Ausgabe 11 - 2015
Evolution oder Revolution?

Die Digitalisierung, der Wandel unseres Verständnisses von Arbeit und Führung sowie die zunehmende Heterogenität arbeitender Menschen führen zu tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitswelt von morgen. Die alte Arbeitswelt verschwindet, während von der neuen bislang nur Konturen erkennbar sind. Bislang gibt es nur wenige praktikable Lösungsansätze für diese gravierenden Veränderungen.
Wie können sich Unternehmen auf zukünftige Herausforderungen der Arbeitswelt vorbereiten? Zunehmend dynamische und digitalisierte Märkte setzen Unternehmen immer stärker unter Druck, durch innovative Produkte und Geschäftsmodelle wettbewerbsfähig zu bleiben. Fach- und Führungskräftemangel sowie die zunehmende Mobilität arbeitender Menschen machen die Gewinnung und langfristige Bindung leistungsstarker Mitarbeiter zum Kraftakt für viele Unternehmen. Es kristallisiert sich immer stärker heraus: Der Faktor Mensch wird zukünftig der Engpassfaktor für unternehmerisches Wachstum sein.
Unternehmen können sich dadurch noch stärker auf zukünftige Herausforderungen der Arbeitswelt vorbereiten, dass sie noch stärker als bisher in ihre humanen Ressourcen investieren. Unternehmen sollten ihren Mitarbeitern eine markante und überzeugende Zukunftsvision aufzeigen und in Sinnstiftung der Arbeit investieren. Hierfür muss sich allerdings das Verständnis von HR grundlegend verändern – weg vom Administrator hin zu einem strategischen Business Shaper im Unternehmen. Die zukünftige Rolle von Human Resources ist heute allerdings keinesfalls geklärt.
Reaktiver Umsetzer oder proaktiver Inspirator?
Welche Rolle nimmt HR bei der Gestaltung zukünftiger Arbeitswelten ein? Im Kern sind hier zwei Rollen denkbar – die des reaktiven Umsetzers oder die des proaktiven Inspirators. Als proaktiver Inspirator liefert HR wertvollen Input für strategische Entscheidungen und initiiert Zukunftsaktivitäten des Unternehmens. Legitimation für diese Rolle von HR ist die über Jahrzehnte gewachsene Expertise über Bedürfnisse heute und zukünftig arbeitender Menschen. Mit HR-Verantwortlichen im strategischen Cockpit können Unternehmenslenker wichtige mitarbeiterbezogene Trends frühzeitig erkennen und ihr Unternehmen darauf ausrichten.
Alternativ kann HR aber auch die Rolle des reaktiven Umsetzers einnehmen. Die Gefahr dieser letzten Konstellation besteht darin, dass – von den Mitarbeiterbedürfnissen zeitlich losgelöste – Strategien durch HR-Verantwortliche lediglich umgesetzt und nicht mitgestaltet werden. Mitarbeiter und Führungskräfte können durch diese Praxis abgehängt werden, ohne die Unternehmensstrategie zu verstehen oder sich gar hiermit zu identifizieren.
Der vorliegende Beitrag beleuchtet die zukünftige Rolle von HR. Hierbei stützen wir uns auf Ergebnisse einer bundesweiten Zukunftsstudie der Technischen Universität Darmstadt in Kooperation mit dem Research Center Leap in Time. Die heutige und zukünftige Rolle von HR für die Gestaltung der Zukunft der Arbeitswelt wird anhand von sechs Thesen..
Sechs Thesen zur Gestaltung der Arbeitswelt
These 1: HR-Themen sind zunehmend auf dem Vormarsch, doch HR selbst bleibt zurück.
Themen wie Arbeitgeberattraktivität, Talent Management und die Digitalisierung von Arbeitsplätzen rücken HR Themen zunehmend auf die Agenda des Topmanagements. Dennoch bleibt HR vielfach in der Rolle einer Supportfunktion verhaftet. Am gravierendsten zeigt sich dies an stagnierenden oder bestenfalls konstanten HR-Budgets wie auch an der vielfach von HR-Verantwortlichen beklagten Ausgrenzung von HR aus strategischen Themen.
These 2: HR katapultiert sich durch permanente Selbsterneuerung selbst ins Abseits.
Durch permanente Suche nach der eigenen Rolle in der Organisation hat HR seinen Einfluss erheblich geschwächt. In Euphorie um Ulrichs Drei-Säulen-Modell wurde besonders die dreigeteilte Form der Rollenverteilung von HR zuletzt vorangetrieben: In vielen Unternehmen wurden Shared Service Center, Centers of Expertise sowie Business-Partner eingeführt. Damit hat sich HR entgegen der eigentlichen Intention weiter vom operativen Geschäft distanziert und sich angreifbar gemacht. Insbesondere die Etablierung der Shared Service Center zur Effizienz- und Effektivitätssteigerung über Standardisierungen administrativer Prozesse hat eine kostengetriebene Diskussion über Outsourcing-Potenziale von HR-Aktivitäten entfacht. HR-Verantwortliche sehen sich damit in der misslichen Lage, nicht nur ihre Aktivitäten, sondern auch ihre eigene Existenz ökonomisch rechtfertigen zu müssen.
These 3: Die Erfolgsorientierung von HR ist eindeutig gestiegen – aber Zahlen sollten noch mehr „zum Sprechen gebracht werden“.
HR-Verantwortliche achten insgesamt stärker auf den Wertschöpfungsbeitrag ihrer Programme. Dies kommt auch bei den Mitarbeitern an, wie die Ergebnisse der branchenübergreifenden Zukunftsstudie 2015 der Technischen Universität Darmstadt zeigen: Knapp ein Drittel der Befragten spricht HR eine klare Erfolgsorientierung zu. Allerdings stellen wir erhebliche Unterschiede zwischen den Branchen fest (Abbildung): So haben HR-Verantwortliche der Branchen Automobil und Software/IT sehr wohl erkannt, wie wichtig es ist, sich messen zu lassen (Anpassungsfähigkeit). Auch im Transport- und Logistiksektor ist ein gewisses Umdenken erkennbar. Schlusslicht sind der Maschinenbau und die Dienstleistungsbranche.
Abbildung
Ergebnisse der branchenübergreifenden Zukunftsstudie 2015 der Technischen Universität Darmstadt

Wenn HR also in vielen Branchen zunehmend erfolgsorientiert agiert, dann kann man sich durchaus die Frage stellen, warum es immer noch so schwierig ist, den Erfolg von HR-Aktivitäten zu messen. Und dies ist nicht nur für Unternehmenslenker von höchstem Interesse, sondern auch für HR-Verantwortliche, um Befürworter und Sponsoren für HR-Aktivitäten im Unternehmen zu finden. Hierfür gibt es zwei Erklärungen:
1. HR-Verantwortliche vieler Unternehmen halten immer noch an längst veralteten, und wenig aussagekräftigen Kennzahlen fest.
2. Die Möglichkeiten zur Analyse von Big Data werden häufig nicht ausgeschöpft. Beispielsweise ist es heute relativ problemlos möglich, aus (anonymisiertem) Mitarbeiter-Chatter in sozialen Medien aussagekräftige Informationen über den heutigen und zukünftigen Erfolg des Unternehmens zu gewinnen. Die Informationen reichen über Analysen des Klimas heute bis hin zu Prognosen über den zukünftigen Erfolg des Unternehmens im Rahmen von People Analytics. HR-Verantwortlichen gelingt es aber häufig nicht, „Zahlen zum Sprechen zu bringen“. Konkret liegt dies an vielfach begrenzten Kenntnissen im Bereich der Datenauswertung.
Die Rolle von HR in der Arbeitswelt von morgen
Bei der Rolle des HR in der Arbeitswelt von morgen konzentrieren wir uns insbesondere darauf, inwieweit HR dazu beiträgt, dass Unternehmen auf zukünftige Herausforderungen in der Arbeitswelt vorbereitet, also zukunftsfähig, sind. Hohe Zukunftsfähigkeit sprechen wir einem Unternehmen also dann zu, wenn es zum einen das heutige Geschäft erfolgreich managt und zum anderen durch innovative Arbeitskonzepte wettbewerbsfähig in relevanten Märkten ist. Analog dazu unterscheidet der Future Work Navigator vier Dimensionen:
• Anpassungsfähigkeit bezieht sich auf den Beitrag von HR zum Optimieren existierender Arbeitskonzepte und zum Erfolg des heutigen Geschäfts.
• Gestaltungsfähigkeit beinhaltet insbesondere das Experimentieren mit neuen Arbeitskonzepten.
• Integrationsfähigkeit gibt an, wie gut HR das Unternehmen darin unterstützt, heutige und zukünftige Arbeitskonzepte sinnvoll und reibungslos miteinander zu verbinden.
• Zukunftsorientierung bedeutet die konsequente Ausrichtung der Aktivitäten auf die Bedürfnisse zukünftig arbeitender Menschen sowie zukünftige Erfordernisse relevanter Märkte.
Aus den vier Dimensionen ist unschwer erkennbar, dass einseitiges Optimieren heutiger Arbeitskonzepte oder alleiniges Fixieren auf neue Arbeitskonzepte nur eine Seite der Medaille sind. In deutschen Unternehmen finden wir durchaus unterschiedliche Stile, wie die vier Dimensionen der Zukunftsfähigkeit gelebt werden.
These 4: HR sollte eine Schlüsselrolle bei der Gestaltung der Zukunft der Arbeitswelt von Unternehmen spielen.
Es liegt in der Natur der Aufgabe von HR, am Puls heutiger und zukünftiger Mitarbeiterbedürfnisse zu sein. Dadurch sind HR-Verantwortliche geradezu prädestiniert für viele Themen rund um die Zukunft der Arbeitswelt. Mit einer Schlüsselrolle bei der Gestaltung zukünftiger Arbeitswelten im Cockpit von Unternehmen kann HR langfristig einen signifikanten Wertbeitrag generieren.
These 5: HR sollte stärker Innovationen in Bezug auf neue Arbeitskonzepte vorantreiben.
Wie kann HR Treiber von Innovationen im Bereich der Arbeitswelt sein? Die Möglichkeiten sind vielfältig: Durch die Analyse relevanter Zukunftstrends kann HR ableiten, welche Bedürfnisse zukünftig arbeitende Menschen unterschiedlicher Generationen haben. Daraus lassen sich Ideen für verschiedene Programme, wie beispielsweise solche zur Verbesserung der Life-Integration oder der Führungskräfteentwicklung ableiten. Hierbei kann wiederum People Analytics – also beispielsweise die Analyse von Social-Media-Daten – beitragen. Darüber hinaus kann HR selbst neue Arbeitskonzepte entwickeln und deren Erprobung im Unternehmen begleiten. Diese proaktive Rolle – die sogenannte Gestaltungsfähigkeit – von HR wird in verschiedenen Branchen aktuell noch unterschiedlich stark wahrgenommen, wie die Zukunftsstudie 2015 zeigt (Abbildung): Am innovativsten sind HR-Verantwortliche der Branchen Automobil und Software/IT unterwegs. Auch im Dienstleistungsbereich mischen HR-Verantwortliche ordentlich bei der Gestaltung der Arbeitswelt von morgen mit. Ausbaufähig sind dagegen die Branchen Maschinenbau und Transport/Logistik. Hier muss sich HR stärker als Zukunftstreiber positionieren.
These 6: HR sollte mit einer ausgewogenen Mischung aus Anpassungs- und Gestaltungsfähigkeit zum Erfolg von Unternehmen beitragen.
In der Darmstädter Zukunftsstudie haben wir untersucht, inwieweit sich HR-Verantwortliche verschiedener Branchen auf das Arbeiten von heute beziehungsweise morgen konzentrieren. Konkret kann HR fünf alternative Rollen einnehmen:
In den meisten Branchen bewegt sich HR im strategischen Mittelfeld. HR hat also in den vergangenen Jahren durchaus Fahrt in Richtung Zukunftsfähigkeit aufgenommen. Zynische Zungen könnten allerdings behaupten, dass HR als aktiver Anpasser keine klare Position bezieht, ganz nach der Devise „weder Fisch noch Fleisch“. HR-Verantwortliche der entsprechenden Branchen sollten daher stärker „Flagge“ in Sachen Erfolgs- und Zukunftsorientierung bekennen. In den Branchen Automobil und Software/IT nehmen HR-Verantwortliche bereits die duale Rolle des zukunftsfähigen HR auf relativ hohem Niveau ein. Zukunftsfähiges HR – gekennzeichnet durch hohe Anpassungs- und Gestaltungsfähigkeit – optimiert heutige Arbeitskonzepte und erprobt neue Arbeitspraktiken. In keiner Branche lässt sich die verschiedentlich kritisierte mangelnde Leistungs- und Zukunftsorientierung bestätigen. Als statischer Bewahrer kann HR also nicht bezeichnet werden. Abgehobenes HR (mit begrenztem Bezug zum Tagesgeschäft) oder einseitige Optimierer des Tagesgeschäfts (mit begrenzten Zukunftsvisionen) treffen wir unter HR-Verantwortlichen der von uns untersuchten Unternehmen nicht an.
Fazit
Was wird die Rolle von HR bei der Gestaltung der Arbeitswelt von morgen sein? Die Zukunftsstudie der TU Darmstadt liefert hierauf möglicherweise einige Antworten: 1. HR-Verantwortliche haben in den letzten Jahren nicht nur Mensch- sondern auch verstärkt Leistungsorientierung in ihre Agenda aufgenommen. Allerdings sollte HR die zunehmend verfügbaren „Zahlen zum Sprechen bringen“. 2. Aufgrund der zunehmenden Bedeutung qualifizierter Fachkräfte für den Erfolg von Unternehmen sollte HR zukünftig eine stärkere Rolle im strategischen Cockpit einnehmen. Besondere Kenntnisse über Bedürfnisse der Beschäftigten macht HR-Verantwortliche zum unverzichtbaren Partner – wenn nicht sogar zum Treiber – für Maßnahmen zur Gestaltung der Zukunft der Arbeitswelt.
Autorinnen
Prof. Dr. Ruth Stock-Homburg, Leiterin des Fachgebietes Marketing & Personalmanagement, Technische Universität Darmstadt, und Vorsitzende des wissenschaftlichen Beirates der Leap in Time GmbH,
rsh@stock-homburg.de
Carmen Lukoschek, Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Marketing & Personalmanagement, Technische Universität Darmstadt,
carmen.lukoschek@stock-homburg.de
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