Ausgabe 11, Special E-Recruiting - 2014
Ausnahmezustand im Land der Mitte
Wer nach China expandieren möchte, steht vor dem Problem der Mitarbeitersuche. Denn aufgrund der chinesischen Ein-Kind-Politik herrschen dort Fachkräftemangel und eine hohe Fluktuation gleichermaßen. Lesen Sie, wie und wo man chinesische Mitarbeiter findet und welche Stolpersteine es zu beachten gilt.
Der China-Sog ist ungebrochen – das Reich der Mitte zählt seit Längerem zu den wichtigsten Handelspartnern Deutschlands. Zwar hat sich das Wirtschaftswachstum des Landes zuletzt deutlich abgeschwächt: Doch bei 7,5 Prozent Wachstum sind die Aussichten für deutsche Unternehmen immer noch mehr als verlockend – rund 5000 von ihnen haben mittlerweile Niederlassungen vor Ort. Einziger Wermutstropfen: Das Finden und Binden qualifizierter Mitarbeiter wird immer schwieriger. Vor diesem Hintergrund hat Lumesse, Anbieter für Talent Management Software, basierend auf Best Practices und Fallstudien, eine Studie zum Thema China-Recruiting erarbeitet. Diese zeigt Unternehmen im Kern, mit welchen Herausforderungen sie bei der Suche nach Mitarbeitern in China rechnen müssen. Im Vordergrund steht eine (E-)Recruiting-Strategie, die chinesische Praktiken gezielt integriert anstatt örtliche Arbeitskräfte in ein globales Regelwerk zu zwängen.
Talentmangel und hohe Fluktuation
China steht an der Schwelle eines bedeutenden demografischen Wandels. Laut den Vereinten Nationen wird die Kerngruppe der Industriearbeiter (25–39 Jahre) aufgrund der strengen Ein-Kind-Politik in den nächsten zehn Jahren rapide schrumpfen. Bereits heute zählt die Suche nach geeigneten Mitarbeitern zu den größten Problemen ansässiger Unternehmen, wie einschlägige AHK-Umfragen zeigen. Qualifizierte Arbeitskräfte sind Mangelware. Daran kann auch die Absolventenschwemme – das chinesische Bildungssystem spült jährlich rund sieben Millionen Universitätsabsolventen auf den Markt – nichts ändern. Denn Unternehmen suchen vorrangig nach Mitarbeitern mit Erfahrung und verlangen deutlich höhere Standards als der Ausbildungsgrad eines chinesischen Hochschulabsolventen oftmals hergibt. Wegen der chronischen Knappheit an qualifiziertem Personal müssen deutsche Unternehmen in China ungewöhnlich viel Aufwand bei der Rekrutierung betreiben.
Eine weitere Begleiterscheinung der chinesischen Ein-Kind-Politik ist die branchenübergreifend ungewöhnlich hohe Fluktuationsrate. Die Abwanderung von Arbeitskräften nimmt in China gravierende Ausmaße an: So ist eine Rate von 60 Prozent und mehr nichts Ungewöhnliches. Der Generationenvertrag lastet auf nur wenigen Schultern und so müssen Mitarbeiter nicht nur ihren eigenen Lebensunterhalt sichern, sondern meist auch ihre Eltern und Großeltern unterstützen. So bestimmt die Höhe des Gehalts die Loyalität eines Mitarbeiters zu seinem Arbeitgeber. Unternehmen brauchen daher einen differenzierteren Ansatz in Sachen Talent Acquisition und Talent Management. Denn Unternehmen, die in China ihre wirklichen Leistungsträger – egal, ob in der Produktion oder im Büro – langfristig an sich binden wollen, müssen mehr bieten als gute Bezahlung.
E-Recruiting auf dem Vormarsch
E-Recruiting bietet auch in China – trotz der Herausforderung der starken staatlichen Überwachung der Online-Kanäle im Land – eine wachsende Zahl an Möglichkeiten, um diesen Herausforderungen zu begegnen und die Reichweite der Recruiting-Maßnahmen deutlich zu erhöhen. Zwar lässt sich die Internetverbreitung noch nicht mit westlichen Standards vergleichen (mit Ausnahme von Hongkong und Taiwan), aber dennoch steigt auch in China die Anzahl der Internetnutzer kontinuierlich an. Im Durchschnitt liegt sie in Chinas wichtigsten Städten zwischen 27 und 30 Prozent.
Abbildung
Wie lange Leistungsträger im Unternehmen bleiben

Die chinesische Ein-Kind-Politik führt zu einem gravierenden Fachkräftemangel und zu einer hohen Fluktuationsrate im Vergleich zu anderen Ländern.
Diese Entwicklung ist teilweise auf den starken Anstieg von Smartphone-Verkäufen zurückzuführen. So veröffentlichte ZDNet im Januar 2014, dass rund 80 Prozent der 618 Millionen chinesischen Internetnutzer mobil online gehen.
Obwohl Facebook, Twitter und viele andere Websites in China verboten sind, gewinnt das Recruiting über Social Media mehr an Bedeutung, als viele HR-Profis erwartet hätten. So mag der Zugang zu Facebook blockiert sein, doch viele clevere Surfer in China finden dennoch Schlupflöcher, um die Seite öffnen zu können, und haben dort sogar einen eigenen Account. Außerdem gibt es auch viele Social Media-Seiten, die legal sind: Die größte davon ist „Weibo“ – das chinesische Äquivalent zu Twitter – mit geschätzten 281 Millionen Nutzern. Zwar wird Weibo auch von den Behörden überwacht, aber solange Inhalte auf der Seite weder schädlich noch regierungskritisch sind, sollten Unternehmen die Reichweite nutzen, um potenzielle Kandidaten auf sich aufmerksam zu machen und mit ihnen in Verbindung zu bleiben.
Social Recruiting auf Chinesisch
Für Unternehmen ist es dabei besonders wichtig, auf die chinesischen Social Media-Kanäle zu setzen. Was im Westen „Whatsapp“ ist in China „WeChatAPP“, die derzeit von rund 200 Millionen Anwendern genutzt wird. Lumesse hat erst vor Kurzem eine Integration zwischen WeChat und TalentLink für einen großen deutschen Pharmaspezialisten abgeschlossen.
In der Folge kann der Konzern nun direkt auf WeChat offene Stellen posten, der Nutzer kann die Stellen an mögliche Interessenten weiterleiten und zudem ein Foto seines Lebenslaufs hochladen. Für das Unternehmen war die Integration ein voller Erfolg, denn die Zahl der Bewerbungen hat sich drastisch erhöht und ist auch in qualitativer Hinsicht sehr zufriedenstellend.
Checkliste 1
Wie Sie die richtigen Bewerber finden
1. Jobbörsen
Jobbörsen sind in China sehr beliebt. Doch Vorsicht ist geboten: Zwar werden dort viele Lebensläufe gepostet, diese Quantität ist aber häufig kein Maß für ihre Qualität. Es gibt jedoch mehrere halbstaatliche Organisationen, die einen umfassenderen Service anbieten. Dazu zählen unter anderem Fesco Shanghai, CIIC, ADP, 51 Job oder China Star. Diese Personaldienstleister helfen Unternehmen bei der Suche nach den richtigen Bewerbern und unterstützen sie im Umgang mit der zeitraubenden Bürokratie, die mit einer Geschäftseröffnung in China häufig einhergeht.
2. Arbeitsvermittler
Arbeitsvermittler können für die Suche nach leitenden Mitarbeitern genutzt werden. In der Regel fallen dabei 20 bis 30 Prozent des Jahresgehalts eines erfolgreich vermittelten Bewerbers als Provision an. Es ist jedoch nicht immer ganz einfach, den richtigen Arbeitsvermittler zu finden. Achten Sie daher insbesondere darauf, dass die von Ihnen ausgewählten Anbieter über umfangreiches Know-how in Ihrer Branche verfügen.
3. Empfehlungen
Weiterempfehlungen werden zunehmend zu einem akzeptierten Verfahren für die Gewinnung hoch qualifizierter Fachkräfte. Es gibt bereits zahlreiche Beispiele namhafter Unternehmen, die sowohl Social Media als auch Empfehlungen erfolgreich einsetzen, um im Einzelhandel und in der Automobilbranche Stellen der mittleren Ebene zu besetzen.
4. Zeitungsannoncen
Viele Unternehmen verzichten zunehmend darauf, Stellenanzeigen in Zeitungen zu schalten. In Ausnahmefällen wird dieser Kanal nur von Personalvermittlungsagenturen für die Rekrutierung von Topführungskräften genutzt. Es ist jedoch weitaus üblicher, Arbeitsvermittler und Headhunter für die Gewinnung von Führungskräften zu nutzen. Die Reichweite, die die Veröffentlichung eines entsprechenden Angebots auf Jobbörsen, Social Media-Plattformen oder durch Arbeitnehmerorganisationen erzielt, übertrifft heutzutage die einer Zeitungsanzeige.
Quelle: BAUA 2014, S. 31, und eigene Erkenntnisse
Checkliste 2
Acht Angriffspunkte für erfolgreiches (E-)Recruiting in China
Lumesse hat acht Schritte identifiziert, mit denen Sie in Sachen China-Recruiting wettbewerbsfähig werden. In der Folge können Sie eine Belegschaft aufbauen und halten, die die Anforderungen Ihrer Geschäftsstrategie auch erfüllen kann.
1. Suchen Sie nach einer Kombination von Kompetenzen
Internationale Unternehmen, die neu auf dem chinesischen Markt sind, werden feststellen, dass sie viele Bewerber anziehen. Eine solche Bewerberschwemme bedeutet nicht zwangsläufig, dass diese auch höheren Qualitätsansprüchen genügen. Daher gilt es, die Bewerber entsprechend zu sondieren. Softwaregestützte Recruiting-Lösungen, wie sie beispielsweise Lumesse anbietet, können Unternehmen dabei unterstützen, Bewerber zentral zusammenzuführen und Talentpools aufzubauen. Damit werden Einstellungszeiten verkürzt und die Effizienz im Recruiting wird deutlich gesteigert.
2. Zeit ist das oberste Gebot
Für die Geschäftsstrategie sollten Unternehmen ausreichend Zeit einplanen. China kann sehr bürokratisch sein und es kann viel Zeit kosten, die nötige Lizenz für die Gründung und den Betrieb eines Geschäfts zu erhalten. Doch noch wichtiger ist es, sich genügend Zeit für die Mitarbeitergewinnung zu lassen. Wenn die Wahl auf einen bestimmten Bewerber gefallen ist, sind Backgroundchecks und Referenzen, insbesondere bei in der Unternehmenshierarchie höher angesiedelten Stellen, extrem wichtig.
3. Setzen Sie auf Ihre Marke
Dank der zunehmenden Verbreitung von Internet und Smartphones wächst die Bedeutung von Social Media zur Unterstützung des Recruitings.
Die Herausforderung liegt darin, nicht einfach einen Ansatz aus Europa oder den USA zu übernehmen. In China gibt es bereits spezielle Unternehmen, die überzeugende Employer Branding-Angebote für Arbeitgeber entwickelt haben – diese können dafür sorgen, dass Sie die Vorteile von Social Media voll ausschöpfen.
4. Nutzen Sie ein formelles Empfehlungsprogramm
Viele Unternehmen, die auf eine Recruitment-Lösung setzen, verfügen bereits über ein formelles Empfehlungsprogramm, das Mitarbeitern Anreize in Form von Prämien bietet, wenn sie das Unternehmen bei der Mitarbeitergewinnung unterstützen. Bei der Umsetzung eines solchen Systems in China sollten Unternehmen darauf achten, dass eine Auszahlung nur dann erfolgt, wenn der empfohlene Mitarbeiter seine Position sechs Monate bekleidet hat. Das Empfehlungsprogramm muss außerdem absolut transparent sein und darf keinen Spielraum für Interpretationen bieten.
5. Investieren Sie, um die Referenzen einer Kandidaten zu überprüfen
Je höher die Position, die der Bewerber bekleiden soll, umso wichtiger ist es in China, den Background des Bewerbers gründlich zu überprüfen, um ein differenziertes Bild zu erhalten. Sollen gut geeignete Bewerber für gehobene und hohe Positionen gefunden werden, müssen also zusätzliche Investitionen getätigt werden, um den Hintergrund der potenziellen neuen Kräfte umfassend durchleuchten zu können. Wichtig ist außerdem: Wann immer ein Personalvermittler an dem Prozess beteiligt ist, ist es ratsam, einen Dritten mit dem Backgroundcheck zu beauftragen, um jeden Interessenskonflikt schon im Voraus zu vermeiden.
6. Behalten Sie bei der Einstellung die Mitarbeiterfluktuation im Hinterkopf
Aufgrund der hohen Mitarbeiterfluktuation in China muss der Schwerpunkt auf wettbewerbsfähigen und attraktiven Gehältern liegen. Außerdem müssen deutliche Gehaltserhöhungen alle zwei Jahre eingeplant werden. Andere Werkzeuge zur Senkung der Fluktuation sind zusätzliche Weiterbildungsleistungen, Gesundheitsversorgung oder Prämien.
7. Lokalisieren Sie HR und Einstellungspraktiken
Das chinesische Arbeitsrecht wurde im Verlauf des letzten Jahres deutlich strenger – mehr und mehr Verantwortung lastet dabei auf dem Arbeitgeber. Vor diesem Hintergrund sollten Schritte zum Aufbau einer lokalisierten Personalabteilung unternommen werden. Kopieren Sie keinesfalls Modelle und Verfahren aus anderen Ländern. Verträge, Einstellungsverfahren und Talent Management werden in China nämlich ganz anders gehandhabt.
8. Bedenken Sie das chinesische Arbeitsrecht
Aufgrund des chinesischen Arbeitsrechts ist es für Unternehmen in bestimmten Fällen ratsam, einem Bewerber – und sei er auch noch so vielversprechend und begehrt – zunächst einen befristeten Vertrag anzubieten. Das Arbeitsrecht in China ist mittlerweile außerordentlich arbeitnehmerfreundlich ausgerichtet und führt im ungünstigsten Fall schnell dazu, dass eine Fehlbesetzung negative finanzielle Konsequenzen für das Unternehmen nach sich ziehen kann.
Autor
Dr. Sven Elbert, Sales Director Deutschland, Lumesse, Düsseldorf,
sven.elbert@lumesse.com
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