Ausgabe 11 - 2015
Kritischer Erfolgsfaktor Familie

Wenn internationale Unternehmen ihre Mitarbeiter samt Familienanhang ins Ausland schicken, werden fast immer umfassende Vorkehrungen getroffen, um die mitreisende Familie tatkräftig zu unterstützen. Trotzdem ist gerade die Familie seit Jahren einer der Topgründe, wenn Auslandsentsendungen vorzeitig abgebrochen werden müssen.
Laut Cartus Mobility Report 2014 scheitern 61 Prozent der Auslandsentsendungen daran, dass sich die mitreisenden Angehörigen auf Dauer im Gastland nicht oder nur bedingt wohlfühlen. Während die Kinder dabei eine eher untergeordnete Rolle spielen, sind es vor allem die mitreisenden Partner und Partnerinnen, die aus unterschiedlichen Gründen für entsendende Unternehmen ein immer größerer Risikofaktor werden.
Für eine Familie bedeutet ein Auslandsaufenthalt mehr als eine geografische Veränderung. Eine Entsendung kann auch das Gleichgewicht innerhalb der Partnerschaft beeinflussen – etwa weil nur noch einer der beiden Partner berufstätig sein kann und der Mitreisende seine Karriere in Deutschland zurücklassen musste. Dies ist ein tiefgreifender Einschnitt und kann sich negativ auf das Selbstwertgefühl des Betroffenen auswirken und das sensible Familiengefüge beeinträchtigen.
Umgestaltung des Tagesablaufs
Eine große Herausforderung gerade für mitreisende Partner ist auch die Umgestaltung des Tagesablaufes. Häufig fehlt ihnen nicht nur eine berufliche Herausforderung, sondern zu Beginn auch die Struktur, die der Alltag dadurch erhält. Gleichzeitig brechen wichtige Ressourcen, wie zum Beispiel das gewohnte Umfeld, ein soziales Netzwerk oder vertraute Routinen weg. Dies kann durchaus destabilisierend wirken und schlimmstenfalls sogar zur Orientierungslosigkeit oder Depression führen.
Die Kultur des Gastlandes kann ebenfalls zum Risiko werden. Je markanter der Unterschied zwischen der Heimat- und der Gastkultur ist, desto größer ist auch die notwendige Anpassungsleistung, die eine Familie zu erbringen hat. Während der berufstätige Expatriate meist in einem internationalen Business-Umfeld tätig ist, muss sich der mitausreisende Partner in seinem Alltag oft viel stärker mit den kulturellen und gesellschaftlichen Besonderheiten des Gastlandes auseinandersetzen. Dementsprechend leiden Expat-Partner häufiger unter einem Kulturschock als Berufstätige.
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Die Bedeutung unterschiedlicher Maßnahmen

Susan Salzbrenner, Organisationspsychologin und Entsendungsexpertin für www.how-to-create-my-life-abroad.com – ein E-Coachingprogramm für Expat-Partner: „Besonders die mitreisenden Partner leiden häufig unter der Veränderung ihres Alltages, einer ungewohnten Rolle oder dem Verlust ihrer Berufstätigkeit im Heimatland. Daraus entsteht Unzufriedenheit, und nicht selten sind familiäre Spannungen, Demotivation des Mitarbeiters oder sogar der Abbruch des Aufenthaltes die Konsequenz. Dramatisch nicht nur für die Familie selbst, sondern auch für die entsendenden Unternehmen, denn die Situation kann zur Fluktuation hoch qualifizierter Fach- und Führungskräfte führen und langfristig sogar die Mitarbeitermobilität verringern und das Unternehmensimage schädigen.“
Warum es sich lohnt, die Familie zu entsenden
Familien integrieren sich besser: Eine Interviewstudie aus dem Jahr 2014 von Dr. Claudia Kuller an der University of Surrey mit deutschen alleinreisenden Expatriates belegt, dass auch der „fehlende“ Partner ein Abbruchgrund sein kann. Expatriates ohne Partner oder Familie fällt die Integration im Gastland besonders schwer. Sie führt dies darauf zurück, dass bei Familienentsendungen der mitreisende Partner im Ausland dafür sorgt, dass neue Kontakte entstehen – beispielsweise in der Expat-Community. So kann der Verlust des alten Freundes- und Bekanntenkreises schneller kompensiert werden und die Eingewöhnung im Gastland verläuft problemloser.
Familien sind stressresistenter: Forschungsergebnisse zeigen auch, dass das emotionale Wohlbefinden von Familien im Gastland häufig höher ist als bei Alleinreisenden. Die Anwesenheit eines Partners und gegebenenfalls der Kinder geben dem Neuling in der Fremde von Anfang an Sicherheit, Stabilität und einen vertrauten Rückzugsort. Der Mitarbeiter ist ausgeglichener, motivierter und stressresistenter. Fehlt diese emotionale Stütze, steigt das Abbruchrisiko immens an.
Familien bleiben länger: Erfahrungsgemäß bleiben Familien länger im Ausland. Zum einen, weil ein Umzug mit Familienanhang wesentlich aufwendiger und kostenintensiver ist als bei Alleinreisenden. Zum anderen aber auch, weil Stabilität und Kontinuität gerade für mitreisende Kinder und Jugendliche eine große Rolle spielt. Haben sich Familien in Gastland erfolgreich eingelebt, sind sie in der Regel bereit, einige Jahre am Einsatzort zu bleiben.
Genügend Gründe, die dafür sprechen, nicht nur die eigenen Mitarbeiter, sondern auch die Angehörigen mit auf die große Reise zu schicken. Voraussetzung dafür, dass diese Entsendungen gelingen, ist jedoch, dass Personalverantwortliche in der Lage sind, den Risikofaktor Familie auch langfristig zu minimieren.
Mehr als zwei Drittel aller Partner unzufrieden
Auf den ersten Blick scheinen viele entsendende Unternehmen das Risiko erkannt zu haben und bereiten ihre mitreisenden Familien umfassend vor. Dabei nehmen Sprachkurse seit Jahren die absolute Spitzenposition ein, etwas mehr als die Hälfte der Arbeitgeber unterstützt die mitreisenden Partner immerhin mit interkulturellen Trainings, jedes dritte Unternehmen sponsert die Jobsuche im Gastland (Quelle: Brookfield Global Mobility Trend Survey 2014).
Warum die mitreisende Familie trotz dieser Maßnahmen für mehr als die Hälfte aller Abbrüche verantwortlich ist, beantwortet die australische Entsendungsexpertin Ph.D. Yvonne McNulty. Sie befragte in einer weltweiten Studie mitreisende Partner und fand heraus, dass nur knapp ein Drittel der Betroffenen den Support durch das entsendende Unternehmen als gut oder sehr gut bewerten würde – und dass gerade die Maßnahmen, die bei Personalverantwortlichen am beliebtesten sind, von den Angehörigen teilweise als kaum relevant für die Zufriedenheit der Familie im Gastland eingestuft werden (siehe Grafik).
Familien bedarfsgerecht unterstützen
Demnach ist es für die Betroffenen nicht unbedingt entscheidend, ein möglichst großes Support-Paket in Anspruch nehmen zu können. Viel wichtiger für den Entsendungserfolg ist, dass die angebotenen Unterstützungsmaßnahmen genau auf den individuellen Bedarf aller Familienmitglieder zugeschnitten sind und jedem Einzelnen so ermöglichen, sich möglichst schnell in der neuen Lebenssituation zurechtzufinden. Während sich für den Expatriate selbst vielleicht ein Business-Training hervorragend eignet, brauchen Familienangehörige stattdessen ganz gezielte Hilfe im fremdkulturellen Alltag.
1. Bedarfsgerecht: Jede Familie ist einzigartig. Unternehmen, die ihre Expats während einer Entsendung optimal unterstützen möchten, sollten auf einen Support achten, der auf die aktuelle Lebenssituation und die individuellen Bedürfnisse aller Mitausreisenden zugeschnitten ist.
2. Ganzheitlich: Ein Auslandsaufenthalt verändert den Familienalltag in allen Lebensbereichen. Unternehmen, die ihren Expat-Familien eine wertvolle Hilfe bieten möchten, sollten sich deshalb für eine Unterstützungsmaßnahme entscheiden, die nicht nur kulturelle Herausforderungen angeht, sondern auch in den Bereichen persönliches Wohlbefinden, Partnerschaft und Familie oder Beruf und Karriere unterstützt.
3. Kontinuierlich: Sprachkurse und interkulturelle Trainings, die Expats auf das Gastland vorbereiten, machen nur bedingt Sinn, denn den Betroffenen fehlt zu diesem Zeitpunkt häufig noch der Bezug zu ihrer Lebensrealität. Unternehmen, die die mitreisenden Familien effektiv unterstützen möchten, sollten deshalb eine Maßnahme wählen, die nicht nur vor, sondern während der gesamten Entsendung unterstützt.
Kritischer Blick auf das Unterstützungsangebot
Wer als HR-Verantwortlicher die bestmöglichen Voraussetzungen für gelungene Familienentsendungen schaffen möchte, sollte also unbedingt einen kritischen Blick auf sein aktuelles Unterstützungsangebot werfen. Stellt sich dabei heraus, dass sich dieses auf Sprachunterricht und vielleicht ein Vorbereitungsseminar beschränkt, könnte sich die Suche nach einer bedarfsgerechten, ganzheitlichen und kontinuierlichen Alternative lohnen.
Autorin
Constance Grunewald-Petschke, interkulturelle Trainerin und Coach, Geschäftsführerin, abroad [relocation. interculture. language.], Düsseldorf,
c.grunewald@how-to-create-my-life-abroad.com
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