Ausgabe 10, Special Arbeitsrecht - 2013
„Arbeitsrechtliche Belange früher im HR Business einbinden“

Dr. Rupert Felder, Senior Vice President Global HR bei Heidelberger Druckmaschinen, ist Vizepräsident des Bundesverbandes der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU).
Ende April 2013 gründete sich der Bundesverband der Arbeitsrechtler in Unternehmen (BVAU). „Die arbeitsrechtlichen Aspekte der Personalarbeit müssen besser positioniert sein.“ Mit diesen Worten beschreibt der Vizepräsident des BVAU, Dr. Rupert Felder, eine der zentralen Zielsetzungen des neuen Verbandes.
Personalwirtschaft: Welche Rolle nehmen die in Unternehmen tätigen Arbeitsrechtler Ihrer Erfahrung nach ein?
Rupert Felder: Die Arbeitsrechtler in Unternehmen stehen oftmals am Ende einer Prozesskette. Dabei können und sollten sie von Anfang an eine wichtige Rolle spielen. Sie sind oftmals diejenigen, die mit ihrem Rat und dem Aufzeigen von rechtlichen Grenzen erst sichtbar werden, wenn etwas schief gegangen ist, soll heißen, eine arbeitsrechtliche Auseinandersetzung droht. Das Anliegen der Kollegen im BVAU ist es, die juristischen Belange viel früher einzubeziehen, also den Stellenwert der arbeitsrechtlichen Aspekte der Personalarbeit und somit den entscheidenden Beitrag des Arbeitsrechtlers besser zu positionieren. Deshalb wollen sich die in Unternehmen tätigen Juristen im Bereich Arbeitsrecht als starke Gemeinschaft positionieren, der arbeitsrechtlichen Praxis endlich eine Stimme geben und sich untereinander vernetzen, um Wissen zu teilen und Best Practices zu entwickeln.
Sind Arbeitsrechtler früher in die Prozesskette der Personalwirtschaft eingebunden, erwartet das Personalmanagement auch Rechtssicherheit. Können Sie die gewährleisten? Der Gesetzgeber bietet bei einer Reihe von Konfliktfeldern nicht gerade viel Klarheit.
Das ist genau der entscheidende Punkt, der die Kollegen im BVAU bewegt. Wie setze ich eine Gerichtsentscheidung des BAG oder EuGH in der Praxis um, um eine optimale Auswirkung für das Unternehmen zu erreichen? Viele höchstrichterliche Entscheidungen lassen die Umsetzung offen. Ein Beispiel ist das sogenannte Zählurteil für die Betriebsratswahl, bei dem die Anzahl der „regelmäßig“ beschäftigten Leiharbeitnehmer Einfluss auf die Größe des Betriebsratsgremiums hat. Wie können Arbeitsrechtler dieses Urteil rechtssicher umsetzen? Unser Anliegen ist es, diese und andere Urteile zu übersetzen, praktische Anwendungsbeispiele zu finden und die Erwartungshaltung der Unternehmenspraxis an die Gerichte und den Gesetzgeber im Hinblick auf umsetzungspolitische Fragen zu formulieren. Durch den Erfahrungsaustausch im Netzwerk können die Mitglieder zu einer pragmatischen Umsetzung finden. Denn die Gerichte betrachten Einzelfälle aus einer rückwirkenden Entscheidungssituation. Gleichzeitig stellen sie aber auch Leitlinien und Postulate für die Zukunft auf, doch die Details der operativen Umsetzung müssen wir selbst erarbeiten, denn die betriebliche Praxis ist vielfältiger als es abstrakte Leitlinien oder Rechtsgedanken sind. Wir müssen für Einzel- und Sonderfälle eine Lösung finden. Diese Fälle schlagen bei uns auf, und weil sie nicht immer durch drei Instanzen gehen, werden sie in der betrieblichen Alltagswelt definiert. Was beim BAG ankommt, ist nur die Spitze eines Eisberges und oftmals von einer besonderen Konstellation oder Auseinandersetzung getrieben, das ist aber nicht unsere Alltagspraxis.
Können Arbeitsrechtler im Unternehmen bei der Interpretation der Urteile auf die Expertise aus spezialisierten Kanzleien setzen?
Die Rolle von Kanzleien ist eine andere. Der externe Rechtsanwalt hat seinen Mandanten, der Richter seinen Kläger. Aber der Arbeitsjurist im Unternehmen ist auch an Kosten- und personalpolitische Vorgaben gebunden oder bestimmt diese durch sein Handeln. Er muss also nicht nur das Gesetzbuch befolgen, sondern auch den Unternehmensbezug und als Ergebnis die Entwicklung einer praxisgerechten und anwendbaren Problemlösung gewährleisten. Er modelliert Lösungen zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat, zwischen Belegschafts- und Unternehmensinteressen. Unser Part ist es darüber hinaus, für eine Vielzahl von Fällen praktische Lösungen zu finden. Wir machen keine Einzelfallbetrachtung, wir wollen das Nützliche und Hilfreiche eines Urteils identifizieren und darauf aufsetzend praktische Handlungsanleitungen für eine Vielzahl von Fällen in der betrieblichen Praxis formulieren. Der Arbeitsrechtler im Unternehmen kann sich oftmals nur an Leitplanken orientieren und hat es ferner mit politischen Konstellationen wie Betriebsratsgremien oder Gewerkschaften zu tun. Dadurch dass wir im Verband mit Vertretern unterschiedlicher Branchen und Unternehmensgrößen an einem Tisch sitzen, profitieren wir von einer Erfahrungsfülle, die es ermöglicht, Hilfe zu erhalten. Die meisten Diskussionsrunden beginnen mit der banalen, aber ernsten Frage: „Wie macht denn ihr das?“ Die Überschrift eines Problems ist klar, aber die einzelnen Kapitel und die betrieblichen Auswirkungen müssen erarbeitet werden.
Wie sollten sich Arbeitsrechtler in Unternehmen definieren?
Eine interessante Erfahrung unserer Treffen ist, dass nahezu alle Kollegen im Personalbereich verankert sind und nicht in einer Rechtsabteilung. Damit können sie einen Wertbeitrag zur Personalarbeit in Summe leisten. Die arbeitsrechtlichen Einsatzgebiete der Kollegen sind umfangreich, von der Vertragsgestaltung bis zu Vergütungsfragen, von Altersvorsorgemodellen, internationalem Mitarbeitereinsatz bis hin zu Sozialplänen. Wir praktizieren aber auch Rechtsgestaltung, indem wir beispielsweise Betriebsvereinbarungen entwerfen, mit dem Sozialpartner verhandeln und abschließen. So haben wir es bei vielen Themen zu Vergütung und Arbeitszeit auf der Seite des Betriebsrates mit geschulten, erfahrenen Profis zu tun, die wie auch Tarifpartner über juristische Kenntnisse verfügen und sie nutzen, um mit Betriebsvereinbarungen und Tarifverträgen Rechtsetzung und Interessenvertretung zu betreiben. Unsere Rolle ist es an dieser Stelle erneut, rechtssichere, praxisgerechte und handhabbare Lösungen zu finden, die vor dem Hintergrund des jeweiligen Unternehmens und seiner Ziele bestehen können. So können wir im BVAU auf unserer Seite Best Practice-Lösungen teilen und von den Erfahrungen der Kollegen lernen, die komplexe Herausforderungen bereits in solche Vereinbarungen überführt haben.
Gibt es Nachwuchsprobleme bei Arbeitsrechtlern in Unternehmen?
Sicherlich, denn das Arbeitsrecht hat in den letzten Jahren für Absolventen und Berufseinsteiger an Attraktivität eingebüßt, was auch an der bisher fehlenden Visibilität dieser Rechtsdisziplin in den Unternehmen und den oftmals eher im Hintergrund gehandelten Themen liegt. Auch ein Blick auf die Lehrstühle im Personalmanagement zeigt, dass die arbeitsrechtliche Thematik dort eher ein Schattendasein führt, vom Themenportfolio der Personalkongresse und Seminaranbieter ganz zu schweigen. Dagegen nehmen Themen wie Betriebliches Gesundheitsmanagement, Talent Management oder Employer Branding ein prominenteres Feld ein. Aber all diese Themen umfasst das Arbeitsrecht wie eine Klammer. Sowohl in der Lehre als auch in der Forschung muss dem Arbeitsrecht wieder mehr Bedeutung zukommen. Die arbeitsrechtlichen Aspekte eines jeden Prozesses, Projekts oder Vorhabens in den Unternehmen sind mitunter essentiell für den Unternehmenserfolg, oft auch Treiber für die Machbarkeit oder für Haftungspotenzial. Es wäre damit ein großer Fehler, dem Arbeitsrecht nicht (mehr) den Stellenwert einzuräumen, den es verdient hat. Gelingt es, diese Position nicht nur zu verfestigen, sondern auch viel stärker als bisher zu kommunizieren, bin ich mir sicher, dass sich wieder mehr gute Absolventen für das Arbeitsrecht interessieren. Auch das Angebot an den Universitäten muss sich entsprechend ausrichten. Positives Beispiel: die Entwicklung eines LL.M-Studienganges durch die Universität Münster, der im kommenden Frühjahr erstmals startet.
Autorin
Das Interview führte Christiane Siemann.
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