Ausgabe 10, Special Gesundheitsbranche - 2015
Brücken für ausländische Mitarbeiter

In der Gesundheitsbranche gehört die Rekrutierung im Ausland heute oft schon zum Alltag. Allerdings ist es mit dem Arbeitsvertrag allein nicht getan, will man die neuen Mitarbeiter langfristig halten. Der bundesweit tätige Klinikbetreiber MediClin legt deshalb besonderes Augenmerk auf die Integration der Fachkräfte aus dem Ausland.
Von Usedom bis zum tiefsten Schwarzwald betreibt MediClin mit rund 8800 Mitarbeitern 51 Kliniken und Einrichtungen der Altenpflege. Da der deutsche Arbeitsmarkt den Fachkräftebedarf allein nicht mehr deckt, beschäftigt MediClin bereits seit mehreren Jahren auch Mitarbeiter aus dem Ausland. Insbesondere durch mehrere Kapazitätserweiterungen im Bereich der neurologischen Frührehabilitation einzelner Kliniken stand die zentrale Personalabteilung vor einer besonderen Herausforderung: Anders als im normalen Klinikbetrieb benötigten diese Standorte nun nicht nur drei oder vier, sondern eine Vielzahl examinierter Pflegefachkräfte auf einmal. Carina Heitmann, Referentin für Personalgewinnung und -marketing, war klar, dass sie die neuen Mitarbeiter nicht alle in Deutschland findet. Um den hohen Koordinationsaufwand über mehrere Länder bestmöglich abdecken und mit eigenen Recruiting-Aktivitäten kombinieren zu können, wandte sie sich an die Dekra Akademie, die über eine eigene Infrastruktur und ein entsprechendes Netzwerk im Ausland verfügt.
Integration beginnt mit der Ausschreibung
Gemeinsam mit den Pflegedienstleitungen vor Ort wurde der Bedarf ermittelt und ein klares Anforderungsprofil erstellt, das mögliche Kandidaten erfüllen müssen. Für die anspruchsvolle Aufgabe in der Frührehabilitation benötigen sie unter anderem Berufserfahrung in der Neurologie. MediClin entschied, die Suche zunächst auf EU-Länder zu fokussieren, da die Berufsanerkennung bei Fachkräften aus Drittstaaten deutlich aufwendiger und zusätzlich mit einer Anerkennungsqualifizierung verbunden ist. Mit dem Profil machten sich Mitarbeiter der Dekra-Ländergesellschaften in Rumänien, Polen, Ungarn und Griechenland auf die Suche. Nach kurzer Zeit waren geeignete Pflegefachkräfte gefunden. Sie erhielten zunächst eine Einstellungszusage von MediClin, die mit Bestehen der Sprachprüfung auf Niveau B2 plus medizinischer Fachsprache Pflege in einen festen unbefristeten Arbeitsvertrag übergeht.
„Schon der Rekrutierungsprozess ist Teil der Integration“, betont Thomas Bastian, Leiter Gesundheits- und Sozialwesen bei der Dekra Akademie. „Die Entscheidung der Fachkräfte, nach Deutschland zu gehen, ist ja zunächst ein Schritt ins Ungewisse.“ Umso wichtiger ist es, mögliche Kandidaten schon sehr früh genau zu informieren, wer der künftige Arbeitgeber ist, in welcher Region sie zukünftig arbeiten oder welche Möglichkeiten eines Arbeits- oder Kindergartenplatzes es für Familienmitglieder gibt.
In der Zeit von der Kündigung vor Ort bis zum deutschen Arbeitsvertrag mit MediClin übernimmt die Dekra Akademie die Sprachqualifizierung und den Lebensunterhalt der Pflegefachkräfte. Für die Sprachqualifizierung im Heimatland sind sechs Monate vorgesehen. Die Prüfung legen die Kandidaten an einem der Telc-Prüfungszentren der Akademie ab, die auch die Qualifizierung die Anerkennung in Deutschland sicherstellt.
Gute Vorbereitung erleichtert den Start
Da nicht alle Mitarbeiter zur gleichen Zeit in den Sprachkurs gestartet sind, kommen sie nun nach und nach an ihre neue Arbeitsstelle. Mittlerweile haben sechs der eingeplanten Fachkräfte aus Ungarn und Polen in der Klinik am Brunnenberg in Bad Elster angefangen. Gemeinsam mit MediClin wurde die Ankunft eines jeden Mitarbeiters sorgfältig geplant und vorbereitet. Von der Anreise über die Unterkunft in den ersten Wochen bis hin zum Ablauf der Einarbeitung vor Ort ist nichts dem Zufall überlassen. Denn häufig kommt es zu nicht vorhergesehenen Situationen, in denen neue Mitarbeiter aus dem Ausland schon vor Arbeitsbeginn Unterstützung brauchen. Sei es, dass für das kranke Kind ein Arzt benötigt wird oder dass es eine Autopanne auf dem Weg in die neue Heimat gibt, wie im Fall einer Kandidatin. Für Fälle wie diese gibt es eine 24-Stunden-Hotline. Darüber hinaus kümmert sich die Akademie um die oft zeitaufwendige Berufsanerkennung beim jeweiligen Regierungspräsidium.
Perspektivenwechsel fördert Verständnis
An ihrer Arbeitsstelle erwarten die Mitarbeiter viele neue Abläufe, die sie zudem in der noch ungewohnten Sprache meistern müssen. Gezielt ausgebildete Integrationsbeauftragte unterstützen sie dabei. In Seminaren wurden sie beispielsweise für Verhalten sensibilisiert, das in Zusammenhang mit Kommunikationsproblemen eintreten kann. „Häufig sind es einfache Dinge, die im Berufsalltag zu Schwierigkeiten führen können. Die neuen Kollegen sind beispielsweise oft eine andere Feedback-Kultur gewohnt und es fällt ihnen schwer, von sich aus eine Frage zu stellen, wenn sie etwas nicht verstanden haben“, erklärt Carina Heitmann von MediClin. Nur wenn die Kollegen mit diesem Umstand vertraut sind, können sie entsprechend reagieren und handeln. Die Teilnehmer lernen auch, sich in die Lage der neuen Mitarbeiter zu versetzen. Die Wirkung dieses Perspektivenwechsels ist nicht zu unterschätzen: „An diesem Punkt tritt meist ein großer Aha-Effekt ein. Den Leuten wird klar, was die Menschen alles aufgeben, um hier zu arbeiten, und machen sich Gedanken, wie es ihnen gehen würde, wenn sie ins Ausland gehen müssten“, erzählt Thomas Bastian.
Neuen Mitarbeitern Brücken bauen
Heute beschäftigt MediClin an jedem Standort einen Integrationsbeauftragten. Es sind Mitarbeiter unterschiedlicher Bereiche, die sich freiwillig gemeldet haben und die Aufgabe neben ihrer Haupttätigkeit übernehmen. Die Integrationsbeauftragten sind die ersten Ansprechpartner bei Fragen, organisatorischen Aufgaben oder Problemen. Sie kümmern sich um alles, was das tägliche Leben und Arbeiten betrifft und oft weit darüber hinaus. An einem Standort hat beispielsweise ein Chefarzt mit Kollegen einen „Social Club“ ins Leben gerufen. Hier kochen Mitarbeiter unterschiedlicher Nationalitäten und Arbeitsgebiete regelmäßig miteinander.
Je nachdem, wie viele neue Mitarbeiter in einer Klinik arbeiten, variiert der Zeitaufwand der Ansprechpartner. „Sie müssen nicht alles selber in die Hand nehmen“, erklärt Carina Heitmann, „denn sie sind vor allem dafür verantwortlich, dass jemand die anliegenden Aufgaben übernimmt, denn ansonsten macht es am Ende keiner.“ Die Integration endet nicht an einem bestimmten Stichtag. Im Gegenteil: Die Personalleiterin hat die Erfahrung gemacht, dass nach mehreren Monaten, wenn man eigentlich nicht mehr damit rechnet, oft noch einmal eine Heimwehphase eintritt, in der die Menschen ihren Schritt erneut überdenken. Deshalb ist es wichtig, sich weiterhin mit ihnen zu befassen, um eine nachhaltige Bindung aufzubauen.
Investition in Nachhaltigkeit
Die neuen Kollegen kommen gut vorbereitet nach Deutschland, denn in den Sprachunterricht sind schon viele Elemente der künftigen Praxis integriert. Auch die Kollegen vor Ort sind sehr zufrieden; die neuen Mitarbeiter sind motiviert und bringen durch ihre akademische Ausbildung ein hohes fachliches Niveau mit. Aber erst das richtige Integrationskonzept macht Rekrutierungsstrategien im Ausland erfolgreich, ist sich Carina Heitmann sicher. Und der Erfolg gibt ihr recht: „Mittlerweile tritt sogar der Effekt ein, dass Mitarbeiter uns in ihrem Heimatland anderen Fachkräften als Arbeitgeber empfehlen.“
Die Personalrekrutierung im Ausland ist bei MediClin nicht mehr wegzudenken. Um sich planbar Fachkräfte zu sichern, hat der Klinikbetreiber bereits zwei neue Projekte initiiert. In Serbien lässt er aktuell eine Klasse mit 30 examinierten Pflegefachkräften sprachlich und fachlich qualifizieren, sodass sie voraussichtlich in zwölf Monaten mit Sprachniveau B2 und der für Drittstaaten erforderlichen Fachkenntnisprüfung an einer Einrichtung von MediClin starten. Im zweiten Projekt absolviert eine weitere Klasse die grundständige dreijährige Ausbildung an einer der Dekra-Pflegeschulen in Ungarn. Das Curriculum ist bestmöglich an das deutsche angepasst und um MediClin-spezifische Inhalte ergänzt.
Autorin
Ulla Laux, freie Journalistin, Augsburg
- In der Zange
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- „Die Verantwortlichen müssen die Mitarbeiter ernst nehmen“
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