Ausgabe 11 - 2017
Die Herausforderin

Bis in die 90er-Jahre war die Deutsche Flugsicherung (DFS) eine Bundesbehörde. Heute muss sie sich als privatwirtschaftlich organisiertes Unternehmen der Digitalisierung und Prinzipien moderner Führung öffnen. Bei Christine Wüst, Leiterin Personalstrategie bei der DFS, laufen die Fäden zusammen. Wir haben sie einen Tag lang begleitet.
Von David Schahinian
Wer zu Christine Wüst will, muss angemeldet sein und seinen Personalausweis bei sich tragen. „Sie werden abgeholt“, sagt die freundliche Dame am Empfang der DFS und deutet auf einen der Sitze gegenüber. Auf einem Campus würde man lockere Umgangsformen erwarten, und tatsächlich trottet der eine oder andere Student in kurzen Hosen über das Gelände – sie lernen an der Akademie der Deutschen Flugsicherung (DFS) in Langen bei Frankfurt. Für Besucher stellt sich die Situation anders dar: Das Areal alleine zu erkunden, ist aus Sicherheitsgründen verboten. „Wir haben Sie im Blick“, scherzt die Leiterin Personalstrategie bei der ebenfalls nicht ganz ernst gemeinten Frage, ob das auch für die Toiletten gilt.
Herausfordernde Unternehmensstruktur
Die DFS, für die Flugverkehrskontrolle in Deutschland zuständig, ist wohl einzigartig, was die Voraussetzungen und die Belegschaft betrifft. Privatrechtlich organisiert, gehört sie zu 100 Prozent dem Bund. In Diensten stehen etwa 5430 Mitarbeiter, davon etwa 2000 Fluglotsen. Zivile und militärische Lotsen arbeiten zusammen, gemeinsam kontrollieren sie den zivilen und militärischen Luftverkehr sowie die Starts und Landungen an den 16 internationalen Flughäfen in Deutschland. Es gibt eine eigene Gewerkschaft, die für die DFS sowie die Vorfeldlotsen an Flughäfen zuständig ist. Im hessischen Langen sind unter anderem das Schulungszentrum, die Radarkontrollzentrale Langen, das Forschungs- und Entwicklungszentrum und die Hauptverwaltung untergebracht. Diese Gemengelage fällt etwa beim Kantinenbesuch auf: Junge, hip gekleidete Menschen an einem Tisch, erfahrene Mitarbeiter stecken an einem anderen die Köpfe zusammen, an einem dritten sitzen uniformierte Soldaten.
Eine Herausforderung für HR, aber auch eine spannende Aufgabe. Als Leiterin Personalstrategie muss Christine Wüst viele Bälle in der Luft halten: Sie ist zuständig für den Nachwuchs der Luftverkehrsmanager, Ingenieure und ITler, für das Employer Branding, das Recruiting, Diversity-Themen, die Personalentwicklung und Social Media, um nur einige Themen zu nennen. Wie das mit den Bällen erfolgreich funktioniert, sieht sie wöchentlich bei den Kickern aus ihrem Wohnort Sinsheim. Neues ausprobieren, für frischen Wind sorgen – darin steht sie dem jungen Erfolgstrainer der TSG Hoffenheim, Julian Nagelsmann, in nichts nach.
Auch bei der DFS ist es ein langer Weg zur Champions League der Personalwirtschaft. „Bis 2012 hatten wir mit den Arbeitnehmervertretern eine interessante Streitkultur“, berichtet sie, und man hört heraus, dass es keine ganz leichte Zeit war. Mit dem Vorstandstrio Professor Klaus-Dieter Scheurle (Vorsitzender der Geschäftsführung), Dr. Michael Hann (Geschäftsführer Personal und Arbeitsdirektor) und Robert Schickling (Geschäftsführer Betrieb), das in dieser Zeit das Steuer übernahm, änderte sich das. „Der Auftrag war nun, eine Vertrauenskultur zu schaffen“, erzählt Wüst.
Vertrauenskultur als Ziel
Für Christine Wüst selbst war der Start bei der DFS ebenfalls eine Umstellung: Sie hat die Personalarbeit von der Pike auf beim Küchenspülenhersteller Blanco gelernt, einem familiären Mittelständler, der sich dem Thema Unternehmensethik verschrieben hat. Bei der DFS wehte damals ein anderer Wind: „An meinem ersten Arbeitstag kam nachmittags die Streikandrohung für die Nacht rein.“ Die ersten Nächte kam sie nicht vor zwei Uhr ins Bett.
Mittlerweile sind gemeinsame Werte und der Spaß am Arbeiten ohne Animositäten zwischen den verschiedenen Aufgabenbereichen im Unternehmen besser positioniert. „Wir haben kein Produkt. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind unsere wichtigste Ressource“, sagt sie. Zum Wandel führen kleine Maßnahmen, wie die Zulosung zufällig ausgewählter Kollegen zum Mittagessen, wenn man daran teilnehmen will. Und große wie das Programm „Next Level Leadership“, das den Kulturwandel bei den Führungskräften vorantreiben soll. Dieses wird später am Tag noch einmal Thema in einem Gespräch mit dem CEO. Die Führungsebene unter Christine Wüst berichtet mit Direct Reports, ihre eigene Arbeit ist eng mit dem Vorstand verzahnt.
Change Management in Profi-Händen
Doch dazu später mehr, denn Astrid Tübel und Marie-Christine Lohmer warten schon im gläsernen Besprechungszimmer auf dem Flur. „Ein Highlight jagt das nächste“, steht neben einer aufgemalten Sonne auf einem Schild in ihrem Büro. Das gilt für beide. Tübel ist verantwortlich für mehrere derzeit laufende Change-Projekte, steht jedoch kurz vor ihrer Schwangerschaftspause. Lohmer wurde als Interimslösung von der Deutschen Bahn ausgeliehen und arbeitet sich intensiv ein. „Für ein Unternehmen unserer Größe ist es ein Luxus, eine eigene Mitarbeiterin für das Change Management zu haben“, weiß Wüst. Und es ist ein Zeichen, dass die Sache mit dem Kulturwandel ernst gemeint ist.
Lohmer musste zunächst einmal viele Abkürzungen und Titel lernen. ICAS, Origami, S-ATM-Robusto, TANGe, VRR – alles klar? Man muss die Begriffe als Laie nicht kennen, bezeichnen sie doch teilweise sehr technische Neuerungen und Entwicklungen im Flugverkehr. Wüst schon. Sie erkundigt sich nach dem neuesten Stand der Projekte, hakt nach und hat am Ende ein „gutes Gefühl“, dass Lohmer das gut hinbekommen wird.
Großer Bedarf an weiblichem Nachwuchs
Für Technikaffine, Flugzeugbegeisterte und sogar manch einen Planespotter ist die DFS aufgrund ihres Alleinstellungsmerkmals und der „Aviation-Umgebung“, so Wüst, Wunscharbeitgeber. Deshalb die Arbeitgebermarke nicht zu pflegen oder die Hände in den Schoss zu legen, wäre fatal. „Aus betrieblicher Sicht ist es gut, wenn man uns nicht kennt: Niemand sollte sich Gedanken machen, wie er mit dem Flugzeug von A nach B kommt. Als Arbeitgeber aber muss man uns kennen.“ Die Akademie auf dem Campus ist für die Aus- und Weiterbildung der Fluglotsen und des sogenannten „operativen Personals“ zuständig. Für alle anderen Ausbildungsberufe und Weiterbildungsmaßnahmen sind es Wüst und ihre Kollegen. Hoch qualifiziertes Personal wird benötigt und der Bedarf wächst: „Wir haben im Mai eine Altersteilzeitvereinbarung mit der Gewerkschaft geschlossen“, berichtet Ausbildungsleiter Thomas Machate, der nun im Besprechungszimmer, das ein wenig an ein übergroßes Aquarium erinnert, sitzt.
Gemeinsam wird der konkrete Bedarf für die nächsten Monate und Jahre besprochen. „Hast Du einen guten Luftverkehrsmanager?“ Machate: „Sie sind alle gut, aber sie werden nicht rechtzeitig fertig.“ Das weibliche Geschlecht hält sich, zumindest in den technischen Berufsfeldern, zurück. „Auf Bereichsleiterebene haben wir leider aktuell keine Frau, es ist aber unser erklärtes Ziel das schnell zu ändern. Dafür sieht es auf Abteilungsleiterebene mit 11 Prozent und bei den Gruppenleitern mit 18 Prozent schon besser aus“, erklärt Wüst. Unternehmensweit beträgt die Frauenquote 27 Prozent. „Hier haben wir noch was zu tun, aber wir haben das Ziel im Blick und würden gerne mehr Frauen in Technikberufen einstellen, aber die weiblichen Bewerberzahlen liegen deutlich hinter den männlichen zurück.“ Machate berichtet, dass viele Eltern sich als Berater ihrer Kinder verstehen, zumindest beobachtet er das auf Messen. Leider wirke bei vielen von ihnen das alte Rollenverständnis immer noch nach: „Das ist Technik, das kannst du nicht.“
Zu viele Einzelbüros
Ein Essen in der Kantine, ein Kaffee auf der Terrasse später. Im umliegenden Teich tummeln sich Fische. Das Bistro versprüht Lounge-Atmosphäre, die umliegenden Gebäude wirken modern. Es ist aber nicht alles Gold – in diesem Falle Glas –, was glänzt. Nicht nur, dass man sich in den Gebäuden verlaufen kann. „Es gibt zu viele Einzelbüros. Sie unterstützen die Kultur des Miteinanders nicht gerade“, findet Wüst. Einer ihrer Wünsche, der sich bisher allerdings noch nicht erfüllt hat, ist die Umgestaltung hin zu einer innovativen Wohlfühlatmosphäre, in der gut und gerne gemeinsam gearbeitet wird.
Auf dem Gelände wird fleißig gebaut. Vom Besprechungsraum aus zeigt die Personalstrategin auf einen Erdhaufen in der Entfernung. „Das war unser ehemaliges Gästehaus.“ Dort soll eine Grünanlage entstehen. Die Einrichtungsgegenstände, darunter 200 Matratzen, 140 Betten, 130 Schreibtische sowie Bettwäsche und Handtücher wurden an Einrichtungen für Flüchtlinge im Kreis Offenbach gespendet. Monika Rühl, Leiterin Social Responsibility bei der Lufthansa Group, ist eingetroffen. Wüst hört ihren Ausführungen zum Nachhaltigkeitsmanagement aufmerksam zu.
Tower-Simulator und virtuelles Lernen
Über Umwege – die Baustellen … – geht es dann zum Tower-Simulator. Im Pilotenraum ist es abgedunkelt. Operateur Peter Gärtner spricht leise, um die drei anwesenden „Trainer“ nicht bei der Arbeit zu stören. Sie verhalten sich, als ob sie gerade im Flugzeug sitzen, und nehmen die Kommandos von den angehenden Tower-Lotsen in Empfang und befolgen sie. „Es sind gut ausgebildete Spezialisten“, hebt er hervor. Sie sind Mitarbeiter der Akademie – und nicht einfach zu finden. Beide Seiten müssen viele Details im Kopf behalten – etwa die unterschiedlichen Steigraten der verschiedenen Flugzeugtypen. Ohne zu dramatisieren, wird hier deutlich: An solchen Kleinigkeiten können Leben und Tod hängen.
Die Treppen herunter, betritt man einen kreisrunden Raum mit einer 360-Grad-Videoleinwand. Er ist das Gegenstück zum Pilotenraum. Wohin man blickt, sieht man den Flughafen Berlin-Schönefeld. Fluglotse Andreas Pelzl und zwei Kollegen aus der Hauptstadt lernen unter nahezu realen Bedingungen: Auf dem virtuellen Flughafen kann es regnen und schneien, Tag und Nacht werden, Flugzeuge rollen auf dem Vorfeld. Auf Besucher macht er Eindruck, weil hier die Faszination vom Fliegen greifbar nah ist. Auch wenn die Lotsenausbildung getrennt von den anderen Berufsbildern bei der DFS läuft: Überschneidungen soll es bald geben, wie Wüst erklärt. Angehende Fluglotsen lernen 18 Monate an der DFS-Akademie, anschließend weitere 18 Monate „on the job“. Es war Wunsch und Auftrag der Geschäftsführung, die Vernetzung der jungen Kollegen von Anfang an sicherzustellen. „Gemeinsam mit der Akademie sind wir gerade dabei, ein Programm auszuarbeiten, das den Lernenden ein gegenseitiges Verständnis für die Berufsbilder und späteren Tätigkeiten geben soll, frühes Netzwerken und soziale Kompetenzen vermittelt“, sagt Christine Wüst.

Christine Wüst mit Fluglotse Andreas Pelzl im Tower-Simulator (großes Bild). Hier werden Fluglotsen ausgebildet. Mirco Krausch demonstriert Christine Wüst 360-Grad-Videos mit VR-Brille, die er für das Recruiting einsetzten möchte (Bild links).
„Wir müssen uns verändern. Wir sind keine Insel der Glückseligen.“
Recruiting mit 360-Grad-Videos
Dass der Nachwuchs auch künftig gesichert ist, fällt allerdings in den Aufgabenbereich der Leiterin Personalstrategie. Azubi-Blog, Facebook und Xing gehören zu den leichteren Fingerübungen.Beim Meeting mit Mirco Krausch, Spezialist für Social Media und Personalmarketing, steht ein neues DFS-Format auf dem Prüfstand. 360-Grad-Videos, schon im Rohschnitt ohne VR-Brille ein Hingucker. Fast nebenbei fällt ein Satz, der Wüst ziemlich treffend charakterisiert: „Ich bin jemand, der gerne alte Zöpfe abschneidet.“

Krausch hatte die Videos gesehen und Wüst davon überzeugt. Natürlich wurde auch über die Kosten diskutiert, aber letztlich grünes Licht gegeben. „Wenn sich die Eröffnung des Hauptstadtflughafens BER noch weiter verzögert und die DFS mit Schönefeld und Tegel weiter zwei Flughäfen bedienen muss, brauchen wir zusätzliche Fluglotsen.“ Eine langfristige Planung ist da unerlässlich, zumal die dreijährige Ausbildung rund 180 000 Euro kostet. Wer abbricht, wird bei der DFS beraten, welche alternativen Berufsbilder in Frage kommen. Damit bringt man den jungen Menschen Wertschätzung entgegen – und verhindert, die Kosten vollständig abschreiben zu müssen.
„Wir würden gerne noch im Flugzeug filmen, vom Pushback bis zur Startfreigabe“, sagt Krausch zu den Videos. Intensiv geht Wüst mit ihm die Fassungen durch, bespricht, wo welcher Schriftzug eingeblendet werden sollte, welche Szene zu lang geriet, wann der Call to Action für die Bewerber angebracht ist. „Meine Homebase“, entfährt es ihr, als sie das Video vom Kontrollraum in Karlsruhe sieht. Dort verbrachte sie die ersten Jahre bei der DFS.

Christine Wüst im Gespräch mit CEO Klaus-Dieter Scheurle über das Programm„Next Level Leadership“.
Das Ringen um Geld
„Ich habe nicht immer so viele Termine wie heute, aber die Arbeitstage sind meistens genauso lang“, berichtet die leidenschaftliche High-Heels-Trägerin auf dem Weg zum nächsten Treffen. Die Arbeit macht ihr sichtlich Spaß. Schon als Teenager wusste sie, dass sie später einmal im Personalbereich arbeiten wollte. Aber auch das Privatleben ist ihr heilig. Am Wochenende bleibt der Laptop aus, Quality Time mit der Familie ist angesagt: „Der Mensch braucht Energieressourcen.“
„Ich will Ihr Geld“, begrüßt sie Pierre Hermann, den Leiter des Aeronautical Information Management (AIM). Der Bereich AIM stellt alle relevanten aeronautischen Daten zur sicheren Durchführung von Flügen zur Verfügung – sowohl den Luftraumnutzern als auch den DFS-Kollegen. Rund 140 Mitarbeiter sind in dem Bereich tätig. Seine Antwort kommt ebenso schlagfertig: „Ich habe nicht viel anzubieten.“ Die Personalkosten belaufen sich bei der DFS auf rund 80 Prozent, Sparzwänge sind auch hier nicht fremd. Eine Idee war, den Weiterbildungsbedarf der verschiedenen Bereiche besser zu planen und auszusteuern. Die Fortbildung soll zentralisiert werden. Das bringt viele Diskussionen mit sich: Wer behält den Hut auf, wer bestimmt über das Budget?
Auf dem Tisch vor Wüst und Hermann liegt ein Blatt mit „Maßnahmen der Personalentwicklung nach dem 70-20-10-Prinzip“. Der Blick wandert herüber auf Hermanns Schreibtisch. Dort steht der Spruch: „Fall in love with the process, and the results will come!“ So ganz sind sie nicht in Einklang zu bringen an diesem Tag. Wo grenzt man ab zwischen operativen und nicht operativen Tätigkeiten? „Wir werden alle fachlichen Themen übernehmen“, kündigt Wüst an. „Ist Ihnen bewusst, was Sie sich da anziehen?“, entgegnet Hermann. Das sei viel Arbeit und keineswegs trivial. Ein kleiner Kompromiss wird geschlossen, das nächste Treffen verabredet, denn der nächste Termin wartet schon. Und seinen CEO lässt man nicht gerne warten.
Die Person Christine Wüst
Umgekehrt schon eher. „Es dauert noch ein bisschen“, heißt es in der Vorstandsetage. Der Gang wirkt dunkel, draußen zieht Regen auf. Die Gelegenheit ist günstig, ein wenig mehr über die Person Christine Wüst zu erfahren. Sie tauscht sich gerne persönlich aus. Natürlich sei manches Vertrauenssache, aber wenn sie wisse, wo jemand steht, welche Probleme ihn vielleicht aktuell bedrücken, könne sie sich besser darauf einstellen und Hilfe anbieten. Die Kultur bei der DFS sei nach wie vor noch stark von Sicherheit geprägt. Veränderungen rufen mitunter Sorgen und Gegenwehr hervor. „Aber wir müssen uns verändern. Wir sind keine Insel der Glückseligen.“
Greifen Maßnahmen zur Kulturveränderung, kann sie sich auch über vermeintlich kleine Dinge freuen: „Eine Mitarbeiterin ist schon seit 20 Jahren bei uns. Nun hat sie hier das erste Mal Geburtstag gefeiert.“ Dass manche ihr mit weniger Offenheit begegnen, müsse sie aushalten können und zeigen, dass sie das Vertrauen verdient.
„Ich bin eine Challenge-Tante.“ Noch so ein Spruch, der locker daherkommt, aber ernst gemeint ist. Sie will gefordert werden und fordert sich selbst. Beim unternehmensinternen Lauf macht sie regelmäßig mit, bisher konnte sie ihre Bestzeit über sechs Kilometer jedes Jahr verbessern. Manche Herausforderung koste Ausdauer, Energie und viel Kraft. Aber wenn man das Ergebnis sehe, sei das lohnenswert.
Ihr Führungsstil ist offen, aber bestimmt. Sie setzt Vertrauen in die Mitarbeiter und lässt sie autark arbeiten. „Ich muss als Führungskraft nicht die Fachfrau der Truppe sein.“ Bei der Vielzahl an Querschnittsaufgaben wäre das auch schwer zu bewerkstelligen. Die gemeinsame Lösung muss stimmen, darauf kommt es an. Sozialkompetenz ja, Kuschelkurs nein: „Man muss auch den Mut haben, Dinge anzusprechen, die nicht gut laufen.“ Das Verhältnis mit dem Betriebsrat sei harmonisch, sagt sie.
Allen kann man es jedoch nicht recht machen – oder noch nicht. Es komme leider immer wieder vor, dass eine Meinungsverschiedenheit aus den 90er-Jahren noch 2017 atmosphärische Störungen erzeugt: „Eine gute Führung könnte dafür sorgen, dass so etwas nicht zugelassen wird.“ Sagt nicht Christine Wüst. Es steht in einem Beitrag des „Flugleiters“, der Publikation der Gewerkschaft der Flugsicherung (GdF).
Programm: Next Level Leadership
Um das zu ändern, sitzt Wüst nun dem CEO der DFS, Professor Klaus-Dieter Scheurle, gegenüber. Thema ist das Programm „Next Level Leadership“, dessen Inhalt es ist, die Führungskräfte auf eine gemeinsam getragene Führungskultur, maßgeblich nach den Prinzipien der transformationalen Führung, einzuschwören. Dabei sind die vier „i“ der Führung von besonderer Bedeutung: individuelle Behandlung, intellektuelle Herausforderung, Inspiration und Identifikation. Die Führungskräfte sind hierbei die entscheidenden Multiplikatoren auf dem Weg hin zu einer Vertrauenskultur. Mit den Tochtergesellschaften sind es insgesamt 480. Der Vorstand steht dahinter, eine unabdingbare Voraussetzung für den Erfolg. An jedem der Termine nimmt einer der drei Geschäftsführer persönlich teil. 17 Veranstaltungen wurden bisher durchgeführt. Für die Team-Workshops hat sich die DFS Professor Dr. Wolfgang Jenewein von der Universität St. Gallen und seine Mitarbeiter an Bord geholt. Jenewein hat auch schon viele bekannte Fußballtrainer in Sachen Mannschaftsführung und Teambuilding weitergebildet.
„Schon im Verlauf der ersten Welle hat sich die Bedeutung dieses Vorhabens für eine verbesserte Führungskultur im Unternehmen gezeigt“, sagt Scheurle. Das Feedback vonseiten der Führungskräfte sei unisono sehr positiv ausgefallen. Lediglich in einer Gruppe sei es zunächst schwierig gewesen, aber am zweiten Tag kam auch von dort positives Feedback. Wichtig sei jedoch, es nicht bei der ersten Welle zu belassen. Die Nachhaltigkeit sei es, die die DFS bei diesem Programm von anderen Firmen, von denen er höre, unterscheide. „Diese Form des Coachings wird am Ende des Tages Früchte tragen. Nicht bei jedem, aber doch bei den meisten.“ Über die Form des Online-Austausches unter den Führungskräften über ihre Erfahrungen im täglichen Betrieb oder über das Programm selbst bestehe noch Uneinigkeit. „Ich habe mir vorgestellt, das über die Sharepoint-Plattform zu machen“, sagt Scheurle. Noch ist die Resonanz gering. Kommunikation, schließt Scheurle, sei immer ein dickes Brett und brauche regelmäßig mehrere Anläufe.
Die Hall of Fame soll weiter wachsen
Der Tag neigt sich dem Ende zu. Das Strategietreffen mit McKinsey und den Bereichsleitern ist kurzfristig verschoben worden. Es bleibt also noch ein wenig Zeit, an der „Hall of Fame“ vorbeizulaufen – auch eine Idee von Wüst. Toparbeitgeber im Focus-Ranking, Social-Media-Personalmarketing-Innovator des Jahres, eines der besten Unternehmen für Familien, ein knapper zweiter Platz beim Deutschen Personalwirtschaftspreis 2015. „Wir haben die Hoffnung auf den Spitzenrang noch nicht aufgegeben“, sagt sie lachend.
Zurück im Aquarium zur Telko mit Wolfgang Jenewein. Die aufgemalte Sonne im gegenüberliegenden Büro lacht immer noch, die Kolleginnen aber sind weg. Wir erwischen ihn in einer Crossfit-Box. „Ich habe gerade ein Workout hinter mir und bin hoch konzentriert“, versichert er lachend. Sein Feedback zur ersten Welle des Führungskräfte-Trainingsprogramms fehlt noch: „Die Konzentration und Aufmerksamkeit waren sehr hoch.“ Auch er hat beobachtet, dass noch nicht alle mitziehen. „Eine Herausforderung bei der DFS sind die Supervisoren, also die Führungskräfte der Fluglotsen. Sie haben eine wichtige Stellung.“ Ihnen eine Kulturveränderung schmackhaft zu machen, ist nicht immer einfach, zumal auch die Rahmenbedingungen nicht optimal sind. Die nächste Phase werde spannend. Dann gehe es darum, mehr Dinge auch in der Organisation zu verändern. In der dritten Welle steht das Selbstmanagement im Vordergrund.
Wie sich das Programm entwickelt, bleibt abzuwarten. Und Christine Wüst? Ist sich durchaus bewusst, dass engagierte und gut ausgebildete Mitarbeiter begehrt sind. Als sie noch bei Blanco war, habe sie ein Headhunter angesprochen. Die nächsthöhere Position war auf lange Zeit besetzt: „Für mich war klar, dass der Weg für mich dort zu Ende ist.“ An eine frühere Behörde als nächsten Arbeitgeber hatte sie dabei nicht gedacht. „Als ich mich mit der DFS beschäftigt habe, fand ich das Arbeitsumfeld aber tatsächlich sehr spannend und sexy.“
Das erste Jahr sei hart gewesen, und ihr war nicht klar, ob sie bleiben will. Vieles habe sie lernen müssen, um sich in die Themen einzuarbeiten. Eine besondere Herausforderung sei, dass die Belegschaft naturgemäß ein sehr hohes Bildungsniveau auszeichne. Aus ihrem persönlichen Kulturschock habe sie dann eine Challenge gemacht. Neun Jahre bei einem inhabergeführten Familienunternehmen, mehr als sechs Jahre bei der DFS: „Das sind keine Durchlaufzeiten, die für Karriere stehen, wenngleich ich alle zwei Jahre den Job gewechselt habe.“ Erfüllende Inhalte bei der Arbeit sind ihr wichtiger. Es ist nach 18 Uhr, als sie mich zum Ausgang begleitet. Für sie geht es noch einmal zurück an den Rechner: Für die Beantwortung von E-Mails blieb den Tag über keine Zeit.
Preisträger „Deutscher Personalwirtschaftspreis 2015“
Die Deutsche Flugsicherung hat 2015 den zweiten Platz des Deutschen Personalwirtschaftspreises errungen. Das erfolgreiche Konzept, mit dem sich die DSF damals beworben hatte, setzte auf eine Neuausrichtung der Mitarbeiter- und Führungskräfteentwicklung. Der HR-Bereich wurde damals neu ausgerichtet und geltende Regeln im Unternehmen wurden überprüft. Viele Instrumente und Regeln wurden abgeschafft, das eröffnete Raum für eine individualisierte, lebensphasenorientierte Personalentwicklung, die sich zugleich an der Unternehmensstrategie ausrichtet. Statt auf strikte Vorgaben und Regeln setzt das Unternehmen nunmehr auf eine Vertrauenskultur und lässt den Führungskräften viel Freiraum für Entscheidungen.
Mehr unter: pwgo.de/preistraeger
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