Ich wollte nur mal „Hallo“ sagen
Seit einigen Jahren klopfen die Bewerber der „Generation Y“ an die Türen der Unternehmen und erbitten Einlass. Traut man gängigen Studien, so bringen die Youngsters ganz eigene Ansichten, Werte und vor allem Kommunikationsmodalitäten mit.
Was sie von den Unternehmen und ihren Personalern erwarten? Vor allem Offenheit, Transparenz und Dialog auf Augenhöhe. Und: Es muss alles zackig gehen. Geduld ist nicht gerade ihre Stärke – denn die Net Generation ist es gewohnt, dass praktisch alle Informationen nur ein oder zwei Klicks beziehungsweise Swishes entfernt sind. Viele dieser jungen Menschen sind kaum jemals offline, Smartphone oder Tablet liegen immer in Griffweite. Wie geht es meinem Kumpel, der gerade ein Auslandssemester in Südafrika macht? Was sagt Techcrunch zum neuen iPhone? Und wie viele Likes hat das Foto von dem Konzert bekommen, das ich gestern besucht habe?
Instant Feedback
Gerade die letzte Frage mag den Facebook-Verweigerern unter der Leserschaft etwas merkwürdig vorkommen, aber sie ist von herausragender Bedeutung. Die Generation Y dürstet es nach Feedback. Sie ist durch die diversen Interaktionsmöglichkeiten auf den Social Media-Plattformen geradezu darauf konditioniert, unmittelbares Feedback zu erhalten und auch zu geben: Ich poste etwas.
Spätestens zwei Minuten später ernte ich die Likes und Kommentare meiner „Freunde“ – im besten Fall. Oder aber: Niemand reagiert. Das ist die Höchststrafe. Und was vor drei Tagen war, interessiert eigentlich niemanden mehr. Das hat übrigens auch weitreichende Konsequenzen für das Thema Führung an sich. Einmal pro Jahr ein Mitarbeitergespräch und ansonsten heißt es „Nicht geschimpft ist Lob genug“? Die Net Generation wird Ihr Haus schneller verlassen, als Sie „Jahresbonus“ sagen können.
Einbahnstraße Karriereseite
Dementsprechend zwiespältig ist auch ihr Verhältnis zu klassischen (statischen) Karriere-Webseiten. Einerseits stellen diese laut Studien von Personalmarketing-Instituten nach wie vor den wichtigsten Kommunikationskanal dar, wenn sich die heutige Studentenschaft über die Karriereoptionen eines Unternehmens informieren will. Andererseits entspricht diese „kommunikative Version einer Einbahnstraße“ nicht mehr ihrem Bedürfnis nach unmittelbarem Austausch mit einem Interaktionspartner. In diesem Sinne gehen wir auch davon aus, dass statische Karriereseiten in einigen Jahren vollkommen ausgedient haben werden.
Für den Augenblick stellen sie jedoch noch die „Landebahn“ für die meisten Bewerber dar, während Social-Media-Plattformen maximal die Funktion des „Zubringers“ zukommt. Den Schritt, sich direkt via Facebook & Co. zu bewerben, wollen derzeit noch wenige Jobsuchende gehen, obwohl entsprechende Applikationen längst vorhanden sind. Hier gibt es also eine deutliche Diskrepanz zwischen den Nutzungsgewohnheiten und den technischen Möglichkeiten – insbesondere im nichtangelsächsischen Raum; in den USA ist man wie so häufig einige Jahre voraus. Den sozialen Medien haftet speziell in Deutschland immer noch das Manko des Unverbindlichen an: Als Info-Kanal funktionieren sie, aber wenn es um die (Bewerbungs-)Wurst geht, vertraut man lieber auf die gute alte E-Mail oder die noch ältere Schneckenpost. Was können Unternehmen tun, um dieser Diskrepanz Herr zu werden? Können klassische Karriereseiten ein bisschen mehr „social“ werden, ohne ihre grundsätzliche Form vollständig aufzugeben?
Spontaner Chat mit dem Recruiter
Einen solchen Schritt hat Bertelsmann Anfang 2012 gemacht. Auf www.createyourowncareer.de, der konzernübergreifenden Karriereseite des Konzerns, wurde vor einigen Monaten ein Plug-in der Firma „SnapEngage“ installiert. Es handelt sich eigentlich um eine Anwendung für E-Commerce-Anbieter und sie macht vereinfacht gesagt Folgendes: SnapEngage „springt an“, wenn der Eindruck entsteht, dass ein Website-Besucher noch nicht die Information gefunden hat, die er gerade sucht. Das Tool erkennt gewissermaßen, dass die Einweg-Kommunikation fehlgeschlagen ist und eröffnet die Möglichkeit zum direkten Dialog mit dem Bewerber. In diesem Fall ist das System zum Beispiel so konfiguriert, dass es sich automatisch einschaltet, wenn auf einer beliebigen Seite der Homepage mindestens 15 Sekunden lang keine neue Aktion erfolgt. Sodann öffnet sich ein „Chat Agent“ und der Besucher wird automatisch von Bertelsmann begrüßt und gefragt, ob er Hilfe benötigt (Abbildung 1).
Abbildung 1
SnapEngage

Nachdem sich der „Chat Agent“ geöffnet hat, wird der Besucher automatisch von Bertelsmann begrüßt und gefragt, ob er Hilfe benötigt.
Am anderen Ende der Leitung erhält unser E-Recruiting-Team ebenfalls ein Signal; es gibt einen Pool von Mitarbeitern, die an das System angeschlossen sind. Wer gerade Zeit hat, öffnet das zugehörige Chat-Fenster. Steigt der Website-Besucher nach der automatischen Begrüßung in den Dialog ein, so kann er ad hoc mit allen Informationen versorgt werden, die er gerade benötigt. Häufig geht es dabei um Jobanfragen, die über die aktuellen Postings hinaus gehen, Detailfragen zum Bewerbungsprozess, unsere Ausbildungsplätze und das hausinterne duale Studium – aber auch allgemeine Anfragen zu Bertelsmann. Dies ist jedoch nur der vordergründige Nutzen. Zwischen den Zeilen steht noch eine andere, im Zweifel wichtigere Botschaft: Wir nehmen’s persönlich! Der Besucher wird nicht mit einem anonymen Großkonzern konfrontiert, sondern – wenn auch nur virtuell – mit einem Menschen aus Fleisch und Blut.
Dieser Service wird gegenwärtig in Deutschland wochentags zu den normalen Bürozeiten angeboten. Außerhalb der Servicezeiten wird der Interessent gebeten, eine E-Mail zu hinterlassen, die dann am Folgemorgen beantwortet wird.
Sind Sie ein Mensch, Bitch?
Das Fazit bisher: Bertelsmann ist begeistert, weil die User begeistert sind. Die Rückmeldungen der Website-Besucher sind ausnehmend positiv. Viele davon sind im wahrsten Sinne verblüfft. Sie fühlen sich persönlich abgeholt, erhalten die Wertschätzung einer 1:1-Betreuung und genießen somit das Beste aus der alten und der neuen Online-Welt. Selbst, wenn am Ende des gesamten Kontaktzyklus kein Job für einen bestimmten Bewerber offensteht, trägt die Unmittelbarkeit dieses Service-Prozesses entscheidend dazu bei, ein positives Gesamtbild des Unternehmens zu hinterlassen (Abbildung 2).
Abbildung 2
Im Dialog mit SnapEngage

Die Unmittelbarkeit des Service-Prozesses trägt entscheidend dazu bei, ein positives Gesamtbild des Unternehmens zu hinterlassen.
Natürlich hat das e-Recruiting-Team über die ersten Monate einsichtsvolle und bisweilen sehr komische Lernerfahrungen gemacht. So wurde Bertelsmann durch vereinzelte Erlebnisse vor allem dafür sensibilisiert, wie wichtig es ist, wer genau an unserem Ende der Leitung sitzt. Idealerweise sind das Mitarbeiter, die den Kommunikationsstil der jungen Generation kennen und teilen – oder zumindest nachvollziehen können.
Einer der Website-Besucher war zum Beispiel derart von der persönlichen Ansprache verblüfft, dass er zunächst eine Art „Touring-Test“ mit dem betreuenden Mitarbeiter durchführen wollte: Er glaubte zu Beginn einfach nicht, dass am anderen Ende ein echter Mensch und kein Computer in die Tasten haut – und wollte da erst mal hundertprozentig sichergehen. Oftmals werden insbesondere die Damen im Team nach ihrer Telefonnummer gefragt und wann sie denn wohl mal Pause hätten. Ein Interessent schließlich – vermutlich kein klassischer „High Potential“ – verabschiedete sich kurzerhand mit den folgenden Worten aus einem Dialog: „Bin jetzt off, Bitch!“ Er hat das sicher ganz nett gemeint…
Autoren
Dr. Nico Rose, Director Corporate Management Development, Bertelsmann SE & Co. KGaA, Gütersloh,
nico.rose@bertelsmann.de
Johanna Scheffer, Projektmanager Employer Branding, embrace | Medienfabrik Gütersloh GmbH
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