Ausgabe 12 - 2012
Das Arbeitnehmervorsorgekonto
In vielen Unternehmen verzichten Mitarbeiter zugunsten von betrieblicher Altersversorgung oder Zeitwertkontenvereinbarungen auf aktuell verfügbares Einkommen. Wäre es Arbeitgebern möglich, diese Systeme zu verbinden, hätte das für Arbeitnehmer und Unternehmen große Vorteile. Die derzeitige Gesetzeslage lässt eine Verknüpfung allerdings nicht zu.
Zeitwertkonten (ZWK) und betriebliche Altersversorgung (bAV) sind aus Sicht der Arbeitgeber wichtige Instrumente der Personalplanung, -steuerung und -gewinnung und bieten für Arbeitnehmer wichtige Vorsorgemöglichkeiten für die Zukunft. Das ZWK ermöglicht sozialversicherte Auszeiten während des Erwerbslebens, die in Form von Sabbaticals, für Weiterbildungen, Eltern- und Pflegezeiten oder einen Vorruhestand genutzt werden können. Die bAV gewährt hingegen eine finanzielle Absicherung des Arbeitnehmers beziehungsweise dessen Hinterbliebener bei einem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben aufgrund von Invalidität, Tod oder Alterspensionierung.
Moderne bAV-Systeme in Form von beitragsorientierten Bausteinsystemen oder im Rahmen der Entgeltumwandlung haben zunehmend Entgeltcharakter – und es besteht eine erhebliche Ähnlichkeit mit dem ZWK: Sowohl die Zahlungen während einer Freistellung als auch die Leistungen der bAV entsprechen im Prinzip einer Deferred Compensation, also einem aufgeschobenen Entgelt. Trotzdem handelt es sich um strikt getrennte Systeme. Mit den Änderungen des Flexi II-Gesetzes wurde die Verknüpfung zwischen ZWK und bAV im Sinne einer sozialversicherungsbeitragsfreien Verwendung angesparter Wertguthaben für eine Entgeltumwandlung in der bAV weitgehend abgeschafft. In diesem Zusammenhang betonte der Gesetzgeber einmal mehr, dass das Wertguthaben einer ZWK-Vereinbarung ausschließlich einer Freistellung von der Arbeitsleistung zu dienen hat. Arbeitnehmer und Arbeitgeber müssen demzufolge frühzeitig entscheiden, welche Beträge entweder für eine Freistellung oder aber für die bAV verwendet werden sollen. Obwohl ZWK und bAV eine wertvolle Vorsorge für unterschiedliche Lebensbereiche bieten, stehen in der Regel nicht genug Mittel zur Verfügung, um für beide Systeme ausreichend anzusparen. Hinzu kommt die Ungewissheit über den späteren Bedarf, die als Hemmnis für den Einstieg in die Vorsorge wirkt. Ein junger Mitarbeiter kann nur schwer abschätzen, ob und über welchen Zeitraum er später einen Vorruhestand in Anspruch nehmen möchte. Auch der Arbeitgeber weiß nicht, ob in der Zukunft umfangreiche Freistellungsansprüche dazu führen, dass man Fachkräfte in den Vorruhestand verliert, die man gerne im Unternehmen halten würde.
Für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer brächte es daher erhebliche Vorteile, wenn man die Funktionalität eines ZWK und der bAV in einem Instrument vereinen könnte. Man würde in einem solchen Konzept Mittel für eine Freistellung sowie Risikoschutz beziehungsweise Alterseinkommen ansparen, ohne bereits zum Zeitpunkt der Einbringung festzulegen, wofür das angesparte Guthaben später verwendet wird. Ein solches System wird nachfolgend als Arbeitnehmervorsorgekonto (ANVK) bezeichnet.
So könnte es funktionieren
Als Einbringungsmöglichkeiten in das Arbeitnehmervorsorgekonto (ANVK) können laufendes Entgelt, Sonderzahlungen, Entgelt aus der Abfindung von Überstunden, Urlaubstagen oder Guthaben aus Kurzzeitkonten vereinbart werden. Zusätzlich kann der Arbeitgeber ebenfalls Einbringungen vornehmen. Die Beiträge werden verzinslich angesammelt. Aus dem vorhandenen Guthaben wird auf Basis von Verrentungstabellen bei Invalidität, Tod oder Alterspensionierung eine Betriebsrente errechnet. Zwischenzeitliche Entnahmen für Freistellungen vermindern das dafür vorhandene Guthaben.
Als Gegenleistung für arbeitgeberfinanzierte Beiträge kann dem Unternehmen ein Mitspracherecht bei der Verwendung des Wertguthabens eingeräumt werden, indem es beispielsweise festlegen darf, ob das Guthaben des ANVK vorrangig als Vorruhestand oder bAV zu nutzen ist. Dies verringert zwar die Flexibilität des ANVK aus Sicht des Arbeitnehmers, ermöglicht aber für den Arbeitgeber eine bedarfsgerechte Personalsteuerung. Die verminderte Flexibilität wird dem Mitarbeiter durch zusätzliches aufgeschobenes Entgelt für das ANVK vergolten.
Abbildung
Die Funktionsweise des Arbeitnehmervorsorgekontos

Für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer brächte es erhebliche Vorteile, wenn man die Funktionalität eines Zeitwertkontos und der bAV in einem Instrument, dem Arbeitnehmervorsorgekonto, vereinen könnte.
Im Falle der Invalidität, des Todes oder des Erreichens der vereinbarten Altersgrenze ist eine Verrentung des vorhandenen ANVK-Guthabens obligatorisch. Dazu können grundsätzlich die fünf Durchführungswege der bAV – Direktzusage, Unterstützungskasse, Pensionskasse, Direktversicherung und Pensionsfonds – genutzt werden. Denkbar wäre auch, dem Arbeitnehmer die Möglichkeit einzuräumen, den Risikoschutz an seine individuellen Bedürfnisse anzupassen. So könnte er dem ANVK-Guthaben Risikoprämien entnehmen, um hieraus einen zeitlich befristeten, zusätzlichen Risikoschutz für den Invaliditäts- oder Todesfall zu finanzieren.
Wie bei ZWK-Vereinbarungen können mit dem Guthaben des ANVK Freistellungszeiten für den Vorruhestand finanziert werden. Auch zwischenzeitliche Freistellungen, beispielsweise für Fortbildung, Eltern- oder Pflegezeit, kommen infrage und vermindern das später noch verfügbare ANVK-Guthaben. Ebenso kann das Guthaben für eine Reduzierung der Arbeitszeit mit Aufstockung des Teilzeitentgelts genutzt werden.
Das ANVK würde Lebensarbeitszeitflexibilisierung, Risikoschutz sowie Altersversorgung vereinen und dem Arbeitnehmer eine umfassende betriebliche Vorsorge bieten. Die Entscheidung über die Verwendung des Guthabens wird im ANVK immer erst dann getroffen, wenn eine Freistellung anliegt, ein geänderter Risikoschutz gewünscht wird oder ein Versorgungsfall eintritt. Das Risiko, nicht bedarfsgerecht vorzusorgen, entfällt damit. Entsprechend könnte ein ANVK hinsichtlich der Arbeitnehmerbeteiligung erfolgreicher sein, als es bAV und ZWK getrennt voneinander sind.
Sozialversicherungsrechtliche und steuerliche Umsetzung
Die sozialversicherungsfreie Übertragung von Wertguthaben in die bAV wurde durch den Gesetzgeber eingeschränkt, damit über den Umweg eines ZWK nicht unbegrenzt sozialversicherungsfreie Einbringungen für eine bAV vorgenommen werden können. Die Rechtsgrundlagen, die für das ANVK zu schaffen wären, sollten die teilweise recht unterschiedlichen Regelungen zu den ZWK sowie zur bAV beachten und für das ANVK sinnvoll zusammenführen.
Wie eine solche Zusammenführung funktionieren könnte, soll beispielhaft anhand der sozialversicherungsrechtlichen Behandlung der Entgeltumwandlung gezeigt werden: Bei der Entgeltumwandlung sind Beiträge für die bAV nur bis zu vier Prozent der Beitragsbemessungsgrenze sozialbeitragsfrei. Einbringungen in ein Wertguthaben vermindern dagegen das für die Beitragserhebung fällige Arbeitsentgelt in unbegrenzter Höhe. Ein Ausgleich für das ANVK könnte darin bestehen, dass die Einbringung zunächst beitragsfrei erfolgt. Bei der (teilweisen) Verwendung des Guthabens für die bAV werden die Sozialbeiträge dann rückwirkend so erhoben, als wären die ursprünglichen Beiträge als Entgeltumwandlung in die bAV erfolgt. Dies ließe sich über eine Dokumentation der Einbringungen in das ANVK erreichen, die – ähnlich zu der im Rahmen von ZWK notwendigen Dokumentation der sogenannten „SV-Luft“ – den Teil der Einbringungen verzeichnet, der bei einer späteren Verwendung zugunsten der bAV nachträglich zu verbeitragen ist.
Hinsichtlich der steuerlichen Behandlung sind gemäß dem Zuflussprinzip die Beiträge zu einem ANVK kein lohnsteuerpflichtiges Entgelt. Im Rahmen der Freistellung fließt dem Arbeitnehmer dann lohnsteuerpflichtiges Entgelt aus dem ANVK zu. Wird das Guthaben für die bAV verwendet, fällt in den Durchführungswegen Direktzusage oder Unterstützungskasse zunächst keine Lohnsteuer an. Bei den Durchführungswegen Pensionsfonds, Pensionskasse oder Direktversicherung löst der Beitrag an den externen Versorgungsträger dagegen lohnsteuerlichen Zufluss aus. Die Besteuerung der Rentenzahlungen erfolgt dann wie im jeweiligen Durchführungsweg üblich.
Eine Verknüpfung zwischen ZWK und bAV in Form des ANVK birgt aufgrund der Unterschiede zwischen den jeweils geltenden Regelungen viele Herausforderungen (zum Beispiel auch bei der Insolvenzsicherung oder Bilanzierung), die aber letztlich lösbar wären. Betrachtet man die Vorteile einer Verschmelzung der Systeme, wäre es sicher lohnenswert, das ANVK als Diskussionsgrundlage für die Weiterentwicklung von bAV und ZWK hin zu einem einheitlichen und flexiblen betrieblichen System der Deferred Compensation in Betracht zu ziehen.
Autor
Dr. Rafael Krönung, Aktuar (DAV)/IVS-Sachverständiger, Aon Hewitt GmbH,
rafael.kroenung@aonhewitt.com
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