Ausgabe 12 - 2015
Ein starkes Gespann

Was Ende der 90er-Jahre bei General Electric in den USA begann, wird heute auch in deutschen Firmen praktiziert: Generationen-Tandems. Welche Vorteile bringen die Konzepte „Jung lernt von Alt“ und umgekehrt „Alt lernt von Jung“ für beide Generationen, und unter welchen Voraussetzungen können sie überhaupt funktionieren? Die Personalwirtschaft hat bei drei Unternehmen nachgefragt.
Es ist mein Anliegen, dass mein Bereich auch nach meinem Ausscheiden gut weiterläuft. Daher bin ich froh, dass ich einen Nachfolger habe, der meine Erfahrungen wertschätzt“, sagt Nigel Whippey. Der 64-Jährige hat sich bei Heraeus als Projektleiter in der Entwicklung über 30 Jahre ein umfangreiches Wissen im Bereich Quarzglas angeeignet. Der Engländer, der als Experte im Bereich der Schmelztechnologie gilt, wird Ende nächsten Jahres in den Ruhestand treten. Wird bei vielen Unternehmen erst kurz vor dem Ausscheiden eines Mitarbeiters über dessen Nachfolge nachgedacht, war den für diesen Bereich verantwortlichen Führungskräften bewusst, dass sich Whippeys Wissen nicht innerhalb von zwei Jahren übergeben lassen würde. Bereits 2008 wurde der Physiker und heute 32-jährige Boris Gromann eingestellt, der die Nachfolge seines älteren Kollegen antreten wird. Die beiden Kollegen bilden ein sogenanntes Nachfolge-Tandem, bei dem die Übertragung erfahrungsgebundenen Wissens und der Wissenserhalt im Vordergrund stehen.
Wie für viele Technologieunternehmen ist auch bei Heraeus der Bereich Entwicklung das Herzstück: Die Entwickler führen komplexe Testverfahren für vielfältige Produkte mit teilweise sehr langen Entwicklungszyklen durch. Roland Hehn, Chief HR Officer, malt aus, welche Folgen der Wissensverlust haben kann: „Wenn das hoch spezialisierte Produkt- und Technologie-Know-how eines aus dem Zyklus ausscheidenden Mitarbeiters verloren ginge, dann bliebe im schlimmsten Fall die ganze Entwicklung liegen. Dieser Innovationsverlust würde einen hohen Schaden für das Unternehmen bedeuten.“
Wie gelingt der Wissenstransfer?
Damit die Eins-zu-eins-Beziehung funktioniert, müssen bestimmte Voraussetzungen erfüllt sein. Eine gleichberechtigte Partnerschaft ist eine davon: Keiner der Tandem-Partner darf im anderen eine Konkurrenz sehen; der erfahrene Mitarbeiter darf sein Wissen nicht festhalten wollen, und der Unerfahrene muss bereit sein, dessen Wissen anzunehmen. Roland Hehn weiß aus Erfahrung: „Ein relativ großer Altersunterschied der Tandem-Partner ist förderlich; ansonsten könnte es schnell zu Spannungen oder einem Kräftemessen kommen.“ Auch die räumliche Nähe der Tandem-Partner ist wichtig, um den Wissensaustausch zu fördern. Die beiden Tandem-Partner saßen von Beginn ihrer Zusammenarbeit an in einem Büro. Für den jüngeren Entwicklungsingenieur war die räumliche Nähe zu seinem älteren Kollegen enorm wichtig: „Ich kam direkt von der Universität und hatte nur ein oberflächliches Verständnis davon, mit welchen Bereichen Entwickler zusammenarbeiten, wie verschiedene Quarzglas-Produktionsanlagen in der Praxis funktionieren und wie Testversuche durchgeführt werden“, erinnert sich Gromann an seine Anfangszeit. Selbst heute, nach vielen Jahren der Zusammenarbeit, nutzt er noch den Erfahrungsschatz des Älteren: „Einen Testversuch für eine Neuentwicklung zu planen, der bis zu mehreren Wochen dauern kann, ist eine sehr komplexe Angelegenheit. Hierbei profitiere ich auch von dem guten Netzwerk meines Kollegen beispielswiese zur Produktion und externen Dienstleistern.“
Das Nachfolge-Tandem ist kein Standardinstrument
Die Tandem-Partner sind überzeugt, dass sie beide von der Partnerschaft profitieren: Boris Gromann, weil er sich in Ruhe in ein komplexes Umfeld einarbeiten konnte, und Nigel Whippey, weil er neue Sichtweisen kennengelernt und von neuen Ideen profitiert hat. Dass das Tandem so gut zusammenarbeitet, führt der Personalchef darauf zurück, dass sich beide respektieren und die Chemie stimmt: „Im Vorfeld haben wir uns sehr genau angesehen, ob beide persönlich zueinander passen und ob es eine gewisse Übereinstimmung bei den Sicht- und Arbeitsweisen gibt.“ Neben der persönlichen Passung eignet sich das Instrument, so ist Hehn überzeugt, dann, wenn eine Kontinuität in der Zusammenarbeit gegeben ist und das Netzwerk eine hohe Bedeutung hat. Bei dem Hanauer Familienunternehmen werden Nachfolge-Tandems daher nicht standardmäßig, sondern selektiv in verschiedenen Geschäftsbereichen eingesetzt.
Gestandene Führungskraft lernt vom Azubi
Dass der Wissenstransfer auch andersherum funktionieren kann, zeigt sich bei Merck, einem Unternehmen für Hightech-Produkte in den Bereichen Healthcare, Life Science und Performance Materials. Über einen Zeitraum von drei Jahren schlüpften rund 80 Auszubildende und duale Studenten des Konzerns in die Rolle des Mentors und schulten Führungskräfte darin, soziale Medien stärker für das Unternehmen zu nutzen. Macht es Sinn, Bewerber zu googeln? Wie funktioniert Kununu und welche Möglichkeiten gibt es, Wissensdatenbanken aufzubauen – das waren Themen, die erörtert wurden. Dazu trafen sich die Tandem-Partner regelmäßig, wobei die jungen Mentoren vor jedem Treffen konkrete Lernziele setzten. Und die älteren Mentees loggten sich ins System ein, um sich mit verschiedenen Online-Plattformen vertraut zu machen. Der Grundgedanke bei diesem Reverse-Mentoring-Konzept liegt auf der Hand: Die jungen Mentoren setzen ihre digitale Kompetenz ein, und das Unternehmen nutzt systematisch das Wissen der IT-affinen Generation. „Wir wollten für unsere Industriekaufleute eine Arbeitsumgebung schaffen, in der sie sich als Lehrende beweisen und entwickeln können“, sagt Holger Hiltmann, Leiter kaufmännische Ausbildung.
Ob sich Führungskräfte auf dieses umgekehrte Lernexperiment einstellen wollen, hängt auch davon ab, ob sie sich Wissenslücken auf einem bestimmten Gebiet eingestehen können: „Wichtig ist, in der Projektanfangsphase die Akzeptanz von Vorbildern zu gewinnen, die bereit sind, ihre Teilnahme am Reverse Mentoring in der Unternehmensöffentlichkeit darzustellen. Im Idealfall sind das Manager an der Spitze der Lernpyramide“, ist Professor Dr. Michael Heuser, Professor für Internationales Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Mettmann, überzeugt. Bei Merck hat die freiwillige Teilnahme verschiedener Führungskräfte der oberen Ebene die Initiative ins Rollen gebracht. Daraufhin meldeten sich weitere Führungskräfte direkt bei den Projektverantwortlichen als Tandem-Partner an. Das Lernprojekt kam bei Mentoren und Mentees gleichermaßen gut an, wie eine anschließende Befragung ergab. Hiltmann: „Die Führungskräfte profitierten von einem großen Wissenszuwachs auf einem für sie ungewohnten Gebiet, und die Azubis machten die Erfahrung, dass ihr Wissen wertgeschätzt wird.“
Altersunterschied fördert Innovation
Das Wissen des anderen wertzuschätzen und ein besseres Verständnis zwischen den Generationen herbeizuführen, ist Kerngedanke des Pilotprojektes, das Bosch am Standort Schwieberdingen im April dieses Jahres ins Leben gerufen hat. Die Idee: In einem bereichsübergreifenden Generationen-Tandem finden sich jeweils zwei Mitarbeiter zusammen, deren Altersunterschied mindestens zehn Jahre beträgt. Rund 100 Tandem-Partner haben sich für das Projekt registriert, die bewusst zufällig gematcht wurden. In regelmäßigen Abständen treffen sie sich, tauschen Wissen und Erfahrungen aus und geben sich Hilfestellung: Der Jüngere erfährt zum Beispiel von seinem Tandem-Partner, wie dieser als Expatriate in einer fremden Kultur zurechtgekommen ist, und der ältere Partner lernt, wie er welche sozialen Netzwerke für seine Arbeit nutzen kann. „Wir wollen unsere Mitarbeiter generations- und bereichsübergreifend vernetzen, weil wir überzeugt sind, dass altersgemischte Teams gut voneinander lernen können und dadurch innovativer sind“, ist Personalreferent Bernhard Krauss überzeugt. Das Feedback der Teilnehmer zum Pilotprojekt bestätigt diese Annahme: Nach eigenen Angaben empfinden rund 97 Prozent diese Form der Vernetzung als persönliche Bereicherung und als Vorteil für die eigene Arbeit. Krauss: „Während etwa die Jüngeren von der Lebenserfahrung des älteren Kollegen profitieren, schätzen die älteren Tandem-Partner den unvoreingenommenen Blick ihres jüngeren Kollegen.“ Der Diversity-Experte geht davon aus, dass weitere Bosch-Standorte – insgesamt gibt es deutschlandweit rund 80 – das Konzept übernehmen werden.
Vier gute Gründe für vier Arten von Generationen-Tandems
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Autorin
Annette Neumann, freie Journalistin, Berlin
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