Ausgabe 11 - 2011
Von der Qualifizierung zur Strategieumsetzung
Personalbereiche müssen den komplexer werdenden Anforderungen durch neuartige und sinnvolle Kombinationen bereits bestehender Instrumente gerecht werden. Das gilt auch für die Führungskräfteentwicklung, die nach Meinung der Autoren zukünftig mehr auf ein transformationales Führungsverständnis ausgerichtet werden sollte.
Obwohl die Personalentwicklung in den vergangenen Jahren nicht unmittelbar im strategischen Fokus vieler HR-Bereiche stand, lassen sich im Querschnitt unterschiedlicher Unternehmen dennoch zahlreiche übergreifende Entwicklungen in diesem Feld identifizieren. So hat beispielsweise die Frage nach dem unmittelbaren Nutzen einer Qualifzierungsmaßnahme für das Business sowie die damit verbundene Messbarkeit von Effekten in einem immer härter werdenden Wettbewerbsumfeld an Bedeutung gewonnen. Doch selbst wenn die finale Frage nach dem schon lange diskutierten ROQI (Return on Qualification Invest) auch heute noch nur in Ausnahmefällen tatsächlich gestellt wird, setzen sich viele Personalbereiche sehr intensiv mit der Nachhaltigkeit von Trainings und Seminaren sowie Fragestellungen des Transfers und der Ergebnissicherung auseinander. Dieser Effekt zeigt sich besonders deutlich bei vielen eher als „Commodity“ wahrgenommenen Trainingsthemen. Hier gilt die Aufmerksamkeit längst nicht mehr nur der Ausprägung der Inhalte, sondern zunehmend der Sicherstellung von Nachhaltigkeit in der Verhaltensänderung der Teilnehmer. Dieser Trend geht einher mit einer immer lauter werdenden Forderung nach Konzepten, die sich am Unternehmen, der Zielgruppe und nicht zuletzt den Anforderungen des Business orientieren. So stellt sich letztlich ein Wandel dar von einer eher breitbandigen Qualifizierung der Mitarbeiter entlang definierter Schlüsselkompetenzen hin zu einer gezielten, job-, funktions- oder bereichsspezifischen Unterstützung der Mitarbeiter als Bindeglied in der Umsetzung der Unternehmensstrategie.
Die Wiederentdeckung der Führungskräfteentwicklung
In diesem Zusammenhang verändert sich auch die Wahrnehmung der Führungskräftequalifizierung. So wird Management Development in der aktuellen Kienbaum Studie HR Strategie & Organisation 2011 als eines der fünf Top-Themen identifiziert, mit dem sich Unternehmen und HR Bereiche aktuell und zukünftig befassen. Für diese Wiederentdeckung der Personalentwicklung lassen sich sicherlich zahlreiche Ursachen ausmachen. So spielt nicht zuletzt die demografische Entwicklung und die damit verbundene Fragestellung der Employability eine zentrale Rolle. Wie müssen Entwicklungskonzepte der Zukunft aussehen, um insbesondere älteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hinsichtlich deren Berufserfahrung und häufig langen Bildungshistorien gerecht zu werden? Doch moderne Personalentwicklung muss noch mehr leisten: Unternehmen sehen sich zunehmend mit der Herausforderung konfrontiert, Trainingskonzepte so zu gestalten, dass sie einer diversifizierten und damit heterogenen Workforce gerecht werden. Es gilt nicht nur die Erwartungen und Bedarfe von Teilnehmern der „Generation Y“ bis zu den „Baby Boomern“ abzudecken – erhöht wird die Komplexität vielerorts auch durch eine zunehmende Internationalisierung der Belegschaft.
Weg vom einzelnen Spielzug, hin zur Spielübersicht
Parallel hierzu lässt sich eine weitere Veränderung im Umgang mit Führungskräfteentwicklungsmaßnahmen beobachten. Während sich die Qualifizierung der Führungskräfte in den vergangenen Dekaden häufig an der Ausbildung einzelner Kompetenzen orientiert hat, stehen heute immer häufiger ganzheitliche Qualifizierungsansätze im Vordergrund. Statt die Führungskräfte entlang des klassischen Dreiklangs „Kommunikation, Kooperation, Konflikt“ auf die Durchführung von Mitarbeitergesprächen oder konfliktträchtige Situationen vorzubereiten, scheint nun die Forderung nach eher transformationalen Führungskonzepten auch in den Personalentwicklungsprogrammen angekommen zu sein. An die Stelle der singulären Fokussierung auf Kernkompetenzen transaktionaler Führung wie beispielsweise Interaktionskompetenz tritt ein deutlich vollständigeres Verständnis von Führungsausbildung, das den Grundideen transformationaler Führung in höherem Maße entspricht. So führt der Weg in vielen Unternehmen weg von der Befähigung zur Auflösung einzelner Interaktionssequenzen hin zu einem gesamthaften Verständnis der Führungssituation, in dem die Symbolik des eigenen Handelns, die Vermittlung von Sinn und Zielen und das Bewusstsein für die Erwartungen an die eigene Person und Rolle an Bedeutung gewinnt. Gleichwohl erhöht diese Entwicklung auch den Druck auf den unüberschaubaren Markt der Trainingsanbieter. Genügte es in der Vergangenheit noch, Exzellenz in Einzelfragen wie Gesprächsführung, Präsentation, Konfliktmanagement et cetera entwickelt zu haben, lautet der Anspruch an Trainer und Seminarleiter heute, Führung aus einer Binnenperspektive des Unternehmens heraus gesamthaft zu vermitteln.
Abbildung 1
Erfolgsfaktoren zeitgemäßer Personalentwicklungsprogramme

Unterzieht man die bislang formulierten Anforderungen und Trends einer kritischen Würdigung, wird schnell klar, dass Personal- und Führungskräfteentwicklung im klassischen Sinne diesen nur in einem sehr begrenzten Umfang gerecht werden kann. Die Zeit scheint reif für Personalentwicklungskonzepte, die sich didaktisch und methodisch aus dem reichhaltigen Fundus der Führungskräftentwicklung bedienen und durch die sinnvolle Kombination unterschiedlicher Zugänge ein Höchstmaß an Passung zum Unternehmen und den mit der Initiative verbundenen Zielsetzungen sicherstellen.
Die Currenta GmbH & Co OHG – ein Praxisbeispiel
Im Jahr 2010 entschloss sich die Currenta GmbH & Co OHG in Leverkusen, als Tochterunternehmen von Bayer und Lanxess für den Betrieb der Chemieparks verantwortlich, die Ausrichtung des Unternehmens entlang einer klaren Strategie und einer Vision über ein Alignment der Führungskräfte weiter voran zu treiben. Um die ambitionierten Ziele zu erreichen, wurde das Projekt „In Führung gehen“ initiiert. Neben der Qualifizierung der 420 Führungskräfte beinhaltete dieses auch die Etablierung eines übergreifenden, gemeinsamen Führungsverständnisses. Im Ergebnis sollte dadurch auch eine frühzeitigere und konsequentere Identifikation von Potenzialträgern im Unternehmen unterstützt werden. Eine der Kernanforderungen in der Umsetzung bestand darin, die heterogene, mehrheitlich reife und über viele Jahre intensiv trainierte Führungsmannschaft nicht nur für die mit dem Projekt verbundene Neuausrichtung des eigenen Führungsverständnisses zu gewinnen, sondern auch individuell zu qualifizieren. Dabei sollte das mit dem Projekt verbundende Ziel der Standardisierung ebenso erreicht werden wie eine höchstmögliche Individualisierung.
Gemeinsam mit der Geschäftsführung und HR wurde daraufhin ein Vorgehen entwickelt, dessen Basis ein neues, unmittelbar aus der Vision abgeleitetes Kompetenzmodell bilden sollte – nicht nur als Richtschnur für Führungsanforderungen und -verhalten, sondern zugleich als inhaltlicher und methodischer Dreh- und Angelpunkt für alle im Unternehmen verwendeten HR-Instrumente. Um die beschriebenen Zielsetzungen miteinander zu verbinden, wurde ein kaskadierter Rollout geplant, dessen Kernstück sogenannte „Führungscamps“ waren.
Großgruppenmaßnahme mit maximaler Individualisierung
Bei den dreitägigen Currenta-Führungscamps handelt es sich um Großgruppenverfahren für bis zu 36 Führungskräfte, in denen alle Teilnehmer in unterschiedlichen Gruppengrößen und Konstellationen – vom eins zu eins mit dem Coach über Vierer- und Zwölfer-Gruppen bis zur Gesamtgruppe – immer wieder zusammenarbeiten. Durch die Verknüpfung ermöglichungs- und erzeugungsdidaktischer Zugänge wird ein Höchstmaß an individueller Umsetzung eröffnet. Ausgehend von der Großgruppe, die regelmäßig über den Verlauf des Verfahrens zusammenkommt, strukturiert sich der Ablauf entlang von Zwölfer-Gruppen. In diesen seminarartig gestalteten Abschnitten findet im Wesentlichen der Austausch zu all jenen Themen statt, deren Zielsetzung eher in einer Vereinheitlichung beziehungsweise Standardisierung liegt. Die Übertragung der Inhalte auf den eigenen Verantwortungsbereich und die eigene Person ist im Wesentlichen Gegenstand der Vierer-Gruppen, während in den Einzelarbeiten und der eins zu eins-Zusammenarbeit mit dem Coach die Selbstreflexion sowie die Umsetzung im eigenen Verhalten im Vordergrund stehen.
Abbildung 2
Innovative Lernformate

In den Führungscamps bestimmen unterschiedliche Gruppensettings – von der 36er Gruppe über die Zwölfer- und die Vierer-Gruppe bis hin zum Eins-zu-Eins-Coaching – den didaktischen Aufbau.
Ergänzt werden diese Sequenzen durch Phasen kollegialer Fallberatung, Selbstreflexion entlang von Videomitschnitten, Peer Feedbacks und nicht zuletzt den Austausch mit der Geschäftsführung zu Strategie- und Führungsthemen im Rahmen eines Kaminabends. Im Unterschied zu einem umsetzungsintensiven Training verlagert das Führungscamp die individuelle Umsetzung der Trainingsinhalte direkt und für jeden Teilnehmer in die Maßnahme selbst. Dabei können die Teilnehmer in einem geschützten Umfeld direkt an sich und ihren Themenstellungen arbeiten. In der Durchführung der Führungscamps kristallisierten sich neben der unmittelbaren Ableitung der Inhalte aus der Vision und der damit verbundenen guten kulturellen Passung zu Unternehmen und Mitarbeitern folgende Erfolgsfaktoren heraus:
-
Fokus auf individueller Umsetzung:
Alle vermittelten Inhalte zielen letztlich auf die individuelle Umsetzung im eigenen Verantwortungsbereich ab. Auf Basis aktueller Informationen zum Thema Führung steht die Erweiterung der individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten im Vordergrund.
-
Vernetzung der eingesetzten methodischen Zugangswege:
Nach der Vermittlung von Grundlagen zur Sicherstellung eines gemeinsamen Verständnisses werden die Themen anhand unterschiedlicher methodisch-didaktischer Zugänge vertieft.
-
Selbstgesteuerter Transfer Jeder Teilnehmer übernimmt bereits im Verfahren aktiv Mitverantwortung für den Transfer, indem er begleitend Learnings und Veränderungsziele dokumentiert.
-
Maximale Vertraulichkeit:
Im Rahmen der Coachingsequenzen erhalten die Teilnehmer die Gelegenheit, auch kritische und ggf. vertrauliche Inhalte mit dem Coach ohne andere Teilnehmer zu reflektieren. So kann Praxisnähe insbesondere auch bei heiklen Fragestellungen sichergestellt werden.
-
Erfahrungsaustausch und Vernetzung:
Das Design der Maßnahme fördert durch die bewusste bereichsübergreifende Gruppenzusammensetzung sowie die Integration kollegialer Fallberatungselemente und Gesprächsplattformen mit der Geschäftsleitung die unternehmensinterne Vernetzung.
Wo das alles enden soll
Wie das Beispiel der Führungscamps verdeutlicht, verbinden Unternehmen mit Führungskräfteentwicklungsprogrammen heute mehr als die bloße Qualifizierung der Manager. Die Programme müssen sich daher nicht nur eng an den Unternehmen und deren strategischen Zielen orientieren, sondern dienen zugleich als Transmissionsriemen im Transformationsprozess.
Entwickelt man diesen Gedanken weiter, stößt man unweigerlich auf Entwicklungslinien, welche die Führungskräftequalifizierung in den nächsten Jahren bestimmen werden: So wird die durch längere Lebensarbeitszeiten und unterschiedliche Erwartungshaltungen an Arbeit und Arbeitgeber geprägte Workforce der Zukunft zunehmend innovative Qualifizierungskonzepte erforderlich machen. Dem Wunsch weiterer Standardisierung – beispielsweise von globalen Prozessen und Systemen – muss im Umfeld erhöhter Erwartungen an Individualität und gesteigerter Unterschiedlichkeit Rechnung getragen werden. Zudem wird die Bedeutung guter Personalentwicklung im Unternehmen für die Arbeitgeberattraktivität als Wettbewerbsfaktor weiter steigen und eine systematischere Verknüpfung der HR Prozesse von der Selektion bis zur Entwicklung im Unternehmen nach sich ziehen. Die wahrgenommene Attraktivität eines potenziellen Arbeitgebers – für Bewerber eine häufig mit Entwicklung verknüpfte Einschätzung – erhöht den Druck auf die Unternehmen im Spannungsfeld der Vermeidung von Alpha- und Beta-Fehler diese Verknüpfung tatsächlich vorzunehmen. Ergänzt man diese Gedankenspiele um die Prognose eines zukünftig weiter zunehmenden Kostendrucks, erhöht sich die Komplexität zusätzlich. Hier könnte eine systematischere Vernetzung derzeit häufig noch weitestgehend unabhängig eingesetzter Instrumente einen Lösungsweg beschreiben. Themen wie Social Media, Employer Branding, E-Assessments, Webinare oder Blended Learning werden in den kommenden Jahren ihren Glanz als technologischer Hype verlieren und ihren Weg in die gut gefüllten Werkzeugkästen der HR-Community finden. Doch genauso wenig die Qualität eines einzelnen Werkzeugs das Geschick des Handwerkers ersetzen kann, entsteht erfolgreiche Personalentwicklung durch den Einsatz isolierter, wenngleich innovativer Instrumente. Die Herausforderung für Unternehmen und Personalbereiche wird darin liegen, den stets komplexer werdenden Anforderungen durch neuartige, sinnvolle Kombinationen bestehender und innovativer Instrumente gerecht zu werden. Neben Kompetenz werden Mut, Kreativität und Innovationskraft stärker als in der Vergangenheit zu wettbewerbsentscheidenden Faktoren im Kampf um die besten Köpfe werden. Auch die Personalentwicklung der Zukunft wird diesem Trend in den kommenden Jahren folgen.
Autoren
Hans Ochmann, Mitglied der Geschäftsleitung/Partner, Kienbaum Management Consultants, Düsseldorf,
hans.ochmann@kienbaum.de
Dr. Oliver Schuh, Mitglied der Geschäftsleitung/Partner, Kienbaum Management Consultants, Düsseldorf,
oliver.schuh@kienbaum.de
- Die Kulturschaffenden
- Wunsch und Wirklichkeit
- Spitzenkräfte sehnen sich nach Flexibilität
- „Teilzeitmodelle und Karriere lassen sich nicht kombinieren“
- Auf Stärken bauen
- Alles im Lot
- Bewusstsein für exzellente Führung
- Köpfe statt Kopfnoten
- Wachstum unterstützen
- Lob der Nachhaltigkeit
- Gehälter fair und transparent gestalten
- Dialog im Dunkeln
- HR-Innovationen auf dem Prüfstand
- „Das Entwicklungslabor der Zukunft ist das Web 2.0“
- HR zum mündigen Partner machen
- Von der Qualifizierung zur Strategieumsetzung
- Was es bei Transfermaßnahmen zu beachten gilt
- „Es wird wichtiger für Unternehmen, als Arbeitgeber für sich Werbung zu machen“
- Heikle Post