Mythos oder Maßstab?

Geschummelte Angaben, übervorteilte Kunden: Jobportale sind unter Verdacht geraten. Daran sind Recruiter nicht ganz unschuldig. Die Reichweitendebatte könnte noch an Schärfe zulegen – und dies nicht zum Vorteil der Jobbörsen.
Personalreferent Johannes Hüfner sucht einen ausgewiesenen IT-Experten. Die Logistikfirma im Raum Trier will den etwas angestaubten User Support modernisieren und zentrale Abläufe digitalisieren. Hierzu ist das Marktangebot potenzieller Systeme und Lösungspartner zu sondieren. In der Überzeugung, dass der gesuchte Kandidat nicht mehr die Tageszeitung nach spannenden Jobs durchforstet, sondern vorzugsweise das Internet, schaltet Hüfner die Anzeige online. Weil er sich nicht für einen der unzähligen Stellenmärkte entscheiden kann, vergibt er den Auftrag an eine Jobsuchmaschine.
Experten fürs Marketing und Recruiting könnten nun abendfüllend darlegen, was dem Personaler wohl am besten anzuraten sei. Sollte er sich nicht lieber für eine IT-Spezialbörse entscheiden oder einer gemischten Online- und Printschaltung den Vorzug geben? Gewiss würde auch der Rat erteilt, einen anderen Weg einzuschlagen, etwa auf Mitarbeiterhinweise zu hören oder einen Headhunter zu beauftragen. Denn wer will schon – bei allem Respekt – in die Provinz? Kommt die Debatte so richtig in Fahrt, dreht es sich um Klickraten und Reichweiten sowie um Erfolgsmessung und Kennzahlen. Am Ende sind alle überrascht, wie wenig stellenanbietende Unternehmen offenkundig von all dem wissen.
Transparenz? Fehlanzeige!
Gut unterrichteten Beobachtern zufolge mangelt es dem Markt für Online-Stellenanzeigen schlicht an Transparenz. Weder verpflichtet man sich auf gemeinsame Standards, lautet der Vorwurf, noch sind Angaben über Reichweiten und das Aufkommen an Stellenanzeigen auch nur ansatzweise nachvollziehbar. Anders als bei Verlagen und Zeitschriften, wo die verkaufte Auflage sowie die Anzahl von Lesern pro Ausgabe offen kommuniziert werden, „scheuen Jobbörsen und Agenturen nach wie vor Transparenz wie der Teufel das Weihwasser“, sagt Wolfgang Brickwedde, Direktor des Institute for Competitive Recruiting (ICR) in Heidelberg.
Nicht minder zimperlich attackiert Gerhard Kenk, Geschäftsführer von Crosswater Web Services, die Jobbörsen-Anbieter. Mangels Transparenz wüssten Recruiter heute kaum, wo sie Stellenanzeigen schalten sollen, um ihre bevorzugte Zielgruppe ohne eklatante Streuverluste zu erreichen. „Vor dieser Herkulesaufgabe haben einige Recruiter kapituliert“, so Kenk. Also nutzen sie die Dienstleistungsangebote von Medienagenturen, buchen Stellenanzeigenpakete oder vereinbaren Rahmenverträge mit den Jobbörsen ihrer Wahl.
Dem Vorwurf, Jobbörsen würden sich vergleichbaren und verbindlichen Standards entziehen, fügt Christian Hagedorn, Geschäftsführer der Personalmarketing-Agentur Westpress in Hamm, einen weiteren Kritikpunkt hinzu. „Wenn einige Jobboards bei ihren Reichweitenangaben sogar eigene Zugriffe von Mitarbeitern mitrechnen, streuen sie ihren Kunden Sand in die Augen.“
Ungeachtet solcher Vorwürfe wird die derzeit unter Insidern geführte Debatte positiv aufgenommen. „Durch Aufklärungsarbeit für mehr Transparenz zu sorgen, begrüße ich sehr“, sagt zum Beispiel Wolfgang Achilles, Geschäftsführer der Jobware Online-Service GmbH in Paderborn, Anbieter der gleichnamigen Jobbörse Jobware.de.
Aufklärung tut not, und sie hat viele Facetten. Vergleichsportale wie der von Crosswater gestartete Jobbörsen-Kompass (jobboersen-kompass.de) oder Jobbörsencheck (jobboersencheck.de), ein Angebot der Profilo Rating-Agentur GmbH, liefern nicht allein die von Jobbörsen veröffentlichten Daten über Stellenanzeigenvolumen und Reichweite. Zusätzlich ermitteln sie über Bewerber- und Recruiter-Umfragen, wie Jobbörsen aus Sicht der Nutzer und Kunden beurteilt werden. Aufmerksamen Recruitern geht oft ein Licht auf: „Zwar glänzt eine Jobbörse mit ihrer Reichweite, schneidet bei der Bewerberbewertung aber schlecht ab“, erläutert Brickwedde. Doch die auf den ersten Blick eröffnete Transparenz hat einen Haken: Beide Angebote fahren grundverschiedene Geschäftsmodelle. Hier ist der Zugang zu Informationen uneingeschränkt und kostenfrei, dort nicht.
Verfahren zur Reichweitenmessung
Noch komplizierter gestaltet sich Aufklärung angesichts der mehr oder minder von Jobbörsen zurate gezogenen Reichweiten-Messverfahren IVW, SimilarWeb und Alexa, eine Tochter von Amazon. Erwartungsgemäß kommen sie zu unterschiedlichen Ergebnissen. Die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW) prüft und veröffentlicht zum Beispiel die Reichweiten von Stepstone und Kimeta. Stepstone etwa weist seit Anfang 2011 monatlich IVW-geprüfte Nutzerzahlen aus.
Alexander Ross, Geschäftsführer der Jobsuchmaschine Kimeta, hält IVW für das „zuverlässigste“ Verfahren, weil es auf der jeweiligen Website durch eine standardisierte und direkte Messung Resultate eröffne, die „sicher, valide und vergleichbar“ ausfielen. SimilarWeb und Alexa hingegen büßen für Ross qualitätsmäßig ein, zumal sie sich lediglich durch indirekte Messungen anzunähern versuchten. Objektiv aus Sicht eines Recruiters seien lediglich IVW-Angaben. Bei den Alternativen sei man darauf angewiesen, den Angaben von Jobbörsen zu vertrauen. Es bleibe einem nichts anderes übrig, als zu testen, „ob die Jobbörse die Leistung erfüllen kann oder nicht“. Stepstone-Geschäftsführer Sebastian Dettmers schließt sich an: Die meisten alternativen Messverfahren seien „meist völlig unbrauchbar“.
Gänzlich anderer Meinung ist Frank Hensgens, Geschäftsführer der Jobsuchmaschine Indeed. „IVW ist ein rein deutsches Messverfahren, bei dem nur wenige Marktteilnehmer gelistet sind“, erklärt Hensgens. „Das schafft keine wirkliche Transparenz und Vergleichbarkeit.“ Bei einer multinationalen Plattform wie Indeed, die in 60 Ländern vertreten ist, sei es Hensgens zufolge zwecklos, in jedem Markt eine Sonderlösung zu verfolgen. „Ich halte dieses Modell für veraltet.“ Mit Alexa und SimilarWeb, auf der anderen Seite, werde die Reichweite einzelner Online-Angebote nach den gleichen Kriterien gemessen und kommuniziert. „Das halte ich für das transparentere und zielführendere System.“
Zielgruppe wichtiger als Reichweite
Eine gute Gelegenheit, Recruiter in die Debatte einzubinden. Warum Jobbörsen keine Vorreiter in Sachen Transparenz sind, kann Stefan Scheller von der Datev eG in Nürnberg durchaus nachvollziehen. Schließlich gehe es nicht wie bei einer Olympia-Teilnahme um „Dabei sein ist alles“. Sich nach gemessener Reichweite etwa als die elftbeste Stellenbörse zu bezeichnen, klinge „wenig sexy“.
Den Nutzen von Kennzahlen wie Reichweite und Anzahl der Stellenanzeigen zieht Scheller grundsätzlich in Zweifel. „Was helfen mir potenziell 10 000 erreichbare Personen mehr, wenn sie qualitativ nicht der gesuchten Zielgruppe entsprechen?“ Wer einen Karpfen angeln wolle, fahre nicht zum Atlantik, wenn „in einem fränkischen Weiher mit hoher Wahrscheinlichkeit der richtige Fisch zu fangen“ sei.
Michael Witt, Recruiter von Voith Industrial Services in Stuttgart, bringt deshalb den Begriff der Konversion ins Spiel. Spreche die Jobbörse tatsächlich eine gesuchte Zielgruppe an und veranlasse sie im zweiten Schritt, sich auf Stellenangebote zu bewerben? „Das erwarte ich von einer Stellenbörse: Bewerber.“ Die Ratio aus Stellen- und Nutzerzahl sei hingegen kein hinreichendes Indiz für eine gut funktionierende Börse. Für Scheller zählt die SEO-Leistung „in vorderster Front“. Wer alle Stellenangebote im Internet auf seiner Seite vereine, erziele als Jobbörse noch lange keinen relevanten Traffic. „Wertvoller für den Recruiter ist, wie gut die Jobbörse bei Google Sichtbarkeit erzielt, wenn Jobsuchende dort Eingaben machen.“
Die Jobbörsen-Betreiber sehen das freilich etwas anders. Das Verhältnis der publizierten Stellenanzeigen zur erzielten Reichweite einer Jobbörse hält Dettmers für einen „wichtigen Indikator“. Je mehr Besucher eine Seite pro offene Stelle aufweise, umso höher die Aussicht auf erfolgreiche Besetzung. Wichtiger als die allgemeine Reichweite, räumt Dettmers ein, sei indes die erzielte Reichweite in der richtigen Zielgruppe. „Für Recruiter ist die Candidate Delivery die entscheidende Größe in der Bewertung von Jobbörsen.“ Bei speziellen IT- oder Ingenieur-Profilen, nennt Jobware-Chef Achilles ein Beispiel, stellten 20 qualifizierte Bewerber bereits ein beeindruckendes Ergebnis dar. „Welcher Jobbörse traut der Recruiter zu, zur erfolgreichen Besetzung einer bestimmten Stelle beizutragen?“ Das sei entscheidend.
Stellenbörsen werden umgangen
Doch die Jobbörsen sind in der Zwickmühle. Zwar gelingt es den besten Anbietern, die gesuchte Zielgruppe zu gewinnen und im Sinne der Konversion auch zu einer Bewerbung anzuregen. „Leider spielen die Bewerber oft nicht mit“, so Achilles. Viele riefen für weitere Informationen die Unternehmenswebseite auf und würden sich gleich dort bewerben. Auf die Frage, wie sie zum Unternehmen gefunden hätten, „geben sie lieber an, von den Produkten oder Dienstleistungen besonders angetan zu sein“.
Von gemeinsamen Initiativen, gar einem Runden Tisch, halten die Akteure nichts. Ähnliche Versuche seien bereits gescheitert. „Viele Stellenmärkte lassen sich mit ihrer Zielgruppe, Preisstruktur oder mit ihren diversen Unternehmensstrukturen nicht vergleichen“, sagt Achilles.
Für Katrin Luzar, bei Monster Deutschland für PR und Content verantwortlich, hat sich die Reichweitenmessung für Jobbörsen zuletzt deutlich verändert und ist komplexer geworden. Schließlich seien im Recruiting neue Kanäle hinzugekommen, Zielgruppen hätten ihr Mediennutzungsverhalten geändert. „Neue Strategien wie Active Sourcing können nur eingeschränkt mit klassischen Kennzahlen gemessen werden.“ Nahezu jedes zweite „Talent“, beruft sich Luzar auf die Studie „Recruiting Trends 2016“, wolle direkt angesprochen werden.
Nur für den Erfolg bezahlen
Wenn das Inserat auf einer Jobbörse im Kontext zahlloser Recruiting-Strategien nur noch unter ferner liefen rangiert, müssen die Anbieter mit neuen Ideen auf ihre Kunden zugehen. Monster sucht laut Luzar den engen Dialog zu Recruitern, um mit ihnen gemeinsam „sinnvolle Kennzahlen“ zu entwickeln. Indeed-Manager Hensgens ermuntert seine Kunden, Costper-Click, Cost-per-Application und Costper-Hire im Recruiting zu berücksichtigen. „Die technischen Möglichkeiten dazu sind gegeben, in Deutschland werden sie aber viel zu selten genutzt.“
Seit Jahren ködert Jobware die Kundschaft mit seiner Inhouse-Personalberatung. Das herkömmliche Kostenmodell wird gewissermaßen durch Pay-per-Application (kurz: Pay-per-App) ergänzt. „Für solche Suchaufträge entsteht ein hoher Aufwand, der sich auch im Preis niederschlägt“, räumt Achilles ein. Mittelfristig steht der Markt womöglich vor einer Zäsur, sollte sich Pay-per-App auch im Anzeigengeschäft durchsetzen. Hier bezahlt der Recruiter nur für die tatsächlich erfolgte Bewerbung nach einer Anzeige. „Das Risiko verlagert sich vom Recruiter auf den Anbieter“, erklärt Brickwedde die drohende tektonische Verschiebung im Markt. Tools wie Appcast oder Applify zeigten in diese Richtung.
Pay-per-Click bedeutet Ungemach für Jobbörsen
Ob der Markt vor einer Zäsur steht oder solche Prognosen doch nur auf Sand gebaut sind, hängt nicht zuletzt von den Agenturen ab. Wie eine Spinne im Netz überblicken sie das Geschehen, an ihnen kommt kaum jemand vorbei. Rund 80000 Anzeigen im Jahr schaltet zum Beispiel Mediaintown, inzwischen unter das Dach der Wiesbadener Personalwerk GmbH geschlüpft. Laut Geschäftsführer Stefan Kraft lasse man sich weniger von den Angaben der Jobbörsen leiten. Lieber befrage man Kunden, nicht zuletzt um die Performance der auf unterschiedlichen Jobbörsen geschalteten Anzeigen zu beurteilen. „Für uns und unsere Kunden zählt immer die harte Währung: die Anzahl der eingehenden Bewerbungen sowie deren Qualität.“
Für Westpress-Chef Hagedorn könnten Recruiter, die selbst nicht über entsprechende Ressourcen verfügen, auf Messverfahren und Werkzeuge der Agenturen vertrauen. Etwa um die Leistungsfähigkeit von Jobbörsen zu ermitteln: „Wir kennen alle Jobboards, die zum Beispiel behaupten, die beste Anlaufstelle für Mediziner zu sein.“ Dank eigener Testverfahren könne man erkennen, ob sich die Zielgruppe tatsächlich dort aufhält und auf Inserate bewirbt. „Wir sind genau im Bilde, warum es hier und dort, anders als behauptet, nicht funktioniert.“
Hagedorn teilt die Annahme, dass Payper-App sich mittelfristig durchsetzen werde. Doch schon der Wandel vom bewährten Pay-per-Post zu Pay-per-Click könnte für manche Jobbörse Ungemach bedeuten. Nach tatsächlichen Klicks bezahlt zu werden, stelle sie vor eine nahezu unlösbare Aufgabe. Zu groß würde die Lücke zwischen Marketingaussagen und tatsächlicher Performance klaffen. „Oft sind Jobbörsen im Besitz großer Konzerne. Bei einem Schwenk auf das neue Kostenmodell würden deren Ertragserwartungen massiv beeinträchtigt.“
Recruiter Witt kann deshalb seine Kollegen in den Personalabteilungen nur dazu anregen, jegliche Angaben stets mit gesundem „Misstrauen“ zu prüfen und beherzt nachzufragen, wie gemessen wird. Laut Brickwedde ist auf der Höhe der Zeit, wer Tools wie Google Analytics nutzt und Tracking URLs in Stellenanzeigen einfügt, um sich die notwendige Transparenz selbst zu verschaffen. „Ein Recruiter will eine Stelle besetzen und nicht eine Job Ad in den Weiten des Internets verteilen“, appelliert Witt an alle Beteiligten. Im Interesse guter Ergebnisse lohne die Mühe allemal.
Autor
Winfried Gertz, freier Journalist, München