Ausgabe 12 - 2014
Fehlbesetzungen sind kein Zufall
Die Halbwertszeit von Vorständen im Unternehmen sinkt. Die Gründe sind vielfältig. Fehlgriffe lassen sich aber verhindern, wenn einige Regeln beachtet werden. Jack Welch hat es vorgemacht.
Egal ob seit Jahren bekannt oder von heute auf morgen. Wenn ein Vorstandsmitglied abtritt, vermitteln viele Unternehmen den Eindruck, sich erst am Tag der tatsächlichen Demission ernsthaft mit einer Nachfolgeregelung auseinanderzusetzen. Die Folge: Jedes vierte Vorstandsmitglied hätte bei rechtzeitiger und gewissenhafter Analyse nicht vom Aufsichtsrat in das Führungsgremium berufen werden dürfen. Da diese unter Zeitdruck gekürten Vorstände oft nicht mal eine Berufungsperiode überstehen, nimmt die Halbwertszeit von Vorständen im Amt dramatisch ab. So hat sich die Zahl der jährlichen Vorstandswechsel seit 1998 fast verdoppelt.
Dabei bliebe dem Aufsichtsrat im Zusammenspiel mit dem Vorstandsvorsitzenden meist ausreichend Zeit, die Nachfolge im Top-Management zu regeln – resultieren doch fast drei Viertel der Neubesetzungen aus einem geplanten und lange vorhersehbaren Ausscheiden. Die Realität: Nur die allerwenigsten Unternehmen betreiben für ihre Schlüsselpositionen eine systematische, periodisch rollierende und verpflichtende Mitarbeiterpotenzialanalyse, um die besten Köpfe innerhalb des eigenen Hauses zu finden, auf Potenziale sowie Entwicklungsbedarfe zu prüfen und systematisch zu entwickeln.
Ganz konkret auf den Vorstandsvorsitzenden bezogen, nennen von der Personalberatung Rochus Mummert Executive Consultants aktuell befragte Aufsichtsratsmitglieder deutscher Unternehmen folgende Hauptrisiken einer unstrukturierten Nachfolgebesetzung: So droht etwa mit dem Ausscheiden der Führungsfigur auch das Abwandern von Schlüsselkunden – ein Aktienkurs im Sinkflug inklusive. Das wiederum wirkt sich gravierend auf das gesamte Unternehmen aus, indem sich die besten Mitarbeiter zwangsläufig neu orientieren. Die interne Ablenkung führt dazu, dass die einstigen Wettbewerbsvorteile verloren gehen und Investoren sowie Kunden verunsichert werden. Am Ende schwindet das generelle Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Unternehmens. (siehe Abbildung 1).
Abbildung 1
Hauptrisiken und ihre Folgen

Aus Sicht der Aufsichtsräte gibt es vier Hauptrisiken bei der Nachfolgebesetzung von Vorstandspositionen.
Folgekosten im zweistelligen Millionenbereich
Die betroffenen Firmen leiden zudem unter einer direkten monetären Belastung. Können doch durch eine Fehlbesetzung im Führungsgremium rasch Kosten im zweistelligen Millionenbereich entstehen, wie etwa Berechnungen von Nat Stoddard und Claire Wycoff („The Right Leader“, 2009) zeigen, die nicht nur die Kosten der Neubesetzung und verschleppter Entscheidungen beinhalten, sondern auch Abfindungszahlungen, strategische Fehler und ungenutzte Marktchancen. Doch warum müssen so viele Chefs vorzeitig gehen? Fast immer liegt es an den fehlenden Netzwerken innerhalb des Unternehmens und am fehlenden „Cultural Fit“. Das wissen die meisten Aufsichtsräte auch (Abbildung 2). Um jedoch vorher zu erkennen, ob ein Manager zur Unternehmenskultur passt, muss sich der Aufsichtsrat auf klare Anforderungsprofile einigen und sich bei der Suche genügend Zeit nehmen. Ob kurz- oder langfristig – kritische Personalthemen müssen entschieden werden. Kontraproduktiv sind dabei unterschiedliche Ansichten zur Vision, dem Leitbild, der Strategie und den Zielen im Kreis der Anteilseigner und Kontrolleure.
Abbildung 2
Ursachen für Fehlbesetzungen

Die wichtigsten Ursachen für Fehlbesetzungen sind fehlende Netzwerke und mangelnde kulturelle Passung.
Unter Zeitdruck häufen sich Fehlbesetzungen
Stattdessen sollte Einigkeit über die Faktoren einer erfolgreichen Nachfolgebesetzung herrschen: Welche Vorgaben gibt es zum Beispiel an mögliche Kandidaten hinsichtlich der Erfahrung in bestimmten Industrien oder Erfolgsnachweisen auf bestimmten Absatzmärkten? Wie viele Bewerber sollen von intern oder extern rekrutiert werden? Arbeitet ein Kontrollgremium bei der Klärung dieser Fragen unter Zeitdruck, steigt die Fehlerquote unweigerlich.
Die von Rochus Mummert befragten Aufsichtsratsmitglieder deutscher Unternehmen bestätigen das Bild repräsentativer Untersuchungen aus den Vorjahren. So ist fast jeder zweite Aufseher mit der Nachfolgeplanung in dem von ihm kontrollierten Unternehmen unzufrieden. Auch wenn es wehtut, aber bei einer Fehlbesetzung – insbesondere beim Vorstandsvorsitzenden – hat häufig das Kontrollgremium versagt.
Was sollte ein Unternehmen also tun, um diesen Schwierigkeiten aus dem Weg zu gehen? Lässt der Abschied eines Vorstandes der Firma genügend Zeit, sollte sich das Unternehmen etwa drei bis fünf Jahre vorher gezielt Gedanken machen. Zu oft werden Vorstände zu kurzfristig ernannt. Laut einer Studie von RHR International gaben 45 Prozent der Unternehmen an, dass in ihrem Haus kein sorgfältiger Abstimmungs- und Planungsprozess für neue Vorstandsmitglieder existiert. Und sind die neuen Vorstände dann doch einmal im Amt, gibt man ihnen nur wenig Zeit, um sich zu beweisen.
Dabei haben es die Aufsichtsräte selbst in der Hand, sich ausreichend Zeit bei der Einschätzung der Vorstände im Amt und einer proaktiven, rollierenden, klar formulierten Nachfolgeplanung zu nehmen und möglichst die Vorstände aus den eigenen Reihen zu besetzen. Denn wie Studien bestätigen, ist das Ausfallrisiko extern besetzter Vorstände anderthalbmal so groß wie das interner. Die schnelle Verpflichtung eines vermeintlichen Retters – insbesondere von außen – entpuppt sich zu häufig als Bumerang. Die Begründung, dass der Wunschkandidat nicht zu bezahlen gewesen sei, ist oft mehr Mythos. Wer seine Informationen sorgfältig einholt und auf verlässliche Ratgeber setzt, erkennt schnell, dass auch eine intakte Führungs- und Leistungskultur mit Tugenden wie Verbindlichkeit, Disziplin und gelebter gegenseitiger Wertschätzung Top-Manager anziehen kann.
„Neutron Jack“ hat es vorgemacht
Ein gutes Beispiel für eine gelungene interne Nachfolgeplanung hat ausgerechnet Jack Welch (Spitzname „Neutron Jack“) von General Electric (GE) abgeliefert. Welch selbst wurde mit 45 Jahren jüngster CEO in der GE-Geschichte und blieb es rund 20 Jahre. Bereits sieben Jahre – erfahrungsgemäß reichen auch drei bis fünf Jahre – vor seinem Abschied setzte er das Thema seiner Nachfolge an die Spitze der Agenda. Es wurde die wichtigste Aufgabe für HR-Chef Bill Conaty. So erstellte Conaty damals, 1994, zunächst einmal ein Profil des idealen Nachfolgers und gliederte es nach Eigenschaften wie Werte, Integrität, Führungsqualitäten, Fairness, Energie, Durchsetzungsvermögen, Vision und Erfahrung. 23 Kandidaten – auch hier tun es in der Regel ein paar weniger – gab es zu Beginn des Auswahlverfahrens, allesamt im Alter von 36 bis 50 Jahren.
Kandidaten im Unternehmen halten
In den folgenden Jahren entwickelte die „Findungskommission“ zusätzliche Kriterien. Dazu zählten etwa die Gabe zum Leader und zur Akzeptanz bei den Mitarbeitern sowie die perfekte Mischung aus Willenskraft und Fachwissen. Nicht unwichtig sollte zudem sein, dass der passende Nachfolger bei der Übernahme des Postens noch jung genug sein musste, um den Job mindestens zehn Jahren zu machen. Parallel dazu wurden das Ist- und das Ziel-Profil der Fokuskandidaten verglichen, Versetzungen und Beförderungen erfolgten proaktiv. Ferner achtete GE darauf, dass alle in Frage kommenden Kandidaten möglichst im Unternehmen gehalten wurden und beobachtete sie aus nächster Nähe.
Vier Jahre später blieben noch acht Anwärter im Rennen um die Nachfolge von Welch. Elf waren indes in anderen Positionen des Konzerns untergekommen, vier weitere hatten das Unternehmen verlassen. Als es 2001 schließlich um die endgültige Auswahl des neuen CEO von GE ging, wählte das Unternehmen aus drei Kandidaten. Finale Kriterien damals: Übertrifft stets die Erwartungen, zeigt konstant herausragende und messbare Leistungen, passt perfekt bei Kultur und Werten und besitzt ein hohes Selbstbewusstsein und Einfühlungsvermögen. Übrig blieb Jeff Immelt, der Welch 2001 planmäßig beerbte. Den Erfolg dieses Prozesses zeigt die Nachhaltigkeit: Immelt ist heute nach 13 Jahren immer noch im Amt.
Planung von langer Hand
Das Thema Nachfolgeplanung sollte die Verantwortlichen eines Unternehmens nicht schrecken. Entscheidend bei der Neubesetzung ist, dass die Erwartungen der Anteilseigner und des Aufsichtsrats übereinstimmen.
Der Auswahlprozess und der Übergang sollten objektiv, effektiv, präzise und von langer Hand geplant werden. Sinnvollerweise wird der Vorstand intern also unter bereits bekannten Gesichtern rekrutiert, weil dies eine Kontinuität in Bezug auf die Werte und die Kultur sowie den Fokus und die Dynamik der Firma sicherstellt. Für den Wechsel und die Suche nach einem charakterstarken Nachfolger sollte eine angemessene Zeitspanne – erfahrungsgemäß drei bis fünf Jahre – eingeplant werden. Nur so lässt sich wirklich herausfinden, ob hinter einem passenden Lebenslauf auch ein willens starker Leader steckt.
Ein gutes Corporate Branding hilft zusätzlich, rechtzeitig Top-Kandidaten für das eigene Unternehmen zu interessieren und langfristig zu binden. Noch besser: bereits bei der Neubesetzung eines Vorstands(vorsitzenden) seine künftigen Nachfolgekandidaten schon in der Pipeline haben.
Ersatzkandidaten im Blick behalten
Das führt zwangsläufig dazu, dass der Vorstand und das Führungsteam rechtzeitig besetzt werden und auch potenzielle „Ersatzkandidaten“ stets im Blick sind und gezielt gefördert und entwickelt werden.
Ist ein neuer CEO oder Vorstand schließlich gefunden, endet die Arbeit für den Aufsichtsrat jedoch bei Weitem nicht. Eine schnelle Integration des neuen Amtsinhabers gelingt nur, wenn sich die Kontrolleure weiter um ihn kümmern. Dieser Prozess der Eingewöhnung, der Formulierung und Priorisierung von Zielen und Erwartungen sollte durch ein professionelles Onboarding-Programm und zwecks neutraler Perspektive idealerweise mit einem externen Sparringspartner klar strukturiert werden – und zwar vorher.
Autoren
Dr. Carlo Mackrodt, Geschäftsführer, Rochus Mummert Executive Consultants, München,
carlo.mackrodt@rochusmummert.com
Dr. Lothar Steinebach, ehem. Finanzvorstand bei Henkel, heute u.a. Aufsichtsratsmitglied bei Altana, Carl Zeiss und ThyssenKrupp,
lotharsteinebach@gmail.com
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