Ausgabe 12 - 2012
Die Revolution hat längst begonnen
Social Media und Enterprise 2.0-Plattformen spielen auch für Personaler eine immer größere Rolle. Wer aber glaubt, dass auch das Change Management die neuen Möglichkeiten nutzt, muss erkennen, dass gerade bei den Experten des Wandels Zurückhaltung herrscht.
Seit 2003 befragt Capgemini Consulting im Rahmen der Change Management-Studie Führungskräfte und Veränderungs-Experten nach den Schlüsselfaktoren und Veränderungsbedarfen im Change Management. Erstmals in diesem Jahr wurde die Nutzung von Social Media und Enterprise 2.0-Anwendungen in den Betrachtungsumfang integriert.
Ein wichtiger Punkt, um die Anforderungen an Change Management besser zu verstehen: Die digitale Revolution verändert Unternehmen fundamental. Sie macht operative Prozesse wie Lieferketten schneller, effizienter und kostengünstiger. Vor allem definiert „digital“ das Verhältnis zwischen Kunden und Unternehmen auf vielfältige Weise neu. Konsumenten werden in rasantem Tempo zu Mitgestaltern von Produkten und Dienstleistungen, ihre Rolle wandelt sich vom eher passiven Konsumenten zum aktiven, cokreativen Prosumenten. Ihre Stimme zählt mehr denn je, Bewertungen und Empfehlungen im Netz entscheiden über Erfolg oder Misserfolg von Produkten.
Radikaler Wandel im Umfeld
Dieser Wandel findet auch innerhalb der Firmen statt: Die Beziehung zwischen Mitarbeitern und Unternehmen erfährt im Zuge von Digitalisierung und Virtualisierung eine Neudefinition. Die Arbeit selbst wird stark flexibilisiert, sei es durch neue Kooperationsformen zwischen Unternehmen und Zulieferern oder fließende Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit, ermöglicht durch das mobile Internet. Die mühelose Verfügbarkeit von Informationen in unserer digitalen Wissensgesellschaft erodiert auch innerhalb von Unternehmen hierarchische und funktionale Grenzen.
Die klassische vertikale Linienhierarchie weicht einer „Wirearchy“, einer vernetzten, eher horizontalen Struktur. Was in den neuen fluiden Strukturen möglich ist, zeigt eindrucksvoll Innocentive, eine globale Plattform, die ungelöste Fragestellungen und Innovationsvorhaben aus allen Bereichen mit potenziellen Problemlösern rund um den Globus verbindet. Innocentive ist eine von vielen Erfolgsgeschichten, die das neue Zusammenarbeits-Prinzip verdeutlichen. Die neuen digitalen Plattformen erlauben nicht nur simultanes Geografieübergreifendes Zusammenarbeiten – sie verbinden Wissensträger und schaffen Zugang zu einem bislang verschlossenen, globalen Talentpool. Das sichert Wettbewerbsvorteile und erhöht die Innovationsgeschwindigkeit.
Die Auswirkungen des demografischen Wandels sowie ein neues Ausbalancieren von gestiegenen Produktivitätsanforderungen und sozialen Herausforderungen schaffen zusätzlichen Veränderungsdruck. Unternehmen stehen zunehmend in der Verantwortung, die ethischen, sozialen und ökologischen Aspekte ihres Handelns im Blick zu haben, das erwarten Verbraucher und andere Stakeholder. Nicht zuletzt der Eintritt der sogenannten Millenials, der Generation der zwischen 1980 und 2000 Geborenen, in den Arbeitsmarkt wird gerne und zu Recht mit einem generellen Wertewandel in der Arbeitsgesellschaft verbunden.
Diese Generation setzt neue Prioritäten und stellt andere Ansprüche an das Arbeitsleben als etwa noch die Baby-Boomer oder Generation X vor ihr: Ständige Weiterentwicklung und hohe Feedback-Frequenz werden ebenso erwartet wie ergebnisorientiertes Arbeiten in flexiblen Strukturen. Häufiger Wechsel von Arbeitgeber oder Job etabliert sich als Normalität, hohe Gehälter hingegen rangieren auf den Prioritätslisten nicht in den oberen Rängen. Freundschaftliche Bindungen, Flexibilität, moderne Technologie sowie soziale Anerkennung ihrer Leistung und der emotionale Wert ihrer Arbeit hingegen sind wichtiger geworden.
Stark in Bewegung
Wie die Change Management-Studie zeigt, waren Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren alles in allem stark in Bewegung – die Veränderungsanlässe schwingen dabei im konjunkturellen Auf und Ab, mit einer Ausnahme: Der erste Platz bleibt dem Thema Restrukturierung vorbehalten. Es spricht vieles dafür, dass das so bleiben wird. Für über 80 Prozent der Befragten ist Change Management wichtig oder sehr wichtig, Tendenz weiter steigend.
Change Management als professionelle Unterstützung von Veränderungsprozessen hat sich dadurch von einer Randdisziplin ins strategische Zentrum von Unternehmen vorgearbeitet. In vielen Organisationen ist es inzwischen gute Praxis, bei größeren Projekten und Veränderungsvorhaben interne und externe Change-Experten mit ins Boot zu holen. Sie sollen dafür sorgen, dass Mitarbeiter für den Wandel begeistert, an der Veränderung beteiligt und das Management in seiner Vorbildrolle bestärkt werden. So verwundert es nicht, dass für die Initiatoren und professionellen Begleiter von Veränderung der Wandel mittlerweile Normalzustand ist, über 90 Prozent sehen darüber hinaus deutlich die damit verbunden Chancen zur Weiterentwicklung.
Emotionen werden wichtiger
Die Studie bestätigt, dass die Art und Weise, in der Veränderungen angegangen sowie emotionale Aspekte berücksichtigt werden, an Bedeutung steigt. Die Neubewertung von Emotionen kommt zur rechten Zeit: Beziehungen sind eine wichtige Währung in der digitalen Ökonomie – und dafür braucht es Emotionen und Empathie. 74 Prozent der Studienteilnehmer stimmen der Aussage zu, dass sich Veränderungen nur schwer von außen aufzwingen lassen, wenn die Mitarbeiter dazu nicht innerlich bereit sind. Für eine erfolgreiche Veränderung kommt es nicht nur darauf an, Fakten zu vermitteln (57 Prozent Zustimmung), die Befragten ordneten es wichtiger ein, die Menschen emotional zu erreichen und für den Wandel zu begeistern (85 Prozent Zustimmung).
Abbildung 1
Die „Top Five“-Veränderungsanlässe im Business Management

Die Veränderungsanlässe schwingen im konjunkturellen Auf und Ab.
Während allmählich ein Umdenken bei der Einstellung von Change-Verantwortlichen und bei der Bewertung von Change stattfindet, vertrauen Unternehmen bei der handwerklichen Ausführung von Change Management nach wie vor auf bekannte und bewährte Rezepte: Noch überwiegt die fachlich-sachliche Ansprache entlang der etablierten hierarchischen Kaskaden. Da bleibt wenig Spielraum für eine emotionale Beteiligung und aktive Mitgestaltung. Dabei wird es nicht bleiben können, denn top-downgesteuerte, hierarchische Kommunikationsansätze verlieren zunehmend ihre Deutungshoheit. Dank digitaler Plattformen kann Wissen einfach geteilt, gespeichert und neu kombiniert werden. Der vom Management vorgegebene „einzig richtige“ Weg ist damit nur noch eine von mehreren möglichen Antworten.
Wissen und Wirklichkeit driften allerdings besonders auseinander, wenn es um den Einsatz sozialer Medien geht – den sogenannten Enterprise 2.0-Anwendungen. Immer mehr Unternehmen erkennen das Potenzial und investieren in die neuen technologischen Helfer. Wie eine Befragung unter deutschsprachigen HR-Vertretern zeigt, stellt bereits fast die Hälfte ihren Mitarbeitern diese kollaborativen Tools zur Verfügung. Demnach beschäftigen sich 17 Prozent systematisch und 29 Prozent situativ mit deren Einsatz im Unternehmen, weitere 16 Prozent befinden sich aktuell in der Planungsphase. Das wesentliche Ziel dabei lautet, Netzwerkeffekte durch direkte Interaktion und Zusammenarbeit zu heben und so die Produktivität der Mitarbeiter zu steigern. Allerdings präsentieren sich deutschsprachige Manager, wie die Studie zeigt, bislang als zurückhaltende Beobachter der unternehmensinternen Netzaktivitäten.
Obwohl sich 65 Prozent der befragten Change-Experten eine Arbeitserleichterung durch den Einsatz solcher Anwendungen versprechen, geben gerade einmal 15 Prozent der Befragten an, dass die in ihrem Unternehmen vorhandenen 2.0-Anwendungen eine unverzichtbare oder große Rolle spielen. Zwar werden bereits verschiedene „digitale“ Werkzeuge genutzt, jedoch sind Change Manager zögerlich, wenn es um den Einsatz „echter“ Enterprise 2.0-Anwendungen geht (zum Beispiel Crowdsourcing-Plattformen, Foren, Blogs et cetera). Sie sind weit entfernt davon, neue Verfahren einzuführen, die die Einbindung der Betroffenen, schnelle Rückmeldungen sowie zeit- und trainerunabhängige Lernformen ermöglichen. Woher rührt die große Zurückhaltung gegenüber den neuen digitalen Anwendungen? Hier kommen mehrere Faktoren zusammen:
Mangelnde Emotionalität von Enterprise 2.0 Tools?
Trotz anerkannter Vorteile wird den Enterprise 2.0 Tools nur eine unzureichende Emotionalität unterstellt. Insbesondere, wenn es um die Identifikation mit dem Veränderungsvorhaben, Beteiligung und sogenannte Alignment-Prozesse geht, scheinen die etablierten, Face-to-Face-basierten Change Management Interventionen wirkungsvoller zu sein. In direkter Interaktion ist es vielfach leichter, den emotionalen Funken überspringen zu lassen, als in einer elektronisch übermittelten Form, so die Mehrheitsmeinung. Doch ist das wirklich so? Wenn die sozialen Medien nach dem gleichen Muster eingesetzt werden wie klassische Change Tools, dann werden Enterprise 2.0-Tools lediglich als weiteren Kommunikationskanal für das Versenden von top-down abgestimmten Botschaften genutzt. Dabei wird ein entscheidender Punkt außer Acht gelassen: Der Schmierstoff sozialer Netzwerke ist Emotion. Sei es in Form von sozialer Anerkennung, in geteilter Begeisterung für ein bestimmtes Thema oder in der puren Lust am Spielen – die unendlichen Möglichkeiten, sich an der Gestaltung zu beteiligen, ist das, was Menschen an der Nutzung von sozialen Medien fasziniert.
Abbildung 2
Die Rolle von Enterprise 2.0 Tools

Momentan spielen die Tools noch kaum eine Rolle in Unternehmen, ihre Bedeutung wird aber zunehmen.
Unerfahrenheit im Umgang
Vorbehalte gegenüber den neuen digitalen Anwendungen begründen zwei Drittel (65 Prozent) der Studienteilnehmer mit mangelnder Erfahrung. „Digital Natives“ – Menschen, die mit digitalen Medien sozialisiert sind – stellen auf deutschen Führungsetagen nach wie vor die Minderheit. So verwundert es nicht, dass die neuen Tools in vielen Fällen zunächst ungenutzt bleiben, da in der Regel das Management über deren Einsatz entscheidet und als Vorbild wenig in Erscheinung tritt. Mangelnde technische Infrastruktur (60 Prozent) und daraus resultierende hohe Investitionskosten beeinträchtigen zusätzlich die weitere Verbreitung.
Change beschäftigt sich mit der menschlichen Seite von Veränderungen. Damit Veränderung gelingt, brauchen die Beteiligten „High Touch“, also viele Berührungspunkte, Dialog und emotionale Trigger. „High Tech“ wirkt da leicht wie ein Gegenpol und kontraproduktiv. Mit der neuen Generation an technologischen Helfern, allen voran die sozialen Medien, sind Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten so unmittelbar, bunt, authentisch und emotional wie niemals zuvor. Diese digitalen Unterstützer haben hohes Potenzial, im Change-Alltag zum neuen Standard zu werden. Zum Abschluss eine Auswahl wirkungsvoller Helfer:
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Soziale Vernetzungs- und Austausch-Plattformen: themenbezogene Vernetzung, schnelle Informations-Weitergabe, interaktive Kommunikation, leichter Zugang zu Dokumenten, schnelle Feedbacks über „Polling“-Funktionen (zum Beispiel Yammer; Connect)
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Jams: gesteuerte, kollaborative Online-Diskussionen als Innovationstreiber. Change-Katalysatoren sind wirkungsvolle Instrumente der Kulturveränderung (zum Beispiel IBM Innovation Jam, NATO Security Jam).
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Serious Games: Online Games, die Spielspaß und ernste Themen verbinden und hohe Wirksamkeit zeigen, wenn es um Verhaltensänderungen geht (zum Beispiel Re-Mission).
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Social Listening: Monitoring von Beiträge auf Plattformen, Foren und Communities, um Schlüssel-Themen zu identifizieren und den „Gefühlszustand“, das sogenannte Sentiment von Organisationen, zu messen. Sie geben zusätzlich zu den klassischen Surveys aktuelle Rückmeldungen.
Das Change Management muss Schritt halten mit dem ansteigenden Innovations- und Veränderungstempo in den Märkten und in den Unternehmen. Dabei sollte der technologische Aspekt nicht im Vordergrund stehen. Soziale Medien sind – richtig eingesetzt – nichts anderes als die neue Generation smarter Helfer, die Unternehmen dabei unterstützen, Wandel so zu gestalten, dass die Menschen mit Kopf und Herz dabei sind.
Die Change Management-Studie
Die Capgemini Consulting Change Management-Studie kann unter
www.de.capgemini-consulting.com/cm
kostenlos heruntergeladen werden.
Capgemini Consulting (Hrsg.): „HR at the Executive Table: Linking People Strategy to Business Outcomes“, erschienen als Capgemini Consulting Studien-Broschüre, 2011
InnoCentive (Hrsg.): „2012 State of Global Open Innovation“, erschienen als White Paper, 2012
Keicher, Imke; Dr. Bohn, Ursula; Anke, Thorsten; Crummenerl, Claudia; Mergenthal, Nadja; Gerhard, Bettina: „Digitale Revolution – Ist Change Management mutig genug für die Zukunft?“, erschienen als Capgemini Consulting Studien-Broschüre, 2012
Petry, T.: „Enterprise 2.0 – Konsequenzen für die Arbeitswelt von morgen“, Wiesbaden, 2012
Autorin
Imke Keicher, Vice President bei Capgemini Consulting, Leiterin des Bereichs People & Performance,
imke.keicher@capgemini.com
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