Ausgabe 11 - 2013
Lohnsteigerungen in Sicht
Der Mindestlohn ist ein bestimmendes Thema der nächsten Legislaturperiode. Gute Gelegenheit für HR-Manager, Position zum Thema zu beziehen – dachten wir. Während die Union in Berlin mit SPD und Grünen sondierte, baten wir führende Personalmanager um ihre Meinung. Doch die Szene hält sich bedeckt: Sicher ist sicher.
Zu sehr vielen Themen wollen Personaler sehr gerne etwas sagen, aber beim Stichwort Mindestlohn verschließen sie sich wie unglücklich gestrandete Austern. „Das ist Sache der Politik“, windet sich der eine, „da fragen Sie besser den Vorstand“, wehrt die andere ab, „das betrifft uns gar nicht“, verweigert der Dritte jeglichen Kommentar. Selbst der Deutschen Gesellschaft für Personalführung (DGFP) reichen sieben Tage nicht aus, um einen Standpunkt zu zimmern. „In so kurzer Zeit können wir das nicht mit unseren Mitgliedern abstimmen“, bedauert Sprecherin Danica Dorawa.
Und die Politik? Wenn auch zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses in Berlin noch Sondierungsgespräche laufen, ist klar: Keine künftige Bundesregierung kann die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn ignorieren. Die Union wird eine Kröte schlucken müssen. Am einfachsten wäre eine Einigung wohl noch einer rot-rot-grünen Koalition gefallen. Links der Mitte war man sich immerhin schon im Wahlkampf einig, dass es ohne gesetzlichen Mindestlohn nicht gehe. Verhandlungen unter CDU/CSU-Führung stellen sich da naturgemäß zäher dar.
Sache der Tarifpartner?
Tariflich beschlossene Lohnuntergrenzen gibt es längst nicht in allen Wirtschaftszweigen – und ausgerechnet dort nicht, wo Menschen für Hungerlöhne von drei bis vier Euro in der Stunde zu arbeiten bereit sind, weil sie sonst gar keine Arbeit finden: im Handel, in der Gastronomie, in konsumnahen Dienstleistungen; überwiegend in Ostdeutschland, in Jobs für Ungelernte, Ausländer und für Arbeitnehmer mit Handicaps aller Art, die nehmen, was sie kriegen können. „Angesichts hoher und sehr hoher Managergehälter kann tatsächlich niemand verstehen, dass jemand für einen Stundenlohn von fünf oder sechs Euro arbeiten muss“, zeigt Joachim Sauer, Präsident des Bundesverbands der Personalmanager (BPM) in Berlin, Verständnis für den Wunsch nach Verteilungsgerechtigkeit. Er ist überzeugt, dass irgendwann ein flächendeckender Mindestlohn kommen werde. Doch ob es dazu eines Gesetzes bedarf? Der Verbandspräsident weist auf die bisherige Praxis hin, in der das Thema den Tarifpartnern überlassen wurde. „Möglicherweise läuft es in dieser Legislaturperiode genau so weiter“, sinniert Sauer, „vielleicht zieht die Politik auch einen aggressiveren Mechanismus ein und schreibt Mindestlöhne in solchen Branchen dort vor, in denen es keine Gewerkschaften gibt.“ Und überhaupt: Viele BPM-Mitglieder seien in tarifgebun-denen Unternehmen tätig. Für die habe die Mindestlohn-Debatte eine geringere Bedeutung.
Und doch ist der in Rede stehende Mindestlohn ein Thema für HR. Betriebswirtschaftlich für den einen mehr, für den anderen weniger. Doch die nationalökonomischen Folgen des auf dem Verhandlungstisch ausgebreiteten Kaffeesatzes zeichnen sich ab:
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In 20 der 27 EU-Mitgliedsstaaten gibt es, oft schon seit vielen Jahren, einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Die deutsche Sperrigkeit trägt nicht eben zu einer Welle der Sympathie im Ausland bei.
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In keinem Land konnte nach Einführung eines Mindestlohnes ein negativer Einfluss auf die Beschäftigung nachgewiesen werden. Das besagt allerdings nicht viel, denn möglicherweise wäre die Beschäftigung ohne Mindestlohn noch stärker gestiegen.
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Kritiker betonen die Gefahr, dass Mindestlöhne die Chancen für gering Qualifizierte verringern: Welcher Kneipier, welcher Transporteur, welcher Tagesmütter- und Babysittervermittler könne seinen Helfern schon 8,50 Euro oder mehr je Stunde zahlen? Ein gesetzlich festgezurrter Mindestverdienst, so das schwerste argumentative Geschütz, würde Millionen Niedriglohn-Jobs kosten und die Sozialkassen sprengen.
Aufschlussreiche DIW-Analyse
Diese Befürchtungen hat das Berliner Wirtschaftsforschungsinstitut DIW in seinem Ende September vorgelegten Wochenbericht Nr. 39/2013 emotionslos zerbröselt. „Generell muss ein Mindestlohn nicht mit Arbeitsplatzverlusten einhergehen“, schreiben die Ökonomen Karl Brenke und Kai-Uwe Müller gleich zu Beginn. Es gebe aber Hinweise darauf, dass die Wirkungen stark von der Höhe der festgesetzten Lohnuntergrenze abhingen. Entscheidend sei also nicht, ob der Gesetzgeber einen Mindestlohn vorschreibe, sondern wie hoch dieser angesetzt werde.
Durch einen einheitlichen Mindestlohn könne zwar die Lohnspreizung geschmälert und die Einkommensverteilung ein Stück weit gerechter werden, räumt das DIW ein. Zu einer wesentlichen Verringerung der Armut komme es aber ebenso wenig wie zu einem Rückgang der Zahl der Hartz IV-Aufstocker. Anders als die Befürworter eines Mindestlohns erwarten die Wissenschaftler auch keinen Kaufkraftschub. Denn bundesweit werde sich die Lohnsumme bei Einführung eines Mindestlohns von 8,50 Euro um gerade mal drei Prozent, bei 10 Euro um fünf Prozent erhöhen. Im Schnitt drei beziehungsweise fünf Prozent höhere Löhne würden allerdings die Arbeitgeber erheblich belasten. Das seien nicht etwa Konzerne und große Mittelständler, in denen schon heute ordentlich bezahlt werde, sondern mehrheitlich regional tätige und auf Kante kalkulierende kleine und Kleinstbetriebe in der Landwirtschaft, im Einzelhandel, im Gastgewerbe, in der Gesundheits- und Pflegebranche sowie in privaten Haushalten. Die werden sich dann zweimal überlegen, ob sie es sich leisten können, zusätzliches Personal einzustellen, und im Zweifel ihre Preise anheben. Für BPM-Präsident Joachim Sauer ist sonnenklar: „Die steigenden Löhne werden sich mit Sicherheit in höheren Preisen niederschlagen. Ich bezweifle, dass das den Verbrauchern so bewusst ist.“
Die Wissenschaftler rechnen vor, dass aktuell 17 Prozent aller Arbeitnehmer von einem Mindestlohn von 8,50 Euro je Stunde profitieren würden, da sie bisher weniger nach Hause brächten. Bei 10 Euro habe schon jeder Vierte einen Anspruch auf mehr Lohn – vor allem Frauen, da sie zu einem weit höheren Anteil gering bezahlte Tätigkeiten ausübten. Folglich würden vor allem die Einkommen von Friseurinnen, Arzthelferinnen, Köchinnen, Pflegerinnen, Anwaltsgehilfinnen und Bürokräften steigen. Die größte Gewinnergruppe sind geringfügig Beschäftigte, in der Regel also Schüler, Studenten, Rentner und Arbeitslose. Mehr als jeder zweite in dieser Gruppe könnte sich über eine Lohnerhöhung freuen. Auf der Ebene der Haushaltseinkommen jedoch, das zeigten alle Studien, sei die umverteilende Wirkung eines Mindestlohnes sehr gering. Denn Niedriglohnbezieher lebten oft in einem Haushalt mit Normalverdienern zusammen. Der Mehrverdienst des einen wird dann über die höhere Steuer des anderen oder durch verringerte staatliche Transfers weggeschnappt. Die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes in Deutschland sei, so resümieren die DIW-Ökonomen, ein „Feldexperiment, das mit Bedacht angegangen werden sollte.“
Ein Nullsummenspiel?
Für Siegfried Baumeister, früherer Personalleiter der Voss-Gruppe in Wipperfürth, heute Vorstand der Hans-Hermann-Voss Stiftung und Vorsitzender der Initiative Selbst-GmbH, ähnelt die Diskussion um den Mindestlohn einem Nullsummenspiel. „Ich komme aus einer Welt, die das tariflich geregelt hat, und da hat der Mindestlohn null Auswirkungen“, sagt Baumeister, denn der unterste Metalltarif liege oberhalb von 8,50 Euro. „Also ist das nur ein Problem für Betriebe, die nicht tariflich gebunden sind. Und im prekären Bereich, und da ist das auch in Ordnung.“ Darüber hinausgehende gesetzliche Regelungen nähmen allenfalls die Tarifpartner aus der Pflicht, und das verschiebe nur die Verhältnisse. „Die Unternehmen sagen, wir halten unsere deutsche Stube in Ordnung. Aber wenn es dann ums Kostensparen geht, wandern die meisten doch ins Ausland.“
Autorin
Christine Demmer, freie Journalistin, Värnamo (Schweden)
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