Ausgabe 11 - 2012
Strategisches Ressourcenmanagement
Um das Mercedes-Benz Werk in Bremen als Kompetenzzentrum für die weltweite Fertigung der neuen C-Klasse optimal aufzustellen, wurde die HR-Arbeit neu ausgerichtet. Herzstück der neuen Personalplanung ist das mit dem Deutschen Personalwirtschaftspreis ausgezeichnete strategische Ressourcenmanagement.
Das Mercedes-Benz Werk in Bremen steht mit seinen 12 800 Mitarbeitern vor enormen Aufgaben, die nur im Schulterschluss mit der gesamten Belegschaft zu meistern sind. Die Zielstellung im Daimler-Konzern ist eindeutig: Eine signifikante Steigerung der Absatz- beziehungsweise Produktionsstückzahlen, eine damit einhergehende Verbesserung der Effizienz und ein global ausgerichtetes Produktionsnetzwerk sind die gewünschten Entwicklungen. Im Zuge der Globalisierung der Produktion wird das Werk Bremen eine herausragende Stellung einnehmen und übernimmt eine besondere Verantwortung, da es als Kompetenzzentrum für die weltweite Fertigung der neuen Generation des C-Klasse Modells an vier Standorten die Produktionsanläufe organisiert und steuert. Im Rahmen dieser Rolle sind neue Kompetenzen gefragt, auf die später eingegangen wird.
Komplexe Herausforderungen
Für den HR-Bereich im Mercedes-Benz Werk Bremen ergibt sich eine Vielzahl von Herausforderungen. Jede für sich genommen ist mit klassischen HR-Werkzeugen zwar lösbar, jedoch sind die gegenseitigen Verflechtungen und Beeinflussungen enorm angewachsen und komplex geworden. Bereits im Jahr 2008 hat sich das Werk Bremen projekthaft mit einer ganz besonderen Herausforderung – dem Themenkomplex Aging Workforce – befasst. Spätestens mit der Setzung des Werkes Bremen als Kompetenzzentrum für die neue C-Klasse wurde klar, dass ein projekthaftes Vorgehen nicht ausreicht und ein neuer, innovativer Lösungsansatz gefragt ist. In dieser Situation wurde im HR-Bereich des Werks Bremen die Idee des strategischen Ressourcenmanagements geboren und schließlich im Jahr 2012 erfolgreich implementiert.
Welche Herausforderungen sind dies nun im Einzelnen? Zunächst offensichtlich ist die zunehmende Internationalisierung der Belegschaft. Neben der notwendigen Qualifikation in Sprache und Kultur sind hier Flexibilität, Koordination und strategischer Weitblick gefragt. Die Internationalisierung der Produktion wird mit einem neuen Modell der C-Klasse erfolgen.
Des Weiteren ist ein Technologiewandel vorgezeichnet, dem sich die weltweite Belegschaft stellen muss. Geprägt ist dieser Prozess insbesondere durch eine zunehmende Elektrifizierung der Fahrzeuge, durch den Einsatz von Leichtbautechnologien und von emissionsreduzierenden Maßnahmen. Zur Herstellung neuer Fahrzeuggenerationen sind neue Produktionstechnologien nötig, auf die sich die Produktionsstandorte einstellen müssen. Diese Herausforderungen werden ergänzt durch den unbedingten Willen des Werkes, durch Effizienzsteigerung weiterhin international wettbewerbsfähig zu produzieren und die Zukunft des Standortes zu sichern.
Antworten auf diese Herausforderungen hat der HR-Bereich im Werk Bremen über Jahre entwickelt – und zwar in Form von zielgerichteten Instrumenten, von denen eine Auswahl später noch detaillierter erläutert wird. Zu diesen Instrumenten zählen beispielsweise die Erwachsenenqualifizierung, das aktive Management von Aging Workforce, der Personalumbauprozess „POWER“ und ein Bedarfsdeckungstool zur Ermittlung von Ausbildungszahlen.
Den Blick in die Zukunft wagen
Im Rahmen eines Effizienzsteigerungsprogramms in den produzierenden und indirekten Bereichen des Werkes Bremen, wagte der HR-Bereich den Blick in die Zukunft, statt etwa auf kurzfristigen Personalabbau zu setzen. Das Ergebnis war offensichtlich: Zwar sind beispielsweise im indirekten Personal Optimierungspotenziale grundsätzlich erkennbar, jedoch entsteht ein differenziertes Bild, sobald die altersbedingte Entwicklung bis über das Jahr 2016 hinaus betrachtet wird. Dann nämlich treten Kapazitätsrisiken für verschiedene Fachfunktionen und die vorhandene, ausreichend qualifizierte Belegschaft auf. Es wurde also nötig, alle entwickelten HR-Instrumente so zu gestalten, dass sie einen Fokus über das Jahr 2016 hinaus ermöglichen. Dafür war es unumgänglich, neben der quantitativen Personalplanung auch sehr konkret Einfluss auf die qualitative Passung von strategischer Zielstellung des Werkes und einem damit korrespondierenden Personalkonzept zu nehmen und somit einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen.
Strategische Orientierung geben
Das strategische Ressourcenmanagement wurde als Organisationseinheit mit einem kleinen schlagkräftigen Team aus erfahrenen Mitarbeitern direkt an der Personalleitung des Standortes etabliert. Die Aufgabe dieses Teams ist es für den gesamten Standort Bremen die einzelnen HR-Instrumente derart aufeinander abzustimmen, dass sich jede Einzelmaßnahme in einen Weg einfügt, der bis über das Jahr 2016 hinaus vorgezeichnet wurde. Hierzu musste zunächst dieses Bild überhaupt erst so konkret entwickelt werden, dass es auch für die einzelnen Instrumente anwendbar wurde.
Zur Unterstützung wurde das im Daimler Konzern entwickelte IT-Tool „JobFit“ genutzt. Kern dieses Tools ist die Bedarfsermittlung für kommende Jahre. Die Arbeitsplätze im Werk Bremen sind sogenannten Job-Funktionen zugeordnet. Diese wiederum sind zu Job-Familien und zu Job-Familiengruppen zusammengefasst und beschreiben die Artverwandtschaft und die Austauschbarkeit innerhalb von Funktionen. In intensiver Zusammenarbeit mit den produzierenden und indirekten Bereichen entstand nun ein Zukunftsbild, welches die strategischen Zielsetzungen des Werkes berücksichtigt. Dieses anfangs noch unscharfe Zukunftsbild wurde schrittweise bis auf die einzelnen Job-Funktionen heruntergebrochen und somit weiter detailliert und geschärft. Das JobFit-Tool wird im Daimler Konzern werkübergreifend eingesetzt und ermöglicht es, für beliebige Jahre auf dem Weg zu diesem Zukunftsbild den Personalbedarf und den Personalüberhang für jede Jobfunktion darzustellen. Hierbei werden individuelle Fluktuationsraten und altersbedingte Abgänge berücksichtigt. Das Zukunftsbild dient als strategische Orientierung und als Leitbild, in das sich alle Einzelmaßnahmen einfügen.
Zur Umsetzung des Zukunftsbildes steuert das strategische Ressourcenmanagement nun mehrere Einzelinstrumente und stimmt diese aufeinander ab. Die Einzelinstrumente verfolgen hierbei die drei identifizierten Stoßrichtungen: Spielraum für Einstellungen schaffen, Personalentwicklung betreiben und Verjüngung der Belegschaft erreichen. Für jede dieser Stoßrichtungen sei in Folge jeweils ein Beispiel für ein angewandtes Instrument erläutert (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2
Stoßrichtungen im Ressourcenmanagement

Das strategische Ressourcenmanagement steuert in drei Stoßrichtungen mehrere Einzelinstrumente und stimmt diese aufeinander ab.
Spielraum für Einstellungen nutzen
Im Jahr 2009 wurde ein Prozess zur Optimierung des indirekten Bereiches (im weitesten Sinne Verwaltungsfunktionen) entwickelt. Dieser Prozess wurde im Jahr 2012 auf die neuen Rahmenbedingungen angepasst und „POWER“ benannt. Er wurde als Regelkreis aufgesetzt und fußt auf sachlichen Optimierungsmaßnahmen, die in den Fachbereichen zur Effizienzsteigerung erarbeitet werden. Im Laufe des Prozesses werden diejenigen Mitarbeiter identifiziert, die von diesen Maßnahmen betroffen sind und der Betriebsrat mit einbezogen. Gemeinsam werden für die Mitarbeiter neue Beschäftigungsmöglichkeiten identifiziert und der gegebenenfalls notwendige Qualifizierungsbedarf beschrieben. Die Aufgabe des strategischen Ressourcenmanagements ist es hierbei, die Passung der geplanten Umsetzung in das Zukunftsbild des Werkes sicherzustellen. Eindeutiges Konzeptelement des Prozesses sind die Einbeziehung des Mitarbeiters und die Abstimmung der infrage kommenden Beschäftigungsmöglichkeiten mit allen Beteiligten. Bislang konnten mit Hilfe des POWER-Prozesses bereits rund 80 neue Beschäftigungsoptionen aufgezeigt werden.
Personalentwicklung vorantreiben
Das Instrument der Qualifizierung und insbesondere der Erwachsenenqualifizierung folgt der Stoßrichtung Personalentwicklung. Das im strategischen Ressourcenmanagement entwickelte Konzept ermöglicht eine gezielte Um- und Weiterqualifizierung von Mitarbeitern. Sollen Mitarbeiter auf anderen Arbeitsplätzen als bisher eingesetzt werden, ist in vielen Fällen eine Umqualifizierung nötig. Hierzu werden die Qualifizierungsmaßnahmen passgenau auf die Zielgruppe abgestimmt. Zu berücksichtigen sind hier insbesondere das Alter der jeweiligen Mitarbeiter, die bisherige Ausbildung und die aktuell ausgefüllte Job-Funktion.
Durch diese zielgenaue Ausprägung der Qualifizierung konnten im Werk Bremen seit 2010 zirka 200 Mitarbeiter umgeschult und neu eingesetzt werden. Insbesondere hervorzuheben sind in diesem Kontext beispielsweise die Qualifizierung von Mitarbeitern aus dem Bereich der Montage zu Anlagenbetreuern für den Bereich Karosseriebau sowie die Erwachsenenqualifizierung, bei der generationenübergreifend Mitarbeiter mit einem Metallberuf (zum Beispiel Kfz-Schlosser) zu Werkzeugmechanikern umqualifiziert werden. Diese Qualifizierung legt zugrunde, dass auch die Mitarbeiter bereit sind, neue Wege zu gehen und sich zu verändern. In diesem Kontext bietet die Erwachsenenqualifizierung einen ganz neuen Weg, da die Erwachsenen Seite an Seite mit den jungen Auszubildenden arbeiten und voneinander lernen.
Verjüngung der Belegschaft
Um dem Ziel der Verjüngung der Belegschaft zu folgen, hat der HR-Bereich im Werk Bremen einen Prozess zur Ermittlung der Bedarfsdeckung durch Berufsausbildung und Dual-Studium entwickelt. Ausgangsgedanke hierfür war die methodische Zusammenführung von komplexen Einflussparametern auf die Ermittlung der richtigen Ausbildungszahlen und -inhalte. Diese Einflussparameter sind unter anderem die Personalbedarfe ab 2016 (mit dem Beginn der Berufsausbildung im Jahr 2013), die sich aus dem oben erläuterten JobFit-Tool und damit der strategischen Zielsetzung des Standortes ergeben. Aber auch die technologischen Entwicklungen am Produkt und in der Produktion, die Fluktuation bei einzelnen Berufsgruppen, die Interessensentwicklung von Schulabgängern und viele weitere Faktoren müssen jedes Jahr aufs Neue berücksichtigt werden. Der Prozess besteht grob betrachtet aus drei Schritten: Bedarfsermittlung, Marktanalyse und der anschließenden Gegenüberstellung der Ergebnisse mit Maßnahmenableitung.
Entscheidender Beitrag zur Unternehmensentwicklung
Mit Start der projekthaften Aktivitäten im Jahr 2008 wurde das Durchschnittsalter der Belegschaft für das Jahr 2012 prognostiziert. Dank des Einsatzes der beschriebenen HR-Instrumente kann diese Prognose um 1,5 Jahre unterschritten werden. Zusammenfassend lässt sich nach mehreren Jahren der Entwicklung feststellen, dass die Schaffung dieser Funktion die Personalarbeit der Zukunft darstellt und eine richtige sowie notwendige Entscheidung war. Das strategische Ressourcenmanagement am Standort Bremen hat die Verantwortung übernommen, in einem ganzheitlichen Ansatz einen entscheidenden Beitrag zur Umsetzung der strategischen Ziele des Mercedes-Benz Werks Bremen und damit gleichzeitig des gesamten Mercedes-Benz Produktionsnetzwerks zu leisten.
Autor
Heino Niederhausen, Leiter Personal, Mercedes-Benz Werk Bremen
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