Ausgabe 12 - 2015
„Wissenstransfer wird zur Massenherausforderung“

Professor Dr. Michael Heuser
Generationen-Tandems sind ein bewusstes Instrument von Wissensmanagement und Personalentwicklung geworden. Die Personalwirtschaft sprach mit Professor Dr. Michael Heuser, der International Business an der Fachhochschule der Wirtschaft (FHDW) in Mettmann lehrt, über verschiedene Arten von Tandems und deren Nutzen für das Unternehmen.
Personalwirtschaft: Herr Professor Heuser, Generationen-Tandems sind ein Trend der Personalentwicklung. Warum jetzt und nicht schon vor zwanzig Jahren?
Professor Dr. Michael Heuser: Die Frage ist nicht ganz richtig. Als wir um die Jahrtausendwende bei ersten deutschen Unternehmen das „Reverse Mentoring“ einführten – junge Leute erklären alten Hasen das Internet –, schauten wir uns diese Idee bei General Electric in den USA ab. Dort hatten die Personal- und Organisationsentwickler um Jack Welch dieses Konzept entwickelt. Generationen-Tandems gab es also schon vor zwanzig Jahren. Das umgekehrte „Jung lernt von Alt“ ist übrigens als generationsübergreifendes Lernmuster so alt wie die Menschheit. Auch in der Wirtschaft steht etwa in kleinen und mittleren Unternehmen der Seniorchef häufig noch lange nach seinem formalen Ausscheiden dem Nachfolger zur Seite. In großen Unternehmen ist nicht selten zu beobachten: Der scheidende Vorstand bildet für eine Übergangszeit mit seinem Nachfolger ein Generationen-Tandem.
Und jenseits von Reverse Mentoring und Chefetagen?
Das ist der wesentliche Unterschied zu den Tandems vor zwanzig, fünfzig, hundert Jahren. Mit Generationen-Tandems meinen wir nicht mehr nur Einzelfälle oder Ad-hoc-Initiativen, sondern einen systematischen Ansatz der generationsübergreifenden Wissens- und Erfahrungsweitergabe für große Gruppen der Belegschaft. Generationen-Tandems sind ein bewusstes Instrument von Wissensmanagement und Personalentwicklung geworden.
Was sind die Gründe dafür?
Vier Gründe will ich hervorheben: Die abnehmende Halbwertzeit des Wissens, Expertentum in der Breite der Belegschaft, das Demografiemuster der Belegschaft, Diversität als Innovationsquelle. Erster Grund: Wir erleben eine massive Beschleunigung des Wissenszuwachses; gleichzeitig ist heute relevantes Wissen immer schneller obsolet. Unternehmen brauchen das frische Wissen der Jungen in der Breite der Belegschaft. Wissen muss von unten nach oben fließen. Ein Weg dafür sind Reverse-Mentoring-Tandems. Internet-Tandems sind dafür ein Paradebeispiel, das auch in anderen Bereichen funktioniert: Forschung und Entwicklung, Marketing, im Grunde überall.
Tandem-Initiativen werden auch aus der Sorge initiiert, erfolgskritisches Wissen und relevante Erfahrung bei Ausscheiden von erfahrenen älteren Know-how-Trägern zu verlieren.
Das führt mich zu meinem zweiten Grund: Expertentum in der Breite. Repetitive, einfache Tätigkeiten sind heute vielfach passé. Wissen, Erfahrung, Prozesse sind die erfolgskritischen Wertschöpfungsfaktoren. Im Grunde ist jeder Mitarbeiter heutzutage ein Experte. Wissenstransfer wird damit zu einer Massenherausforderung: Wie behält man Wissen und Erfahrung im Unternehmen, wenn die Wissensträger ausscheiden? Systematische Tandem-Prozesse können eine Lösung sein. ROCK-Tandems – Retention of Critical Knowledge – heißen diese bei manchen Unternehmen.
Und parallel nimmt diese Herausforderung bei älter werdenden Belegschaften noch zu.
Schlimmer: Bei vielen westlichen Industrieunternehmen wird es in den nächsten Jahren zu wahren Ruhestandswellen kommen. Das ist mein dritter Grund: Ganze Expertengruppen – Experten-Cluster – treten altersbedingt nahezu zeitgleich aus dem Unternehmen ab. Erfolgskritisches Wissen ist ja nicht nur in einzelnen Köpfen, sondern auch in solchen Clustern an sich verankert. Geeignete Initiativen sind zum Beispiel Senior-Expert-Programme: Ruheständler kehren temporär zum Beispiel als Projekt-Coaches zurück.
Das ist dann auch eine Frage der Unternehmenskultur?
Natürlich, culture is king. Wir sprechen über fundamentale Veränderungen der Lernkultur. Mit den oft stark gesteuerten Generationen-Tandems üben wir heute diese Kultur der Wissens- und Erfahrungsweitergabe ein. Das ist jenseits der Einzelprozesse Kultur- und Organisationsentwicklung. Dessen sollten sich die Verantwortlichen im Unternehmen, oft die Personalentwickler, bewusst sein.
Eine Kulturveränderung unterstützt ja auch Ihr viertes Motiv – die Unterschiedlichkeit als Innovationsquelle.
Das ist richtig. Forschung und Praxis zeigen, dass ausreichend heterogene Teams in bestimmten Kontexten zu besseren Problemlösungen kommen. In diesem Sinne gehen Generationen-Tandems weit über Wissenstransfer hinaus. Sie werden zur Quelle von Innovation, der Lösung von kleinen, mittleren und größeren Problemen. Ein sehr guter Grund, neben anderen Diversitäts-Tandems auch auf Generationen-Tandems zu setzen.
Autorin
Das Interview führte Annette Neumann.
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