Bewerber sehen rot

Obwohl Otto heute zweitgrößter Online-Händler Deutschlands ist, verbinden die meisten mit diesem Namen noch dicke Kataloge und ein etwas angestaubtes Image. Um diesem entgegenzuwirken und Spezialisten aus der IT- und E-Commerce-Branche als Mitarbeiter zu gewinnen, macht Otto mit einer bemerkenswerten Employer-Branding-Kampagne von sich reden.
Angefangen 1949 als Schuhversand, ist Otto heute zweitgrößter Online-Händler Deutschlands als Teil der Otto Group weltweit in verschiedenen Geschäftsfeldern aktiv. Über die Jahre haben sich Jobprofile und Arbeitsweisen geändert. Die digitale Transformation hat Veränderungen im gesamten Unternehmen mit sich gebracht mit Auswirkungen auf die Organisationsstruktur und die Unternehmenskultur. Heute sucht Otto als Mitarbeiter vor allem Spezialisten aus E-Commerce, Business Intelligence und IT. Im laufenden Geschäftsjahr sind rund 300 Stellen zu besetzen.
Das Unternehmen hat zwar bei klassischen Berufsgruppen eine hohe Anziehungskraft als Arbeitgeber, aber bei den Online-Berufsprofilen konkurriert es mit anderen Internetunternehmen und Startups. Obwohl Otto ein Vorreiter im Online-Shopping ist, assoziieren viele immer noch das Kataloggeschäft und das tradierte Familienunternehmen. Weniger werden Themen wie Innovationskraft, Wachstum und modernen Technologien mit dem Unternehmen verbunden. Dies sind aber Faktoren, nach denen Digital Natives ihren Wunscharbeitgeber auswählen. Darüber hinaus suchen sie nach spannenden fachlichen Herausforderungen, attraktiven Produkten und flachen Hierarchien.
Strategie und Konzept
Es war also an der Zeit, einen ganzheitlichen Relaunch der Arbeitgeberkommunikation vorzunehmen. Die Employer-Branding-Strategie wurde gemeinsam mit der Agentur Heimat Berlin entwickelt. Die strategische Markenanalyse hat ergeben, dass die Unternehmensmarke bei der gewünschten Zielgruppe als angestaubt wahrgenommen wird. Um Otto noch stärker als E-Commerce-Unternehmen zu positionieren und die Innovationskraft stärker in den Vordergrund zu stellen, wurde der Claim „E-Commerce seit 1995“ unter das Logo in der Arbeitgeberkommunikation gesetzt. Hiermit soll die Unternehmensmarke stärker mit der Arbeitgebermarke verschmolzen und Vorurteile abgebaut werden.
Design – tiefroter Hingucker
Die tiefroten Anzeigen (siehe Abbildung 1) zeigen echte Mitarbeiter, deren Namen und Funktion. Der Look ist modern, urban und spiegelt das Selbstverständnis der neuen Generation wider.
Abbildung 1
Tiefrotes Kampagnenbild macht neugierig

Die Anzeigen zeigen echte Mitarbeiter, deren Namen und Funktion. Der Look ist modern, urban und spiegelt das Selbstverständnis der neuen Generation wider.
Mit ihrer selbstbewussten und frechen Tonalität ist die Kampagne bewusst anders als herkömmliche HR-Kommunikation: Es gibt einen Verzicht auf Themen wie Karrierechancen oder Hygienefaktoren, denn diese sind schon lange kein Differenzierungsmerkmal mehr. Die Inhalte sind fach- und zielgruppenspezifischer, sie betonen den Perspektivenwechsel hin zum Bewerber, rücken an seine Lebenswelt heran und kommen so mit ihm auf Augenhöhe. Mit der Kampagne sollen „echte Typen“ aus allen Fachbereichen und Lebensphasen angesprochen werden. Menschen, die auch mal Bestehendes infrage stellen. Die ausgewählten Testimonials sind in ihrem fachlichen Profil und ihren Denkweisen genau das, was das Unternehmen sucht: sie sind offen, neugierig und digital unterwegs. Sie kennen Trends und Technologien und wenden neue Arbeitsmethoden an. Für die Headlines wurden fachliche Themen aus dem Arbeitsalltag ausgewählt, die den Job auszeichnen. Mit Fakten wie „eine Millionen Besucher pro Monat glücklich machen“ oder „für mehr als eine Million Visits pro Tag verantwortlich sein“ sollen Bewerber mit Leidenschaft zu ihrem Job erreicht und über die Möglichkeiten im Unternehmen informiert werden. Diese Aussagen zeigen Kompetenzen und Herausforderungen auf. Otto möchte mit seiner Kampagne insbesondere Nachwuchskräfte für Jobs in E-Commerce und Technologie begeistern.
Kommunikationskonzept ROT4
Um den Imagewandel des Unternehmens zu verdeutlichen, wurde eine besondere Herangehensweise gewählt. Für die Einführung des neuen Arbeitgeberauftrittes wurde die Arbeitgebermarke durch einen Absender namens ROT4 ersetzt. ROT4 ist ein Kommunikationskonzept und fungiert als Türöffner in den ersten Monaten des Relaunch. Das Icon soll zunächst Neugierde erzeugen und die Aufmerksamkeit von interessierten Bewerbern gewinnen, die bei Otto vielleicht nicht geklickt hätten. Es soll einen Überraschungseffekt erzielen, wenn die Bewerber sehen, wer hinter ROT4 steckt und was das Unternehmen Otto zu bieten hat. ROT4 steht nicht für etwas Bestimmtes und ist auch keine Abkürzung. Es ist eine selbstbewusste Geisteshaltung, mit der das Unternehmen Bewerbern gegenübertritt, und es soll den Wunsch wecken, Teil von etwas Besonderem zu sein. ROT4 bedeutet zusammengefasst: Zusammenhalt nach innen und Neugierde nach außen.
Ausgeklügelte Kampagnenplanung
Der Roll-out wurde von einer crossmedialen, mehrmonatigen Mediakampagne und einer Pressemitteilung begleitet. Die Kampagne ist in eine Drei-Phasen-Kommunikation gesplittet: In der ersten Phase sind die Anzeigen nur mit dem ROT4-Icon und einem Testimonial erschienen. Damit macht Otto als verdeckter Arbeitgeber hinter dem neuen Label neugierig. In der zweiten Phase wurden in die Anzeigen zusätzlich Headlines eingebunden ohne den Absender zu verraten. Zentraler Bestandteil der Kampagne ist damit die Landingpage rot4.otto.de (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2
Landingpage der Kampagne

Bei einem Klick auf die Online-Banner werden die User auf die Landingpage geführt. Sie erfahren hier, wer hinter dem Label ROT4 steckt.
Bei einem Klick auf die Online-Banner werden die User auf die Landingpage geführt. Der User erfährt hier, wer hinter dem Label ROT4 steckt. Eine offizielle Aufklärung erfolgt über die Phase drei, in der Anzeigen geschaltet werden, in denen statt des ROT4-Icons das Otto-Logo und der Zusatz „E-Commerce seit 1995“ erscheinen. Sowohl auf den HR-Social-Media-Kanälen, den Jobportalen als auch in Suchmaschinen findet der User ROT4. Hierfür werden verstärkend SEA-Anzeigen geschaltet. Der Look der Kampagne bleibt und ROT4 tritt als mystisches Element in den Hintergrund.
Vertriebskanal Karriereseite
Die Karriereseite ist das Herzstück in der Bewerberkommunikation und gleichzeitig wichtigster Vertriebskanal, um den Arbeitgeber zu präsentieren und zur Bewerbung zu motivieren. Der Bewerber wird wie ein Kunde betrachtet, den es glücklich zu machen gilt. Bei der Neukonzeption wurde sich tief in die Bedürfnisse des Users hineinversetzt. Alle Optimierungen und neuen Features haben das Ziel einer bestmöglichen Candidate Experience, einerseits in der Funktionalität, aber auch in der Darstellung. Die Navigation ist reduziert und benutzerfreundlicher, für mehr Transparenz zum Recruiting-Prozess gibt es eine Infografik und Bewerbungstipps. Die Recruiter wurden mit Kontaktmöglichkeiten, Sprechzeiten, Fotos und Link zu ihrem Xing-Profil eingebunden. Das zeigt: Wir sind über alle Kanäle erreichbar und wollen es dem Bewerber so einfach wie möglich machen. Wir freuen uns auf den Kontakt.
Der Content ist authentisch, ehrlich und liefert dem User interessante Informationen. Die mobile Site ermöglicht eine schnelle mobile Bewerbung via Xing. Auf der Startseite geben Kununu und ein Social Hub tagesaktuell Einblicke in das Unternehmen. Auf der Karriereseite und in den Social-Media-Kanälen werden die Mitarbeiter vorgestellt, die der Kampagne ihr Gesicht geben. Deren Testimonials erzählen in Interviews, wie es ist, im Unternehmen zu arbeiten. Dieses Element wird erfahrungsgemäß von den Online-Zielgruppen besonders gut angenommen. Idealerweise stellt sich dann der Effekt „Talente ziehen Talente an“ ein. Bis Ende des Jahres folgen noch weitere Funktionen wie die Online-Registrierung und die Verschlankung der Online-Bewerbung.
Interne Kommunikation
Um ein hohes Involvement und eine Zustimmung bei den Mitarbeitern zu bewirken, wurde die Kampagne zunächst intern ausgerollt und in einer Veranstaltung und im Intranet vorgestellt. In der Kantine, auf Leuchtwänden auf den Fluren, im Intranet und auf auf einem überdimensionalen Plakat vor dem Otto-Gebäude waren verschiedene Motive sichtbar. Zudem konnten die Mitarbeiter Fotos im Kampagnen-Look in einer Fotobox von sich machen lassen und an einer Aktion auf der Facebook-Fanseite teilnehmen. Auf dem gesamten Campus wurden Werbemittel verteilt. Durch die offene Kommunikation haben die Mitarbeiter das Gefühl, ein aktiver Teil der Kampagne zu sein und stehen dann auch für weitere Personalmarketing-Aktionen gerne bereit. Auf den Social-Media-Kanälen gab es viele Kommentare und Likes, insbesondere von Mitarbeitern. Das verstärkt dann gleichermaßen den Aufbau organischer Reichweite.
Kampagnenmonitoring
Für das Kampagnenmonitoring wurden unter anderem Tracking-Tools, Google Analytics und das Bewerbermanagementsystem herangezogen. Eine erste Auswertung drei Monate nach dem Relaunch hat ergeben, dass die Zielgruppen gut erreicht werden konnten. Rund 20 Prozent mehr Bewerbungen sind im Vergleich zum Vorjahr eingegangen. Schwierige IT-Profile konnten schneller und qualitativ gut besetzt werden. Auch die Empfehlungsrate über das Mitarbeiterempfehlungsprogramm von Otto ist deutlich gestiegen. Bewerber haben geäußert, dass sie von der neuen Kampagne positiv überrascht waren und das Unternehmen gar nicht als Absender vermutet hätten. Der direkte Austausch mit den Zielgruppen und das Feedback der Bewerber sind ganz wesentlich für die Weiterentwicklung der Kampagne.
Durch Onsite-Optimierung und SEA-Kampagnen konnten positive SEO-Ergebnisse zu ROT4 und der Landingpage erzielt werden. Die Klickzahlen und Reichweiten in der internen und externen Kommunikation haben die Erwartungen in den ersten Wochen bereits übertroffen. Mit aktivem Content-Marketing konnten neue Fans und Abonnenten für die Social-Media-Kanäle generiert werden.
Die Mediaresonanzanalyse hat eine hohe Anzahl an Artikeln in relevanten Zielmedien und ein insgesamt positives Presse-Echo ergeben. Für die Bewertung von KPIs und Zielvorgaben wird gerade ein komplexeres Controlling aufgesetzt, das weitere qualitative und quantitative Parameter hinzuzieht. Dies ermöglicht dann eine differenzierte Bewertung der Kanäle und Vergleichbarkeit über einen längeren Zeithorizont.
Der Spirit eines E-Commerce-Unternehmens
Mit dem neuen Arbeitgeberauftritt wurde ein solider Grundstein gelegt, jetzt gilt es die Versprechen zu halten. Die digitale Transformation und weitere Initiativen zum Change Management haben bereits eine Veränderung in den Arbeitsweisen und in der Führungskultur bewirkt. Jeder Mitarbeiter soll den Spirit eines E-Commerce-Unternehmens spüren. Denn auch alle anderen Jobprofile und die Vertreter der Generation Y möchten auch als Nicht-E-Commerceler bei einem attraktiven Arbeitgeber beschäftigt sein, bei dem man mitgestalten kann und Teil eines erfolgreichen Unternehmens ist.
Autorin
Ildiko Peter, Referentin Personalmarketing, OTTO GmbH & Co KG, Hamburg,
ildiko.peter@otto.de
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