Ausgabe 12 - 2012
Freier Kopf für den Job
Ein gutes Gehalt, gute Aufstiegsmöglichkeiten und Arbeitsplatzsicherheit waren lange Zeit die wichtigsten Faktoren dafür, ob jemand dem Arbeitgeber über lange Jahre treu blieb. Doch die Arbeitswelt ist komplexer geworden und der Fachkräftemangel macht in vielen Branchen Konzepte zur Mitarbeiterbindung nötig.
Die Arbeitswelt wandelt sich und mit ihr ändern sich auch die Erwartungen von Arbeitnehmern. Zwar sind Arbeitsplatzsicherheit, Gehalt und Benefits sowie die Möglichkeit, eigene Fähigkeiten einzubringen, nach wie vor in erster Linie bestimmend für die Arbeitsplatzzufriedenheit. Bei immer mehr Arbeitnehmern kommt aber der Wunsch nach Arbeitszeitflexibilität und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben dazu. Insbesondere die Vertreter der jungen Generation Y sind seltener bereit, für die Karriere ihr Privatleben zu opfern. Beruflicher Aufstieg und Status werden heute durch viele andere, oftmals nicht monetäre, Ziele ergänzt. Erschwerend für Arbeitgeber kommt hinzu, dass gut ausgebildete Arbeitskräfte umworben und häufig sehr mobil sind – und somit auch leichter bereit, den Arbeitgeber zu wechseln. Die Arbeitgeber reagieren auf diese Entwicklungen: So ist derzeit das wichtigste personalpolitische Thema in mittelständischen Unternehmen, gute Mitarbeiter an sich zu binden. 63 Prozent der Unternehmen messen dem eine große oder sehr große Bedeutung zu. Das zeigt die Studie „Talent Management im Mittelstand – mit innovativen Strategien gegen den Fachkräftemangel“, die von Ernst & Young in Kooperation mit der ESCP Europe Wirtschaftshochschule Berlin erstellt wurde. Die Fluktuation bestehender Mitarbeiter zu verhindern, hat sogar eine höhere Priorität, als neue zu rekrutieren.
Mitarbeiterbindung durch Work-Life-Balance
Im Rahmen der Mitarbeiterbindung und auch -rekrutierung gewinnt das Thema Work-Life-Balance zunehmend an Bedeutung. Gute Angebote dazu sind eine wichtige Stellschraube, mit der sich Arbeitgeber von anderen abheben und bei Beschäftigten eine langfristige emotionale Bindung und Loyalität erzeugen können. Die zunehmende Bedeutung der Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben hat vielfältige Gründe. Da das klassische Alleinverdienermodell immer mehr eine Rarität darstellt, stehen heute sowohl Frauen als auch Männer vor der Herausforderung, Beruf und Familie zu vereinbaren. Gleichzeitig haben immer mehr Berufstätige in den mittleren Jahren zusätzlich zu ihren familiären Pflichten Verantwortung für ältere Angehörige.
Gerade bei Frauen entscheiden das Ausmaß und die Qualität der Unterstützung oft darüber, wie früh sie wieder aus der Elternzeit zurückkehren, wie stark sie sich beruflich engagieren und ob sie dauerhaft motiviert und leistungsfähig sind. Der „HR Report 2011“ des Instituts für Beschäftigung und Employability IBE zeigt, dass viele Unternehmen dies erkannt haben und den zunehmenden Anteil von Frauen am Arbeitsmarkt als wichtigen Einflussfaktor für die Ausrichtung ihrer Personalpolitik angeben. Allerdings ist dieses Bewusstsein primär bei Personalverantwortlichen ausgeprägt, während Führungskräfte anderer Bereiche dem Thema oft noch erstaunlich wenig Bedeutung zumessen. Dennoch verändern sich, auch aufgrund des demografischen Wandels, die Prioritäten der Unternehmen.
Bindung durch Unterstützung
Doch wie können Arbeitgeber den Bedürfnissen der Mitarbeiter in punkto Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben entgegenkommen? Zum einen, indem sie ihnen hinsichtlich der Arbeitszeiten und des Arbeitsortes die nötige Flexibilität gewähren. Ein weiterer Hebel ist die konkrete Unterstützung der Mitarbeiter bei ihren privaten Belangen. Arbeitgeber, die ihre Beschäftigten nicht nur als Arbeitskraft wahrnehmen, sondern den ganzen Menschen respektieren, sind eindeutig im Vorteil, wenn es darum geht, Mitarbeiter langfristig zu binden. Hier stehen vor allem die Handlungsfelder Kinderbetreuung und Pflege von Angehörigen sowie psychosoziale Beratung und Gesundheitsprogramme im Vordergrund.
Schön Klinik Chiemsee
„In Mitarbeiterbefragungen und Bewerbungsgesprächen wird deutlich, dass das Thema Work-Life-Balance heute einen höheren Stellenwert hat als noch vor zehn Jahren“, sagt Natalie Schult, Abteilungsleiterin im Personalmanagement der Schön Klinik in Prien am Chiemsee und bundesweite Verantwortliche für Mitarbeiterbindung und Personalentwicklung. „Heute suchen Bewerber nach einem Arbeitgeber mit familienfreundlichen Strukturen. Deshalb machen wir schon in unseren Stellenanzeigen deutlich, dass wir Programme zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben anbieten.“
Die Schön Klinik beschäftigt an 15 Standorten 7900 Mitarbeiter und ist eine der größten inhabergeführten Klinikgruppen Deutschlands.
Besondere Arbeitszeiten wie Nacht- und Wochenendarbeit sowie Bereitschaftsdienste machen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zur Herausforderung. „Medizin wird zunehmend weiblicher. Rund 75 Prozent der Medizinstudierenden sind heute Frauen,“ sagt Schult. „Wir müssen Frauen Karriere und Familienplanung ermöglichen, sonst gehen wertvolle Fachkräfte verloren. Nur mit passgenauen und kreativen Lösungen für den Einzelfall können wir unsere Mitarbeiter entlasten“. Hinzu komme ein sehr hoher Personalbedarf im Gesundheitswesen. „Schon heute haben Krankenhäuser Probleme, Stellen zu besetzen.“
Seit einigen Jahren investiert die Schön Klinik in Programme zur Mitarbeiterunterstützung und greift auf das Angebot des pme Familienservice zurück. „Wir haben uns für das Lebenslagen-Coaching sowie Beratung und Vermittlung zu Kinderbetreuung und der Betreuung von Angehörigen entschieden.“ Im Rahmen des Lebenslagen-Coaching erhalten die Mitarbeiter Beratung bei beruflichen und privaten Problemen.
Hierfür steht ihnen eine kostenfreie 24-Stunden-Hotline zur Verfügung. „Unsere Mitarbeiter haben das Angebot von Anfang gut genutzt“, sagt Schult.
Zusätzlich zur Vermittlung von Kinderbetreuung betreiben einige Krankenhäuser der Schön Klinik eigene Betriebskindertagesstätten. An anderen Standorten können die Mitarbeiter dank Kooperationsverträgen Plätze in nahegelegenen Kitas nutzen, mit denen auch die Betreuung zu Randzeiten abgedeckt wird. Die meisten Krankenhäuser der Schön Klinik bieten darüber hinaus eine Ferienbetreuung für Schulkinder an. Auch mit flexiblen Arbeitszeitmodellen erleichtert die Schön Klinik die Balance von Familien- und Berufsleben. Dabei beweist der Arbeitgeber durchaus Kreativität und ermöglicht mit Hilfe von Ärzteteams die Aufteilung einer Stelle auf mehrere Ärzte.
Die Unterstützung der Schön Klinik wird von den Mitarbeitern positiv wahrgenommen und hat eine gute Außenwirkung. Wichtig sei jedoch, dass das Zusammenspiel stimmt. „Das Thema einer familiengerechten Personalpolitik muss auch in den Führungsetagen bewusst mitgetragen werden. Die Rahmenkomponente bilden dann die verschiedene Programme zur Mitarbeiterunterstützung – vernachlässigen dürfen wir diese auf keinen Fall!“
Kinderbetreuung
Ein zentrales Handlungsfeld der Mitarbeiterunterstützung ist die Kinderbetreuung. Zwar wird derzeit von der Politik viel unternommen, um das Angebot auszubauen. Daraus zu schließen, dass die Organisation der Kinderbetreuung für Eltern kein Problem mehr darstellt, ist ein Irrtum. Eltern benötigen Hilfestellung bei der Wahl der jeweils geeigneten Betreuungsform und bei der Suche im vorhandenen Angebot sowie verlässliche Unterstützung in besonderen Situationen – etwa wenn die reguläre Betreuung ausfällt. Immer mehr Arbeitgeber investieren außerdem in betriebseigene Betreuungseinrichtungen. Dem vergleichsweise hohen Aufwand und den Kosten stehen dabei wichtige Vorteile gegenüber: Betriebskitas können auf die jeweiligen Arbeitszeiten und an besondere Anforderungen angepasst werden und bieten so für Arbeitgeber und Beschäftigte hohe Planungssicherheit. Nicht zu vernachlässigen ist zudem der Imagegewinn für den Arbeitgeber. Dass sich die Investition auch finanziell rechnet, belegt die Evaluationsstudie „Modellprojekt Kids & Co. – Kindertagesstätte“, die im Auftrag der Commerzbank durchgeführt wurde. Ihr zufolge kostete die Betreuung von 90 Kindern die Commerzbank im Jahr 2007 571 000 Euro. Auf der anderen Seite gab sie durch den Betrieb der Einrichtung 702 000 Euro weniger aus, unter anderem weil die Fehlzeiten der Eltern geringer waren und diese nach der Elternzeit schneller wieder zurückkehrten. Das Unternehmen sparte im Jahr also 131 000 Euro, was einem ROI von 23 Prozent entspricht.
Ergo Versicherungsgruppe AG
„Wir beschäftigen mittlerweile Mitarbeiter, die fünf Generationen angehören – mit unterschiedlichen Ansprüchen und Bedürfnissen.
Um unsere Mitarbeiter langfristig an uns zu binden und neue Fachkräfte zu gewinnen, müssen wir entsprechende Rahmenbedingungen schaffen“, erklärt Katrin Peplinski, Gleichstellungsbeauftragte der Ergo Versicherungsgruppe AG. Die Versicherungsgruppe ist weltweit in 30 Ländern vertreten, bundesweit beschäftigt sie circa 16 000 Mitarbeiter im Innendienst, die meisten von ihnen an sieben Verwaltungsstandorten.
Ein wichtiger Bestandteil der Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ist das Beratungs- und Vermittlungsangebot der pme Familienservice GmbH, das die Beschäftigten kostenlos nutzen können. Dazu gehören die Vermittlung von Kinderbetreuung – zum Beispiel durch Tageseltern, Babysitter oder im Rahmen von Ferienprogrammen – sowie von Pflege und Betreuung für Angehörige. Ergänzend dazu wird ausführliche Beratung zu staatlichen Leistungen wie Kinder-, Eltern- und Pflegegeld angeboten. „Schnellen Rat und Hilfe, auch bei privaten Problemen und Krisen, erhalten unsere Beschäftigten auch über eine Hotline, die 24 Stunden besetzt ist. Die Anrufe dort werden vertraulich und anonym behandelt. Wir als Arbeitgeber erhalten lediglich zusammenfassende statistische Auswertungen,“ erklärt Katrin Peplinski.
Zudem hat die Ergo Versicherungsgruppe an allen großen Standorten in bestehenden Kindertagesstätten Plätze für die Kinder von Mitarbeitern reserviert. Am Standort Düsseldorf wurden zusätzlich zwei sogenannte Großtagespflegenester errichtet, in denen jeweils neun Kinder unter drei Jahren von zwei Tagesmüttern beziehungsweise -vätern betreut werden.
„Damit Eltern ihre Kinder auch in den Ferien gut betreut wissen, bieten wir an verschiedenen Standorten gemeinsam mit anderen Unternehmen eine Ferienbetreuung an. In besonderen Situationen können Eltern auch tageweise im Eltern-Kind-Büro mit zwei voll eingerichteten Arbeitsplätzen und einer Spielecke arbeiten“, sagt Katrin Peplinski. Der Aufwand für die umfassende Unterstützung lohnt sich. „Vor allem qualifizierte Frauen kehren früher aus der Elternzeit zurück – meist schon nach einem halben Jahr.“
Ergo bietet den Mitarbeitern flexible Arbeitszeitmodelle an. Beispielsweise können die Beschäftigten für eine bestimmte Zeit ihre Arbeitszeit reduzieren oder auch im Rahmen eines Sabbaticals über einen längeren Zeitraum pausieren. „Vor allem junge Berufseinsteiger nutzen das Sabbatical, um sich einen Lebenstraum zu erfüllen. Das kann ein längerer Auslandsaufenthalt oder ein Studienjahr sein.
Oder es wird genutzt, um mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen“, erklärt Peplinski.
„Inzwischen hat sich gezeigt, dass die Mitarbeiter nach einer solchen Auszeit gestärkt und motiviert in unser Unternehmen zurückkehren.“ Neu ist auch die Möglichkeit der Pflegezeit, um Angehörige oder Freunde zu betreuen.
Hilfe bei Krankheit und Pflegebedürftigkeit
Auch die Sorge um Hilfe- oder pflegebedürftige Angehörige ist für viele Berufstätige eine Herausforderung. Ein Pflegefall tritt oft sehr kurzfristig ein. Wenn beispielsweise der allein lebende Vater nach einem Schlaganfall ganztägige Pflege braucht, muss schnell eine passende Lösung organisiert werden. Erschwerend kommt hinzu, dass viele Berufstätige nicht am selben Ort leben wie ihre Angehörigen. Die Themen und Fragestellungen, die in diesem Kontext auftauchen, sind sehr vielfältig und komplex – von der konkreten Suche nach einer Pflege- oder Betreuungslösung über die Finanzierung von Pflege bis hin zu rechtlichen Aspekten.
Psychosoziale Beratung und Gesundheitsprogramme
Die Anforderungen hinsichtlich zeitlicher Verfügbarkeit, Mobilität und ständiger Lernbereitschaft werden in der modernen Arbeitswelt immer höher. Aktuelle Studien belegen die damit verbundene Zunahme von psychischen Erkrankungen. So hat die Hans-Böckler-Stiftung in ihrer Studie „Kosten psychischer Erkrankungen und Belastungen in Deutschland“ errechnet, dass sich die Kosten für Arbeitgeber durch psychischen Stress hierzulande auf 7,1 Milliarden Euro belaufen.
Hohe Anforderungen am Arbeitsplatz treffen oft zusammen mit familiären Belastungen und auch persönlichen Problemen wie Schulden, Schwierigkeiten in der Partnerschaft oder Suchtproblemen. Das als Privatangelegenheit abzutun wäre fahrlässig. Summieren sich die Belastungen, steigt das Risiko von Burn-Out, psychischen Erkrankungen, längerer Abwesenheit oder Kündigung.
Arbeitgeber können ihre Beschäftigten durch Employee Assistance-Programme oft bereits zu einem frühen Zeitpunkt unterstützen. Diese Programme basieren auf einem systemischen Beratungsansatz und haben das Ziel, die Betroffenen zunächst kurzfristig zu entlasten und dann gemeinsam mit ihnen konkrete Lösungswege zu entwickeln. Flankierend dazu sind Gesundheitsprogramme sinnvoll, etwa Schulungen zum Umgang mit Stress.
Der pme Familienservice
Die pme Familienservice Gruppe in Berlin unterstützt im Auftrag von mehr als 650 Unternehmen, Behörden und Verbänden Mitarbeiter dabei, Beruf und Privatleben erfolgreich miteinander zu vereinbaren, damit sie sich mit freiem Kopf beruflichen Aufgaben widmen können und leistungsfähig und gesund bleiben. Die pme Familienservice Gruppe ist an mehr als 30 Standorten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Tschechien vertreten und beschäftigt über 1200 eigene Mitarbeiter.
Forschungszentrum Familienbewusste Personalpolitik: Betriebswirtschaftliche Effekte familienbewusster Personalpolitik, 2010, www.ffpmuenster.de/veroeffentlichungen.php
Society for Human Resource Management: Employee Job Satisfaction, 2009.
Johnson Controls: Understanding the Generation Y in Germany. How would they like to work in 2010? www.johnsoncontrols.com/content/dam/WWW/jci/be/global_workplace_innovation/oxygenz/Oxygenz_report_Germany.pdf
Frankfurter Agentur für Innovation und Forschung + Prognos AG: Evaluationsstudie Modellprojekt Kids & Co. – Kindertagesstätte, 2009, www.commerzbank.de/media/karriere/diversity_neu/CoBa_evaluation230609lay_lange_Version.pdf
Institut für Beschäftigung und Employability im Auftrag der Hays AG: HR Report 2011, Schwerpunkt Mitarbeitergewinnung.
Autorinnen
Gabi Strasser, Mitarbeiterin im Bereich Unternehmensstrategie und -kommunikation der pme Familienservice GmbH,
gabriele.strasser@familienservice.de
Sabrina Ludwig, Presse-& Öffentlichkeitsarbeit, pme Familienservice Gruppe,
sabrina.ludwig@familienservice.de
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