„Die Lohnunterschiede sind nicht so hoch“
Werner Stolz, Hauptgeschäftsführer der iGZ

Die Bundesanstalt für Arbeit sowie das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung präsentierten jüngst Zahlen, die der Zeitarbeitsbranche nicht gefallen können. Werner Stolz, Hauptgeschäftsführer des Interessenverbands Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (iGZ), stellte sich den kritischen Fragen der Personalwirtschaft.
Personalwirtschaft: Laut Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung sind nur 25 Prozent der Zeitarbeitnehmer länger als neun Monate beschäftigt, davon zwölf Prozent noch nach eineinhalb Jahren. Laut iGZ-Mittelstandsbarometer liegt der Anteil wesentlich höher. Danach sind Ende Dezember 2014 insgesamt 43,3 Prozent der Zeitarbeitnehmer länger als neun Monate im Kundeneinsatz. Wie lassen sich die Differenzen erklären?
Werner Stolz: Den Statistiken liegen zwei unterschiedliche Methoden zugrunde, die zu verschiedenen Ergebnissen führen. Das IAB betrachtet Stromgrößen, die iGZ macht in ihrem quartalsweise durchgeführten Mittelstandsbarometer eine Stichtagsbetrachtung. Unsere Methode des Instituts für soziale Innovation führt dazu, dass kurzfristige Einsätze nicht so stark ins Gewicht fallen; bei der IAB-Stromgrößenbetrachtung werden dagegen langfristige Einsätze stärker relativiert. Doch auch wenn die unterschiedlichen Erhebungsansätze nicht zu deckungsgleichen Zahlen führen, so lässt sich ablesen, dass die Zeitarbeit nicht nur ein Kurzfristgeschäft ist. Selbst die Größenordnung des IAB wird von Politkern immer mit Erstaunen zu Kenntnis genommen. Im Übrigen liegt auch nach einer Untersuchung von Gesamtmetall die Einsatzdauer von 36 Prozent der Zeitarbeitnehmer über zwölf Monate. Und Zahlen der IG Metall nach einer Betriebsrätebefragung sprechen von einem Viertel der Arbeitnehmer, die länger als zwölf Monate im Kundenbetrieb sind, und von elf Prozent, die mindestens 24 Monate in einem Einsatz sind. Alle Zahlen zeigen in der Zeitreihe: Es gibt einen Trend in der Branche zu längerfristigen Einsätzen.
Kritischer sind sicherlich die Zahlen zur Entlohnung. Laut BA liegen die Entgelte in der Zeitarbeit 30 bis 40 Prozent unter den im Durchschnitt über alle Branchen erzielten Entgelten. Wie erklären Sie diese Lücke?
Diese Differenz gehört auch in der öffentlichen Debatte zu den Achillesfersen der Branche. Wir haben zwei Einwände dagegen: Die Zahlen der BA beruhen auf dem sozio-ökonomischen Panel. Das heißt, bezogen auf die Zeitarbeit wurden 90 Zeitarbeitnehmer identifiziert und mit 3200 anderen Arbeitnehmern verglichen, was also keinesfalls eine große statistische Datengrundlage ist. Was uns außerdem stört, ist die Durchschnittsbetrachtung über alle Branchen hinweg. Genauso richtig wäre es, wenn eine Statistik zu dem erwartbaren Ergebnis kommt: Im Sicherheitsgewerbe und in der Gastronomie verdienen die Mitarbeiter weniger als in der Zeitarbeitsbranche. Das ist auch richtig, bringt aber wenig Erkenntnisgewinn.
Wie kann eine seriöse Berechnung dann aussehen?
Man sollte viel stärker wie etwa das Bundesarbeitsgericht herausarbeiten, dass die Personaldienstleister eine eigene Branche sind – mit Spezifika und einem eigenen Branchenschüssel. Warum ist das wichtig zu betonen? Der Mitarbeiter ist beispielsweise verpflichtet, nicht nur in einer Branche tätig zu sein, sondern auch in allen anderen Branchen, wo Bedarf besteht und seine Qualifikation mit den gewünschten Kundenanforderungen übereinstimmt. Ebenso trägt die Branche das Risiko für fehlende Einsatzzeiten unter Fortzahlung des vereinbarten Arbeitsentgeltes. Insofern muss die Zeitarbeitsbranche aus einer anderen Sicht beurteilt werden und nicht ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Entgelte der Mitarbeiter, die direkt beim entleihenden Unternehmen angestellt sind. Hier vergleicht die Statistik der BA also eher Äpfel mit Birnen. Die Entgeltdifferenzen bezogen auf die einzelnen Branchen, wie sie die BA aufzählt, haben wenig Evidenz, dass vergleichbare Arbeitskräfte in der Zeitarbeit und der Gesamtwirtschaft wesentlich unterschiedlich entlohnt werden.
Dann schauen wir auf das Qualifikationsprofil der Arbeitnehmer. Danach erhalten Fachkräfte in der Gesamtwirtschaft durchschnittlich 2731 Euro, in der Zeitarbeit 1951 Euro. Wie können Sie den Unterschied begründen?
Es handelt sich immer um einen individuellen Einsatz, deshalb ist eine Durchschnittsanalyse wenig aussagekräftig. Nach allen Untersuchungen gibt es nämlich erhebliche (Biografie)-Unterschiede zwischen den Arbeitnehmern, die in der Zeitarbeit eingesetzt werden, und den Stammbeschäftigten in den anderen Wirtschaftsbereichen. So sind Zeitarbeitnehmer im Schnitt beispielsweise jünger als die Vergleichsgruppe, sie sind niedriger qualifiziert, vor ihrem ersten Einsatz häufiger arbeitslos gewesen oder arbeiten in anderen Berufen als früher erlernt.
Auf der Ebene der Spezialisten und Experten sind die prozentualen Entgeltabweichungen aber ähnlich hoch.
Auch hier gilt es Besonderheiten in den Lebensläufen zu berücksichtigen. Unter dem Strich ist der Erkenntnisgewinn viel höher, wenn wir uns konkret anschauen, wie die Entgelte in der Zeitarbeit heute tatsächlich normiert sind. Was ist gesetzlich und tariflich als Mindestvorgabe geregelt? Hier tragen also insbesondere die Sozialpartner in der Branche eine besondere Verantwortung und haben eine dauerhafte Gestaltungsaufgabe.
Doch Personaldienstleister betonen häufig, dass viele ihrer Experten und Fachkräfte übertariflich entlohnt werden. Warum spiegelt sich das nirgendwo wider?
Weil es diese Untersuchungen im Detail leider noch nicht gibt. Nur wenn ich mir konkrete Qualifikationsprofile von einzelnen Mitarbeitern anschaue, dann wäre ein echter Eins-zu-eins-Vergleich möglich. Ich will aber nicht abstreiten, dass es dann durchaus noch Lohnunterschiede in Einzelfällen geben kann. Aber sie sind nach meiner Branchenkenntnis nicht so hoch, wie die Durchschnittsbetrachtung der BA suggeriert.
Wie hoch schätzen Sie die Lohndifferenz?
Es gibt seriöse Untersuchungen von Wissenschaftlern, die im Ergebnis auf rund zehn Prozent Lohndifferenzial kommen, die nicht durch Spezifika der Zeitarbeitsbranche erklärbar sind. Und meine Prognose angesichts der aktuellen Arbeitsmarktsituation mit dem verbreiteten Arbeitskräftemangel ist: Tendenziell wird sich selbst diese kleine Lohnschere noch weiter schließen.
Wie gehen Sie in der Diskussion mit dieser „Achillesferse“ um? Bleibt die Differenz bei den Dienstleister hängen?
Die Gewinnmarge in der Branche liegt im Schnitt etwa zwischen drei und fünf Prozent, das ist kein Anzeichen für eine Goldgräberstimmung. Personaldienstleistungen sind längst nicht mehr der billige Jakob am Markt und müssen sich gegen andere Flexibilisierungsmaßnahmen im Preis-Leistungs-Verhältnis behaupten. Ein anderer Gesichtspunkt kommt hinzu: Das deutsche Kalkulationssystem der Zeitarbeit beinhaltet auch eine Art Versicherungsprämie, die sich erst in der Länge der Zeitarbeitseinsätze amortisiert. Die Verantwortung für das Risiko und die Chance, dass der Mitarbeiter vom Einsatz A in den weiteren Einsatz B kommt, trägt das Zeitarbeitsunternehmen. Diese „Prämie“ ist in Abzug zu bringen und tendiert im Laufe der Zeit gegen null. Deshalb plädiere ich dafür, statt Durchschnittsbetrachtungen besser die konkreten gesetzlichen und tariflichen Rahmenbedingungen ins Visier zu nehmen und diese sach- und marktgerecht weiterzuentwickeln.
Wie sehen diese Rahmenbedingungen aus?
Diese Gehaltsstrukturen als Mindestarbeitsbedingungen sind inzwischen weitgehend diskreditierungsfrei, fair und angemessen. Wir haben verbindliche Mindestlöhne und Equal Pay in allen Branchenlohngruppen, die allgeimein verbindlich auch für die Zeitarbeit laut Arbeitnehmerentsendegesetz, etwa im Pflegesektor oder im Baunebengewerbe, geregelt sind. Gerade im einfachen Helferbereich gibt es deshalb kaum noch Lohnunterschiede, teilweise – gerade in den östlichen Bundesländern – sogar eine Besserbezahlung. In elf sogenannten Hochlohneinsatzbereichen haben wir durch die Branchenzuschlagstarife mit IG Metall, ver.di, IG BCE in Stufen Lohnangleichungsvereinbarungen getroffen und Gerechtigkeitslücken bei längeren Einsätzen geschlossen. Es gibt darüber hinaus sogenannte betriebliche Besserstellungsvereinbarungen in zahlreichen Großbetrieben, die mit den Unternehmensleitungen die Einsatzbedingungen für Zeitarbeitskräfte gesondert festgelegt haben. Man sieht also: Die vermeintliche „Achillesferse“ ist kleiner als leider immer noch viele annehmen. Die Zeitarbeit wird auch was die Bezahlung anbelangt immer attraktiver.
Autorin
Das Interview führte Christiane Siemann.