Ausgabe 12 - 2013
Am Puls der Wertschöpfung
Die Industriemeister-Qualifizierung lohnt sich. Unternehmen gewinnen dadurch wichtige operative Führungskräfte, können Talenten Perspektiven bieten und ihre Arbeitgeber-Attraktivität steigern. Die Still GmbH hat gute Erfahrungen mit einem speziellen Meister-Führungsprogramm gemacht.
Industriemeister übernehmen anspruchsvolle Aufgaben an der Schnittstelle von Produktionsmannschaft und Management. Sie sind im Produktionsumfeld für die Qualität von Produkten verantwortlich und tragen damit unmittelbar zur Wettbewerbsfähigkeit bei. Planungs- und Kontrollaufgaben stehen im Mittelpunkt der Aufgabenprofile – fast jeder zweite gesuchte Industriemeister ist später mit der Qualitätskontrolle und -sicherung betraut. Darüber hinaus leiten sie Mitarbeiter an und stimmen Prozesse mit den Kollegen aus angrenzenden Bereichen ab. Zum Aufgabenspektrum gehört auch die Kommunikation mit Vorgesetzten sowie Kunden oder Lieferanten. Jeder dritte Industriemeister ist zudem Lehrer beziehungsweise Coach seiner Mitarbeiter. Dies ergab der Dekra Arbeitsmarkt-Report 2013, der sich mit Anforderungen an Industriemeister auseinandergesetzte.
Führung erfordert Berufserfahrung
Ziel war, herauszufinden, für welche Aufgabengebiete diese Fachkräfte gesucht werden und was von Bewerbern erwartet wird. Basis der Analyse bildeten 330 Stellenangebote für Industriemeister.
Für zwei Drittel der Positionen setzen Arbeitgeber explizit Berufserfahrung voraus. Da Industriemeister diese per se haben, zielt dieser Wunsch vermutlich darauf ab, dass die Kandidaten nach der Meisterprüfung bereits in einer verantwortungsvollen Position gearbeitet haben. Auch wenn nicht alle Offerten den Grad an Führungsverantwortung präzisieren, lässt sich erkennen, warum Arbeitgeber Wert auf erfahrene Bewerber legen: Jedes zehnte Stellenangebot richtet sich beispielsweise an Meister, die eine Abteilungs- oder Bereichsleitung übernehmen können. Für jede dritte Position werden spezielle Branchen- oder Materialfachkenntnisse verlangt. Da Industriemeister zunehmend in einem internationalen Umfeld arbeiten, werden in annähernd einem Drittel der Profile als weitere Qualifikation „sehr gute“ Englisch-Kenntnisse vorausgesetzt. Die Analyse zeigt darüber hinaus, dass den Arbeitgebern die persönlichen Eigenschaften der Bewerber sehr wichtig sind. Die gewünschten Soft Skills sind für die späteren Führungsaufgaben unverzichtbar. So sollen Industriemeister teamfähig, kommunikationsstark und durchsetzungsfähig sein sowie Führungskompetenz mitbringen. Darüber hinaus wird Wert auf Flexibilität gelegt.
Im Wettbewerb mit Ingenieuren
Industriemeistern werden offensichtlich Aufgaben zugetraut, die teilweise auch Ingenieure übernehmen. Der Dekra Arbeitsmarkt-Report hat untersucht, welche Qualifikationen beziehungsweise Abschlüsse für die konkreten Stellen alternativ in Betracht kämen. Überraschend oft werden akademische Abschlüsse genannt. Fast ein Sechstel der Stellenangebote erwähnen ein „Studium“, und rund 14 Prozent der Ausschreibungen benennen ein Ingenieurstudium als möglichen anderen Abschluss. Dies beweist einmal mehr, dass Industriemeister zur Gruppe der Hochqualifizierten gehören.
Unternehmen sollten deshalb ihr Augenmerk auf die Weiterentwicklung von Facharbeitern richten. Die finanzielle oder zeitliche Unterstützung ist hier ein wichtiges Element. Genauso entscheidend ist es jedoch, die Nachwuchs-Industriemeister auf dem Weg in die Führungsrolle zu begleiten. Die Kandidaten benötigen die Unterstützung der Personalentwicklung, die für Führungskräfte anderer Bereiche fast selbstverständlich ist. Unternehmen profitieren auch in anderer Hinsicht: Wenn Mitarbeiter Chancen für ihre Weiterentwicklung sehen, wirkt sich dies nicht nur positiv auf die Mitarbeiterbindung, sondern auch auf die Arbeitgeberattraktivität aus.
Zugeschnittene Meister-Führungsprogramme
Die Hamburger Still GmbH beschäftigt weltweit über 7000 Mitarbeiter an fünf Produktionsstätten, 14 Niederlassungen in Deutschland sowie 19 weiteren Landesgesellschaften. Schon früh erkannte der Gabelstaplerhersteller und Anbieter von innerbetrieblichen Logistiklösungen die zentrale Rolle der Industriemeister im operativen Tagesgeschäft. Wesentlich war auch die Erkenntnis, dass der Erfolg unternehmerischer Initiativen wie die Einführung von Lean Management direkt von der Ebene der Meister abhängt. Rund 30 Meister sind für eine Produktionsmannschaft von 1300 Mitarbeitern verantwortlich: Sie müssen vor Ort kompetente Entscheidungen treffen, unternehmerische Initiativen kritisch, konstruktiv begleiten und umsetzen können. Marc Dechmann, Leiter Personalentwicklung: „Bei uns sind die Anforderungen an die Führungsleistung in der Produktion sehr hoch. Insofern ist es uns wichtig, die Standardführungselemente aus der Meisterausbildung unternehmerisch zu ergänzen.“ Deshalb setzte das Unternehmen 2009 ein eigenes Meister-Führungsprogramm auf.
Auswahl: Nicht der beste Experte zählt
Was andere Unternehmen meist nur im kaufmännischen Bereich kennen, gehört bei Still auf Meister-Ebene zum Standard. Alle Kandidaten, die eine Führungsposition übernehmen, durchlaufen ein Führungs-Assessment, bei dem Aspekte wie Konflikt- und Kommunikationsfähigkeit oder das Analyse- und Urteilsvermögen im Vordergrund stehen. „Uns ist es wichtig, nicht den besten Fachexperten auszuwählen, sondern Persönlichkeiten, die ganz bewusst aus der Belegschaft heraus den Schritt in die Führungsrolle gehen“, so Daniela Hubert, Senior Referentin Personalentwicklung und Leiterin des Programms.
Abbildung
Die zehn häufigsten Aufgabengebiete

Im Zentrum des Aufgabenspektrums für Industriemeister stehen Planungs- und Kontrollaufgaben.
Nach dem Assessment Center durchlaufen die Meister ein Programm aus drei Schulungsmodulen, das sich über ein halbes Jahr erstreckt. Es beinhaltet alle Aspekte rund um die Führungsrolle, wie Kommunikation und Gesprächsführung, aber auch die spezifischen Besonderheiten im Produktionsumfeld. Nach dem Abschluss nehmen sie an den weiteren regulären Programmen für die Führungskräfteentwicklung teil. Auch auf die Kommunikation mit der nächsthöheren Führungsebene wird großen Wert gelegt. Einmal jährlich setzen sich die Produktionsleiter einen Tag lang mit den Meistern und ihrer Gruppe zusammen. Jede der rund 60 Gruppen kann in diesem Rahmen Entwicklungen und Probleme diskutieren sowie Verbesserungsvorschläge einbringen.
Integration der Führungsebenen
Im Rahmen des Talent Managements wird regelmäßig reflektiert, wie eine Weiterentwicklung der Meister aussehen könnte. Dabei geht Still künftig einen weiteren Schritt Richtung Integration der Ebenen. „Man kann nicht so tun, als wäre Führung in der Produktion etwas grundsätzlich Anderes“, so Dechmann. „Im Gegenteil, wir brauchen hier die gleiche Führungskompetenz und Führungspolitik wie in anderen Bereichen.“ Im kommenden Jahr startet ein Pilotprojekt, das die Meister mit Führungskräften aus dem kaufmännischen Bereich zusammenbringt. Dechmann verspricht sich Vorteile für beide Seiten – Letztere erhalten einen Einblick darin, was Wertschöpfung in der Produktion bedeutet, und Erstere bekommen ein besseres Verständnis für die Herausforderungen an Führung in anderen Bereichen. Das Engagement der Personalentwicklung trägt Früchte: Meister schätzen die kollegiale Unterstützung in Führungsfragen, und auch in den Augen der Produktionsleiter hat sich die Zusammenarbeit deutlich verbessert. Insofern sehen alle Beteiligten das Führungsprogramm als wichtigen Baustein zur Sicherung der langfristigen Wettbewerbsfähigkeit.
Autor
Dr. Peter Littig, Direktor Bildungspolitik und -strategie, DEKRA Akademie GmbH,
peter.littig@dekra.com
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