Potenziale schnell erkennen
Um mithilfe der Potenzialanalyse den geeigneten Bewerber für eine Stelle zu identifizieren, setzen immer mehr Unternehmen Online-Assessments ein. Der Erfolg dieser effizienten Methode ist jedoch von einigen Bedingungen abhängig.
Ob qualifizierte Führungskraft oder Vertriebstalent – wird ein neuer Mitarbeiter eingestellt, ist dies meist der Endpunkt eines längeren Auswahlprozesses. Instrumente der Potenzialdiagnostik, zu denen auch Online-Assessments gehören, können viel dazu beitragen, dass die Personalentscheidung zum Auftakt einer erfolgreichen Zusammenarbeit wird. Dabei ist jedoch einiges zu beachten.
So können potenzialdiagnostische Verfahren nur dann sinnvoll angewendet werden, wenn die qualitativen und quantitativen Anforderungen einer beruflichen Aufgabe im jeweiligen Unternehmen valide erhoben worden sind. Wenn ein potenzialdiagnostisches Instrument die falschen Kompetenzen erfasst, kann es die Entscheidungssicherheit nicht erhöhen.
Unentbehrlich: Anforderungsprofil
Denn damit die entsprechenden Entscheidungen nachhaltig positive Wirkung zeigen, dürfen sie nicht im luftleeren Raum gefällt werden. Die Auswahl des geeigneten Personals muss sich vielmehr an der Vision orientieren, wo ein Unternehmen in fünf, acht oder zehn Jahren stehen wird. Erst wenn die damit verbundenen Ziele definiert sind, kann sich „der Mitarbeiter der Zukunft“ herauskristallisieren. Auf diese Weise wird deutlich, welche Kompetenzen künftige Beschäftigte mitbringen sollten und wie sich das Potenzial der vorhandenen Belegschaft ausschöpfen lässt.
Grundsätzlich gilt also: Personalbeschaffung sollte immer die Unternehmensstrategie im Auge haben. Auf deren Basis werden die fachlichen, persönlichen, methodischen sowie sozialen Kompetenzen beschrieben, die die Mitarbeiter besitzen müssen, um eben diese Strategie zu realisieren. Am Ende dieses systematischen Vorgehens steht dann das unternehmensspezifische Kompetenzmodell. Es ist die Basis für alle Instrumente, Prozesse und Verfahren der Personalarbeit.
Eine fundierte Potenzialdiagnostik ist ein unerlässliches Mittel, um das unternehmensspezifische Kompetenzmodell umzusetzen. Auf diese Weise können teure Fehlentscheidungen bei einer Stellenbesetzung vermieden werden. Denn die Kosten für Vergütung während der Probezeit, Neurekrutierung und -besetzung sowie Folgekosten summieren sich schnell auf einen sechsstelligen Betrag.
Teure Fehlentscheidungen vermeiden
Um dieses Risiko zu minimieren, können sich Entscheider bei Personalbeschaffung und -entwicklung durch psychologisch fundierte Online-Assessments unterstützen lassen. Denn es ist erwiesen, dass wissenschaftlich konzipierte potenzialdiagnostische Verfahren wesentlich dazu beitragen, den richtigen Bewerber für die richtige Stelle auszuwählen. Die Vorteile dieser Verfahren bestehen darin, dass sie leicht zu handhaben, schnell durchführbar und kostengünstig sind.
Das Gros der Verfahren, die derzeit am Markt vorhanden sind, erfasst ein bestimmtes Set an Merkmalen. Der Anwender im Unternehmen muss im Zweifelsfall in Kauf nehmen, Kompetenzen zu testen, die nicht exakt seinen unternehmensspezifischen Anforderungen entsprechen oder die ihn nicht interessieren. Um spezifische Anforderungen möglichst konkret zu erfassen, sollten individualisierbare Assessments eingesetzt werden. Moderne Verfahren schneiden die Potenzialanalyse auf die spezifischen Anforderungen in einem Unternehmen und für eine Tätigkeit zu. Das kann dann beispielsweise so aussehen, dass man bei einem Controller Durchsetzungsstärke, Sensibilität, Konfliktstärke, Stressresistenz, Kooperation sowie Veränderungsbereitschaft prüft. Bei einer Führungsnachwuchskraft wären eher Stabilität, Steuerung, Stressresistenz, Führungsmotivation, Selbstreflexion, Veränderungsbereitschaft, Empathie, Mitarbeiter- und Aufgabenorientierung gefragt.
Das Gutachten, das nach einem solchen Assessment erstellt wird, sollte Diagramme enthalten, die die Ausprägung der getesteten Kompetenzen darstellen. Hilfreich ist außerdem, wenn der Kandidat in einem Benchmarking mit allen Testkandidaten der gleichen Hierarchieebene oder mit spezifischen Zielgruppen verglichen wird. Ist eine umfangreiche Datenbasis vorhanden, so können detaillierte, vergleichende Ergebnisauswertungen zur Verfügung gestellt werden.
Wissenschaftlichkeit und Datenschutz
Um die Qualität eines Online-Assessments zu bewerten, ist die DIN-Norm 33430 hilfreich, die „Anforderungen an Verfahren und deren Einsatz bei berufsbezogenen Eignungsbeurteilungen“ festlegt. Wichtig sind insbesondere drei Kriterien, um Aussagen über die Wissenschaftlichkeit zu treffen: Objektivität, Reliabilität sowie Validität. Objektivität bedeutet in diesem Zusammenhang, dass das Ergebnis nicht von den Rahmenbedingungen abhängt. Da es sich bei Online-Assessments um standardisierte Verfahren handelt, ist dieses Merkmal hier grundsätzlich gegeben.
Reliabilität und Validität sind klassische Kennziffern zur Bewertung der Güte eines Verfahrens. Reliabilität erfasst die Messgenauigkeit und gibt an, wie exakt die jeweilige Kompetenz gemessen wird. Der maximale Wert beträgt hier 1, Werte ab 0,7 können als gut und ab 0,8 als sehr gut gelten. Validität bezeichnet die Aussagefähigkeit eines Testergebnisses, also ob ein Verfahren tatsächlich geeignet ist, die gewünschte Kompetenz zu messen. Hier wird mit einem Wert von über 0,3 ein sehr gutes Ergebnis erzielt.
Nebenbei bemerkt: Unternehmen, die Online-Assessments durchführen lassen, verarbeiten personenbezogene Daten und müssen dabei die Sicherheitsstandards des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) erfüllen. Auch wenn sie dabei mit externen Dienstleistern kooperieren, sind sie selbst dafür verantwortlich, dass die gesetzlichen Vorgaben eingehalten werden. Hilfreich ist es hier, wenn Dienstleister einen Standardvertrag zur Vereinbarung nach § 11 BDSG (Auftragsdatenverarbeitung) anbieten.
Beachtet man diese Kriterien, lassen sich individualisierbare Online-Assessments sowohl beim Recruiting als auch in der Personalentwicklung gut einsetzen. Bei Letzterer werden die Stärken einer Person im Hinblick auf die Anforderungen einer Position analysiert, um gezielte Fördermaßnahmen einzuleiten. Beim Recruiting hingegen können Personalabteilungen entlastet werden, weil bei der Vorauswahl der Kreis der Bewerber eingegrenzt werden kann.
Online-Assessments sind auch nützlich, um strukturierte Interviews vorzubereiten. Es hat sich bewährt, psychologische Assessments mit einem anforderungsbezogenen Interview zu kombinieren. Online-Eignungstests können Personaler dabei unterstützen, Bewerber gezielt vorab auszuwählen oder anforderungsbezogen zu interviewen.
Personalintensive Branchen profitieren am meisten
Gerade für personalintensive Branchen mit hoher Fluktuation – wie Callcenter, Versicherungen oder Pharmaziefirmen – sind wissenschaftlich konzipierte, individualisierte Kompetenztests hilfreich. Zum einen kann ein solches Angebot den Personalbeschaffungsprozess standardisieren und dadurch effektiver gestalten. Gleichzeitig können die Kündigungsraten verringert werden, wenn von vornherein nur noch Mitarbeiter mit dem exakt passenden Anforderungsprofil eingestellt werden. Und schließlich können auch kleinere Unternehmen auf diese Weise den Anschluss an die Standards ihrer Branche halten.
Insgesamt liegt ein wesentlicher Nutzen des Einsatzes von individualisierbaren Online-Assessments darin, dass Personaler ihre subjektive Einschätzung eines Kandidaten anhand objektiver Kriterien überprüfen können. Optimal ist es, wenn sie maßgeschneiderte Assessments für individuelle Zwecke verwenden können, die dem Kompetenzmodell ihres Unternehmens entsprechen. Dann wird es erheblich leichter, die Unternehmensstrategie in richtige Personalentscheidungen umzumünzen.
Autor
Michael Thomas, Geschäftsführer der e3 skillware GmbH, Berlin,
mthomas@ehochdrei-skillware.de
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