Zufriedene Bewerber zahlen sich aus
Bewerbungen ohne Rückmeldung, aufwendige Online-Bewerbungsformulare, Infos zum Unternehmen sind nicht auffindbar. Wenn Jobsuchende diese Erfahrungen machen, brechen sie den Bewerbungsprozess immer häufiger ab. Unternehmen müssen erkennen: Das Bewerbererlebnis – die „Candidate Experience“ – ist eine harte Währung im Kampf um die Talente geworden.
Bewerber wollen heute nicht verwaltet werden. Es geht den Bewerbern darum, eine Beziehung zum potenziellen Arbeitgeber aufzubauen, die durch Vertrauen geprägt ist. Das Wissen um Erwartungen, Erfahrungen und Emotionen der Bewerber eines Unternehmens beeinflusst zunehmend den Erfolg der Rekrutierungsprozesse. Mit „Candidate Experience“ wird ein konsequent bewerberorientiertes Konzept in das Recruiting eingeführt. Die auf Recruitingoptimierung spezialisierte meta HR Unternehmensberatung und die Online-Jobbörse Stellenanzeigen.de legten kürzlich die „Candidate Experience Studie 2014“ vor. Professor Dr. Peter Wald von der HTWK Leipzig hat die Studie wissenschaftlich begleitet und ist Co-Autor. Für diese erste deutsche Studie zum Thema wurden rund 1400 Jobsucher zu ihren konkreten Bewerbungserlebnissen befragt. Dieser Beitrag stellt ausgewählte Ergebnisse vor, die als Hinweise zur Optimierung der Rekrutierungsprozesse zu verstehen sind.
Was bedeutet Candidate Experience?
Nahezu alle Unternehmen mit Personalbedarf mussten feststellen, dass der Arbeitsmarkt in den letzten Jahren bei vielen Tätigkeiten zum Bewerbermarkt geworden ist. Die Unternehmen stehen im intensiven Wettbewerb um geeignete Mitarbeiter. Hinzu kommt, dass die Bewerber nicht nur knapper, sondern oft auch anspruchsvoller gegenüber den Unternehmen geworden sind. Zudem zeichnen sich die in den Arbeitsmarkt drängenden Vertreter der Generation Y häufig durch neue Erwartungen und Kommunikationsgewohnheiten aus. Soziale Medien mit ihren breiten Möglichkeiten zum Austausch und zur Information über Arbeitgeber führen zu einer bisher ungeahnten Transparenz. Die Erfahrungen der Bewerber mit den rekrutierenden Unternehmen werden hier mithilfe eines neuen Ansatzes beschrieben: Candidate Experience.
Candidate Experience (CE) beschreibt zunächst das individuelle Erleben von Rekrutierungsprozessen bei einem potenziellen Arbeitgeber durch den jeweiligen Bewerber. Sie bildet sich aus der Summe der in diesem Kontext gesammelten Erfahrungen mit dem Arbeitgeber und dessen Vertretern. Diese Erfahrungen des Bewerbers können potenziell an allen Berührungspunkten („Touchpoints“) mit dem Arbeitgeber gemacht werden. Im Ergebnis prägt die Candidate Experience die Meinung der Person über die Arbeitgebermarke und beeinflusst das Bewerbungsverhalten.
Unternehmensseitig steht Candidate Experience Management (CEM) für ein Recruiting-Konzept, das bewerberzentriert ist und darauf zielt, einen angenehmen und glaubwürdigen Eindruck der Arbeitgebermarke beim Kandidaten zu hinterlassen. Hierfür wird der eigene Rekrutierungsprozess so optimiert, dass Bewerber diesen als positiv erleben, selbst in dem Fall, dass sie die Stelle nicht bekommen. So werden die Reputation des Arbeitgebers geschützt und Bewerbungsabbrüche reduziert. Als Vorbild dient ein analoger kundenzentrierter Ansatz aus dem Bereich Marketing und Customer Service, der dort schon seit Jahren erfolgreich eingesetzt wird.
Wer suchet, der findet nicht
Man möchte meinen, dass die Aussagen zur Candidate Experience wie Selbstverständlichkeiten klingen. Keine Organisation dürfte ein Interesse daran haben, einen schlechten Eindruck bei seinen Bewerbern zu hinterlassen. Diese Haltung setzt jedoch ein Bewusstsein für den Kandidaten als Partner beziehungsweise wichtigen Akteur voraus. Tatsächlich sind zahlreiche Unternehmen sehr mit sich selbst beschäftigt, sodass die Perspektive der Bewerber unberücksichtigt bleibt. Dieses Versäumnis hat seinen Preis, denn dadurch werden Bewerbungsprozesse nicht an den Erwartungen der Kandidaten ausgerichtet.
Aus der vorliegenden Studie, die die Autoren dieses Beitrags im Verbund mit Stellenanzeigen.de durchgeführt haben, lassen sich Erkenntnisse zu diesen Fehlsteuerungen ableiten. Ein Beispiel: Bewerber haben den Wunsch nach umfassenden und schnell verfügbaren Informationen zu Unternehmen und Jobs. Unternehmen haben demgegenüber oft nicht einmal die Such- und Informationskanäle der Bewerber ausreichend besetzt. Nachweisbar gewinnt Google bei der Jobsuche gerade bei den unter 30-Jährigen stark an Bedeutung. Sind Unternehmen dort mit ihren Jobs oder als Arbeitgeber nicht einmal halbwegs auffindbar, gibt es keine Bewerbungen.
Ähnliches gilt für die Möglichkeit, Jobs auf der Karrierewebseite über mobile Endgeräte zu finden: Rund ein Drittel der Bewerber sucht mobil. Vor allem die unter 26-Jährigen nutzen mobile Endgeräte bereits mit rund 60 Prozent für die Jobsuche. Unternehmen müssen diesen Bedürfnissen nachkommen, wollen sie nicht auf potenzielle Mitarbeiter verzichten.
Unnötige Barrieren
Am Beginn der Bewerbung stehen Erwartungen hinsichtlich klarer Informationen und einer hohen Transparenz an die Arbeitgeber: Neben aussagekräftigen Jobbeschreibungen werden häufig namentliche Ansprechpartner und ein Überblick zum Bewerbungsprozess erwartet (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1
Informationserwartungen von Bewerbern

Unternehmen sind aufgefordert, das große Informationsbedürfnis der Bewerber bezüglich der internen Recruiting-Abläufe zu befriedigen.
Bei der Einreichung der Bewerbung lassen sich ähnlich klare Erwartungen feststellen: Über 70 Prozent der Bewerber wünschen sich die Möglichkeit zur Bewerbung per E-Mail. Online-Bewerbungsformulare hingegen, wie sie nicht wenige Unternehmen als alleinige Bewerbungsmöglichkeit anbieten, werden wenig geschätzt (siehe Abbildung 2). Jeder zehnte Bewerber verzichtet im Zweifel sogar ganz auf eine Bewerbung, sofern das Unternehmen keine Alternative bietet.
Abbildung 2
Bevorzugte Bewerbungsform

Über 70 Prozent der Bewerber wünschen sich die Möglichkeit zur Bewerbung per E-Mail. Online-Bewerbungsformulare hingegen werden wenig geschätzt.
Auch ist das Zeitvolumen, das die Bewerber für das Ausfüllen von Online-Bewerbungsformularen durchschnittlich aufbringen wollen, auf knapp über 20 Minuten begrenzt. Die E-Recruiting-Systeme werden oft als sperrig und im schlimmsten Fall wie Formulare „vom Amt“ wahrgenommen. Hier sind, technisch gesehen, vor allem Einfachheit und Nutzerorientierung gefragt. Bewerberorientierte technische Lösungen allein greifen allerdings zu kurz. In dieser Studie konnte nachgewiesen werden, dass eine gelungene Candidate Experience in Summe auf einer ausbalancierten Vertrauensbeziehung zwischen dem rekrutierenden Unternehmen und dem Bewerber beruht.
Vertrauensbeziehung unerlässlich
Konkret bedeutet dies, dass vor allem eine klare, transparente Kommunikation, eine wohlwollende Haltung, die Respekt, Wertschätzung und Augenhöhe gegenüber dem Kandidaten zum Ausdruck bringt, und ein nachvollziehbar auf Ergebnisorientierung bedachter Bewerbungsprozess zu den Elementen dieser Beziehung zählen.
Damit ist das Konzept der Candidate Experience gleichermaßen theoretisch leicht greifbar wie praktisch einfach zu erfüllen, sofern Organisationen konsequent handeln. Bleiben die Anforderungen eines dieser Elemente unerfüllt, kann die Bewerbererfahrung deutlich negativ beeinflusst werden. Dies führt schlimmstenfalls zum Bewerbungsabbruch.
Insbesondere die emotionalen Anteile der Beziehung zum Bewerber sind prägend für die finale Candidate Experience: Die durch ein als fair und professionell erlebtes Auftreten der Unternehmensvertreter gegenüber dem Bewerber gezeigte Wertschätzung ist dafür zentral. Ebenso wie die angenehme Atmosphäre bei persönlichen Begegnungen, insbesondere in Bewerberinterviews. Nahezu jede positive Einschätzung der Candidate Experience ging einher mit einem positiv beurteilten Auftreten der jeweiligen Unternehmensvertreter. Damit wurde hier ein für Unternehmen besonders wirksamer Hebel identifiziert.
Das Auftreten der Unternehmensvertreter sollte durch verbindliche Elemente der Ergebnisorientierung flankiert werden. Dies bedeutet, die Schritte des Bewerbungsprozesses so umzusetzen, wie sie zuvor kommuniziert wurden, und zeitnah nach dem letzten Auswahlschritt eine endgültige Zu- beziehungsweise Absage zu kommunizieren. Kürzere Bewerbungsprozesse erzeugen tendenziell eine bessere Candidate Experience, im Zweifel aber auch nur dann, wenn vorgenanntes Auftreten wertschätzend ausfällt.
Ernst zu nehmende Auswirkungen
Über 80 Prozent der Befragten gaben an, ihre Rekrutierungserfahrungen mit Freunden und Bekannten zu teilen. Zudem postet rund jeder vierte Bewerber diese Erfahrungen in sozialen Netzwerken oder Arbeitgeberbewertungsplattformen. Bei den unter 30-Jährigen tut dies sogar jeder Dritte. Für die Unternehmen heißt dies: Candidate Experience wird vom individuellen Erleben zum Schlüsselfaktor im Kampf um die Talente aufgewertet, weil das Arbeitgeberimage durch die Candidate Experience nicht unerheblich beeinflusst wird. Laut der vorliegenden Daten geht eine positive Bewertung der Candidate Experience mit einem Image-Plus für das Unternehmen als Arbeitgeber einher. Selbst in den Fällen, wo es im Ergebnis des Rekrutierungsprozesses zu einer Absage gekommen ist, liegt im Mittel die Bewertung des Arbeitgeberimages noch auf einem ähnlichen Niveau beziehungsweise hat sich sogar geringfügig verbessert. Umgekehrt beeinflussen Absagen in Kombination mit einer negativen Candidate Experience auch das Arbeitgeberimage sehr negativ. Selbst bei einer Einstellung des Bewerbers leidet das Arbeitgeberimage unter einer negativ erlebten Candidate Experience. Kein guter Start für die Zusammenarbeit.
Abbildung 3
Fehlende Wertschätzung

Laut der Umfrage wurde der Aspekt der Wertschätzung als Schlüsselgröße der Candidate Experience nur mäßig erfüllt. Die Folge davon war ein Zurücktreten von der Bewerbung.
Positive Candidate Experience wird zum Muss
Organisationen, die das Thema anpacken und die eigenen Recruiting-Prozesse für eine positive Candidate Experience gestalten wollen, sollten Folgendes tun: Zunächst einmal sollte die Erfahrungslandschaft der Bewerber festgestellt werden. Eine neutrale, professionelle Messung kann dies leisten. Ausgehend von den gesammelten Daten kann das eigene Handeln überprüft und gegebenenfalls optimiert werden. Damit kann jeder relevante Bewerberkontaktpunkt („Touchpoint“) unter technischen und prozessualen Aspekten optimiert werden. Vor allem aber ist es möglich, das Auftreten der Organisation und ihrer Vertreter gegenüber den Kandidaten gezielt zu professionalisieren. Hier liegen, wie die Studie zeigt, die größten Potenziale. Im Endeffekt kann so ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess für das eigene Recruiting über den Hebel der Candidate Experience implementiert werden. Dies wird die Wahrnehmung der Arbeitgebermarke durch die Bewerber nachhaltig positiv beeinflussen.
Die Bedeutung der Bewerberperspektive beim Kampf um die besten Talente beziehungsweise für die Steigerung der Arbeitgeberreputation wird mittlerweile von einigen Unternehmen erkannt. Bereits seit 2011 werden in den USA Arbeitgeber ausgezeichnet, wenn sie exzellente Candidate Experience bieten. Erste Best Practices tun ihr Übriges. So hat das US-Ferienwohnungsportal Airbnb nach einer konsequenten Überprüfung der Candidate Experience eine durchgängig auf Bewerberfreundlichkeit ausgerichtetete Kulturinitiative gestartet. Swisscom hat begonnen, die Mehrzahl seiner Bewerber in Interviews zu duzen, weil diese so angeredet werden möchten. Auch andere Unternehmen arbeiten an diesem Thema. Perspektivisch dürfte eine gute Candidate Experience zu einer grundlegenden Erwartung der Bewerber an attraktive Arbeitgeber werden. Diese Erwartung gilt es zu erfüllen, um im Wettbewerb um Talente bestehen zu können.
Studie
Eine ausführliche Zusammenfassung der „Candidate Experience Studie 2014“ von meta HR und Stellenanzeigen.de steht auf www.metahr.de zum Download bereit.
Autoren
Christoph Athanas, Geschäftsführer, meta HR Unternehmensberatung GmbH, Berlin,
c.athanas@metaHR.de
Prof. Dr. Peter M. Wald, Professor für Personalmanagement, Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur – HTWK Leipzig,
wald@wiwi.htwk-leipzig.de
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