Ausgabe 11 - 2013
Den Wandel gestalten
Immer wieder wird die Gestaltung organisationaler Veränderungsprozesse in enge Verbindung zum Personalbereich gebracht. Zu Recht, meint unser Autor: Hier kann HR seine Kompetenzen voll zur Geltung bringen.
Über wegweisende Kursänderungen eines Unternehmens entscheidet nach wie vor das Management. Doch die eigentliche Herausforderung – die Gestaltung und Strukturierung des Veränderungsprozesses – ist eine maßgebliche Aufgabe von HR. Sieben Thesen zur Verantwortung und zum Spielraum von HR in Zeiten des Wandels:
1. Change Management bleibt zentrale HR-Zukunftsaufgabe
Trendstudien sind Pulsmesser für die Anziehungskraft von Themen. Ausnahmslos an der Spitze der HR-Umfragen der letzten Jahre stehen die Themen Talent Management und Leadership Management. Doch schon knapp dahinter liegt Change Management – ein Feld, das in vielen Unternehmen defizitär bestellt ist. Denn vielerorts läuft die Gestaltung organisatorischer Veränderungsprozesse alles andere als rund. Wandel ist immer. Und HR sollte den Anspruch haben, diesen Wandel zu führen.
2. Change Management integriert HR-Kernthemen
Wenn also Leadership und Talent Management in Unternehmen die beiden dominierenden Herausforderungen der People-Dimension sind, hat das direkte Auswirkungen auf das Change Management. Leadership Management (Ziel: „Bessere Führungskräfte!“) und Talent Management (Ziel: „Qualifizierter, engagierter und loyaler Nachwuchs!“) müssen demnach im Kern der Transformations-Architekturen von Veränderungsprozessen stehen. Dies erfordert Kooperation über Abteilungsgrenzen hinweg: Zusammenhang und Zusammenklang im Vorgehen.
3. Change Management basiert auf gutem HR-Image
Der Ruf der HR-Funktion ist ramponiert - das ist bekannt. Dieses schlechte Renommee resultiert aus beträchtlichen Verkrustungen, es ist ein Ergebnis jahrelanger Entwicklungen. Nicht wenige Personalbereiche würden sich alleine dadurch enorm revitalisieren, wenn sie sich von ihren zehn Prozent Niedrigleistern trennen würden. Mit solch angeschlagenem Ruf hat HR bei Veränderungsprozessen freilich einen schweren Stand. Vom Business werden dann bevorzugt Dritte – etwa externe Dienstleister – mit der Gestaltung des Wandels beauftragt. HR bleibt außen vor.
Gelingt es dem HR-Bereich jedoch durch seine Aktivitäten nachhaltigen Mehrwert für die Organisation zu stiften, kann lediglich noch Undankbarkeit dem Respekt im Wege stehen. Dies bleibt eine bedauerlicherweise schwierig zu verändernde persönliche Eigenschaft mancher (Business)-Menschen.
Wer Führungskräften bei Veränderungen größere und kleinere „People“-Steine aus dem Weg räumt, auf mögliche Schwierigkeiten bei den „weichen Fakten“ aufmerksam macht und gleichzeitig überzeugende Lösungen anbietet, darf Respekt erwarten. Entscheidungsreife Vorbereitungen, starke Argumente bei unterschiedlichen Auffassungen, und das alles mit einem Lächeln auf den Lippen:
So wird HR – und auch der einzelne Personaler – bei den internen Kunden Bestätigung für eine aktive Rolle bei Veränderungen erhalten.
4. Change Management wirkt in transaktionale HR-Hemisphäre
Zunehmend teilt sich HR in zwei unterschiedliche Welten: eine mit dem Schwerpunkt auf Transaktion und Kostensenkung bei Personalfaktor- und Personalfunktionskosten sowie eine zweite rund um Transformation und Wertschöpfung aus der People-Dimension. Organisatorische Veränderung wirkt in beide Hemisphären hinein.
Die mit Abstand wichtigste Aufgabe von Personalbereichen bei Transformationen - die Freisetzung beziehungsweise Rekrutierung von Mitarbeitern – ist eine transaktionale. Bei Veränderungsprozessen sind jedoch auch andere personalwirtschaftliche Aktionsfelder tangiert: Prozesse müssen angepasst, Regelungen angeglichen, Systeme aufdatiert, Strukturen abgestimmt, Schnittstellen nachgeführt und Mitarbeiter entwickelt werden. Dies alles kostet Zeit, Kraft und Geld.
Erschwerend kommt hinzu: In langlebigen Firmen sind über viele Jahre hinweg HR-Parallelwelten mit immensen Komplexitätskosten entstanden. Jede traditionsschwangere HR-Administration liegt als Ballast auf der Organisationsentwicklung. Unternehmen mit einer Historie von Umstrukturierungen und Firmenkäufen laufen Gefahr, sich bei Querschnittsfunktionen wie HR komplett zu verknoten. Zudem schreiben sie oft noch Betriebsvereinbarungen und entsprechende Besitzstände aus den siebziger Jahren fort.
Ein derzeit noch seltener Zustand optimierter Anpassungsfähigkeit von Personalbereichen wird künftig zur Grundvoraussetzung für Veränderungsprozesse: „Adaptive HR“. Eine Umstellung der Personalwirtschaft „auf Knopfdruck“ bleibt wohl auch in Zukunft eine träumerische Vision. Aber zwischen einem desaströsen Ist und einem utopischen Soll sind in jedem Fall signifikante Fortschritte vorstellbar.
Es nicht sein, dass selbst kleinere Anpassungen in unserer transaktionalen Welt jedes Mal zur umständlichen Einzelfertigung und aufwendigen Handarbeit werden. Jedes Unternehmen muss sich daher fragen, wie viel nicht wertschöpfende Varianz es in seinem „Eigenkosmos HR“ weiterhin als Handschellen der Transformation kultivieren möchte.
5. Change Management als Kernaufgabe im HR Business Partnering
Business Partnering ist inzwischen in vielen Unternehmen angekommen. Doch die Praxis zeigt, dass es kein klares Verständnis der Business-Partner-Rolle gibt. Vielmehr existieren Variationen von Antworten auf ähnlich lautende Fragen. Selbst beim Erfinder des Business Partnering, Dave Ulrich, hat sich terminologisch und konzeptionell mittlerweile einiges getan – gerade beim Blick auf die Gestaltung des Wandels. Anfangs sprach er noch von HR als „change agent“ (1997). Zwischenzeitlich entwickelte sich diese Funktion zur Individualrolle eines „culture and change steward“ (2007), und mittlerweile zu jener des „change champion“ (2012). In anderen Worten: Kein Wandel ohne HR.
HR treibt den Wandel. Dabei geht es letztendlich immer um Wertschöpfung aus der People-Dimension. Dazu gehört natürlich die Verantwortung, den Wandel neben den Business-Anforderungen „menschennah“ zu gestalten. Es ist mittlerweile breiter Konsens, dass Change Management zu den Kernaufgaben im Business Partnering zählt.
6. Change Management als Kompetenzcenter ringt um Wertschöpfung
Größere Unternehmen haben oft Change Management-Abteilungen als Kompetenzcenter: Sie sollen nicht nur aktiv in Veränderungsprojekten mitarbeiten und konkrete Resultate liefern, sondern haben zudem eine normsetzende Funktion („policies“ oder „governance“). Diese üben sie auf vielfältige Weise aus – etwa durch firmenspezifische Veränderungsmodelle, Werkzeugkästen, Trainingsangebote oder beim Einkauf externer Dienstleistungsanbieter.
Aber: Solche Kompetenzcenter haben sich in der an konkreter Wertschöpfung interessierten Unternehmensrealität selten als durchsetzungsstark, maßgeblich und langlebig erwiesen. Viele von ihnen sind gewissermaßen demonstrativer Konsum in Luxuszeiten einer Organisation – mit häufig kurzer Halbwertszeit, spätestens bis zur nächsten Kostensenkungswelle.
Anerkennung ziehen Change Management-Abteilungen und ihre Protagonisten viel eher aus einer ergebnisorientierten Mitwirkung bei Transformationsvorhaben der Organisation. Querschnittsfunktionen wie das Change Management sollen sichtbaren Mehrwert für ihre internen Kunden abliefern, ansonsten das Business Management aber möglichst in Ruhe lassen und nicht mit überflüssigen Anforderungen oder Einwänden stören.
7. Change Management hilft bei HR-Transformation
Es gibt rauchende Ärzte, Paartherapeuten, denen die eigene Beziehung misslingt und Consultants mit ausgeprägter Beratungsresistenz. Und es gibt HR-Bereiche, die ihre eigenen Veränderungsprozesse ohne, mit zu wenig oder mit halbseidenem Change Management durchführen. „Walk the talk“ sollte für jeden Personaler bei den anstehenden HR-Transformationen kein flotter Spruch aus einer fremden Sprache sein.
Martin Claßen: „Change Management aktiv gestalten“. Im Sommer ist die 2., aktualisierte und erweiterte Auflage des Personalwirtschaft-Buchs erschienen. Von der Standortbestimmung bis hin zu den Instrumenten, hilft das Grundlagenwerk, Veränderung erfolgreich zu managen. Neu in dieser Auflage: 23 Change-Experten aus Wissenschaft und Praxis im Interview. Luchterhand Verlag, ISBN 978-3-472-08534-8.
Autor
Martin Claßen, HR- und Change Management-Berater, Freiburg,
martin.classen@people-consulting.de
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