Ausgabe 12 - 2012
Auf eigene Gefahr
Unternehmen haben eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Mitarbeitern. Das gilt besonders für Fach- und Führungskräfte, die sie ins Ausland entsenden. Doch diese Aufgabe liegt selten in Händen des Personalmanagements.
Senden Unternehmen ihre Mitarbeiter ins Ausland, um Niederlassungen aufzubauen oder Kunden zu gewinnen, sind deutsche Betriebe alles andere als fahrlässig – zumindest auf den ersten Blick. Im internationalen Vergleich bereiten sie Expatriates gut auf ihre Aufgaben vor, halten penibel Vorschriften ein und legen detaillierte Richtlinien fest. Doch sobald es an die praktische Umsetzung geht, fallen deutsche Unternehmen überraschend zurück. Zu diesem Ergebnis kommt eine Benchmarking-Studie von International SOS, einem weltweit operierenden Anbieter von Prävention und Krisenmanagement in Gesundheits- und Sicherheitsfragen.
Wie der Geschäftsführer von International SOS, Dominik Schaerer, auf einer Veranstaltung in München erklärte, haben deutschen Wettbewerbern gegenüber Unternehmen aus anderen Ländern oft das Nachsehen: Etwa darin, wie gut sie darüber informiert sind, wo sich ein ins Ausland entsandter Mitarbeiter aktuell befindet, oder darin, was zu tun ist, wenn der Mitarbeiter erkrankt oder ihm etwas zustößt. Deutsche Firmen kooperieren seltener mit spezialisierten Dienstleistern und Notfalldiensten, an die sich Mitarbeiter rund um die Uhr in ihrer Landessprache wenden können. Schaerer: „In Fragen der praktischen Betreuung ihrer Expatriates haben deutsche Unternehmen eindeutig Nachholbedarf.“
Bewusstsein der Fürsorgepflicht
An der Studie „Duty of Care and Travel Risk Management“ nahmen knapp 630 Unternehmen aus 50 Ländern teil, darunter 30 aus Deutschland. Ermittelt wurde zum Beispiel, wie es um das Bewusstsein der Fürsorgepflicht und die Wahrnehmung von Risiken steht, welche praktischen Maßnahmen ergriffen werden und wer dafür Verantwortung trägt. Ein zentrales Ergebnis: Unter den fünf betrieblichen Einheiten, die am häufigsten für das Management von Reiserisiken und die Einhaltung der Fürsorgepflicht verantwortlich zeichnen, ist Human Resources (HR) nicht zu finden.
Statt HR, so die Studie, kümmert sich der Bereich Compensation and Benefit um diese Themen, gefolgt von Arbeitsmedizin, Sicherheitsmanagement, Reisemanagement und der ersten Führungsebene. Als Schaerer auf dieses Ergebnis hinwies und fragte, warum HR kaum beteiligt sei, hieß es im stattlich besetzten Auditorium, Personaler drängten sich grundsätzlich nicht vor oder seien ohnehin mit ihren Aufgaben ausgelastet. Eine Teilnehmerin aus der Automobilindustrie berichtete, in ihrem Unternehmen seien das Management von Reiserisiken und die Einhaltung der Fürsorgepflicht Aufgaben der Sicherheitsabteilung, während HR lediglich für formale Dinge herangezogen werde. Ein Teilnehmer aus der Luft- und Raumfahrtindustrie sagte, sein Arbeitgeber hätte diese Aufgaben dem zentralen Projektmanagement übertragen.
Im Gespräch mit der „Personalwirtschaft“ zeigte sich Schaerer verwundert, dass das Thema Auslandsentsendung in all seinen Facetten auf den großen Personalermessen kaum in Erscheinung tritt. „Personaler müssen hier eindeutig mehr Initiative zeigen“, so Schaerer. Angaben von International SOS zufolge sind bereits etwa zehn Prozent der Belegschaften ständig im Ausland unterwegs. Studien unterstreichen das: Danach nimmt der Anteil der mobilen Beschäftigten, auch im internationalen Kontext, wegen der Globalisierung weiter zu. „HR soll sich auf die Belegschaften im Heimmarkt konzentrieren und das Management der im Ausland tätigen Fach- und Führungskräfte anderen Organisationseinheiten überlassen“, heißt es laut Schaerer häufig in den Betrieben. Das sei fahrlässig.
Niemand ist so nah dran wie HR
HR ist in vielerlei Hinsicht erste Anlaufstelle für Mitarbeiter. Niemand sonst, vielleicht mit Ausnahme der Arbeitnehmervertretungen, ist im Betrieb so nah dran an der „wertvollsten Ressource“, wie es so oft heißt und was wohl niemand bestreiten dürfte. Dieses Potenzial werde laut Schaerer aber im Reisemanagement und der Fürsorgepflicht von deutschen Firmen nicht genutzt. Im Vergleich zu europäischen und anderen internationalen Firmen legen sie weniger Wert darauf, dass sich Mitarbeiter bei öffentlich bekannt gewordenen Zwischenfällen melden müssen, sie haben kaum Zugang zur Krankengeschichte ihrer Expatriates und vernachlässigen zudem, ihre Mitarbeiter gegen Entführungen abzusichern. Dabei entsenden nach Angaben von International SOS 88 Prozent der deutschen Firmen Mitarbeiter in Regionen, die als hochriskant gelten.
Freilich lässt sich erahnen, warum HR bis dato den Themenkomplex Reisemanagement und Fürsorgepflicht nur mit Samthandschuhen anfasst. Fürsorgepflicht ist nämlich ein Begriff, der in einer rechtlichen Grauzone angesiedelt ist. Darauf verwies Dr. Veit Voßberg, Fachanwalt für Arbeitsrecht der Kanzlei Salans LLP in Frankfurt am Main, auf der Veranstaltung. Als Gegenstück zur Treuepflicht des Arbeitnehmers sei die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers in Schutz-, Informations- und Mitwirkungspflichten unterteilt.
Deshalb von rechtlicher Klarheit zu sprechen, wäre falsch. „Kommt es zum Streit, ist mangels höchstrichterlicher Entscheidungen stets zwischen den Pflichten des Arbeitgebers und der Eigenverantwortung des Mitarbeiters abzuwägen“, erläuterte Voßberg. Je höher das Risiko im jeweiligen Entsendungsgebiet, so eine Faustformel, desto stärker würden die Interessen von Arbeitnehmern gewichtet. Könnten Unternehmen aber nachweisen, ihrer Fürsorgepflicht gegenüber dem Arbeitnehmer durch Vorsorge, Information und Betreuungsmaßnahmen wie etwa Notfalldienste hinreichend nachgekommen zu sein, würde zu ihren Gunsten entschieden, so Voßberg. Wer Entsenderichtlinien befolge und Entsendungsbeauftragte ernenne, sichere sich zusätzlich ab.
Sorgt die EU für Durchblick?
Möglicherweise sorgt die EU bald für den nötigen Durchblick. Sie plant, ein entsprechendes Gesetz aus Großbritannien in europäisches Recht umzusetzen. Bei Vernachlässigung ihrer Pflichten würden Arbeitgebern strafrechtliche Folgen drohen: Geschäftsführer und Vorgesetzte von Expatriates müssten sich vor Gericht verantworten, wenn ihren Mitarbeitern im Ausland etwas zustößt und sie nicht rechtzeitig auf mögliche Risiken hingewiesen und davor geschützt worden sind. Eine Pflichtverletzung kann den Arbeitgeber letztlich teuer zu stehen kommen.
Dies ist auch versicherungstechnisch von Belang. „Deutschen Firmen ist ihre Fürsorgepflicht oft nicht bewusst“, sagte Claudia Schwenninger, Expertin für Auslandsversicherungen beim Gastgeber der Fachveranstaltung, der April Financial Services AG. Verkehrsunfälle, gefolgt von Herz- und Kreislauferkrankungen sowie Infektionen seien die größten Reiserisiken. „Doch der gewählte Versicherungsschutz im Entsendungsland reicht vielfach nicht aus.“
Heikel sind die in jedem Land gültigen staatlichen Vorgaben an ausländische Assekuranzen. Verantwortlichen sei laut Schwenninger oft nicht bewusst, dass ihr Versicherungspartner im jeweiligen Entsendungsgebiet nicht „compliant“, also nicht konform mit der lokalen Gesetzgebung sei. In Einzelfällen habe dies bereits zu empfindlichen Strafzahlungen geführt.
„Unternehmen ist deshalb zu empfehlen, für Expatriates spezialisierte Versicherungslösungen auszuwählen, die mit einer Niederlassung vor Ort sind, direkt mit Ärzten und Krankenhäusern abrechnen und einen 24-Stunden-Notfalldienst anbieten.“ Um insbesondere Personalverantwortliche und Expatriates bei der Wahl solcher Versicherungslösungen zu unterstützen, wurde Anfang des Jahres das Internetportal April-Medibroker aus der Taufe gehoben. Über 20 Versicherer mit rund 100 Tarifen bieten geeignete Lösungen an.
Die Reputation steht auf dem Spiel
So wichtig rechtliche Fragen und Vorbehalte auch sind – Unternehmen sollten sich davor hüten, sich bloß durchlavieren zu wollen. Schließlich steht ihre Reputation als Arbeitgeber im Wettbewerb um Talente auf dem Spiel. HR sollte sich nicht die Butter vom Brot nehmen lassen, empfiehlt Schaerer daher Personalern. Und richtet diesen Appell an sie: „Wollen Sie ein guter Arbeitgeber für aufstrebende und sich international orientierende Fach- und Führungskräfte sein und ihnen eine abwechslungsreiche Reisetätigkeit bieten, haben Sie die Aufgabe, Ihre Mitarbeiter nicht nur gut vorzubereiten, sondern auch während des Auslandsaufenthalts alles für ihr Wohl zu tun.“
Autor
Winfried Gertz, freier Journalist, München
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