Ausgabe 11 - 2015
Gemeinsam raus aus der Box – mit Leadership und Teilhabe

So sehen Sieger aus: Das Vodafone-Team, ergänzt um Urkunde und Skulptur. Die Personalwirtschaft sagt herzlichen Glückwunsch!
Engagement und Stolz entsteht, wenn Mitarbeiter und Führungskräfte das große Ganze mitgestalten. Dazu braucht es Mut und die Bereitschaft, neue Wege zu gehen. Vodafone Deutschland hat beides – und gewinnt den Deutschen Personalwirtschaftspreis 2015.
Vodafone Deutschland ist mit 45 Millionen Kunden, 11 Milliarden Euro Umsatz und 14 000 Mitarbeitern das führende integrierte Telekommunikationsunternehmen Deutschlands. Wir liefern unseren Kunden alle Produkte und Services aus einer Hand: Festnetz, Mobilfunk, Internet, Fernsehen und für Geschäftskunden zudem ein breites ICT-Portfolio.
Um erfolgreich am Markt bestehen zu können, müssen wir uns als Unternehmen kontinuierlich weiterentwickeln. Das Jahr 2012 war dabei ein wichtiger Wendepunkt: Die Marktbedingungen der Telekommunikationsbranche und die Kundenbedürfnisse hatten sich seit unserem Markteintritt signifikant geändert. Der einstige Wachstumsmarkt war gesättigt, das Geschäftsmodell hatte sich gewandelt: Heute verkaufen wir komplexe Kommunikationslösungen statt einzelner SIM-Karten.
Hinzu kam seinerzeit ein neues mobiles und flexibles Arbeitsplatzkonzept mit Open-Space-Arbeitsplätzen auch für die Geschäftsführung. Selbstverständlich gab es ein umfassendes Portfolio an modernen HR-Konzepten, um diesen Herausforderungen zu begegnen. Trotzdem kamen bestehende Führungsmuster an ihre Grenzen: Hierarchie und Ansage funktionierten in dieser komplexen, vernetzen Welt nicht mehr. Die Dynamik der Veränderungen im Markt und im Unternehmen selbst erforderte eine neue Führungskultur.
Doch wie konnte dieses veränderte Führungsverständnis entstehen? Unsere Überzeugung: Wir brauchten einen neuen Impuls und ein Denken „out of the box“, um wieder mehr Engagement im Unternehmen hervorzurufen. Wir brauchten Musterunterbrechungen. Ausgangspunkt aller Vorhaben war die systemische Sicht: Unsere Welt ist komplex, und wir können lernen, damit umzugehen – als Einzelne und als Organisation. Doch klar war auch: HR kann diese notwendige Veränderung nicht losgelöst vom Business leisten. Dazu mussten wir Führungskräfte und Mitarbeiter beteiligen und somit von Empfängern zu Gestaltern machen.
Phase 1: Veränderung startet bei der Führungsmannschaft
Als Orientierungsrahmen brauchte es ein gemeinsames Führungsverständnis. Die Geschäftsführung unterbrach daher ihren Arbeitsalltag durch eine Auszeit bei einem Offsite rund um die Fragestellung, welches Führungsverständnis die Zukunft der Organisation prägen soll. Von dem Bild der perfekten Führungskraft wurde Abstand genommen, es ging nun vielmehr darum, je nach Situation angemessen führen zu können. Das Ergebnis war kein komplexes, mehrstufiges Kompetenzmodell, sondern ein leicht verständlicher Rahmen, der Führungskräften eine Orientierung über ihre Rolle und die Erwartungen an Führung ermöglichen sollte.
Jetzt brauchte es einen Anstoß, um dieses Führungsverständnis zum Leben zu erwecken und gemeinsam mit Führungskräften auszugestalten. Es ging darum, Impulse zu setzen und Muster zu unterbrechen. Gemäß der systemischen Theorie entsteht Veränderung oft durch Irritation. Um einen Impuls für den Wandel in der Kultur zu erzeugen, wurde gemeinsam mit der osb international und denkbar&so eine neuartige Leadership Journey namens „Moving Minds“ entwickelt. Insgesamt 18 Workshops mit 450 Führungskräften wurden durchgeführt. Jeder Teilnehmer erhielt vom CEO eine persönliche Einladung per klassischem Brief – in einem digitalen Telekommunikationsunternehmen mit papierlosen Büros war dies allein schon irritierend. Trotz vielfacher Anfragen wurde der Inhalt der Workshops vorab nicht bekannt gegeben. Stattdessen wurden bei Tag und bei Nacht Teile der Workshop-Ausstattung (z.B. überlebensgroße, rote Boxen mit Luftlöchern drin) durch die Unternehmenszentrale geschoben. Das sprach sich herum. Alte Muster wie die Verpflichtung zu Workshops oder andere „Motivierungsversuche“ waren unnötig. Durch den entstandenen Spannungsbogen hatten sich alle Führungskräfte innerhalb weniger Stunden selbst online einen Platz gesichert.
In dem Workshop erlebten die Führungskräfte eine Leadership Journey mit zehn Stationen (siehe Abbildung). Das Ziel: eine veränderte Haltung zum Thema Führung, mehr Verantwortung und gestärktes Empowerment. Insgesamt wurde auf „Musik von vorne“ und die reine Vermittlung von instrumentellem Wissen verzichtet. Angetrieben durch Reflexion und das selbst Erlebte hatten die Führungskräfte die Möglichkeit, über Hierarchien und Funktionen hinweg eine aktive Debatte über Leadership zu führen und den Begriff „Führung“ aktiv mit Leben zu füllen.
Abbildung
Leadership Journey „Moving Minds“

Die Leadership Journey von Vodafone Deutschland hatte zehn Stationen mit jeweils eigenen Aufgaben und Zielen. Der rote Faden dieser Journey und aller weiterer Maßnahmen ist das gemeinsame Führungsverständnis.
Ohr am Kunden
Der Workshop begann mit Irritation – weder Moderatoren noch Organisatoren waren anwesend. Nur eine Fahne mit Vodafone-Logo wehte im Wind, der Song „Wind of Change“ lief im Hintergrund. Die Führungskräfte hielten in völliger Ungewissheit einige Minuten aus. Dann begannen sie nach und nach, selbst Ziele für die Agenda der folgenden zwei Tage zu entwickeln. Sie erlebten das, worum es heute in der Führung geht: Sie mussten Entscheidungen fällen bei ständiger Unsicherheit.
Für den Geschäftserfolg zählt eine klare Orientierung an den Kundenbedürfnissen – und so diskutierten auch die versammelten Führungskräfte über die vermeintlichen Bedürfnisse ihrer Kunden. Was sie nicht wussten: In den großen roten Boxen im Raum versteckten sich leibhaftige Kunden! Unbemerkt hörten sie zu, wie die Führungskräfte diskutierten, was sie vermeintlich denken, fühlen und wollen. Und plötzlich standen diese Kunden mitten im Raum. Jetzt wurde nicht mehr über, sondern mit den Kunden geredet.
Es ging explizit darum, den Status quo zu hinterfragen und eine kritische Haltung einzunehmen. So wurde z.B. das aktuelle Strategieprogramm einer kritischen Prüfung unterzogen: Die Unternehmensstrategie wurde nicht verkündet, sondern stattdessen wurde in einer konspirativen Sitzung überlegt, wie man sie bestmöglich zum Scheitern bringen könnte – ein Perspektivwechsel,, der kritische Punkte konstruktiv verdeutlichte und die Umsetzung des Strategieprogramms in der Folge verbesserte. Der erste Tag endete in einem Tipi-Zelt mit Indoor-Lagerfeuer. Es gab ausgiebige Gelegenheit zur Diskussion und Reflexion gemeinsam mit dem CEO oder auch zwei Geschäftsführern. Hier wurde ernsthaft, mutig und offen über das Miteinander und die Führung bei Vodafone gesprochen. Es ging darum, wie wir Dinge machen und vor allem, warum wir sie machen.
Nach Moving Minds hatte sich etwas bei den Führungskräften verändert: Neben Hierarchie und Ansage war eine Alternative in ihr Bewusstsein getreten: der Dialog auf Augenhöhe, die Übernahme und Übertragung von Verantwortung – und wirkliche Teilhabe.
Phase 2: Gefragt, gesagt, getan … Mitarbeiter als Engagement-Experten
Die positive Veränderung in Sachen Führung wurde kurz nach Abschluss der Leadership Journey einem Härtetest unterzogen: Die Markt- und Geschäftssituation hatte sich noch einmal deutlich verschlechtert, die Geschäftsführung war zu drastischen Einschnitten gezwungen. Die Mitarbeitermotivation brach ein. Die Ergebnisse der Mitarbeiterbefragung zeigten dramatisch, wie wichtig es war, neben den Führungskräften und dem Top-down-Ansatz auch die Mitarbeiter einzubeziehen.
Im ersten Reflex wären wir fast in alte Muster zurückgefallen, denn jetzt brauchte es einen Motivationsschub im gesamten Unternehmen – der Gedanke an eine Motivationskampagne lag nahe. Doch nach den Erlebnissen aus Phase 1 hatten wir gelernt: Wir können als Organisationsentwickler nur die Rahmenbedingungen schaffen, Ausgestaltung und Motivation liegt bei den Führungskräften und Mitarbeitern selbst. Echtes Engagement und Ownership entsteht durch Involvierung und Identifikation mit einer gemeinsamen Sache.
Die Mitarbeiter bekamen die Möglichkeit, Ideen und Lösungen für unternehmensrelevante Themen selbst zu entwickeln – von Mitarbeitern für Mitarbeiter. Basierend auf den Ergebnissen der Mitarbeiterbefragung bildeten sich interdisziplinäre, funktions- und hierarchieübergreifende Teams -sogenannte Power Teams (gemäß unseres Unternehmensclaims „Power to you“). In Co-Creation-Prozessen arbeiteten die Power Teams mit der Geschäftsführung, Führungskräften und Experten an pragmatischen Lösungen für aktuelle Fragestellungen. Dabei blieb es nicht bei der Diagnose: Jedes Team arbeitete lösungs- und kundenorientiert sowie feedbackgesteuert. Ein iteratives Vorgehen mit vielen Entscheidungsspielräumen ermöglichte es, stärker maßgeschneiderte Lösungen zu entwickeln, frühe Feedback-Schleifen zu initialisieren und die Akzeptanz der finalen Lösungen zu erhöhen.
Kritiker werden selbst aktiv
Beispielsweise arbeiteten die Power Teams an der noch unveröffentlichten jährlichen Strategiepräsentation, die für alle Mitarbeiter verständlicher und greifbarer werden sollte. Anfangs präsentierten die Experten aus Strategie und Unternehmenskommunikation stolz ihre Ideen. Und sie mussten ziemlich schlucken, als die Mitarbeiter anfingen, diese auseinanderzunehmen und Bilder und Sprache komplett zu verändern. Der Drang, in alte Muster zu verfallen und die Gestaltung direkt wieder an sich zu reißen, war hoch; die Zweifel der Experten wurden erst bei der Umsetzung der Ideen zerstreut – denn es funktionierte. Die Strategiepräsentation war verständlicher und relevant für die Mitarbeiter gestaltet worden, sie wurde von den Mitgestaltern aktiv weitergetragen und bei einem Meeting des gesamten Senior Managements und der Geschäftsführung von Mitarbeitern präsentiert. „Ich bin Teil der Strategie“, urteilten die Power-Team-Teilnehmer danach. Ein Leadership Power Team aus Bereichsleitern beschäftigte sich mit der Führungskultur und ihrem eigenen Zusammenwachsen als Leadership Community. Eine Lösung war die Planung und Durchführung eines Offsites für das gesamte Senior Management. Natürlich gab es Widerstand: Das alte Muster – HR übernimmt die Organisation, Konzeption und Umsetzung – war bequemer und zeitsparender für alle Beteiligten. Doch die Kritiker wurden überzeugt. Die Führungskräfte wurden zu Gestaltern und Moderatoren ihrer eigenen Veranstaltung. In intensiven Gruppenarbeiten begleiteten die Power-Team-Mitglieder ihre Kollegen, und sogar der stärkste Kritiker fragte im Anschluss: „Wie machen wir jetzt weiter?“
Um das Vertrauen der Mitarbeiter wiederzugewinnen, setzte die Geschäftsführung außerdem auf Nähe und Dialog. Dazu wurden unterschiedliche Formate etabliert, um die hierarchieübergreifende Diskussion zu ermöglichen, das gegenseitige Verständnis zu schärfen und die Kollaboration zu stärken. Bei „ExCo meets Management“ diskutieren Geschäftsführungsmitglieder (Executive Commitee) mit Linienführungskräften Themen wie kundenorientierte Führung, Konvergenz und Innovation. Dabei wird die Kommunikationsrichtung umgedreht: Die Geschäftsführer werden von den Führungskräften beraten. Zusätzlich werden in sogenannten „Tipi Talks“ aktuelle Themen auf Augenhöhe diskutiert: Bereichsleiter diskutieren mit Mitarbeitern ihre Ideen; Führungskräfte stellen hier Fragen, statt die Welt zu erklären.
Eine neue Führungskultur zieht dauerhaft ein
Wir haben in diesem Prozess gelernt, dass neue Wege den Mut aller Beteiligten brauchen. Neue Wege zu beschreiten, bedeutet auch immer wieder, auf Momente des Zweifelns zu stoßen – ob bei uns selbst, den Führungskräften oder den Mitarbeitern. Doch es hat sich gelohnt: Die jährliche Mitarbeiterbefragung zum Jahr 2014 erzielte die besten Ergebnisse seit fünf Jahren. Wir konnten die Engagementwerte um 24 Prozent und die Vertrauenswerte um 36 Prozent im Vergleich zum Vorjahr steigern. Die Verbundenheit zu den eigenen Produkten und Dienstleistungen hatte sich mehr als verdoppelt. Das individuelle Führungsverhalten erreichte einen der höchsten Werte überhaupt – im internen und externen Vergleich.
Weiterer Indikator für den Erfolg des Gesamtprozesses ist die hohe Beteiligung der Mitarbeiter und Führungskräfte: Bis heute hatten wir 450 Teilnehmer bei Moving Minds, 265 Teilnehmer in 18 Power Teams, 600 Teilnehmer bei ca. 30 Tipi Talks und 150 Teilnehmer bei fünf „ExCo meets Management“-Veranstaltungen. Zusätzlich erlebten wir eine Rekordbeteiligung an einer Mitmachaktion im Intranet rund um die Power Teams.
Gar nicht mal so schlecht…
Goleman, Daniel: Durch flexibles Führen mehr erreichen. In: Harvard Business Manager. 2000. S. 27-38.
Königswieser, Roswita/Hillebrand, Martin: Einführung in die systemische Organisationsberatung. Heidelberg 2011.
Autorinnen
Katrin Jacke, Head of Leadership, Talent & Engagement, Vodafone GmbH, Düsseldorf,
katrin.jacke@vodafone.com
Dr. Anna Weber, Projektmanagerin Leadership, Talent & Engagement, Vodafone GmbH, Düsseldorf,
anna.weber@vodafone.com
Dr. Susanna Krisor, Projektmanagerin Leadership, Talent & Engagement, Vodafone GmbH, Düsseldorf,
susanna.krisor@vodafone.com
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