Ausgabe 11 - 2017
„Keiner muss Angst vor der Digitalisierung haben“

Professor Dr. Gunther Olesch diskutierte bei „HR macht – Next Act“ auch engagiert bei dem Thema„HR macht Meinung“ mit.
Phoenix Contact ging beim Deutschen Personalwirtschaftspreis als Sieger der Kategorie HR-Organisation hervor. CHRO und Geschäftsführer Gunther Olesch segelt beim Aufbruch in digitale Welten voran und erläutert, wie er die komplette Crew dabei mitnimmt.
Interview: Wiebke Joester
Personalwirtschaft: Herr Olesch, warum startete Phoenix Contact „Auf zu neuen Welten“?
Gunther Olesch: Unternehmen müssen sich für Industrie 4.0 an der Digitalisierung ausrichten. Die Digitalisierung ist jedoch ein Weg, den man beschreitet und dessen Richtung immer wieder angepasst wird. Das ist eine verunsichernde Situation. Die Mitarbeiter erhalten vielfältige Informationen, auch über Talkshows, wo sogenannte Spezialisten sagen, die Hälfte der Arbeitnehmer wird ihren Job verlieren. Was entsteht da? Angst. Der Familienvater sagt sich, wenn die Hälfte der Arbeitnehmer ihren Job verlieren soll, zähle ich mal durch, also auf mich trifft 50 Prozent der Wahrscheinlichkeit zu. Ich muss aber das Haus noch abzahlen, ich muss dafür sorgen, dass die Kinder zur Schule gehen. Er wird sich dagegenstellen und er ist dabei nicht alleine.
Diese Unsicherheit wollten Sie Ihren Mitarbeitern nehmen?
Ich bin persönlich davon überzeugt, dass keiner Angst haben muss. Deswegen haben wir den Arbeitnehmern eine gewisse Arbeitsplatzsicherheit gegeben. Natürlich muss man sich weiterentwickeln. Als Henry Ford im letzten Jahrhundert das erste Auto serienmäßig hergestellt hat, haben sich viele Kutscher dagegen gewehrt. Sie haben gesagt, wir verlieren unseren Job.
Doch sie mussten sich nur umqualifizieren und wurden Taxifahrer. Sie haben sich nicht mehr um Pferde gesorgt und sie mussten nicht mehr den Stall misten. Sie mussten dafür das Auto fahrtüchtig halten, es auftanken und sie mussten den Führerschein machen. Aber sie haben nicht ihren Job verloren, sie haben etwas Ähnliches gemacht, aber nach wie vor Menschen befördert. Und so sehe ich auch Industrie 4.0. Wir wollen jedem die Gelegenheit bieten, seinen Führerschein zu machen, sprich das zu lernen, was er für die Zukunft braucht.

Eric Hampe, Leitung HR, Business Area Device Connectors (2. v.l.) sowie Ines Ludwig, Leiterin Corporate HR, und Gunther Olesch (Mitte) von Phoenix Contact freuen sich über den Personalwirtschaftspreis. Rechts daneben Nelson Taapken, Partner, People Advisory Services, EY (Ernst & Young), alle eingerahmt vom Moderatorenteam Cliff Lehnen (I.) und Erwin Stickling (r.), Personalwirtschaft.
Was hat es gebraucht, um dieses Projekt aufzusetzen?
Drei wesentliche Maßnahmen muss man ergreifen, um Mitarbeiter mitzunehmen. Aufrichtig mit dem Betriebsrat zu sprechen und eine gewisse Sicherheit zu geben, dass man jeden Mitarbeiter mitnehmen will, ist eine Grundvoraussetzung und Präambel. Das haben wir schriftlich festgehalten. Dann erstens: Man muss sehr viel informieren. Wir machen das auf Belegschaftsversammlungen, aber auch in unserem zweimonatlichen Mitarbeitermagazin. Weiterhin haben wir einen Geschäftsführungspodcast, wo wir Fragen aus der Belegschaft beantworten.
Und die anderen beiden Maßnahmen?
Der zweite große Punkt: Partizipation. In unseren Workshops kommen mehr als 500 Mitarbeitende zusammen. Sie erarbeiten in Arbeitsgruppen folgende Fragen: Was bedeutet Digitalisierung für uns, wie müssen wir die Arbeitsplätze vielleicht verändern, wie müssen wir noch Qualifizierung hinzubekommen? Dann drittens die Qualifikation. Wir haben letztes Jahr ein Bildungszentrum für 35 Millionen Euro aufgebaut (siehe HR in Aktion, Personalwirtschaft 2/2017). Wenn die Mitarbeitenden in den Gruppen der Partizipation zusammen etwas erarbeiten und sagen, dafür müssen wir die Qualifikation haben, bieten wir diese in unserem Bildungszentrum an.
Haben Sie das Gefühl, dass Sie schon Ängste abbauen konnten?
Ja, sicherlich. Schauen Sie mal bei Kununu nach. Und wir sind mehrfach bester Arbeitgeber Deutschlands geworden. Das zeigt, dass die Mitarbeiter Vertrauen zu uns haben und uns glauben. Wir verfolgen sehr stringent unser Ziel, als Unternehmen nicht nur Arbeitsplätze zu erhalten, sondern neue im Umfeld der Digitalisierung zu schaffen. Komfortablere Arbeitsplätze, da schwere, gefährliche und monotone Aufgaben automatisiert erledigt werden.
Wann brach Phoenix Contact zu neuen Welten auf?
Wir haben im Januar letzten Jahres eine digitale Vision formuliert, mit der wir allen mitgeteilt haben, dass wir mehr in die digitale Welt gehen wollen. Erste Ideen präsentierten wir sogar schon im Dezember 2015 auf einer Belegschaftsversammlung.
Sie haben den Betriebsrat von Anfang an eingebunden. Warum?
Digitalisierung, Industrie 4.0 als sich ständig verändernder Prozess verunsichert Menschen. Was machen die Mitarbeiter? Sie kommen nicht zu mir, zur Geschäftsführung, sondern sie gehen zum Betriebsrat und sagen denen womöglich: Verhindere das! Und wenn der sagt, ich habe auch keine Ahnung, was da läuft, wird die Verunsicherung nur noch größer. Um das zu verhindern, haben wir rechtzeitig den Betriebsrat eingebunden.
„Bei uns rufen Headhunter an und kriegen die Mitarbeiter nicht aus dem Unternehmen. Weil sie sich wohlfühlen.“
Auf welche Weise erfolgte die Einbindung des Betriebsrats?
Ich habe ihm gesagt, wir wollen eine digitale Agenda für uns schreiben, und du sollst partizipieren. Alle vierzehn Tage sitze ich als einer der Geschäftsführer mit dem Betriebsrat zusammen. Manchmal sogar wöchentlich, wenn noch dringende Themen hinzukommen.
Es gibt viele Unternehmen, für die solch eine Organisation sinnvoll wäre, die aber nichts machen. Warum funktioniert das gerade bei Phoenix Contact?
Viele Unternehmen oder Managements wollen erst eine klare Vorstellung haben, ein Konzept mit Strategien dahinter, mit klaren Messgrößen. Die kriegst du bei der Digitalisierung nicht so schnell hin. Also kommunizieren sie nichts, weil sie auf konkrete Fragen nicht konkret antworten könnten. Das ist ein Fehler. Und den machen wir nicht.
Haben Sie sich für das Projekt Meilensteine gesetzt oder geht das gar nicht?
Meilensteine können Sie nur setzen, wenn Sie den genauen Weg kennen. Das ist wie Christoph Kolumbus vor 600 Jahren. Er wusste noch nicht einmal, welche Gefahren da sind, welche gefährlichen Tiere, welche gefährlichen Menschen oder Unwetter. Er hat es einfach gemacht. Christoph Kolumbus hat Amerika betreten und das ist Digitalisierung! Königin Isabella, die spanische Königin, konnte eben auch nicht sagen: Hör’ mal, welche Meilensteine setzt du? Wenn man Meilensteine nennen kann, dann dass wir unsere Mitarbeiter hinter uns wissen wollen.
Das heißt aber auch, das Projekt, für das Sie jetzt ausgezeichnet wurden, wird niemals abgeschlossen sein.
Richtig. Die Digitalisierung wird fortschreiten und wir müssen mit ihr gehen, gerade wir in Deutschland. Insbesondere unser Unternehmen will weiter wachsen in der Zukunft, und das geht nur mithilfe der Digitalisierung.
Können Sie für sich schon Ergebnisse benennen?
Wir haben ganz viele Workshops und Qualifizierungsmaßnahmen. Auch Coaching für Führungskräfte, weil deren Aufgabe eine andere sein wird. Diese und nächste Woche findet wieder eine weltweite Befragung durch Great Place To Work bei uns statt. Da werden wir erfahren, ob und wie die Leute dazu stehen. Aber wir sehen das ja bei Kununu, wir kriegen Bestbeurteilungen. Und sind mehrfach bester Arbeitgeber Deutschlands geworden, weil unsere Mitarbeiter sagen: Wir arbeiten gerne bei Phoenix Contact. Das hat auch mit der Leistungsfähigkeit zu tun. Wir sind 1923 gegründet worden. In 2007 haben wir die erste Milliarde gemacht, in 84 Jahren. Und jetzt in den nächsten neun Jahren die nächste Milliarde. Das geht nur durch eine hohe Leistungsbereitschaft der Mitarbeitenden und mit einer hohen Identifikation mit dem Unternehmen.
Also geht es nicht nur um Qualifizierung, sondern auch um Engagement und Begeisterung.
Ja, sicherlich. Wir wachsen stärker als der Wettbewerb, das sind auch Messgrößen. Dann noch etwas, das dazugehört: unsere Fluktuation. Die Fluktuationsquote ist deutschlandweit momentan 8,4 Prozent, wir haben 0,9 Prozent. Bei uns rufen Headhunter an und kriegen die Mitarbeiter nicht aus dem Unternehmen. Weil sie sich wohlfühlen. Ich selber bin für fünf Jahre zu Phoenix Contact gekommen, das war vor 28 Jahren. Ich liebe dieses Unternehmen – und das empfinden die meisten Menschen. Deswegen ist Phoenix Contact so erfolgreich.
Das Siegerprojekt im Überblick
Das Unternehmen:
Phoenix Contact ist weltweiter Marktführer für Komponenten, Systeme und Lösungen im Bereich der Elektrotechnik, Elektronik und Automation. Das Familienunternehmen mit Stammsitz im westfälischen Blomberg beschäftigt rund 14 500 Mitarbeiter weltweit und hat 2016 einen Umsatz von 1,98 Milliarden Euro erwirtschaftet.
Das Projekt:
Mit „Auf zu neuen Welten – Industrie 4.0 bei Phoenix Contact“ will das Unternehmen sich und seine Mitarbeiter fit für die Digitalisierung und Industrie 4.0 machen. Bei Phoenix Contact ist man der Überzeugung, dass alle Mitarbeiter in die ungewisse Zukunft mitgenommen werden können, wenn Ängste durch umfassende Information abgebaut und die richtigen Qualifizierungsmaßnahmen durchgeführt werden. Phoenix Contact implementiert Industrie 4.0 in einem ganzheitlichen Gestaltungsprozess im Einklang mit Technik, Organisation und Mensch (TOM) ins Unternehmen. Dabei wird das Projekt wissenschaftlich begleitet.
Information, Partizipation und Qualifizierung sind die drei Teilbereiche, über die das Projekt umgesetzt wird. Alle Stakeholder wurden von Anfang an ins Boot geholt: Führungskräfte, Mitarbeiter, Betriebsrat und Gewerkschaft. Ein neu geschaffenes Industrie-4.0-Büro bündelt und steuert alle Aktivitäten. Die Beteiligten werden von der Geschäftsführung über jeden Schritt in Richtung Digitalisierung informiert, bringen sich selber in die Gestaltung der zukünftigen Arbeitswelt ein und werden am eigenen Bildungszentrum weiterqualifiziert. Da das Projekt nicht endgültig terminiert werden kann, gibt es keine Meilensteine. Jedoch wurden für die Bereiche Technik, Organisation und Mensch Teilziele definiert.
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