Ausgabe 12 - 2014
Der ungenutzte Talent Pool
Der demografische Wandel zwingt Unternehmen, bei der Personalrekrutierung alternative Talent Pools zu berücksichtigen. Dazu gehören auch ehemalige Solo-Selbstständige. Diese Kandidatengruppe wird jedoch oft vernachlässigt – zu Unrecht, bietet sie doch eine große Chance für aufgeschlossene Unternehmen.
Sinkende Geburtenraten und die fortschreitende Überalterung der Gesellschaft erschweren zunehmend die Gewinnung von Mitarbeitern und Führungskräften. Auch die stufenweise Anhebung des Renteneintrittsalters kann die Herausforderungen des demografischen Wandels nicht kompensieren. Der daraus resultierende War for Talents hilft vor allem ressourcenstarken Unternehmen, die durch ein hohes Lohnniveau, ausgeprägte Anreizsysteme und umfangreiche Entwicklungsmöglichkeiten potenzielle Mitarbeiter gewinnen können. Unternehmen mit geringerer Finanzkraft und Firmen an weniger attraktiven Standorten haben oft das Nachsehen. Deshalb sollten gerade sie auf alternative Talent Pools wie die Gruppe der ehemaligen Solo-Selbstständigen zurückgreifen, um ihren Personalbedarf zu decken.
Selbstständige und Freiberufler, die ihre Tätigkeit allein, also ohne Mitarbeiter und Angestellte, ausführen, werden als Solo-Selbstständige bezeichnet. Für das Jahr 2012 ermittelte das Statistische Bundesamt über 2,5 Millionen Solo-Selbstständige in Deutschland. Deren Statusstabilität liegt zwar bei rund 75 Prozent, dies bedeutet jedoch im Umkehrschluss, dass jährlich mehrere hunderttausend Solo-Selbstständige ihre freie Tätigkeit wieder aufgeben. Da die Zahl der gut ausgebildeten Solo-Selbstständigen in Deutschland im europäischen Vergleich relativ hoch ist – etwa 44 Prozent von ihnen verfügen über ein Studium oder einen Meisterabschluss –, könnte man daraus schließen, dass auch sie dem War for Talents unterliegen und von Unternehmen verstärkt rekrutiert werden. Dem ist jedoch nicht so.
Auf dem Abstellgleis statt im Vorstellungsgespräch
Wie Koellinger et al. in einer ersten Untersuchung zu diesem Thema 2012 herausgefunden haben, werden angestellte Bewerber, bei gleicher fachlicher Qualifikation, bis zu dreimal häufiger zu Vorstellungsgesprächen eingeladen als ehemalige Solo-Selbstständige (siehe Abbildung). Es ist offensichtlich, dass eine vorherige Tätigkeit als Selbstständiger die Chancen auf eine spätere Festanstellung verringert. Mögliche Gründe hierfür können ein Stigma des Versagens sein, das ehemaligen Alleinunternehmern anhaftet, oder die Vermutung, dass ein solcher Kandidat nicht über die notwendigen Fähigkeiten für eine angestellte Tätigkeit verfügt und eine Fortbildung zu langwierig oder zu teuer wäre. Die Gründe, die ursprünglich zur Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit geführt haben, werden hierbei jedoch genauso außer Acht gelassen wie die Gründe für die Aufgabe der Tätigkeit.
Selbstständige haben jedoch nicht nur größere Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche als Nicht-Selbstständige, es gibt auch Indizien, dass eine selbstständige Tätigkeit das Risiko einer anschließenden Arbeitslosigkeit um drei bis zehn Prozent erhöht. Auch die Wahrscheinlichkeit, nur noch eine Teilzeitbeschäftigung zu finden, steigt um zehn bis 30 Prozent. Außerdem ist das durchschnittliche Monatseinkommen eines ehemaligen Selbstständigen meist geringer als das eines Angestellten in vergleichbarer Position. Die Situation, in der sich ehemalige Selbstständige befinden, bietet daher innovativen Unternehmen nicht nur die Möglichkeit, Mitarbeiter aus einem vernachlässigten Talent Pool heraus zu rekrutieren, sondern auch Konditionen zu vereinbaren, die für das Unternehmen deutlich attraktiver sein können als bei der Einstellung von permanent angestellten Mitarbeitern.
Abbildung
Aussichten von Selbstständigen und Angestellten auf eine Einladung zum Vorstellungsgespräch

Ehemalige Selbstständige werden deutlich seltener zu Vorstellungsgesprächen eingeladen als Angestellte.
Nicht nur auf das Bewerbungsschreiben verlassen
Unabhängig vom beruflichen Werdegang eines potenziellen Kandidaten sollte sein Kompetenzprofil, die Summe seiner Hard und Soft Skills, ausschlaggebend für eine Rekrutierungsentscheidung sein. Die Hard Skills eines Bewerbers, also seine fachbezogenen Fähigkeiten, sind objektiv überprüfbar. Eventuell veraltetes Wissen kann meist einfach aktualisiert, Wissenslücken können durch entsprechende Fortbildungen geschlossen werden. Kritischer verhält es sich mit den sogenannten Soft Skills, der Summe der persönlichen, sozialen und methodischen Kompetenzen eines ehemaligen Solo-Selbstständigen. Soft Skills werden üblicherweise subjektiv wahrgenommen und entziehen sich so meist einer quantitativen Messbarkeit. Doch gerade die weichen Fähigkeiten sind für eine erfolgreiche Integration des Bewerbers in ein Unternehmen ausschlaggebend.
Aufgrund der Subjektivität von Soft Skills ist es kaum möglich, sie ohne ein persönliches Interview zu ermitteln. Auch die intrinsische Motivation zur Aufnahme einer angestellten Tätigkeit lässt sich nicht allein aus einem Bewerbungsschreiben ableiten. Die Beweggründe sollten jedoch besonders beachtet werden, wenn es um eine Entscheidung im Rekrutierungsprozess geht.
Selbstständigkeit heißt, Verantwortung freiwillig zu übernehmen, leistungsorientiert zu handeln, sich an den Werten unserer Kultur und Gesellschaft zu orientieren und sich im Wettbewerb zu behaupten. Das sollte ein Beleg für das Potenzial ehemaliger Solo-Selbstständiger darstellen. Neben diesen Eigenschaften gibt es allerdings weitere soziale Kompetenzen, die maßgeblich für eine erfolgreiche Integration dieser Personen in den betrieblichen Alltag sind und die bei ehemaligen Selbstständigen womöglich unzureichend ausgeprägt sind.
Das Problem der Unterordnung
Unternehmen funktionieren nur, weil Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten gemeinsam auf ein durch die Unternehmensführung vorgegebenes Ziel hinarbeiten. Dabei müssen neue Mitarbeiter bereit sein, sich einer bestehenden Team- und Hierarchiestruktur unterzuordnen und ihr Verhalten dementsprechend anzupassen. Genau hier liegt eine der besonderen Herausforderungen für ehemalige Selbstständige, die in ihrer Vergangenheit selbst an der Spitze einer Hierarchie stehend diese Strukturen definiert und geführt haben. Auch lernen Mitarbeiter in größeren Unternehmen andere Organisations- und Kooperationsformen als in Einmannbetrieben kennen.
Die Tatsache, dass eine Person selbstständig gearbeitet hat, kann jedoch nicht als alleiniger Grund herhalten, ihr die Fähigkeit zur Unterordnung und zu Teamarbeit abzusprechen, vor allem nicht, wenn die Person vor ihrer Selbstständigkeit bereits erfolgreich in Unternehmen und Teams tätig war. Zudem müssen die Beweggründe, die zu der Aufnahme und Aufgabe der entsprechenden selbstständigen Tätigkeit geführt haben, genau betrachtet werden, da sie Hinweise über die Motivation und Leistungsfähigkeit des potenziellen Mitarbeiters geben.
Die Gruppe der Solo-Selbstständigen ist nicht homogen. Daher ist es für eine erfolgreiche Integration wichtig, die wesentlichen Defizite bei den Hard und Soft Skills des einzelnen Mitarbeiters vor Arbeitsaufnahme zu ermitteln und einen individuellen Fortbildungs- und Trainingsplan zu erstellen. Je nach Ergebnis der Defizitanalyse sollten einzelne Maßnahmen, besonders im Bereich der Hard Skills, auch schon vor der Arbeit im Unternehmen durchgeführt werden.
Um dem Mitarbeiter die Orientierung im Unternehmen zu erleichtern, bietet sich ein formeller Einarbeitungsprozess an, in dessen Verlauf auch die Team- und Hierarchiestufen des neuen Arbeitgebers erläutert und die Position des Mitarbeiters innerhalb dieser Struktur verdeutlicht werden. Dies ist vor allem dann wichtig, wenn der Mitarbeiter aus der Selbstständigkeit in eine Position mit keiner oder nur geringer Entscheidungskompetenz wechselt.
Eine besonders wirksame Integrationsmethode ist der Einsatz eines Mentors, der den ehemaligen Solo-Selbstständigen bei seinem Anpassungsprozess begleitet und so dessen individuelle Beschäftigungsfähigkeit verbessert. Während der ersten zwei bis vier Wochen sollten dabei in täglichen Mentoren-Gesprächen die geleistete Arbeit analysiert, aufgetretene Probleme besprochen und die weiteren Entwicklungsschritte festgelegt werden.
Keine billigen Fachkräfte
Insgesamt stellen Solo-Selbstständige einen alternativen Talent Pool dar, dessen stärkere Berücksichtigung im Rekrutierungsprozess große Vorteile bietet. Ignorieren Unternehmen jedoch die individuelle Beschäftigungsfähigkeit des Kandidaten und sehen ehemalige Solo-Selbstständige nur als billige Fachkräfte an, können bei der Integration dieser neuen Mitarbeiter unnötige Reibungsverluste auftreten. Durch adäquate Fortbildungen und Trainings werden aus Bewerbern mit unternehmerischer Erfahrung wertvolle Mitarbeiter.
Autoren
Christian Kollorz, Inhaber, ck_partner Company, Recklinghausen,
c.kollorz@gmail.com
Markus Fatalin, Geschäftsführer, dadagoo GmbH, Troisdorf,
autor@fatalin.com
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