Mehr Vertrauen, weniger Vorgaben

Ausgezeichnete Personalarbeit: Das Team der DFS freut sich über den zweiten Platz.
Um höchstmögliche Sicherheit im Luftverkehr zu gewährleisten, braucht die DFS Deutsche Flugsicherung hoch qualifizierte und motivierte Spezialisten – und eine entsprechend gute Personalentwicklung. Das überzeugende Konzept erreicht den zweiten Platz beim Deutschen Personalwirtschaftspreis 2015.
Über den Wolken herrscht Hochbetrieb. Bis zu 10 000 Starts, Landungen und Überflüge werden pro Tag im deutschen Luftraum gezählt, rund drei Millionen Flugbewegungen sind es pro Jahr. Damit der Flugverkehr auch zu Stoßzeiten geordnet und reibungslos abläuft, gibt es die DFS Deutsche Flugsicherung GmbH – ein bundeseigenes Unternehmen mit rund 5750 Mitarbeitern, davon knapp 2000 Fluglotsen. In fünf Kontrollzentralen sowie an den 16 Tower-Standorten sorgen sie gemeinsam dafür, dass alle Flugzeuge unter Kontrolle der DFS immer ausreichend Abstand zueinander haben und ebenso sicher wie pünktlich ans Ziel kommen. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.
Regeln werden hinterfragt
Eine wichtige Voraussetzung für die Sicherheit im Luftverkehr sind einheitliche Regeln. Die Anflugroute auf den Flughafen muss ebenso festgelegt sein wie der Mindestabstand zwischen zwei Flugzeugen. Es muss klar geregelt sein, dass das Kommando zum Anlassen der Triebwerke aus dem Tower kommt und dass ein Pilot immer auf die Freigabe des Lotsen warten muss, bevor er auf die Startbahn rollt. Auch die Kommunikation zwischen Fluglotse und Pilot ist standardisiert, um Missverständnisse auszuschließen. Regeln sind wichtig für die Luftfahrt, denn Regeln schaffen Sicherheit.
Ein zentraler Faktor dabei ist, dass dieses Regelwerk nie endgültig ist: Jedes Mal, wenn die strengen Sicherheitsvorgaben verletzt wurden, werden die geltenden Regeln überprüft und korrigiert. Was Missverständnisse erzeugt, wird präzisiert. Was unzureichend ist, wird ergänzt. Und was überflüssig oder gar kontraproduktiv ist, wird abgeschafft. Nur diesem ständigen Hinterfragen ist das hohe Sicherheitsniveau im europäischen Luftraum zu verdanken – Fliegen ist, gemessen an der Kilometerleistung, die mit Abstand sicherste Art des Reisens.

Fluglotsen im Tower München kontrollieren den Verkehr am zweitgrößten Flughafen Deutschlands. Mit ihren rund 5750 Mitarbeitern sorgt die DFS für Sicherheit am Himmel über Deutschland.
Das, was im Luftverkehr selbstverständlich ist, haben wir bei der DFS nun auch im Personalwesen getan: Wir haben vor drei Jahren damit begonnen, unsere Personalarbeit neu auszurichten und die geltenden Regeln zu überprüfen. Zu diesem Zeitpunkt war die DFS mit allen Personalinstrumenten ausgestattet, die das akademische Herz höher schlagen lassen: ein Kompetenzmodell durchdekliniert in Verhaltensankern, verzahnt in jedes Instrument, von der Stellenbeschreibung über Auswahlinstrumente bis hin zur Potenzialerkennung. Einige der bestehenden Regeln haben wir beibehalten, etliche aber verändert. Und viele einfach abgeschafft – um den Führungskräften auf diese Weise neue Freiräume zu geben und damit den Akzent auf etwas gänzlich Neues zu setzen: Vertrauen.
Offenes Gespräch statt fester Regeln
Dass detaillierte Vorgaben nicht immer gute Ergebnisse gewährleisten, zeigt das Beispiel Mitarbeitergespräch. Der regelmäßige Austausch zwischen Führungskräften und Mitarbeitern war bei der DFS in der Vergangenheit stark reglementiert. Es gab ein starres Gerüst aus insgesamt 15 Kompetenzen, nach dem Führungskräfte die Leistung und das Verhalten ihrer Mitarbeiter bewerten sollten. Dies war sehr umständlich, mit einem hohen Zeitaufwand verbunden und der Mehrwert einer solch detaillierten Erfassung war für Führungskräfte wie Mitarbeiter nicht ersichtlich.
Deshalb haben wir unser Vorgehen beim Mitarbeitergespräch neu konzipiert: Es findet nun nicht mehr im jährlichen Turnus, sondern alle zwei Jahre statt. Zudem wurde es inhaltlich verschlankt, vereinheitlicht und in der Handhabung deutlich vereinfacht. Der Fokus des Mitarbeitergesprächs liegt heute nicht mehr auf dem Abarbeiten von Kompetenzen, sondern auf dem offenen Dialog über Leistung, Verhalten und mögliche Maßnahmen zur Weiterentwicklung – es stellt den Mitarbeiter in den Mittelpunkt. Dazu gehört auch ein Feedback des Mitarbeiters zur Zusammenarbeit mit seiner Führungskraft oder zum Nutzen, den er aus Weiterbildungsmaßnahmen gezogen hat. Zentrales Ziel ist auch hier das gemeinsame Schaffen einer Vertrauenskultur.
Orientierung an Lebensphasen
Ein Mitarbeiter, der direkt von der Universität oder aus einem anderen Unternehmen zur DFS kommt, hat völlig andere Bedürfnisse als ein langjähriger Mitarbeiter, der sich weiterentwickeln will. Das neue Personalentwicklungskonzept der DFS setzt darauf, diese unterschiedlichen Bedürfnisse je nach Lebensphase noch stärker zu berücksichtigen und die Inhalte von Entwicklungsmaßnahmen – zum Beispiel Austauschmöglichkeiten, Seminare, Workshops, Trainings, Teamentwicklungen – noch gezielter auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter zuzuschneiden. Diese Orientierung an Lebensphasen bedeutet auch, die Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu verbessern. Damit wird nicht nur an Mütter oder Väter gedacht, die ihre berufliche Tätigkeit in Einklang mit der Kinderbetreuung bringen müssen, sondern auch an Mitarbeiter, die beispielsweise Angehörige pflegen. Um ihnen größere Freiräume zu eröffnen, nimmt die DFS an dem „audit berufundfamilie“ teil. Bei der DFS gibt es bereits seit geraumer Zeit eine Vielzahl von Maßnahmen, die die Vereinbarkeit von Beruf und Familie fördern – von der Gleitzeitregelung für tariflich angestellte Mitarbeiter über flexible Schichtmodelle zum Beispiel für Fluglotsen bis hin zu der Möglichkeit, Mehrarbeit auf einem Langzeitkonto anzusparen. Zusätzlich werden nun kontinuierlich weitere Maßnahmen eingeführt. Ein Beispiel dafür ist die Betriebsvereinbarung „Flex Office“, die Arbeitgeber und Gesamtbetriebsrat im September 2014 geschlossen haben. Sie sieht vor, dass Mitarbeiter – sofern dies betrieblich möglich ist und ihre Führungskraft dem zustimmt – einen Teil ihrer Arbeitszeit nicht im Büro, sondern zu Hause oder auch an jedem anderen Ort außerhalb der DFS erbringen können.
Abbildung
Mitarbeiterentwicklung: Prozesse und Methoden

Das neue Konzept der DFS setzt darauf, die Inhalte von Entwicklungsmaßnahmen noch gezielter auf die Bedürfnisse der Mitarbeiter zuzuschneiden.
Das „Flex Office“ setzt dabei nicht auf eine fixe Vereinbarung, sondern auf flexible Lösungen, die im Interesse beider Seiten liegen. Ziel war es auch hier, den Führungskräften keine starren Regeln oder Richtlinien vorzugeben. Stattdessen werden sie in die Lage versetzt, eigene Entscheidungen zu treffen.
Mitarbeiter stärker vernetzen
Für Mitarbeiter, die ihr Wissen oder ihre Fähigkeiten erweitern wollten, steht bei der DFS traditionell ein umfangreiches Seminarangebot zur Verfügung. Dieses Angebot wird künftig eher verschlankt und nun ergänzt durch ein E-Learning-System, das eine interaktive und eigenständige Auseinandersetzung mit den Lerninhalten fördern soll. Hinzu kommen Angebote, die die Vernetzung der Mitarbeiter untereinander stärken und damit bereichsübergreifendes Wissen vermitteln.
Unter anderem organisieren wir regelmäßige Besuche von Unternehmensbereichen. Hier kann jeder DFS-Mitarbeiter Kollegen aus anderen Bereichen über die Schulter schauen und so Verständnis für das große Ganze bekommen. Zum anderen werden regelmäßige Treffen organisiert, um DFS-Mitarbeitern mit ähnlichen Aufgaben oder Schnittstellen eine Vernetzung zu ermöglichen.
Für Studenten im dualen Studium und Praktikanten findet bereits einmal monatlich ein sogenannter „Networking Lunch“ statt; ein vergleichbares Angebot soll in Zukunft allen DFS-Mitarbeitern an den großen Standorten zur Verfügung stehen. Eine ähnliche Zielrichtung verfolgt die Veranstaltungsreihe „Apéro“, die sich derzeit in Planung befindet. Sie soll allen Mitarbeitern regelmäßig Gelegenheit geben, sich nach getaner Arbeit in ungezwungener Atmosphäre auszutauschen.
Führungskräfte im Austausch
Auch bei den Führungskräften setzt das neue Personalentwicklungskonzept auf eine stärkere Vernetzung. Ein Beispiel dafür ist der „Erfahrungskreis Führung“, bei dem sich Führungskräfte miteinander austauschen und sich untereinander zu Fragen der Führung beraten können. Diese Veranstaltung findet etwa dreimal jährlich mit jeweils rund 15 Führungskräften verschiedener Hierarchieebenen – und zukünftig auch an den verschiedenen Standorten – statt. Insbesondere langjährige Führungskräfte profitieren von der Reflexion und der Auffrischung des eigenen Führungs-Know-hows.
Für Führungskräfte, die neu in ihrer Führungsrolle sind, gibt es eigenständige Angebote. Zum einen haben sie die Möglichkeit, im Rahmen von Hospitationen Einblick in andere Bereiche des Unternehmens zu erhalten und damit ihr unternehmerisches Wissen zu erweitern, Zusammenhänge zu erkennen und Kontakte zu knüpfen. Zum anderen haben sie die Möglichkeit, an einem Mentoring-Programm teilzunehmen. Hier teilen langjährige Führungskräfte ihr Wissen, ihre Fähigkeiten und ihre Erfahrungen mit den noch unerfahrenen Führungskräften und unterstützen sie in ihrer beruflichen und persönlichen Entwicklung. Beide Angebote stoßen bei den Führungskräften auf großes Interesse. Auch Angebot wie Coaching oder 360-Grad-Feedback werden seit der Neukonzeption der Führungskräfteentwicklung stärker als bisher in Anspruch genommen.
Zeit für das Wesentliche
Deutlich verschlankt wurde das Programm, das sich gezielt an neue Führungskräfte richtet. So durchliefen bislang alle neuen Führungskräfte bei der DFS einen mehrwöchigen, aus verschiedenen Modulen bestehenden „Führungs-campus“, in dem ihnen umfassende Informationen rund um das Unternehmen und ihre neue Aufgabe vermittelt wurden. Dieses Angebot war jedoch nicht zielgerichtet auf die Bedürfnisse der einzelnen Führungskraft zugeschnitten, sondern für alle gleich gestaltet. So erhielt beispielsweise auch eine Führungskraft mit BWL-Abschluss noch einmal eine Einführung in Grundzüge der Betriebswirtschaftslehre, weil dies nun einmal für alle vorgesehen war. Stattdessen wurde die „Into-Phase“ für die neuen Führungskräfte so gestaltet, dass eine erste Auseinandersetzung mit den Themen Selbstführung, Leadership und Management stattfindet, die im Nachgang individuell vertieft werden können. In dem Modul „Schwierige Führungssituationen gestalten durch Gespräche“ wird etwa praxisnah vermittelt, wie Führungskräfte verschiedene Arten von Mitarbeitergesprächen vorbereiten, planen und gestalten. Das Seminar „Teams erfolgreich führen“ zeigt Wege zum Aufbau und zur Weiterentwicklung erfolgreicher Teams auf. Neu etabliert wurde auch das Modul „Als Führungskraft eindrucksvoll präsentieren“ sowie das Modul „Führen in Matrix-Umgebung“. Diese neuen Trainings stoßen bei den Führungskräften der DFS auf große Begeisterung.
Im Dialog mit der Geschäftsführung
Neu konzipiert wurden auch die Führungskräfteveranstaltungen. Bislang gab es bei der DFS eine in der Regel jährlich stattfindende Führungskräftekonferenz, die allerdings eher der Information durch die Geschäftsführung als dem Austausch und der Diskussion diente. Um einen besseren und regelmäßigeren Dialog mit der Geschäftsführung zu ermöglichen, wurde diese Veranstaltung durch zwei neue Formate abgelöst: Zum Auftakt jedes Jahres findet nun ein ganztägiger Kick-off statt, an dem alle rund 500 Führungskräfte des Unternehmens teilnehmen. Dabei informiert die Geschäftsführung über die Ziele und Herausforderungen des laufenden Jahres. Darüber hinaus haben die Teilnehmer die Gelegenheit, sich in Kleingruppen zu bestimmten Führungsthemen auszutauschen. In Ergänzung dazu finden nun dreimal jährlich Austauschmeetings zwischen dem Top-management und der Geschäftsführung statt. Sie bieten die Möglichkeit, in kleinerem Kreis über die Lage des Unternehmens, personalpolitische Aspekte oder strategische Fragen zu diskutieren.
Vertrauen ist der Anfang von allem
Fliegen ist Vertrauenssache. Wer in ein Flugzeug steigt, der verlässt sich darauf, dass das Flugzeug ordentlich gewartet ist, der Pilot ausgeruht und der Fluglotse hoch konzentriert. Im Mittepunkt steht also der Mensch – denn auch wenn sich die Fluglotsen in den Kontrollzentralen und Kontrolltürmen auf technische Systeme verlassen können, die sie unterstützen: Hinter alldem verbergen sich Menschen, die alles dafür tun, dass diese Systeme auch fehlerfrei funktionieren.
Mit unserem neuen Personalentwicklungskonzept haben wir bei der DFS begonnen, auch bei der Personalarbeit den Menschen wieder in den Mittelpunkt zu rücken. Ziel ist es, anstelle starrer Vorgaben eine Vertrauenskultur zu etablieren, die den Führungskräften überall dort, wo es sinnvoll ist, Raum für eigene Entscheidungen lässt – und die Mitarbeiter motiviert, ihr Bestes zu geben. 24 Stunden am Tag, 365 Tage im Jahr.
Autorin
Christine Wüst, Leiterin Personalstrategie, DFS Deutsche Flugsicherung GmbH, Langen,
christine.wuest@dfs.de
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