Ausgabe 11 - 2015
Strategien voller Missverständnisse

Der Mittelstand ist mehr denn je auf gute Mitarbeiter angewiesen. Doch selbst Betriebe, die ihr Recruiting gewissenhaft planen, finden nicht immer das passende Personal. Schuld könnten falsche Vorstellungen von einem strategischen Personalmarketing sein.
Viele mittelständische Betriebe verbindet ein grundsätzliches Problem: Die Anforderungen an die Beschäftigten ändern sich so schnell wie der Unternehmenskurs in globalen, komplexen und von technologischen Innovationen geprägten Märkten. Zugleich hält der Arbeitsmarkt nicht ohne Weiteres die Mitarbeiter bereit, die sie brauchen. Um die Schwierigkeiten und Tücken des Recruitings besser fassbar zu machen, soll im Folgenden ein fiktives, jedoch sehr realitätsnahes Beispiel dienen.
Scheinerfolge mit der Arbeitgebermarke
Die WortestattTaten GmbH, ein mittelständischer Anlagenbauer, kennt die genannten Herausforderungen. Für das Unternehmen kommt hinzu, dass sich die Investitionen in neue Fertigungstechnik auszuzahlen beginnen und der vielversprechende Markteintritt in Brasilien und China bevorsteht. Damit geht ein deutlich steigender Personalbedarf in ausgewählten Bereichen wie dem Maschinenbau einher. Bislang gelingt es nur unter erheblichem Mehraufwand, den Bedarf zu decken – Unsicherheit, ob dies in jedem Einzelfall tatsächlich gelingt, inklusive. Die Geschäftsleitung genehmigt dem Personalleiter daraufhin zusätzliche Mittel, um die Schwierigkeiten in den Griff zu bekommen und personalseitig für mehr Sicherheit zu sorgen.
Das aufgestockte Budget verwendet die HR-Abteilung für die regelmäßige Beauftragung eines Headhunters und eine zusätzliche halbe Stelle für die Personalbeschaffung. Doch die Effekte fallen bescheidener aus als erwartet. Der Personalleiter sucht daraufhin nach einer nachhaltigen Lösung. Er entscheidet sich dafür, die unverwechselbare Arbeitgebermarke des Unternehmens herauszuarbeiten und für die Außendarstellung zu nutzen. Nach vielen lebhaften Diskussionen und Kompromissen zwischen Führungskreis und Personalleiter eruiert der HR-Bereich zentrale Werte und Eigenschaften des Unternehmens. Diese fließen in die Gestaltung des Erscheinungsbildes der WortestattTaten GmbH ein.
Nach wenigen Monaten stellen sich scheinbar die ersten Erfolge ein. Die Firma konnte tatsächlich ihren Bekanntheitsgrad und die Zahl der Bewerbungen steigern. Jedoch zeichnet sich immer deutlicher ein anderes Problem ab: Unabhängig davon, ob die Bewerbungen initiativ oder auf eine Stellenausschreibung erfolgen, sind kaum Bewerber darunter, die zu den zu besetzenden Stellen passen. Der Betrieb muss nach wie vor lange Vakanzzeiten und unbefriedigende Kompromisse bei der Stellenbesetzung in Kauf nehmen. Schließlich korrigiert das Unternehmen sogar die Umsatzziele und verschiebt den Markteintritt in China um ein halbes Jahr.
Missverständnisse im Personalmarketing
Was war passiert? Die WortetattTaten GmbH hat mit viel Energie an ihrer Außendarstellung gearbeitet. Sie hatte allerdings versäumt, sich intern so aufzustellen, dass ihre Stellenangebote attraktiv für die passenden Leute sind. Dadurch konnte sie zwar Aufmerksamkeit erzeugen, die geeigneten Arbeitskräfte hat dies jedoch nicht angesprochen. Dieses Problem resultiert aus einem falschen Verständnis von einem strategischen Personalmarketing. Die folgenden Irrtümer kommen dabei immer wieder vor:
Personalmarketing ist nur dann strategisch, wenn es langfristig ausgerichtet ist.
Die Annahme „strategisch = langfristig“ verstellt den Blick auf das Wesentliche. Sie kann sogar schädlich sein. Im Personalbereich ist diese Annahme vor allem dann gefährlich, wenn eine Personalabteilung sich auf die langfristige Unternehmensvision fokussiert und dabei versäumt, immer wieder ganz konkret die Verbindung zu den geschäftlichen Erfordernissen herzustellen – auch kurzfristig. Bildlich gesprochen könnte die Crew dann zwar den optimalen Kurs des Schiffes bestimmen. Die Lecks, die den Bug voll Wasser laufen lassen, bleiben im Extremfall jedoch unberücksichtigt.
Strategie und alles, was den Beinamen „strategisch“ trägt, richtet sich in erster Linie an der Überlebensfähigkeit eines Unternehmens aus. Der richtige Zeithorizont ist immer eine Folge der Logik des Geschäfts. Und diese kann bei Unternehmen aus der Pharmabranche mit langen Entwicklungszeiten eine völlig andere sein als in der kurzlebigen Modebranche. Ein gutes Personalmarketing stellt also immer erst die Frage nach den geschäftlichen Erfordernissen und erst auf dieser Grundlage die Frage nach dem Wann.
Strategisches Personalmarketing berücksichtigt alle Stellen.
Auch diese Annahme ist mehr als fraglich. So wie kein Unternehmen Hilfsarbeiter per Headhunter sucht, muss es auch im Personalmarketing differenzieren. Das Personalmarketing verliert an Wirksamkeit, wenn es Verwaltungsangestellte mit gleicher Priorität adressiert wie beispielsweise die von der WortestattTaten GmbH mit Hochdruck gesuchten Maschinenbauingenieure. Auch hier ist der Ankerpunkt ausschließlich die Überlebensfähigkeit des Unternehmens. Erst aus den geschäftlichen Zielen kann eine sinnvolle Fokussierung des Personalmarketings auf strategisch relevante Stellenbündel, Jobfamilien oder Schlüsselpositionen erfolgen. Nur auf dieser Grundlage lassen sich die Marketingaktivitäten sinnvoll konzentrieren.
Gutes Personalmarketing geht immer vom Markenkern aus und hat den Aufbau einer positiven Arbeitgebermarke zum Ziel.
Viele Ansätze des modernen Employer Brandings wählen das Arbeitgebermarkenversprechen als Ausgangspunkt: Wofür steht das Unternehmen? Welche Werte vertritt und lebt es? Welcher Gründungsmythos und welche Firmengeschichte prägen die Unternehmensidentität? Aus den Antworten werden Botschaften abgeleitet und eine Arbeitgebermarke definiert, die maßgeblich über den Personalmarketing-Mix entscheidet. Dabei wird etwas Wesentliches verwechselt: Diejenigen, die gerne in einem Unternehmen arbeiten und davon erzählen, sei es im privaten Bereich oder auf Kununu, prägen die Arbeitgebermarke, nicht die Kommunikationsexperten im Betrieb.
Für das Personalmarketing heißt das: Ein Arbeitgeber muss vor allem dafür sorgen, dass die angebotenen Arbeitsplätze attraktiv für jenes Personal sind, das er benötigt, um seine Geschäftsziele zu verwirklichen. Der Job, der Aufgabenzuschnitt, die Führung, das Team, Flexibilitätsräume und weitere Aspekte bilden die entscheidenden Kriterien für Bewerber und Mitarbeiter bei der Arbeitgeberwahl. Darin besteht der Kern einer Arbeitgebermarkenbildung. Um auch in diesem Fall eine Analogie zu bemühen: Kein Unternehmen bleibt langfristig am Markt, wenn es seine Investitionen auf Werbung hin ausrichtet, statt seine Leistungen besser an die Kundenbedürfnisse anzupassen.
Studien zu Zielgruppen (Gen Y) verraten, was Bewerber wirklich wollen.
Ob strategisches Personalmarketing wirksam ist, entscheidet nicht nur dessen Ausrichtung an den geschäftlichen Zielen. Letztlich müssen die Marketingaktivitäten und -kanäle die richtigen Personen ansprechen und erreichen. Um das zu gewährleisten, sind die relevanten Informationen über die Zielgruppen erforderlich. Analysen und Studien über potenzielle Bewerbergruppen eignen sich hierfür jedoch nur bedingt. Für die Praxis und die Ableitung passender Maßnahmen sind die Daten schlichtweg zu grobkörnig. Die Generation Y gibt es nicht. Und auch der ungebundene Digital Native kommt einmal in die Phase der Familiengründung, was ihn abhängiger von einer sicheren Festanstellung macht. Hilfreicher für die Praxis ist es, die Zielgruppen als Kunden zu betrachten und sie zu ihren konkreten Bedarfen, Relevanzkriterien und Priorisierungen zu befragen.
Auch hier kann die Versuchung groß sein, eine Marktanalyse in Auftrag zu geben. Effizienter ist es, die vorhandenen Kunden – Beschäftigte, Bewerber und ehemalige Mitarbeiter – zu befragen und auf das Gespür der Führungskräfte zu vertrauen, die meist die Bedürfnisse und Interessen der (potenziellen) Mitarbeiter recht gut einschätzen können. Auf dieser Datengrundlage kann das Personalmarketing effektiv an den tatsächlichen Bedürfnissen der Menschen ansetzen. Das gesparte Geld kann das Unternehmen dazu verwenden, die Arbeitsplätze attraktiver zu machen oder das Betriebsergebnis verbessern.
Die Zuständigen sind vor allem Kommunikationsexperten. Ohne Social Media geht heute nichts mehr.
Auch dieser mit weitreichenden Folgen besetzte Irrtum hält sich hartnäckig. Wer Personalmarketing als Prozess (Konzeption, Einführung, Umsetzung) betrachtet, stellt fest, dass er das Marketing- und Kommunikations-Know-how erst im finalen Schritt benötigt. Steuern Kommunikationsexperten den Gesamtprozess, besteht das Risiko, dass die strategische Ausrichtung des Konzepts gegenüber den Kommunikationsaktivitäten in den Hintergrund rückt. Das Unternehmen setzt das Budget an den falschen Stellen ein, die Wirksamkeit verringert sich. Eng damit verbunden sind Pauschalempfehlungen wie „Die Musik spielt heute im Internet“ oder „Jedes Unternehmen benötigt ein Social-Media-Konzept, um die besten Mitarbeiter zu erreichen“. Es kann verlockend sein, diesen Ratschlägen zu folgen. Aus strategischer Perspektive können diese Empfehlungen jedoch zu Fehlinvestitionen führen. Am positiven Beispiel verdeutlicht: Die WortestattTaten GmbH erkennt, dass ihr Wachstumskurs neben den erwähnten Maschinenbauingenieuren vor allem vom Vertrieb abhängt. Das Unternehmen benötigt Vertriebsmitarbeiter, die Erfahrung mit dem Markteintritt in Südamerika und Asien haben und nimmt daher erfahrene Außendienstmitarbeiter, die die Rush Hour des Lebens hinter sich haben, in den Blick. Der Betrieb punktet hier mit seinen Stärken wie Führungsqualität und großen Handlungsspielräumen. Statt Internet und Social Media nutzt das Unternehmen mit ansehnlichem Erfolg Stellenanzeigen in der Regionalpresse der angrenzenden Ballungsräume.
Personalmarketing richtet sich größtenteils an Bewerber.
Gutes Personalmarketing schafft die Voraussetzungen dafür, dass das passende Personal vorhanden ist, um die betrieblichen Ziele umzusetzen. Um dies zu erreichen, muss ein Unternehmen sowohl für Bewerber als auch für vorhandene Mitarbeiter attraktiv sein. Dieser Punkt ist eng mit dem vorhergehenden verbunden: Je mehr ein Unternehmen auf die Attraktivität eines Arbeitsangebots für eine spezifische Zielgruppe abzielt, desto unbedeutender wird die Unterscheidung zwischen Bewerber und Beschäftigten. Dort, wo Personalmarketing vor allem Werbung bedeutet, taucht die Bindung als separates Problem auf und muss anderweitig gelöst werden, was wiederum mit Aufwand verbunden ist. Hier zeigt sich, dass Vergessenes oder Ausgeblendetes doch immer wieder ins Spiel kommt.
Strategisches Personalmarketing im Mittelstand
Wer die genannten Missverständnisse vermeidet, erhöht seine Chancen, das personalwirtschaftliche Fundament des Geschäftserfolges zu legen und zu erhalten. Darüber hinaus ist es erforderlich, das Personalmarketing in einen systematischen Prozess zu gliedern. Hierfür hat das RKW Kompetenzzentrum einen Leitfaden speziell für mittelständische Betriebe entwickelt, der das strategische Personalmarketing in sieben Schritte aufteilt (siehe auch Abbildung). Der Leitfaden ist eng mit der Beschreibung einer strategischen Personalplanung verknüpft, wie sie im Beitrag „Der Brückenschlag vom Business zum Personal“ in der Oktoberausgabe der Personalwirtschaft erläutert wird.
Abbildung
Leitfaden für strategisches Personalmarketing

In sieben Schritten werden die Erfordernisse der Absatzmärkte beziehungsweise des Geschäfts in die richtige Personalmarketing-Strategie übersetzt.
1. Jobfamilien bilden und priorisieren: Sie fassen Jobs mit ähnlichen Anforderungsprofilen zu sogenannten Jobfamilien zusammen. Anschließend priorisieren Sie die Jobfamilien nach ihrer Bedeutung für die Wettbewerbsposition des Unternehmens.
2. Strategische Betroffenheit der prioritären Jobfamilien analysieren: Sie bestim men die Auswirkungen der strategischen Personalbedarfstreiber wie zum Beispiel Wachstumsziele und technische Entwicklungen auf die prioritären Jobfamilien. Dieser Schritt verbindet die Unternehmensstrategie mit dem Personalmarketing.
3. Risikoprofile erstellen: Ausgehend von der Unternehmensstrategie beurteilen Sie die Betroffenheit der prioritären Jobfamilien durch Alters- und Kapazitätsrisiko sowie Beschaffungsrisiko.
4. Zielgruppen auswählen: Die Gegenüberstellung von internem und externem Risiko zeigt, bei welchen Jobfamilien das Personalmarketing vorrangig ansetzen sollte. Außerdem erfolgt an dieser Stelle der Übergang von den Stellen zum Menschen: Welche Zielgruppen kommen für die Besetzung der einschlägigen Jobfamilien in Frage?
5. Zentrale Attraktivitätskriterien bestimmen, gewichten und bewerten: Gemeinsam mit Vertretern des Betriebsrates oder Mitarbeitern prioritärer Jobfamilien legen Sie maximal zehn Kriterien fest, die der jeweiligen Zielgruppen besonders wichtig sind. Die Kriterien werden anschließend priorisiert und im Wettbewerbsvergleich bewertet.
6. Aktionsplan entwickeln: Im Anschluss lässt sich genau bestimmen, welche personalwirtschaftlichen Maßnahmen strategisch notwendig sind, um sich attraktiv für wichtige Zielgruppen zu positionieren.
7. Auswahl geeigneter Medien für die Personalbeschaffung: Hier legen Sie fest, welche Zielgruppen Sie künftig wo und wie ansprechen. Es gilt: gezielte Kommunikation statt Gießkanne.
Sitzen die Richtigen, das heißt Führungskräfte, Personalverantwortliche und Vertreter der Zielgruppe, an einem Tisch, entsteht mithilfe dieses Leitfadens ein passender Personalmarketing-Fahrplan für das Unternehmen. Dafür reicht ein Workshop, der nicht länger als einen Tag in Anspruch nimmt, aus. Anstelle von Anglizismen, Fragmentierung und Patentrezepten wie „Tue Gutes und rede darüber“ steht dabei die Verbindung zur Unternehmensstrategie im Vordergrund.
Autoren
Patrick Großheim, Referent im Bereich Unternehmensentwicklung und Fachkräftesicherung, RKW Kompetenzzentrum, Eschborn,
großheim@rkw.de
Sascha Hertling, Referent im Bereich Unternehmensentwicklung und Fachkräftesicherung, RKW Kompetenzzentrum, Eschborn,
hertling@rkw.de
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