Professionalität ist gefragt

Aus Sicht der Wirtschaft ist die Zeitarbeit kaum noch wegzudenken. Sie eröffne Unternehmen mehr Flexibilität und eine bessere Personalplanung, heißt es. Freilich müssen die Dienstleister auch Kritik einstecken.
Zeitarbeit ist ein Jobmotor. Auf die Arbeitnehmerüberlassung entfällt inzwischen jede dritte offene Stelle der Arbeitsagenturen. Gerade in Regionen mit angespannten Arbeitsmärkten, wie etwa dem Bundesland Bremen oder dem Ruhrgebiet, ist der Job als Zeitarbeiter für Arbeitslose oft Sprungbrett in eine reguläre Beschäftigung. „Im letzten Jahr haben wir 50 Zeitarbeitskräfte fest übernommen und nicht erst wie üblich befristet eingestellt“, sagt Vivika Gramke, Personaldirektorin der Targobank im Dienstleistungszentrum Duisburg.
Viele Unternehmen benötigen temporäre Kräfte, um flexibel auf Auftragsspitzen zu reagieren und saisonale Schwankungen auszugleichen. Das ist die klassische, ihr vom Gesetzgeber zugeschriebene Funktion der Zeitarbeit, die vor allem im gewerblichen Bereich ihren Ausdruck findet. Gut zwei Drittel der via Arbeitnehmerüberlassung vermittelten Kräfte werden als Un- oder Angelernte beschäftigt. Sie helfen bei der Ernte aus, sortieren Waren und erledigen vielfältige Aufgaben am Band oder im Lager. Auch viele Staplerfahrer sind bei einem Personaldienstleister angestellt.
Kosten sind kein Argument
Von diesem Bild ist die Branche nach wie vor stark geprägt. Als „Billigheimer“ wird sie deshalb oft despektierlich bezeichnet. Doch mit der Realität habe dies nichts mehr zu tun, sagt Jürgen Seifert, Personalleiter von TNT Express in Troisdorf. „Wer allein auf Kosten schaut, für den wird sich die Zeitarbeit kaum noch lohnen.“ Spätestens seit Einführung des Mindestlohns in Höhe von 8,50 Euro und der seit 2012 geltenden Branchenzuschläge sei der Spareffekt entfallen. Wer sich laut Seifert jedoch mehr Flexibilität durch Zeitarbeit verspricht oder sie als Rekrutierungsinstrument favorisiert, habe damit auch die beiden stichhaltigsten Gründe gefunden.
Dank Zeitarbeit kann TNT sehr flexibel mit Personal planen, um Spitzennachfragen abzudecken oder strategisch den Personalstand variabel zu halten. Gerade in der Logistik müsse man täglich auf Kundenaufträge vorbereitet sein und dafür in hinreichendem Umfang Personal vorhalten, so Seifert. Damit nicht genug: „Über Zeitarbeit lernen wir Menschen kennen, denen wir bei entsprechender Leistung ein Übernahmeangebot unterbreiten. Im Vergleich zu herkömmlichen Auswahlgesprächen sind unsere Entscheidungen nun viel tragfähiger.“ Während TNT über die Zeitarbeit vorwiegend Helfer rekrutiert, konzentriert sich die Targobank am Standort Duisburg auf kaufmännische Kräfte und überregional auf Vertriebsmitarbeiter. Bei dem Finanzdienstleister sind pro Jahr etwa 70 Zeitarbeitskräfte beschäftigt; TNT hingegen kommt auf rund 1000 temporäre Mitarbeiter, die sich auf 40 landesweite Standorte verteilen. Laut Seifert erhält knapp jede dritte Zeitarbeitskraft ein Übernahmeangebot. Die meisten davon blieben dem Unternehmen dauerhaft verbunden.
Fachkräfte gefragt
Längst ist die Zeitarbeit nicht mehr Sammelbecken für einfach qualifizierte Kräfte. In der Arbeitnehmerüberlassung befinden sich auch immer mehr höher qualifizierte Beschäftigte, die zum Teil akademische Bildungswege durchlaufen haben. Beläuft sich der Anteil der Zeitarbeit an der Gesamtbeschäftigung mit rund 800 000 temporären Kräften stabil auf zwei Prozent, gelten 60 000 bis 70 000 der Beschäftigten Schätzungen zufolge als höher qualifiziert.
Bei der MTU Aero Engines AG in München und Hannover zählen 60 Prozent der temporären Kräfte zu diesem Kreis. Vor allem dreht es sich um Ingenieure und IT-Spezialisten, die weit länger als für gewerbliche oder kaufmännische Zeitarbeitskräfte gemeinhin üblich in Entwicklungsprojekten mitarbeiten. „In der Arbeitnehmerüberlassung beschäftigen wir sogar SAP-Berater“, sagt Katrin Schnitter, verantwortlich für den Einkauf von Dienstleistungen. In den einschlägigen Ranglisten gelten SAP-Berater als „Könige“ des IT-Arbeitsmarktes. Selbst in Zeiten der Finanzkrise, als Programmierer und Administratoren scharenweise ihre Jobs verloren, saßen sie fest im Sattel. Bei MTU sind sie laut Schnitter zwischen zwei und vier Tagen in der Woche tätig. „Angestellt sind sie bei Softwarehäusern, die eine Erlaubnis für die Arbeitnehmerüberlassung besitzen.“ Auch die Personaldienstleister der Zeitarbeit zählen höher qualifizierte Fachkräfte zunehmend in ihren Reihen. Zur Rekrutierung und Vermittlung haben Branchengrößen wie Randstad oder Manpower eigens Töchter gegründet.
Mehr Professionalität gewünscht
Hinsichtlich der höher qualifizierten Kräfte scheint die Zeitarbeit als Rekrutierungsinstrument nicht so sehr im Fokus von Unternehmen zu stehen. Dass MTU Zeitarbeitskräften anbietet, sie in ein festes Arbeitsverhältnis zu übernehmen, ist keineswegs die Regel. Nicht anders bei der Heidelberger Druckmaschinen AG in Wiesloch: Zwar betont Personalleiter Rupert Felder, höher qualifizierte Fachkräfte seien zunehmend ein Markt für die Zeitarbeitsbranche. Doch offenkundig sind viele Dienstleister noch nicht in der Lage, die Rekrutierungsdienstleistung gemäß dem Anforderungsprofil ihrer Kunden zu erbringen.
Laut Felder liegt das an den höheren Ansprüchen, die HR an die Zeitarbeitsfirmen stellt. „Statt lediglich Zahlen vorzugeben“, erläutert der Personalverantwortliche, müsse er als Auftraggeber dem Partner in der Ausschreibung genau erklären, wen genau er suchen soll. Daher sollte der Zeitarbeitsdienstleister sein eigenes Arbeitgeberimage darauf ausrichten, dass er überhaupt genügend Kandidaten finden kann. Das sei jedoch Zukunftsmusik. Felder verweist auf die hohe Fluktuationsquote in der Zeitarbeitsbranche, die zweifelsohne eine gewaltige Umschlagzahl zu bewältigen habe. „Bei uns als Auftraggeber liegt die Fluktuationsquote hingegen unter einem Prozent.“
Folgt man Felder, scheinen Fluktuation und Matching, also die Übereinstimmung zwischen Anforderungsprofil und präsentierten Kandidaten, die Achillesferse von zahlreichen Personaldienstleistern zu sein. Eindringlich legt der Personalexperte der Branche nahe, ihre Leistungen im Interesse der Kunden deutlich zu verbessern. Kritisch beurteilt Felder vor allem die hohe Fluktuation unter Disponenten: „Zeitarbeitskunden wollen sich nicht dauernd auf neue Gesprächspartner einstellen.“
Dieser Kritik schließt sich Targobank-Personaldirektorin Gramke an. Die Zusammenarbeit zwischen Unternehmen und Zeitarbeitsfirmen funktioniere umso besser, je länger und besser Disponenten mit dem Kunden und seinen Arbeitsplätzen vertraut seien. Dabei macht die HR-Expertin eine spannende Beobachtung: „Fluktuation ist weit häufiger bei den Branchengrößen anzutreffen als bei den kleineren Firmen, die inhabergeführt sind und sich erfolgreich in Nischen schlagen.“ Um das Problem in den Griff zu kriegen, empfiehlt Felder Zeitarbeitsfirmen das Key-Account-Modell. Übertrage man den Disponenten mehr Verantwortung zu deutlich verbesserten Konditionen, stehe dies auch für „deutlich höhere Professionalität“. Weiteres Optimierungspotenzial liegt Felder zufolge in der Darstellung von Profilen sowie im Matching: „Stimmen präsentierte Kandidatenprofile tatsächlich mit dem vom Kunden präzisierten Anforderungsprofil überein?“ Auch bei der Ansprache von potenziellen Kandidaten gebe es bei zahlreichen Dienstleistern noch Verbesserungsbedarf. Felder kennt Firmen sonder Zahl, deren Niederlassungsleiter mit unlauteren Mitteln Kandidaten einfangen würden. „Bin ich mit Akteuren konfrontiert, deren Hauptanliegen offenkundig der Abschluss eines Auftrags ist, lasse ich lieber die Finger davon.“
MSP als Herausforderung
Ein Schlagwort, das in diesem Zusammenhang neuerdings für Gesprächsstoff sorgt, heißt MSP. Als neues Dienstleistungsangebot der Zeitarbeitsbranche verbürgen sich Managed Service Provider nicht nur für eine möglichst passgenaue Bereitstellung von gesuchten Fachkräften in kürzester Zeit. Zusätzlich nehmen sie ihrem Auftraggeber auch den verwaltungstechnischen Aufwand ab, der sich bei der Kooperation mit zahlreichen Dienstleistern zu einem regelrechten Overkill auswachsen kann und den Unternehmen kaum noch Zeit für die wirklich wichtigen HR-Aufgaben lässt. Auch MTU-Einkäuferin Schnitter, die zuvor viele Jahre in HR-Funktionen tätig war, hat einen MSP-Partner an der Seite. Während er am MTU-Standort München 70 Dienstleister steuert, sind es in Hannover 25.
Im Hinblick auf Optimierungspotenziale der Zeitarbeit hat MTU laut Schnitter im Markt noch „nichts Besseres als MSP“ gefunden. Diese Dienstleistung eigne sich hervorragend zur Umsetzung von Prozessen und eröffne hohe Transparenz: „Das eingesetzte System begleitet einen ausgewählten temporären Mitarbeiter vom Eintritt bis zum Austritt, es generiert wichtige Reports und liefert aussagekräftige Lieferantenbewertungen.“ Unternehmen, die MSP vertrauen, berichten zudem von einer Qualitätssteigerung der temporären Kräfte. Dies sei Ergebnis präziserer Anforderungsprofile, die der MSP-Partner von seinem Kunden abfordert und die ihm ermöglichen, gesuchte Kräfte zügiger über die von ihm gesteuerten Dienstleister zu beschaffen.
Weiterer Vorteil für Unternehmen, die ohne MSP aus eigener Kraft mit einer Vielzahl von Personaldienstleistern kooperieren müssten: Statt sich laufend mit ihren Partnern abzustimmen, erhalten sie nur noch eine Sammelrechnung zur Prüfung und Verbuchung. Auch die Bezahlung der Dienstleister verantwortet der MSP-Provider. „Grundsätzlich kennen alle Lieferanten unsere Preisstruktur und werden ebenso wie ihre Beschäftigten von uns gleich fair behandelt“, beschreibt MTU-Einkäuferin Schnitter die durch MSP hinzugewonnene Transparenz. Zwischen den einzelnen Dienstleistern gäbe es auch keinen Mitarbeiterwechsel.
Für TNT-Personalchef Seifert hat sich MSP ebenfalls als willkommene Alternative erwiesen, wenn auch in anderer Form als bei MTU. „Am liebsten hätten wir einen deutschlandweit tätigen Dienstleister, der alle Anforderungen umsetzen könnte.“ Aber das scheint schwierig zu sein. Als „harte Nuss“ erweist sich zum Beispiel der Standort Bonn, wo TNT seit 15 Jahren ein großes Kundendienstzentrum unterhält. Die einstige Bundeshauptstadt ist geprägt von Beamten und Studenten. „Bei einer Arbeitslosenquote in moderater Höhe ist es ziemlich schwierig, Mitarbeiter zu finden, die bereit sind, im Schichtdienst auch an Wochenenden tätig zu sein“, erläutert Seifert.
Gelingt es Seifert zufolge weder TNT noch Dienstleistern, in prosperierenden Regionen mit niedriger Arbeitslosigkeit hinreichend qualifizierte Kräfte zu finden, sei dies umgekehrt zum Beispiel in Ostdeutschland kein Problem. „Während andere Unternehmen dorthin gehen, wo hinreichend Arbeitskräfte verfügbar sind, können wir definitiv keinen Standort schließen.“ Also beauftragte TNT mehrere Dienstleister und ernannte einen zum Hauptvertragspartner, der wie ein MSP die Verantwortung für die Kooperation mit kleineren Dienstleistern übernimmt. „Gelingt es ihm nicht, an einem unserer 40 Standorte Fachkräfte in definierter Geschwindigkeit und geforderter Qualität anzubieten, haben wir uns vertraglich verständigt, uns an lokale Dienstleister wenden zu können.“
Auch wenn Unternehmen hier und dort positive Erfahrungen mit neuen Dienstleistungen der Zeitarbeitsbranche wie MSP vorweisen können, stecken die neuen Dienstleistungsangebote aus Sicht anderer Verantwortlicher noch in den Kinderschuhen. Auch Felder ist skeptisch: Egal welchen Namen man dem Kinde gebe, entscheidend sei, „welche personelle Qualität geliefert wird und wie sich die Kooperation anlässt“, betont der Personalchef der Heidelberger Druckmaschinen.
Image verbessern
Jenseits aller Kritik bezweifelt kaum jemand, dass die Zeitarbeit für die Wirtschaft außerordentlich wertvoll ist. In Arbeitsmärkten, wo Beschäftigungsschwankungen an der Tagesordnung sind, sei sie laut Felder oft unersetzlich. Für ihn zielt die Zeitarbeit vor allem darauf ab, Beschäftigung zu erhalten und flexibel bleiben zu können. Dass Zeitarbeit in dieser Funktion anerkannt werde, sei ihm auch in der Diskussion mit dem Betriebsrat wichtig. „Ein Zeichen für die zunehmende Versachlichung der Diskussion sind Kontingentklauseln, auf die sich die Betriebspartner zunehmend einigen“, so Felder.
Dennoch sorgt sich MTU-Einkäuferin Schnitter um den Ruf der Branche: „Ich hoffe, dass die Zeitarbeit an Ansehen gewinnt.“ Trotz zählbarer Fortschritte werde die Personaldienstleistung in der Öffentlichkeit noch immer kritisch wahrgenommen. Auch Schnitter wünscht sich deshalb eine „objektiver“ geführte Debatte. TNT-Personalchef Seifert hält an seinem Fahrplan fest: Die Entscheidung, mit einem Dienstleister zusammenzuarbeiten, stehe und falle mit den Compliance-Vorgaben. „Dazu gehört, dass der Partner nach Tarif zahlt und Zuschläge garantiert – also das Vergütungspaket über jeden Zweifel erhaben ist.“
Autor
Winfried Gertz, freier Journalist, München