Schaden für alle
Die geplante Begrenzung der Überlassungshöchstdauer von Arbeitnehmern hat allenfalls populistischen Wert. Zeitarbeitnehmern und Industrie schadet sie nur, findet Tempton-Geschäftsführer Dr. Klaus Eierhoff.
Die Große Koalition hat – mal wieder – das Thema Zeitarbeit für sich entdeckt. Einmal mehr soll, so sieht es der Koalitionsvertrag vor, ein vermeintlicher Missstand beseitigt werden in einer Branche, die in den vergangenen Jahren immer wieder in den Fokus der Politik geraten ist, obgleich sie im Vergleich zu anderen Industrien doch eher klein ist. Etwa 2,5 Prozent der versicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland sind bei einem Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt. Das entspricht einer Gesamtzahl von etwa 720 000 Beschäftigten, nachdem der Höchststand in Deutschland bei etwa 900 000 Zeitarbeitnehmern im Jahr 2011 lag. Innerhalb der EU bewegt sich Deutschland damit im Mittelfeld. Das Land mit dem höchsten Anteil ist Großbritannien, wo etwa vier Prozent der Arbeitnehmer in der Zeitarbeit tätig sind.
Immer noch Vorurteile
Angesichts solcher doch vergleichsweise niedrigen Beschäftigtenzahlen fragt man sich, warum sich die Zeitarbeit in Deutschland einer so großen politischen Beachtung erfreut? Die Antwort liegt nahe: Weil sie sich offensichtlich sehr gut zur politischen Profilierung und Stimmungsmache eignet. Wenn es um Zeitarbeit geht, waren sich in den vergangenen Jahren weder Politik noch Gewerkschaften zu schade, tief in die Klischeekiste zu greifen. Zeitarbeitnehmer, so das gern gezeichnete Bild, seien Arbeitnehmer zweiter Klasse, die nicht adäquat bezahlt würden, in einer tariffreien Zone lebten, keinerlei soziale Absicherung hätten und jederzeit kündbar seien. Sogar als „moderne Sklaverei“ wird die Zeitarbeit nicht selten bezeichnet.
Keine dieser Behauptungen hält einer kritischen Überprüfung stand. Und dennoch scheint es immer noch opportun, mit den immer selben Vorurteilen und vermeintlich arbeitnehmerfreundlichen Regulierungsvorschlägen auf Stimmenfang zu gehen. Oder weiß es die Politik nicht besser?
Nehmen wir etwa die endlose Debatte zum Mindestlohn: Hier wird ständig der prekären Lohnsituation der Arbeitnehmer das Wort geredet – dabei ist in der Zeitarbeit der Mindestlohn bereits eingeführt beziehungsweise vereinbart. Das freilich hört man von Seiten der Politik nicht.
Stattdessen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass sich diejenigen, die nun die Befristung der Überlassungsdauer als neues Thema für sich entdeckt haben, kaum Gedanken darüber gemacht haben, welche Folgen das in der Praxis hat. Nehmen wir also einmal an, dass die Höchstüberlassungsdauer trotz aller guten Gegenargumente kommt, und nehmen wir auch an, dass sie den einzelnen Arbeitnehmer bei einem bestimmten Entleiher adressiert. Was bedeutet die Einführung der Höchstüberlassungsdauer dann für den Arbeitnehmer, den Entleiher und das Zeitarbeitsunternehmen?
Konsequenzen der Begrenzung
Die regelmäßige Einsatzdauer eines Arbeitnehmers bei dem Entleiher liegt durchschnittlich zwischen sechs und neun Monaten. Auch die sogenannten Helferjobs liegen in der Regel alle deutlich unterhalb der 18-Monats-Schwelle. Relevant ist die Schwelle nur für die höher- und hochqualifizierten Jobs, zum Beispiel für Ingenieure, IT-Spezialisten oder Techniker. Sie sind häufig im Einsatz bei größeren Projekten, die auch mal zwei Jahre oder länger dauern können.
Jeder, der schon einmal an einem längerfristigen Projekt mitgearbeitet hat, weiß, was es bedeutet, wenn Teammitglieder mitten im Projekt aus selbigem herausgerissen werden. Die Folge einer entsprechenden gesetzlichen oder tariflichen Regelung wäre jedoch genau die, dass das Zeitarbeitsunternehmen seinen Mitarbeiter wegen vorgeschriebener Übernahme durch den Entleiher nach 18 Monaten verliert. Selbst wenn das Zeitarbeitsunternehmen den betreffenden Mitarbeiter – möglicherweise auch in Absprache mit dem Entleiher – vorher aus diesem Engagement herausnimmt und mit einem hoffentlich vorhandenen und geeigneten Nachfolger neu besetzt, so muss dieser entsprechend eingearbeitet werden. Ein Zeitverzug im Projekt wird für den Entleiher dabei in der Regel kaum zu vermeiden sein. Alternativ dazu könnte der Entleiher den Mitarbeiter natürlich auch in eine Festanstellung übernehmen. Doch angenommen, es handelt sich um ein für zwei Jahre terminiertes Projekt (zum Beispiel die Einführung einer neuen Software), was geschieht dann danach mit dem Mitarbeiter? Soll man ihn befristet für sechs Monate einstellen? Soll man ihn unbefristet einstellen und zum Projektende betriebsbedingt kündigen? Mit Abfindung und gegebenenfalls Sozialauswahl? Oder einfach zum Ende einer vereinbarten Probezeit?
Auch aus Sicht der Zeitarbeitnehmer ist diese Perspektive alles andere als attraktiv. Sie oder er arbeitet an einem interessanten Projekt, muss nun kurz vor Fertigstellung raus oder wird übernommen, allerdings möglicherweise nur befristet. Und selbst wenn sie oder er unbefristet übernommen wird: Wie hoch ist dann das Risiko, zum Ende der Probezeit oder zum Projektende gekündigt zu werden? Dabei ist zusätzlich zu berücksichtigen, dass die bisherige Anstellung beim Zeitarbeitsunternehmen ja unbefristet war. Was der Gesetzgeber im vorliegenden Fall völlig ausblendet: Es gibt Arbeitnehmer mit Interesse an Projektaufgaben, wechselnden Aufgabenstellungen und unterschiedlichen Unternehmen, die andererseits aber eine Scheu haben, sich selbstständig zu machen und sich genau aus diesem Grund sehr bewusst für die Zeitarbeit entscheiden. Und mit noch einem Märchen muss an dieser Stelle aufgeräumt werden: Dem von der schlechten Bezahlung. Insbesondere hoch qualifizierte Arbeitskräfte haben heute in der Zeitarbeit beträchtliche Verdienstmöglichkeiten. Jahresgehälter oberhalb von 50 000 Euro sind keine Seltenheit.
Warum also soll die freie Entscheidung für ein bestimmtes Arbeitsmodell bewusst beeinträchtigt beziehungsweise verhindert werden? Wir halten fest:
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Der qualifizierte Arbeitswillige wird an einer freien Gestaltung seiner beruflichen Interessen gehindert.
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Der Entleiher kann zeitintensive Projekte nur erschwert mit qualifizierten Zeitarbeitnehmern durchführen.
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Der Entleiher wird vormals fest angestellte Zeitarbeiter nach Übernahme und Projektende in vielen Fällen kündigen, sowie er keinen Bedarf mehr hat.
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Das Angebot von Zeitarbeitsunternehmen wird bewusst auf Helferjobs und wenig zeitintensive Einsätze im höherwertigen Bereich begrenzt.
Und dieser ohnehin wenig sinnstiftende Aufwand wird auch noch für eine verschwindend kleine Zahl von Mitarbeitern getrieben. Denn von den rund 725 000 Zeitarbeitnehmern in Deutschland arbeiten höchstens 100 000 im Segment der hoch qualifizierten Kräfte und davon wiederum nur etwa zehn Prozent auf längerfristigen Projekten. Und für diese rund 10 000 Mitarbeiter braucht es nun eine gesetzliche Regelung oder entsprechende Vorgabe an die Tarifvertragsparteien? Eine, die den wenigen tatsächlich Betroffenen im Zweifel nur schadet?
Dies legt den Schluss nahe, dass es primär um ein politisches Ansinnen geht und nicht um eine notwendige Lösung für ein dringendes arbeitsmarktpolitisches Problem!
Autor
Dr. Klaus Eierhoff, Vorsitzender der Geschäftsführung (CEO), Tempton Holding, Essen,
klaus.eierhoff@tempton.de