welchen Regeln zwischenmenschliche Kommunikation überhaupt funktioniert. Welche Regeln sollten Anwälte und Richter kennen?
Hier wäre an erster Stelle das aktive Zuhören nach Carl Rogers zu nennen. Kommunikationspsychologisch ist das ein alter Hut. Viele Juristen haben davon trotzdem noch nie etwas gehört. Auch steht seit 2003 im Gesetz, dass die Juristenausbildung die Regeln der zwischenmenschlichen Kommunikation vermitteln soll. Das ist – soweit ich sehe – bis heute nur unvollständig umgesetzt.
Aktives Zuhören hilft dabei, den Menschen als Individuum mit seinen persönlichen Präferenzen und Besonderheiten wahrzunehmen und nicht nur als Feind, der irgendwie erledigt werden muss.
Außerdem sollten auch Juristen beachten, dass Menschen eben nicht nur rational, vernunftgesteuert und besonnen reagieren. Das wäre ja schlimm. In rechtlichen Auseinandersetzungen werden emotionale Aspekte aber gern als reine Störfaktoren abgetan. Der Satz: „Jetzt seien Sie doch mal vernünftig!“ ist in deutschen Gerichten fast täglich zu hören. Leider meist ohne Erfolg. Wenn Anwälte und Richter besser in der Lage wären, diese emotionalen Aspekte ernst zu nehmen statt sie auszugrenzen, wäre für ein konstruktives Gesprächsklima viel gewonnen. Wer allerdings unbedingt und ohne Umschweife nichts anderes als eine streitige Entscheidung will, muss das natürlich nicht.
Wie sollte mit Vorbehalten und Einwänden umgegangen werden?
Jedenfalls nicht durch diffuse Drohungen mit der vermeintlich nachteiligen Rechtslage. Dies ist leider in Richterkreisen bisweilen anzutreffen. Natürlich kommen die Parteien in die mündliche Verhandlung, um dort zu hören, in welche Richtung sich ihr Prozess entwickeln könnte. Nur wer versteht, was auf ihn zukommt, kann kompetent entscheiden, wie er sich weiter verhält. Das ist vergleichbar mit einem Gespräch beim Arzt. Deshalb sollte die Sach- und Rechtslage offen in alle Richtungen hin erläutert werden. Richter und Anwälte sollten sich auch nicht zu schade sein, anscheinend abseitige oder rechtlich völlig unerhebliche Fragen zu beantworten, solange erkennbar ist, dass diese Fragen für den Betreffenden zur Einordnung des Ganzen wichtig sind. Das wirkt beruhigend, vertrauensbildend und vergrößert die Bereitschaft, nach einem schroffen „Nein“ vielleicht doch nochmals über den Vergleichsvorschlag, der im Raum steht, nachzudenken. Auch wenn ein Vergleich nicht zustande kommen sollte, erleichtert dieser Umgang mit den Parteien jedenfalls die Hinnahme eines eventuellen Prozessverlustes.
Gibt es ein ideales Vorgehen, um mit der speziellen psychologischen Verfassung von Arbeitnehmern im Kündigungsschutzprozess umzugehen?
Nein, nach meiner Erfahrung gibt es kein Rezept dafür. Im Kündigungsschutzprozess begegnet einem das gesamte Spektrum denkbarer Arbeitsverhältnisse, vom angelernten Arbeiter bis zum promovierten Forscher, von Beschäftigungsverhältnissen, die von wenigen Tagen bis zu mehr als 40 Jahren gedauert haben. Wie in jedem Dauerschuldverhältnis gibt es aber fast immer einen mehr oder weniger großen emotionalen Anteil in Kündigungsschutzprozessen. Mit ihm gilt es umzugehen. Das lernt man weder an der Universität noch in der Referendarzeit. Jeder Arbeitsrichter und jeder Rechtsanwalt mit arbeitsrechtlichen Mandaten ist aufgerufen, sich in dieser Hinsicht selbst fortzubilden. Wer einfach nur juristische Fälle lösen will, ist im Arbeitsrecht falsch.
Welchen Rat würden Sie gerne einem jungen Rechtsanwalt oder Richter mitgeben, der in erkennbarer Weise nicht registriert, wie seine Art zu kommunizieren wahrgenommen wird?
Mein Rat wäre es, ein bis zwei wohlmeinende Kolleginnen oder Kollegen in einige eigene Verhandlungen mitzunehmen und sich dann ein Feedback geben zu lassen. Schon das kann Wunder wirken!
Wolfram Henkel ist seit 1977 Richter und seit 2001 Vorsitzender Richter am Hessischen Landesarbeitsgericht. Von 1994 bis 2000 war er nebenamtlicher Dozent an der Fachhochschule Wiesbaden. Er hat eine Ausbildung zum NLP-Master, ist Pressereferent des Hessischen Landesarbeitsgerichts und Güterichter sowie Referent im Individual- und Kollektivarbeitsrecht. Henkel gibt seit Jahren kommunikationspsychologische Seminare für Arbeitsrechtler.
Autorin
Das Interview führte Christiane Siemann.
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