Ausgabe 12 - 2015
Erfolgsgeheimnisse für einen besseren Lerntransfer

Es ist immer noch ein Trauerspiel. Viele Weiterbildungsmaßnahmen scheitern beim Transfer in die Praxis. Das muss nicht sein. Mit dem gezielten Blick auf die Erfolgsfaktoren kann der Lerntransfer funktionieren.
Kennen Sie das? Sie sind zurück am Arbeitsplatz von einer Weiterbildung oder einem wirklich inspirierenden Vortrag. Sie haben neue Ideen bekommen, sind begeistert über Ihre neu gewonnenen Einsichten und „wild“ entschlossen, das Erlernte in der Praxis umzusetzen. Vier Wochen später sind die guten Absichten nur noch eine schwache Erinnerung im Nebel der täglichen Anforderungen. Es ist frustrierend, aber „First Things First“, die tägliche Arbeit geht vor. Außerdem ist die Umsetzung anstrengender und zeitintensiver als gedacht. Zudem, und das ist einer der häufigsten Knackpunkte, ist die eigene Begeisterung höher als die der Kollegen („Ruhig Brauner, das lässt auch wieder nach!“). So werden die Ideen zunächst einmal verschoben, dann vergessen. Der gesamte Weiterbildungsschub ist verpufft. Das ist kein Einzelfall, das ist normal. Aber es ist alles andere als gut. In Zahlen ausgedrückt scheitert der Lerntransfer in der Praxis in neun von zehn Fällen. Das sind ca. 28,6 Milliarden Euro pro Jahr überwiegend in Misserfolg investiert. Ein Irrsinn!
Eine miserable Bilanz
Unternehmen befinden sich in der Regel in einer schnellen Abfolge von neuen Herausforderungen und Veränderungen. Die Gründe sind vielfältig und leidlich bekannt: die voranschreitende Globalisierung, die sich schnell verändernden Rahmenbedingungen im Marktumfeld, der Eintritt neuer Wettbewerber mit anderen Geschäftsmodellen, der demografische Wandel und die damit länger werdenden Lebensarbeitszeiten sowie der zunehmend schneller werdende technologische Wandel. Mit diesen permanenten Veränderungen geht zwangsläufig die Anforderung einher, dass sich die Unternehmen in einem permanenten Lernprozess befinden. Die alte Weisheit „Wer rastet, der rostet“ ist in Zeiten wie diesen durchaus auf die Unternehmenswirklichkeit zu übertragen. Logische Konsequenz: Die stetigen Veränderungen bedingen immer neue Lernprozesse der Unternehmen, was zu einer permanenten Weiterbildungserfordernis für die Mitarbeiter führt. Der Betrag von 28,6 Milliarden Euro überrascht deshalb nicht.
Das eigentliche Ziel (von Incentives für „besondere“ Mitarbeiter einmal abgesehen), das jedes Unternehmen mit diesen Investitionen verfolgt, ist die Verbesserung der Unternehmensperformance. Die Konkurrenzfähigkeit soll – gerade vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Herausforderungen – aufrechterhalten oder verbessert werden.
Diese Logik geht allerdings nur dann auf, wenn die Mitarbeiter das Erlernte im Unternehmen umsetzen, es aktiv anwenden. Diese Umsetzungs- und Anwendungseffizienz wird als Lerntransfer bezeichnet. Je besser der Transfer gelingt, umso besser ist das Geld in der betrieblichen Weiterbildung investiert (vergleiche auch Abbildung 1).
Abbildung 1
Die Logik des Lerntransfers

Erst wenn der Transfer gelingt, ist Weiterbildung eine kluge Investition für die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens.
Und genau in dieser (fehlenden) Umsetzungseffizienz liegt das bedeutendste Problem. Der Lerntransfer liegt zahllosen Untersuchungen zufolge bei circa 10 bis 15 Prozent (vgl. Saks/Belcourt, 2006). Ein ausgesprochen schlechter Wert, der seit Jahren auf konstant niedrigem Niveau verharrt. Warum ist das so und warum gelingt es so vielen Unternehmen nicht, den Lerntransfer zu verbessern? Ein Grund liegt in der häufig eindimensionalen Betrachtungsweise, was den Erfolg einer Maßnahme ausmacht. So wird häufig angenommen, dass allein der Wille und die Kompetenz des Teilnehmers für die Umsetzung verantwortlich sind. Eine weitere eindimensionale und zu simple Annahme ist, dass nur der richtige Trainer, Berater, Coach ausgewählt werden muss, um für „Erfolg“ zu sorgen. Beide Faktoren spielen zwar eine Rolle – sind aber für sich gesehen nicht wirklich maßgeblich für die Effizienz des Lerntransfers.
Es gibt zahllose Studien, die untersucht haben, wie Lerntransfer gelingen kann. Ein Ergebnis dieser intensiven Auseinandersetzung ist eine schier unübersichtliche Zahl von Faktoren, die den Lerntransfer mehr oder weniger stark beeinflussen. Diese Vielfalt mag wissenschaftlich sinnvoll sein, die praktische Verwendbarkeit leidet darunter jedoch sehr.
Die vier wichtigen Erfolgsfaktoren
Um eine bessere Übersichtlichkeit und klareren Praxisbezug zu gewährleisten, haben wir die vielfältigen Faktoren zu vier Bereichen zusammengefasst (siehe auch Abbildung 2). Dies erscheint sinnvoll, da sich eine Fokussierung auf diejenigen Faktoren ergibt, die hauptverantwortlich dafür sind, ob und in welchem Umfang Lerntransfer gelingt. Außerdem ermöglicht dies eindeutige Empfehlungen für die Praxis.
Abbildung 2
Vier Faktoren für einen erfolgreichen Lerntransfer

Der Blick auf vier zentrale Faktoren hilft, den Lerntransfer erfolgreich zu gestalten.
Kontext: Voller Tatendrang, manchmal mit wirklicher Begeisterung kehrt ein Teilnehmer von einer Fortbildung zurück. Wenn er Glück hat, sind die Kollegen ein bisschen neugierig. In der Regel sind sie es nicht. Zurückkommende Teilnehmer agieren nicht im luftleeren Raum, sondern in Abhängigkeit von Kollegen, Vorgesetzten und Mitarbeitern.
Entscheidend für den Transfer sind der Rahmen und der Hintergrund, vor dem sich die Weiterbildung abspielt: die realen Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz, die Klarheit in der Zielsetzung der Maßnahme und eines anzustrebenden Zustands, die echte Unterstützung durch die eigene Führungskraft und nicht zuletzt die unternehmenskulturellen Kontextfaktoren. All das sind wichtige, verstärkende Einzelfaktoren, die es den Teilnehmern erleichtern oder erschweren, das Erlernte tatsächlich anzuwenden. Bleibt der entsendete Mitarbeiter „alleine“ und sorgt mit seinem veränderten Verhalten für mehr oder weniger starke Irritationen, werden die Veränderungsbemühungen wegen des Widerstandes im Umfeld schnell eingestellt.
Zwischenfazit: Jede Entwicklungsmaßnahme sollte gesamtheitlich betrachtet und im Unternehmen verankert werden. Eine isolierte, den Kontext nicht berücksichtigende Entwicklungsmaßnahme ist in der Regel rausgeschmissenes Geld, denn der Lerntransfer wird aller Voraussicht nach schnell auf der Strecke bleiben. Aus diesen Gründen ist es sowohl für Personalentwickler als auch für Berater unerlässlich, eine gute und fundierte Auftragsklärung durchzuführen. Diese muss alle vier hier vorgestellten Bereiche umfassen.
Entsendung: Der Erfolg des Transfers beginnt nicht mit dem Startschuss einer Veranstaltung oder dem Beginn einer Maßnahme. Er beginnt schon mit dem Prozess der Entsendung eines Mitarbeiters. Dazu gehört nicht nur die Frage, wer entsendet werden soll. Mindestens genauso wichtig ist die Frage, wie der Mitarbeiter auf die Fortbildung vorbereitet wird. Idealerweise ist sich die entsendende Führungskraft nicht nur im Klaren darüber, welcher Zielzustand angestrebt wird, sondern vor allem auch, an welchen Stellen sich der Mitarbeiter verändern soll. Beides sind absolut notwendige Voraussetzungen. Nur so kann die Führungskraft vor dem Seminar ein Gespräch führen, in dem sie ihre Erwartungen und gegebenenfalls Ziele formuliert, die mit der Maßnahme verbunden sind. Nur so kann nach der Veranstaltung ein Gespräch geführt werden, inwieweit sich ein Lernerfolg eingestellt hat und wie die Umsetzung nun erfolgen soll.
Zwischenfazit: Es ist ausgesprochen wichtig, dass die entsendende Führungskraft erkennt, dass der Erfolg des Lerntransfers nicht delegierbar ist. Ganz im Gegenteil: Der gesamte Prozess des Transfers hängt in großem Maße von der aktiven Beteiligung der Führungskraft ab.
Motivation: Dieser Bereich umfasst in erster Linie die Fortbildungsbereitschaft des Mitarbeiters und die hohe Bedeutung seiner Auswahl. Unabhängig vom Auswahlprozess und der Entscheidung für eine Person ist es elementar, wie sinnvoll die Weiterentwicklungsmaßnahme für ebendiese Person ist. Nur mit Sinn kann sich Motivation bilden. Wer engagiert sich schon gerne für eine Sache, die er als nicht tauglich für den eigenen Alltag oder die eigene persönliche Entwicklung hält? Weiterbildungsmaßnahmen zielen zumeist auf eine Veränderung von Denken, Einstellung und Verhalten. Scheuen Sie sich nicht vor der ehrlichen Bestandsaufnahme, bei welchen Mitarbeitern das gewünschte Potenzial entwickelbar ist. Aus falsch verstandener Großzügigkeit oder Wohlwollen entsteht oft nur Frust. Und das bei allen Beteiligten.
Design: „Ist Transfer wichtig, ist ein Seminar nur selten richtig.“ Diese Aussage weist pointiert auf die grundsätzliche Herausforderung hin, einen Lerntransfer allein mit einem Seminar erzielen zu wollen. Es gibt oftmals geeignetere Methoden, die praxisorientierter sind und mehr mit der Lebenswirklichkeit der Menschen im Unternehmen zu tun haben. Auch kann der Kontext in der Regel besser bedient werden, wenn nicht in einem Versuchslabor trainiert wird, sondern die Impulse, die zu einer Veränderung benötigt werden, direkt in die Praxis hineinwirken.
So weit so gut. Wenn dennoch ein Seminar das Instrument erster Wahl ist oder sein muss, so ist zumindest zu berücksichtigen, wie der Transfer des Gelernten nachhaltig gelingt. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass folgende Grundsätze dafür hilfreich sind:
1. Lernen braucht Wiederholung und damit Zeit.
Für jeden ist klar, dass es unsinnig ist, das Training für einen Marathon nach einem einmaligen Fünf-Kilometer-Trainingslauf für beendet zu erklären oder sich beim nächsten Profi-Golfturnier anzumelden, nur weil man mit seinem 9er-Eisen unter Beobachtung seines Trainers einen sauberen Schlag ausgeführt hat. Warum also sollten Mitarbeiter nach einem Zweitagesseminar die Dinge dauerhaft anders tun als vorher? Die Konsequenz: Die Zeiträume des (begleiteten) Lernens sind zu verlängern. Dabei ist es wichtiger, häufiger im Lernsystem zu arbeiten als länger. Lieber kürzere Boxenstopps als längere Ferienaufenthalte.
2. Lernen braucht Praxis.
Trockenübungen sind wichtig, um ohne Gefahr, mit Netz und doppeltem Boden zu trainieren. Jeder Pilot fühlt sich sicherer, wenn er Notfälle regelmäßig im Simulator üben kann. Auf der anderen Seite liegt „die Wahrheit auf dem Platz“. Daher ist es wichtig, immer wieder die Realität in das Seminar zu holen. Das kann erfolgen, indem genügend Raum für die permanente Übertragung und Reflexion des Erlernten in die betriebliche Realität geschaffen wird. Eine andere Möglichkeit sind Praxisteams, die innerhalb der Seminargruppe installiert werden und die konkrete Fallbearbeitungen vornehmen.
3. Lernen braucht Vertrauen.
Die Praxis in ein Seminar zu holen, ist das eine. Einen Raum zu schaffen, in dem die Teilnehmer sich öffnen und über ihre jeweiligen individuellen und vor allem konkreten Praxisherausforderungen sprechen, das andere. Sicherlich hängt dies stark von der Qualität des Trainers oder Coaches ab. Ebenso entscheidend ist jedoch, das Setting der Veranstaltung so aufzubauen, dass angst- und barrierefreies Arbeiten möglich ist. Zeit spielt dabei natürlich eine Rolle, aber auch die Auswahl und Zusammenstellung der Teilnehmer. Nur wenn diese Faktoren im Vorhinein berücksichtigt werden, kann so viel Vertrauen innerhalb der Lerngruppe aufgebaut werden, dass Praxis und echte Arbeit an den individuellen Fragestellungen der Teilnehmer möglich ist.
Der Lerntransfer ist ein umfassender Prozess. Das bedarf einer Planung, die weit vor der eigentlichen Weiterbildungsmaßnahme beginnen muss. Dieser beginnt bei der Klärung des Kontextes, geht über die Auswahl der richtigen Mitarbeiter und endet bei der Gestaltung eines umsetzungsfördernden Klimas. In Abbildung 3 sieht man die vier wichtigen Bereiche auf einen Blick.
Abbildung 3
Die vier Bereiche mit wichtigen Stellgrößen

Der Lerntransfer ist ein Prozess, der weit vor der eigentlichen Weiterbildungsmaßnahme beginnen muss. Die wesentlichen Stellgrößen zum Lerntransfer sollten daher berücksichtigt werden.
Den Gestaltungsraum nutzen
Der Lerntransfer ein umfassender, von sehr vielen Faktoren abhängiger Prozess, der nicht einfach zu verallgemeinern ist. Festzuhalten bleibt jedoch, dass erfolgreicher Lerntransfer gefördert wird, wenn die Weiterbildungsmaßnahme ganzheitlich betrachtet wird und als Prozess
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unternehmensindividuell ausgestaltet,
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gut geplant und
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konsequent umgesetzt wird.
Mit einer für alle Unternehmen geltenden Messlatte an den Lerntransfer zu gehen, ist ebenso naiv wie ineffizient. Der Lerntransfer muss nicht nur an jedes Unternehmen individuell, sondern auch an die Zielgruppe der Teilnehmer und den jeweiligen Lerninhalt angepasst werden. Klar ist: Die für die Weiterbildungsmaßnahmen ausgewählten Mitarbeiter stellen die entscheidende Größe für einen erfolgreichen Lerntransfer dar. Klar ist aber auch:
Das Unternehmen besitzt einen sehr großen Einfluss auf den erfolgreichen Lerntransfer der Mitarbeiter. Der Erfolg des Lerntransfers der Mitarbeiter ist vor allem auch davon abhängig, wie das Unternehmen seinen in diesem Artikel aufgezeigten Gestaltungsraum nutzt, um die Umsetzung des Erlernten aktiv zu unterstützen. Der Lerntransfer ist als Prozess zu verstehen. Er endet gerade nicht bei der Auswahl der Teilnehmer und der Weiterbildungsmaßnahme. Entscheidend ist, vielfältige Möglichkeiten zu schaffen, das Erlernte am Arbeitsplatz aktiv umzusetzen und Plattformen bereitzustellen, über die das Erlebte reflektiert werden kann. Dabei gibt es keinen finalen Erkenntnisstand. Es ist ein eigener, höchst spannender Prozess, mit welchen Maßnahmen und Instrumenten ein möglichst hoher Lerntransfer im eigenen Unternehmen erreicht wird.
Saks, A.M./Belcourt, M.: An investigation of training activities and transfer of training in organizations, Human Resource Management, 45 (2006), 629-648.
Karg, U.: Betriebliche Weiterbildung und Lerntransfer. Einflussfaktoren auf den Lerntransfer im organisationalen Kontext, 2006.
Ryschka, J./Solga, M./Maattenklott (Hrsg.): Praxishandbuch Personalentwicklung, 2011.
Nowotny, V./Tantau, C.: Trainerkompetenz. Erfolgreich Trainings und Seminare gestalten. Methoden und Strategien für einen nachhaltigen Lerntransfer in die Praxis, 2012.
Autoren
Steffen Luetjen, Geschäftsführender Gesellschafter, Goldpark GmbH Unternehmensberatung, Frankfurt am Main,
steffen.luetjen@goldpark.de
Prof. Dr. Christian Bleis, Leiter F&E, Goldpark GmbH, Frankfurt am Main,
christian.bleis@goldpark.de
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