Ausgabe 11 - 2011
Heikle Post
Häufig scheuen sich Arbeitgeber davor, die private Nutzung von E-Mails zu reglementieren oder gar zu verbieten. Klare Vereinbarungen helfen aber allen Beteiligten.
Die Kommunikation per E-Mail ist aus den meisten Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Die meisten Arbeitgeber setzen dabei auf einen verantwortlichen Umgang ihrer Mitarbeiter mit den ihnen eröffneten Möglichkeiten statt auf Verbote und strenge Reglementierung. Dabei bleiben Konflikte nicht aus, die leider zunehmend auch gerichtlich ausgetragen werden. Immer wieder führen Missbrauch durch Mitarbeiter oder das steigende Bewusstsein für den Datenschutz zu Streitigkeiten. Das gilt vor allem, wenn betriebliche Regelungen fehlen oder nicht an technische Neuerungen und rechtliche Entwicklungen angepasst wurden. Gibt es erst einmal Streit, ist es für Vereinbarungen, die den notwendigen Handlungsspielraum ermöglichen, jedoch meist zu spät.
Umfang der erlaubten Privatnutzung
Computer, Internetzugang und E-Mail-Postfach sind Arbeitsmittel. Daher gehen viele Arbeitgeber selbstverständlich davon aus, dass ein Mitarbeiter sie ohne ausdrückliche Zusage nicht privat nutzen darf. Arbeitnehmer sehen das in der Regel anders: Die einzelne E-Mail an einen Freund oder den Vermieter kostet kaum Arbeitszeit und oft nicht einmal Gebühren, sodass Verbote manchem kleinlich erscheinen würden. Auch die Rechtsprechung ist indifferent. So war das LAG Köln noch im Jahr 2005 der Meinung, ein Arbeitnehmer müsse nicht ohne Weiteres damit rechnen, dass sein Arbeitgeber mit 80 bis 100 Stunden Privatnutzung im Jahr nicht einverstanden ist, wenn es keine ausdrücklichen Verbote gibt (Az. 4 Sa 1018/04). Das Bundesarbeitsgericht hatte sich erstmals am 07. Juli 2005 mit einer Kündigung wegen exzessiver Privatnutzung des Internets zu befassen (Az. 2 AZR 581/04) und hat noch heute geltende grundlegende Feststellungen getroffen: Beruft sich ein Arbeitnehmer darauf, die Privatnutzung werde vom Arbeitgeber geduldet, so muss er dessen Kenntnis und Gestattung näher darlegen. Sie könne sich allenfalls auf einen „normalen beziehungsweise angemessenen zeitlichen Umfang“ beziehen.
Was noch angemessen ist, musste jedoch nicht entschieden werden, weil dieser Umfang mit einmal fünf Stunden und viermal 30 bis 150 Minuten innerhalb von sechs Wochen nach Auffassung des Gerichts eindeutig überschritten war. Da die Rechtsprechung im Fluss ist, kann nur geraten werden, eine betriebliche Regelung zu schaffen. So wird auch das Entstehen einer betrieblichen Übung vermieden – von der ebenfalls bisher ungeklärt ist, ob durch sie überhaupt ein Anspruch auf die Privatnutzung entstehen kann.
Sanktionen können aus verschiedenen Gründen geboten sein: Zum einen aufgrund des Verstoßes gegen ein Privatnutzungsverbot. Vor allem aber wegen Vernachlässigung der Arbeitspflicht, wenn die Nutzung während der Arbeitszeit geschieht. Daher sollte der Arbeitgeber diesen Umfang prüfen und klären, ob dadurch Arbeit liegengeblieben ist. Gravierend ist es auch, wenn der Mitarbeiter durch unbefugte Downloads die konkrete Gefahr von Vireninfizierung oder anderen Störungen hervorruft oder es bei der Rückverfolgung zu Rufschädigungen insbesondere im Zusammenhang mit pornografischen Darstellungen oder anderen Straftaten kommen kann.
Was geregelt werden sollte
Am Einfachsten ist es sicherlich, die Privatnutzung vollkommen zu verbieten. Das schafft Klarheit und erleichtert die Reaktion auf Missbrauch. Wenn das personal-politisch nicht erwünscht ist, sollte geregelt werden, ob die Privatnutzung auch während der Arbeitszeit erlaubt ist. Klare zeitliche Grenzen, etwa die Beschränkung auf eine Stunde pro Woche, sind unabdingbar. Klauseln wie „in angemessenem Umfang“ führen dazu, dass nur exzessive Grenzüberschreitungen sanktioniert werden können. Das ist angesichts der Ermittlungs- und Beweisschwierigkeiten unbefriedigend.
Wer sich davor scheut, zeitliche Grenzen anzugeben, weil er – sicher nicht ganz zu Unrecht – befürchtet, dass der eine oder andere Mitarbeiter diese dann auch laufend ausreizen wird, sollte seine Mitarbeiter auf die Pausen verweisen. Manche Arbeitgeber verweisen den Mitarbeiter auf ein privates E-Mail-Postfach, das zusätzlich zum betrieblichen eingerichtet werden kann. Das erleichtert den Zugriff auf das dienstliche Postfach. Kontrollen der privaten Korrespondenz sind dann allerdings nahezu ausgeschlossen.
Kontrollrechte und Persönlichkeitsschutz
Große Unsicherheiten bestehen immer wieder bei der Kontrolle der E-Mail-Nutzung. Das hängt vor allem mit § 88 Telekommunikationsgesetz (TKG) zusammen, der Dienstanbieter verpflichtet, das Fernmeldegeheimnis des Nutzers zu schützen. Eröffnet der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer den privaten Mail-Verkehr, könnte ihn das zum Dienstanbieter machen. Somit wären nahezu ausschließlich stichprobenartige Kontrollen zur Sicherung der Systemsicherheit, Leistungsfähigkeit und Kostenerfassung zulässig. Mittlerweile haben allerdings einige Landesarbeitsgerichte entschieden, dass er nicht Dienstanbieter im Sinne des TKG ist (so Berlin-Brandenburg am 16. Februar 2011, Az. 4 Sa 2132/10, und Niedersachsen am 31. Mai 2010, Az. 12 Sa 875/09). Zudem schütze das TKG nur den Übermittlungsvorgang selbst, sodass es das Lesen von bereits eingegangenen E-Mails nicht verbiete. Gleichwohl sind Datenschutz- und Persönlichkeitsrechte zu beachten. Deshalb muss der Arbeitgeber seine betrieblichen Interessen mit den Interessen des Mitarbeiters abwägen.
Eine Erfassung von Verbindungsdaten, etwa Absender, Empfänger, Zeitpunkt der Versendung, ist in der Regel unproblematisch. Auch vom Inhalt geschäftlicher Korrespondenz kann der Arbeitgeber grundsätzlich Kenntnis nehmen, da sie als Teil der Unternehmenskommunikation dem Unternehmen zusteht. Das darf allerdings nicht ausarten; eine umfassende Überwachung „à la Big Brother“ ist rechtswidrig. Ob und wann eine Nutzung zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle zulässig ist, wird daher meist durch Betriebsvereinbarung geregelt. Wer die Privatnutzung erlaubt, bekommt dagegen bei der inhaltlichen Kontrolle Schwierigkeiten: Private Mails dürfen nur gelesen werden, wenn der Mitarbeiter eingewilligt hat. Diese Einwilligung ist jederzeit widerruflich. Sollte das TKG Anwendung finden, wäre ein Verstoß sogar strafbar. Sinnvoll ist es daher, die Erlaubnis zur Privatnutzung an die Einwilligung in bestimmte, verhältnismäßige Kontrollen zu knüpfen. Angemessen ist zum Beispiel eine stichprobenartige, nicht personenbezogene Kontrolle, während personenbezogene Kontrollen erst bei konkretem Verdacht gegen einen bestimmten Mitarbeiter und nur in der ihn am wenigsten beeinträchtigenden Form erlaubt werden.
Diese Frage stellt sich nicht nur, wenn Datenschutzbeauftragte, Betriebsräte oder betroffene Mitarbeiter Bedenken äußern. Auch die Verwertung in einem Arbeitsgerichtsverfahren kann umstritten sein. Mit einem solchen Verwertungsverbot versuchte sich ein stellvertretender Bauamtsleiter zu verteidigen, dessen Arbeitsplatzrechner von seinem Arbeitgeber überprüft wurde, nachdem der Verdacht aufgekommen war, dass er während der Arbeitszeit privaten Belangen nachging. Der Mitarbeiter hatte in einem Zeitraum von etwa sechs Wochen derart häufig private E-Mails versandt und empfangen, dass er zeitweilig gar keine Zeit mehr für die Erledigung seiner Dienstaufgaben hatte, an einem Tag schaffte er es gar, 153 Mails zu beantworten. Nach Auffassung des LAG Niedersachsen (Urteil vom 31. Mai 2010, Az. 12 Sa 875/09), waren diese privaten E-Mails durchaus im Prozess verwertbar. Das ergebe sich aus einer Interessenabwägung, die allerdings dadurch beeinflusst war, dass der Arbeitnehmer den Sachverhalt nicht bestritten hatte. Im Hinblick auf die Verwertungsverbote, die die Rechtsprechung bei heimlichen Telefonüberwachungen oder Videoaufnahmen teilweise annimmt, ist allerdings Zurückhaltung geboten. Eine betriebliche Regelung der Voraussetzungen und Umstände der Kontrolle hilft auch hier.
Abwesende und ausscheidende Mitarbeiter
Besonders drängend stellt sich die Frage des Datenschutzes, wenn der Inhaber des Postfachs aus dem Unternehmen ausscheidet oder erkrankt. Auf Anfragen und Angebote, die per Mail verschickt werden, erwartet der Geschäftspartner meist umgehende Antwort. Werden sie nicht sofort zur Kenntnis genommen, kann das den Verlust eines Auftrages oder sogar die Haftung wegen Fristversäumnissen zur Folge haben. Das Unternehmen ist also dringend darauf angewiesen, dass diese schnell gelesen und beantwortet werden können. Vor allem, wenn die private Nutzung nicht verboten war, stellt das den IT-Administrator und den Datenschutzbeauftragten vor Probleme. Da das TKG Eingriffe in den Übermittlungsvorgang verbietet, wird sogar vertreten, dass das Sperren der Adresse oder das Einrichten eines Abwesenheitsassistenten verboten sei – vorausgesetzt natürlich, dass das TKG überhaupt anzuwenden ist. Streit gibt es in der Praxis glücklicherweise selten, weil der verständige Mitarbeiter weiß, dass es während seiner Abwesenheit im Betrieb weitergehen muss. Dennoch hatte das LAG Berlin-Brandenburg in dem schon zitierten Urteil vom 16.02.2011 tatsächlich über eine solche Unterlassungsklage zu entscheiden. Völlig zu Recht hat der Arbeitgeber diesen Prozess gewonnen, weil er sogar ungewöhnlich viel getan hat, um die Persönlichkeitsrechte der Arbeitnehmerin zu schützen: Schon im Vorfeld hatte er jeden Mitarbeiter verpflichtet sicherzustellen, dass die Erfüllung seiner Aufgaben bei Abwesenheit nicht gefährdet ist. Die vorhandenen Zugriffsrechte hatte die betroffene Mitarbeiterin selbst gesperrt und auf zahlreiche Anrufe und Mails nicht reagiert. Der Arbeitgeber zog schließlich den Betriebsrat und den Datenschutzbeauftragten hinzu, bei der Kontrolle war außerdem eine Sozialbetreuerin der Mitarbeiterin anwesend, sodass sichergestellt war, dass private Mails nicht gelesen werden. Der Prozess zeigt, wie hilfreich innerbetriebliche Regelungen für Vertretungsfälle sind.
Denkbar ist sogar, die Erlaubnis der Privatnutzung davon abhängig zu machen, dass der Mitarbeiter im Falle seiner Abwesenheit des Mitarbeiters oder seines Ausscheidens einen Zugriff eines Vertreters möglich macht. In diesem Fall dürfen zwar erkennbar private Mails nicht gelesen werden, bis zur Erkenntnis, dass es sich um Privatmails handelt, ist ein Lesen jedoch zulässig. Die Abgrenzung wird zudem vereinfacht, wenn der Mitarbeiter verpflichtet wird, private Mails im Betreff als privat zu kennzeichnen und sie nach dem Lesen umgehend zu löschen. Noch drängender ist das Problem, wenn Mitarbeiter fristlos gekündigt oder nach einer Kündigung freigestellt werden. Dann ist Streit vorprogrammiert. Immer häufiger verlangen Arbeitnehmer den Nachweis, dass ihre Privatkorrespondenz geschützt bleibt, und drohen sogar mit Strafanzeigen. Ein Kuriosum bleibt sicherlich der – vergebliche – Versuch eines Arbeitnehmers, per einstweiliger Verfügung die Weiternutzung seiner betrieblichen Mailadresse zu erzwingen, um den Kontakt zu den Kollegen wahren zu können.
Am besten wird schon im Vorfeld geklärt, wie nach dem Ausscheiden verfahren wird. Hat der Mitarbeiter genug Zeit, seine privaten Mails zu löschen, so dürfte er keine Einwendungen dagegen haben, dass Eingänge für eine gewisse Zeit an seinen Nachfolger weitergeleitet werden, bis dieser allgemein bekannt ist. Sollte der Mitarbeiter nicht einverstanden sein, empfiehlt sich das Sperren des Postfachs. Während eines Kündigungsrechtsstreits kann auch eine automatische Antwort an den Absender geschickt werden, sodass dieser seine Nachrichten an den Nachfolger senden kann. So kann die Unternehmenskommunikation gesichert und gleichzeitig das berechtigte Interesse des Mitarbeiters gewahrt werden.
Autorin
Inken Hansen, Fachanwältin für Arbeitsrecht, Aulinger Rechtsanwälte, Bochum,
inken.hansen@aulinger.eu
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